BGH,
Beschl. v. 16.11.2005 - 2 StR 457/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 457/05
vom
16.11.2005
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
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StPO § 59 Abs. 1 Satz 1 F.: 24. August 2004
Eine ausdrückliche Entscheidung, einen Zeugen nicht zu
vereidigen, ist nach der Änderung des gesetzlichen
Regel-/Ausnahme-Verhältnisses in § 59 Abs. 1 Satz 1
StPO nur dann zu treffen und in das Hauptverhandlungsprotokoll
aufzunehmen, wenn ein Verfahrensbeteiligter einen Antrag auf
Vereidigung gestellt hat.
BGH, Beschl. vom 16.11.2005 - 2 StR 457/05 - LG Aachen
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer
Menge
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung der
Beschwerdeführer am 16.11.2005 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen
vom 22.04.2005 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
1. Die Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen
§ 59 Abs. 1 Satz 1 StPO ist nicht begründet.
Das Landgericht hat, wie durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen
ist, jedenfalls in acht Fällen in der Hauptverhandlung
vernommene Zeugen entlassen, ohne ausdrücklich über
eine Vereidigung gemäß § 59 Abs. 1 StPO zu
entscheiden. Entgegen der Ansicht der Revision war dies aber nicht
rechtsfehlerhaft. § 59 Abs. 1 StPO in der Fassung durch das
Erste Justizmodernisierungsgesetz vom 28. August 2004 (BGBl. I 2198)
hat das frühere gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis
umgekehrt und schreibt eine ausdrückliche Entscheidung
über die Vereidigung eines Zeugen nur noch in den dort
genannten Ausnahmefällen vor.
Soweit in Entscheidungen des 1. Strafsenats (Beschl. vom 15.02.2005 - 1
StR 584/04, StraFo 2005, 244) und des 3. Strafsenats (Beschl. vom
- 3 -
20.01.2005 - 3 StR 455/04, NStZ 2005, 340; ebenso Schuster StV 2005,
628, 629) die - die jeweilige Entscheidung nicht tragende - Ansicht
vertreten wurde, § 59 Abs. 1 StPO verlange auch dann
regelmäßig eine ausdrückliche Entscheidung
über die Vereidigung eines Zeugen, wenn diese nicht
für notwendig gehalten wird, und diese - positive oder
negative - Entscheidung sei stets als wesentliche Förmlichkeit
in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen, teilt der Senat diese
Rechtsansicht nicht (vgl. schon Senatsbeschluss vom 17.08.2005 - 2 StR
284/05). Nach dem im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommenen
Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO
und nach dem Sinn der Gesetzesänderung ist vielmehr, wenn ein
Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf Vereidigung des Zeugen nicht
gestellt ist, nur eine positive Entscheidung, ein Zeuge sei aus den in
§ 59 Abs. 1 Satz 1 aufgeführten
Ausnahme-Gründen zu vereidigen, ausdrücklich zu
treffen und daher zu protokollieren. Die Feststellung, dass eine solche
Ausnahme nicht vorliegt, bedarf nach allgemeinen Grundsätzen
ebenso wenig einer ausdrücklichen Entscheidung wie die
Feststellung, dass andere Abweichungen vom gesetzlich
regelmäßigen Verfahrensgang nicht vorliegen.
Dem anders lautenden Hinweis in der Begründung des
Gesetzentwurfs des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes (BT-Drucks.
15/1508, S. 23), auf welchen sich die gegenteilige Ansicht
stützt (vgl. BGH StraFo 2005, 244), will der Senat nicht
folgen. Nach dem klaren Wortlaut des § 59 Abs. 1 StPO ist die
Nichtvereidigung von Zeugen die Regel. Einer ausdrücklichen
gerichtlichen Entscheidung bedarf nach allgemeinen Grundsätzen
nicht die Absicht, einer gesetzlichen Regel zu folgen, sondern allein
die Absicht, von ihr abzuweichen. Daher ist einer im
Hauptverhandlungsprotokoll vermerkten Entlassungsverfügung zu
entnehmen, das Gericht (bzw. der Vorsitzende) habe die Voraussetzungen,
vom regelmäßigen Verfahrensgang abzuweichen, nicht
als gegeben angesehen. Dies bedarf keiner förmlichen
Entscheidung und ist deshalb auch
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keine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von
§§ 273 Abs. 1, 274 Satz 1 StPO. Eine negative
Entscheidung über die Vereidigung ist vielmehr nur dann zu
treffen und zu protokollieren, wenn ein Verfahrensbeteiligter einen
Antrag auf Vereidigung des Zeugen gestellt hat.
2. § 48 OWiG und die dazu ergangene Rechtsprechung stehen dem
nicht entgegen. Nach § 48 OWiG müssen die
Gründe für ein Absehen von der Vereidigung nicht in
das Protokoll der Hauptverhandlung aufgenommen werden. Diese Regelung,
aus welcher geschlossen werden könnte, jedenfalls die Tatsache
der Nichtvereidigung sei zu protokollieren, ist in § 59 Abs. 1
Satz 2 StPO gerade nicht übernommen worden.
Dem stehen auch Anforderungen des Revisionsverfahrens hinsichtlich der
Zulässigkeit einer auf die Nichtbeachtung des § 59
StPO gestützten Verfahrensrüge nicht entgegen. Zwar
hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung
entschieden, dass die Rüge, die Vereidigung eines Zeugen sei
rechtsfehlerhaft unterlassen worden, auch ohne vorherige Anrufung des
Gerichts (§ 238 Abs. 2 StPO) zulässig ist, wenn der
Vorsitzende eine Entscheidung über die Vereidigung nicht
getroffen hat (BGHSt 1, 269, 273; BGH NJW 1986, 1999, 2000; BGH NStZ
1984, 371; 1987, 374; vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl.
§ 59 Rdn. 13 m.w.N.). Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht
ohne weiteres fortgeschrieben werden, nachdem das Gesetz
geändert und das Regel-Ausnahme-Verhältnis des
§ 59 StPO gegenüber der früheren Rechtslage
gerade umgekehrt wurde. Die Zulässigkeit der Rüge,
der Vorsitzende habe rechtsfehlerhaft einen Ausnahmefall im Sinne des
§ 59 Satz 1 StPO nicht erkannt und eine
Vereidigungsentscheidung nicht getroffen, wird daher nunmehr
regelmäßig voraussetzen, dass in der
Hauptverhandlung ein entsprechender Antrag gestellt wurde.
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3. Auch im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils
auf Grund der Revisionsrechtfertigung einen Rechtsfehler zum Nachteil
der Angeklagten nicht ergeben.
Rissing-van Saan Otten Fischer
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