BGH,
Beschl. v. 17.7.2001 - 4 StR 212/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 212/01
vom
17. Juli 2001
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 17. Juli
2001 gemäß §§ 44, 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Der Angeklagten wird auf ihre Kosten nach Versäumung der
Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts Magdeburg vom 6. Dezember 2000 Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gewährt.
Der Beschluß des Landgerichts Magdeburg vom 21. Februar 2001,
durch den die Revision der Angeklagten als unzulässig
verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.
2. Auf die Revision der Angeklagten wird das vorgenannte Urteil, soweit
es sie betrifft, im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten aufgehoben.
3. Die Sache wird zur Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus den gegen
die Angeklagte verhängten 55 Einzelstrafen und zur
Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere
Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen "unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 54
Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich begangen mit
gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von
Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren als Person
über 21 Jahre", unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem
Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 3. Februar 2000 zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs
Monaten verurteilt. Ferner hat es den Verfall sichergestellten
Bargeldes und den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von
15.000 DM unter Gewährung von Zahlungserleichterungen
angeordnet.
Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte, der
gemäß § 44 Satz 1 StPO nach
Versäumung der Frist zur Begründung der Revision
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, die
Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit
der Sachrüge zum Ausspruch über die Gesamtstrafe
Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
Die in den Fällen II 1. 1 bis 54 der Urteilsgründe
gebildete Gesamtfreiheitsstrafe hat keinen Bestand, weil die
Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Bewährung aus dem Urteil
des Amtsgerichts Magdeburg vom 3. Februar 2000 nicht einbezogen werden
durfte.
Der Tatrichter, dem sich die Frage nachträglicher
Gesamtstrafenbildung stellt, muß sich jeweils in die Lage des
Richters versetzen, dessen Entscheidung für eine
nachträgliche Einbeziehung in Betracht kommt (vgl. BGHSt 32,
190, 193; BGH NStZ-RR 1999, 268 m.w.N.). Da die der Verurteilung durch
das Amtsgericht Magdeburg zugrundeliegende Tat im Mai 1997 begangen
wurde, bildet die maßgebende Zäsur für die
Gesamtstrafenfähigkeit der durch diese Verurteilung
verhängten Freiheitsstrafe der seit dem 17. September 1998
rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichts Wanzleben vom 31.
August 1998, durch den die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 70
Tagessätzen verurteilt wurde, deren Vollstreckung bei
Erlaß des angefochtenen Urteils noch nicht erledigt war
("Zäsurwirkung des 1. Urteils": vgl. BGHSt 32, 190, 193; BGH
NStZ 1998, 35).
Dies hat das Landgericht zwar an sich nicht verkannt. Nach Auffassung
des Landgerichts entfaltet diese Verurteilung aber keine
Zäsurwirkung, weil sie "wegen der Verschiedenartigkeit der
Delikte nicht geeignet (war), bei der Angeklagten eine warnende Wirkung
bezüglich ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet des
Drogenhandels auszuüben". Diese Erwägung begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Bezugnahme in § 55
StGB auf die §§ 53, 54 StGB zeigt, daß die
nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach den selben Regeln wie
die Gesamtstrafenbildung bei gemeinsamer Aburteilung mehrerer
Straftaten erfolgen und der Täter mithin bei der
nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Ergebnis weder besser
noch schlechter gestellt werden soll. Auf eine Appell- oder
Warnfunktion der noch nicht erledigten Strafe kommt es deshalb nicht an
(vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 1 m.N.).
Da alle Taten im vorliegenden Verfahren nach der Verurteilung der
Angeklagten durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Wanzleben begangen
wurden, wird der neue Tatrichter aus den in den Fällen II 1. 1
bis 55 der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei festgesetzten
Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden haben, die wegen des
Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 StPO nicht mehr als
drei Jahre betragen darf (vgl. BGH NStZ 1991, 182).
Das Amtsgericht Magdeburg wird aus den Strafen aus dem Urteil vom 3.
Februar 2000 und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Wanzleben vom 31.
August 1998 - falls noch nicht vollstreckt - nachträglich eine
Gesamtstrafe zu bilden haben (§ 460 StPO).
Meyer-Goßner Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Ernemann
- 2 -
- 5 -
|