BGH,
Beschl. v. 17.4.2007 - 5 StR 548/06
5 StR 548/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
17.4.2007
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17.4.2007
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Leipzig vom 8. Juni 2006 gemäß § 349 Abs. 4
StPO im Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird gemäß § 349
Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen
Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel
ist aus den Gründen der Antragsschrift des
Generalbundesanwalts vom 20. Dezember 2006 unbegründet im
Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit es den Schuldspruch
betrifft. Hingegen hat der Strafausspruch keinen Bestand.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der zur Tatzeit 36jährige Angeklagte leidet an einer
Persönlichkeitsstörung, die schon in seiner Jugend zu
psychischen Krisen mit Depressionen
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und Suizidgedanken führte. Seit 2001 befindet er sich fast
durchgängig - zeitweise auch stationär - in
psychiatrischer und psychologischer Behandlung, wobei es auch in dieser
Zeit zu schweren Depressionen und psychischen Zusammenbrüchen
kam. Diese Defizite beeinträchtigten nicht nur die
persönliche, sondern auch die berufliche
Lebensführung des Angeklagten, dem es trotz hoher
Qualifikation und herausragender Intelligenz nicht gelang, im
beruflichen Bereich dauerhaft Fuß zu fassen.
Seit Februar 2002 arbeitete er als Redakteur in einem
wissenschaftlichen Verlag im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages.
Nach Ablauf der Probezeit von sechs Monaten erhielt er einen zweiten
befristeten Arbeitsvertrag, was ihn tief enttäuschte, da er
auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag gehofft hatte. Aufgrund
nachlassender Arbeitsleistungen wurden ihm auch in der Folgezeit nur
befristete Arbeitsverträge angeboten. Am 5. Dezember 2005
eröffnete ihm die Geschäftsleitung, dass sein Vertrag
nicht mehr verlängert werden würde. Für
diese Entwicklung machte der Angeklagte insbesondere seine Kollegin,
die später geschädigte Zeugin und
Nebenklägerin S. , verantwortlich, mit der er nach
anfänglich guter Zusammenarbeit zunehmend fachbezogene
Auseinandersetzungen hatte, wobei er sich von ihr nicht als
gleichberechtigt akzeptiert fühlte. Dies führte zu
anhaltenden Spannungen, die auf Betreiben des Angeklagten auch den
Betriebsrat beschäftigten. Die Entscheidung der
Geschäftsführung, sich von dem Angeklagten zu
trennen, beruhte unter anderem darauf, dass mehrere Kollegen, darunter
auch die Zeugin S. , seine Leistungen als unzureichend beurteilt hatten.
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Am frühen Morgen des 9. Dezember 2005 versetzte der Angeklagte
seinem dreijährigen Sohn eine Ohrfeige, weil dieser nicht
gehorchen wollte und er, der Angeklagte, selbst „schlecht
drauf“ war. Als sein Sohn daraufhin weinte, ergriff den
Angeklagten Verzweiflung, er dachte an andere schlecht
bewältigte Situationen in seinem Leben und hatte das
Gefühl, alles sei wertlos (UA S.13). In diesem
Gemütszustand und unter dem Eindruck der sich in
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beruflicher Hinsicht „überschlagenden Ereignisse in
der jüngsten Zeit“ beschloss er, sich an der Zeugin
S. für die Nichtverlängerung seines Vertrages zu
rächen und sie zu töten (UA S.13). Er fuhr zum
Verlagsgebäude, betrat das Büro der
Nebenklägerin, die mit dem Rücken zu ihm am Computer
arbeitete, und rammte ihr das mitgeführte
Küchenmesser mit einem wuchtigen Stoß etwa sieben
Zentimeter tief in den Nacken. Während die Zeugin
schwerverletzt zu Boden glitt, verließ der Angeklagte den
Raum. Die Nebenklägerin überlebte den Messerangriff,
der jedoch zu einer inkompletten Querschnittslähmung mit
bleibenden erheblichen Beeinträchtigungen führte.
Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten als versuchten Mord
bewertet, weil der Angeklagte sowohl heimtückisch als auch aus
niedrigen Beweggründen gehandelt habe. Sachverständig
beraten hat die Strafkammer angenommen, dass die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Ausführung
der Tat nicht ausschließbar erheblich vermindert gewesen sei.
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2. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes hält rechtlicher
Überprüfung stand. Rücktritt vom Versuch
liegt ersichtlich nicht vor. Bei dem gegebenen Tatbild ist auch die
Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke nicht zu beanstanden.
Hingegen hat die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen
Beweggründe keinen Bestand. Die Ausführungen, mit
denen das Landgericht die erhebliche Verminderung der
Schuldfähigkeit bei der Bewertung der Tatmotivation
für unbeachtlich erklärt, begegnen durchgreifenden
Bedenken.
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Nach den Urteilsfeststellungen leidet der Angeklagte an einer
kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden,
selbstunsicheren, zwanghaften und narzisstischen Zügen sowie
einer anhaltenden Dysthymie mit anamnestisch rezidivierenden
depressiven Episoden. Zudem habe bei dem Angeklagten im Tatzeitpunkt
eine psychoreaktive Belastungsstörung vorgelegen,
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die durch die Nichtverlängerung des Vertrages
ausgelöst und durch familiäre Belastungen noch
begünstigt worden sei.
Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer zwar davon aus, dass die
festgestellte Persönlichkeitsstörung und die
aufgezeigten weiteren psychischen Beeinträchtigungen der
Annahme der subjektiven Voraussetzungen von niedrigen
Beweggründen entgegenstehen könnten, falls der
Angeklagte aufgrund seines geistig-seelischen Zustandes nicht in der
Lage gewesen sein sollte, die Umstände, welche die Niedrigkeit
seiner Beweggründe ausmachen, in sein Bewusstsein aufzunehmen
und seine gefühlsmäßigen und triebhaften
Regungen entsprechend zu beherrschen und
willensmäßig zu steuern (vgl.
Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 211 Rdn. 9b).
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Die im Anschluss getroffene Feststellung, dass der Angeklagte trotz
seines Zustandes die Niedrigkeit seiner Motivation erkannt habe,
lässt jedoch die hierzu erforderliche Gesamtschau der
Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung wie auch
der Tat selbst und des Nachtatgeschehens vermissen (vgl.
Tröndle/Fischer aaO Rdn. 9c). Insoweit führt das
Landgericht lediglich aus, dass trotz der
Persönlichkeitsstörung die Basisfunktionen des
Angeklagten intakt gewesen seien und er noch über eine gewisse
Selbstregulation der Stimmung und Realitätsbezug
verfügt habe. Ungeachtet seiner psychischen Befindlichkeit
wäre er in der Lage gewesen, seine
gefühlsmäßigen Regungen zu beherrschen.
Diese durch das Schwurgericht vorgenommene Bewertung widerspricht den
ausführlichen Urteilsdarlegungen zur subjektiven
Befindlichkeit des Angeklagten und entbehrt einer deswegen
erforderlichen näheren Begründung. Zudem erlebte der
Angeklagte vor dem Hintergrund seiner schweren
Persönlichkeitsstörung durch die
Nichtverlängerung seines Arbeitsvertrages eine konflikthafte
Zuspitzung seiner ohnehin bereits emotional angespannten Situation und
hat in dieser Phase äußerster Labilisierung eine Tat
begangen, die ein irrationales Gepräge aufwies (vgl. zur
Annahme von nied-
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rigen Beweggründen bei Rachemotiven BGH NStZ-RR 2003, 147, 149
und zur dabei maßgeblichen subjektiven Sicht BGHR StGB
§ 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 31, 34) und in
deren Folge er sich selbst der Polizei gestellt hat (UA S. 22).
Der Senat schließt angesichts der rechtsfehlerfreien, mit
sachverständiger Hilfe getroffenen Feststellungen zum
Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB aus, dass ein
neues Tatgericht sich von den notwendigen subjektiven Anforderungen an
niedrige Beweggründe noch wird sicher überzeugen
können. Er sieht daher keinen Anlass, die Feststellungen
aufzuheben. Das neue Tatgericht wird auf der Grundlage nur eines
Mordmerkmals, der Heimtücke, und der sonst rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen die Strafe neu zu finden haben. Dabei wird
angesichts der eindeutigen Feststellungen zum Tatbild entgegen den
missverständlichen Formulierungen auf UA S. 21 von direktem
Tötungsvorsatz auszugehen sein.
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Basdorf Häger Gerhardt
Brause Schaal |