BGH,
Beschl. v. 17.7.2008 - 3 StR 232/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 232/08
vom
17. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 17. Juli 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 28. Februar 2008 im Rechtsfolgenausspruch mit
den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und wegen
versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung in zwei Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und seine Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten,
mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat zum
Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1
1. Die Ausführungen des Landgerichts zur Frage, ob der
Angeklagte bei Begehung der Taten im Sinne des § 21 StGB
erheblich vermindert schuldfähig war, begegnen durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
2
- 3 -
a) Im Fall II 2 ist bereits die Ablehnung einer alkoholbedingt
erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit im Sinne des
§ 21 StGB nicht tragfähig begründet.
3
Nach den Feststellungen versetzte der erheblich angetrunkene Angeklagte
am Tattag gegen 21 Uhr seinem Bekannten Q. , den er aus dem
Obdachlosenmilieu kannte und der, wie er selbst, erheblich dem Alkohol
zusprach, anlässlich eines Besuchs in dessen Wohnung sieben
Messerstiche in Brust und Rücken und misshandelte ihn mittels
Fußtritten schwer. Das Tatopfer verstarb binnen weniger
Minuten an den Folgen der Messerstiche. Einen Anlass für die
Tat hat das Landgericht nicht festgestellt (Fall II 1).
Anschließend begab sich der Angeklagte in die Wohnung seiner
Nachbarn B. und T. , mit denen er zunächst gemeinsam Bier
trank. Gegen 22.30 Uhr brachte der Angeklagte der Zeugin B. in
Tötungsabsicht unvermittelt zwei lebensgefährliche
Messerstiche in Bauch- und Rippenbereich bei und versetzte sodann dem
zu Hilfe eilenden T. ebenfalls mit Tötungswillen drei Stiche,
bevor dieser flüchten konnte (Fall II 2).
4
Während das Landgericht bei Begehung der Tat zum Nachteil des
Q. davon ausgegangen ist, der Angeklagte sei infolge seiner
Alkoholisierung, die zu einem mittelgradigen Rauschzustand
geführt habe, nicht ausschließbar in seiner
Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich
beeinträchtigt gewesen, ist es im Fall II 2 von seiner
vollständig erhaltenen Schuldfähigkeit ausgegangen,
obwohl sich die Taten zum Nachteil der Geschädigten B. und T.
nur eineinhalb Stunden nach dem ersten Tatgeschehen ereigneten. Zur
Begründung hat es auf das Leistungsverhalten des Angeklagten
beim zweiten Vorfall abgestellt.
5
- 4 -
Die angeführten "psychodiagnostischen Kriterien"
vermögen indes die unterschiedliche Beurteilung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht zu belegen. Soweit sich
das Landgericht maßgeblich darauf gestützt hat, der
Angeklagte habe sich, bevor er Frau B. angriff, unauffällig,
"völlig normal" verhalten und sei in der Lage gewesen, zwei
"gezielte Stiche" gegen die Geschädigte zu führen,
unterscheiden sich diese Verhaltensweisen in keiner Weise von
denjenigen, die das Landgericht im ersten Tatkomplex festgestellt hat.
Diese belegen daher allenfalls, dass die Steuerungsfähigkeit
des Angeklagten (auch) im Fall II 2 nicht völlig
ausgeschlossen war; dass die Steuerungsfähigkeit - anders als
im ersten Fall - nicht erheblich vermindert gewesen ist, ist aus ihnen
unter diesen Umständen nicht herzuleiten.
6
Hinzu kommt, dass das Landgericht nicht erkennbar bedacht hat, dass der
Angeklagte nach der ersten Tat in der Wohnung seiner Nachbarn noch
Al-kohol konsumierte, sein Alkoholisierungsgrad bei den
späteren Taten demnach jedenfalls nicht geringer gewesen sein
dürfte als bei dem vorausgegangenen Tatgeschehen.
7
b) Auch soweit das Landgericht der festgestellten "antisozialen
Persönlichkeitsprägung" des Angeklagten für
die Schuldfähigkeitsbeurteilung keine Bedeutung beigemessen
hat, halten die Ausführungen des Landgerichts rechtlicher
Prüfung nicht stand.
8
Zum einen lässt die Formulierung, die normabweichenden
Verhaltensweisen des Angeklagten beruhten nicht auf "krankheitswerten
Defiziten" besorgen, dass der Tatrichter von einem falschen
Verständnis des Merkmals der schweren anderen seelischen
Abartigkeit, dem die diagnostizierte
Persönlichkeitsstörung des Angeklagten allenfalls
unterfallen kann, ausgegangen ist. Denn dieses Eingangsmerkmal der
§§ 20, 21 StGB erfasst gerade solche Ver-
9
- 5 -
änderungen der Persönlichkeit, die nicht pathologisch
bedingt sind und kann deshalb auch dann vorliegen, wenn die
Persönlichkeitsstörung des Täters nicht als
krankhaft zu bezeichnen ist (vgl. BGHSt 34, 22, 24). Der Senat kann
daher bereits nicht ausschließen, dass die Beurteilung des
Schweregrads der Persönlichkeitsstörung auf diesem
unzutreffenden Ansatz beruht (vgl. BGHSt 49, 45 ff.).
Zum anderen hat das Landgericht im Rahmen der erforderlichen
Gesamtbetrachtung nicht die sich aufdrängende Frage
geprüft, ob die festgestellte
Persönlichkeitsstörung, die nach Überzeugung
des Landgerichts für sich betrachtet noch keine erhebliche
Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
herbeiführte, möglicherweise im Zusammenwirken mit
der Alkoholisierung des Angeklagten bei den Taten dessen
Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten im Vergleich zu einem
voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße
einschränkte (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere
3, 5).
10
2. Die dargestellten Rechtsfehler im Rahmen der
Schuldfähigkeitsprüfung führen nicht nur zur
Aufhebung der im Fall II 2 verhängten Einzelstrafen, sondern
ziehen auch die Aufhebung der Einsatzstrafe für die Tat zum
Nachteil des Q. nach sich. Denn es ist nicht auszuschließen,
dass deren Höhe durch die im Fall II 2 festgesetzte Strafe
beeinflusst ist. Damit können auch die Gesamtstrafe und die
nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB angeordnete Sicherungsverwahrung
nicht bestehen bleiben. Der Schuldspruch wird hingegen von den
Rechtsfehlern nicht berührt, da auszuschließen ist,
dass der Angeklagte bei einer der Taten schuldunfähig war.
11
3. Nicht entscheidungserheblich ist deshalb, dass auch die
äußerst knappen und pauschalen Erwägungen
zur Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe rechtlich
bedenklich sind und die den Ausführungen zur Anord-
12
- 6 -
nung der Maßregel vorangestellte Formulierung ("gegen den
Angeklagten war nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB die Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung anzuordnen") besorgen lässt, dass
das Landgericht bei Anordnung der Sicherungsverwahrung nach §
66 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht von seinem
pflichtgemä-ßen Ermessen Gebrauch gemacht, sondern
sich rechtsirrig für im Sinne des § 66 Abs. 1 StGB
gebunden gehalten hat.
Becker Miebach von Lienen
Sost-Scheible Hubert |