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BGH, Beschluss vom 17. März 2005 - 3 StR 39/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 17.3.2005 - 3 StR 39/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 39/05
vom
17.03.2005
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17.03.2005 gemäß
§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 2. September 2004 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Der Angeklagte war zusammen mit dem Mittäter C. am 13. Mai
1994 in das Wohnhaus der Eheleute L. in N. eingebrochen. Beide
waren maskiert, einer hatte eine Maschinenpistole, der andere eine Pistole bei
sich. Als der Wohnungsinhaber nach Hause kam, traten ihm beide entgegen
und fragten nach dem Tresor. Sie fesselten ihn, schlugen mit den Waffen auf
ihn ein und gaben einen Schuß aus der Pistole ab, bis dieser den Tresor öffnete.
Sie erbeuteten Bargeld von mindestens 60.000 DM, Schmuck und Uhren im
Wert von ca. 170.000 DM und Wertpapiere im Wert von nominal ca. 1,5 Millionen
DM. Danach umwickelten sie seine Beine mit Paketklebeband und verklebten
ihm den Mund. In gleicher Weise fesselten sie auch seine zwischenzeitlich
ebenfalls nach Hause zurückgekehrte Ehefrau.
Das Landgericht hatte den Angeklagten D. mit Urteil vom 20. März
2001 unter Freisprechung im übrigen wegen schweren Raubs in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verur-
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teilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat mit Urteil vom
11. September 2003 den Schuldspruch bestätigt, jedoch den Strafausspruch
mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese hat mit Urteil vom
2. September 2004 eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten
verhängt.
Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten hat im Ergebnis keinen
Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
des Angeklagten hat keinen den Bestand des Urteils gefährdenden Rechtsfehler
ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts
bemerkt der Senat:
1. Die Rüge, die Strafkammer habe die der Strafzumessung zugrunde
gelegten Feststellungen nicht gemäß § 261 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt,
ist nicht begründet.
a) Soweit bei der Strafzumessung Tatumstände berücksichtigt worden
sind, bedurfte es keiner erneuten förmlichen Feststellung, weil der Schuldspruch
und damit auch die ihn tragenden Feststellungen rechtskräftig feststanden.
Es genügt, wenn dieser Teil den Verfahrenbeteiligten in irgendeiner Form
bekanntgemacht, etwa mündlich erörtert wird (vgl. BGH NJW 1962, 59 f.;
Kuckein in KK 5. Aufl. § 354 Rdn. 43 f.). Dem hat die Strafkammer durch die
Übergabe einer Kopie des Urteils vom 20. März 2001 Genüge geleistet.
b) Soweit sich die Strafkammer die allein die Strafzumessung tragenden,
in dem neuen Urteil geschilderten Tatsachen aus dem insoweit aufgehobenen
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Urteil "zu eigen gemacht hat", war dies zulässig. Denn sie hat nicht lediglich
auf nicht mehr existente Feststellungen Bezug genommen, sondern mit dieser
Formulierung zu erkennen gegeben, daß sie die entsprechenden Tatsachen
selbständig, wenn auch mit gleichem Inhalt wie die frühere Strafkammer getroffen
hat. Dabei ist es zulässig, die Gründe des teilweise aufgehobenen Urteils
zum Beweis dessen heranzuziehen, was die frühere Hauptverhandlung hierzu
erbracht hatte (vgl. BGHSt 6, 141 f.; BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft
15).
Allerdings ist die Verlesung dieses Urteils nicht rechtsfehlerfrei erfolgt.
Bei dem zunächst angeordneten Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO
war den Beteiligten versehentlich die maschinenschriftliche Vor-Fassung - also
der Entwurf - der Urteilsgründe ausgehändigt worden, der erst später nach Einfügung
verschiedener handschriftlicher Änderungen und Beifügung der Unterschriften
zur endgültigen Urteilsfassung geworden ist. Auf diesem Fehler beruht
indes das neue Urteil nicht, da die einschlägigen Passagen zu den persönlichen
Verhältnissen des Angeklagten von den Änderungen nicht betroffen
waren und die Übereinstimmung von Entwurf und Urteilsfassung insoweit feststeht.
2. Soweit der Beschwerdeführer eine weitere Aufklärung zu seinen persönlichen
Verhältnissen vermißt, ist seine Rüge unzulässig. Zwar hat er eine
Reihe von Beweistatsachen und Beweismitteln benannt, jedoch nicht dargelegt,
welches Beweismittel welche Tatsache ergeben hätte. Sein Vorbringen läßt
unter diesen Umständen nicht die Prüfung zu, was das Landgericht zu der konkret
vermißten einzelnen Beweiserhebung hätte drängen müssen. Dazu fehlt
auch sonst jeder Vortrag.
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3. Die Festsetzung der an sich verwirkten Freiheitsstrafe auf neun Jahre
hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Der Beschwerdeführer hat allerdings mit der Aufklärungsrüge und der
Sachrüge zu Recht beanstandet, daß das Landgericht zum Nachteil des Angeklagten
ausdrücklich eine Vorverurteilung wegen Diebstahls berücksichtigt,
aber nicht geprüft hat, ob diese nicht bereits getilgt war. Hierzu hätte die Überschreitung
der Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BZRG und der
Umstand gedrängt, daß der vor der neuen Hauptverhandlung eingeholte Bundeszentralregisterauszug
keine Eintragung mehr enthielt. Bei dieser Sachlage
war es möglich, wenn nicht wahrscheinlich, daß die Verurteilung im Register
tatsächlich getilgt oder jedenfalls tilgungsreif und eine Verwertung zum Nachteil
des Angeklagten unzulässig war. Zwar erscheint dies auf den ersten Blick
in Anbetracht des Umstandes, daß zur Tatzeit die Verurteilung nur etwa ein
Jahr zurücklag und der Angeklagte damals unter Bewährung stand, schwer
nachvollziehbar, doch ist dies eine zwingende Folge der gesetzlichen Regelungen
in §§ 46, 47 und 51 BZRG.
b) Dieser Rechtsfehler erfordert indes nicht die Aufhebung des Strafausspruchs
und die erneute Zurückverweisung der Sache zur Nachholung dieser
Prüfung, da die Festsetzung der an sich verwirkten Freiheitsstrafe in Höhe von
neun Jahren trotz dieses Strafzumessungsfehlers angemessen ist (§ 354
Abs. 1 a Satz 1 StPO).
aa) Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a
StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der
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Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen
Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung
erheblichen Umstände zu beurteilen. Erklärtes Ziel der gesetzlichen
Neuregelung ist es, zum Zwecke der Ressourcenschonung und der Verfahrensbeschleunigung
Zurückverweisungen an die Vorinstanz wegen Rechtsfehlern
bei der Zumessung der Rechtsfolge nicht nur in den Fällen zu vermeiden,
in denen das Revisionsgericht ausschließen kann, daß die konkret verhängte
Strafe auf dem vom Tatrichter bei der Strafzumessung begangenen Rechtsfehler
beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Vielmehr soll das Urteil auch dann rechtskräftig
werden, wenn das Revisionsgericht die verhängte Strafe trotz des Rechtsfehlers
bei ihrer Zumessung im Ergebnis für angemessen erachtet, selbst wenn
nicht festgestellt werden kann, daß der Tatrichter ohne den Fehler auf dieselbe
Strafe erkannt hätte (vgl. BTDrucks. 15/3482 S. 21 f.; Senat, Beschl. vom
2. Dezember
2004 - 3 StR 273/04 = StV 2005, 75). Dabei kann der Auffassung des
Oberlandesgerichts Celle (NStZ 2005, 163 f.) nicht beigepflichtet werden, wonach
diese Neuregelung so eng auszulegen ist, daß sie nur in den Fällen zur
Anwendung kommt, in denen zwar nicht ausgeschlossen werden kann, daß der
Tatrichter zu einer anderen Bewertung hätte kommen können, diese Möglichkeit
aber eher fernliegend ist. Diese Einschränkung findet in der gesetzlichen
Regelung keine Stütze und würde dem erklärten gesetzgeberischen Ziel, einen
Beitrag zur Ressourcenschonung und Verfahrensbeschleunigung zu leisten,
zuwiderlaufen, da nur ein ganz geringer Anwendungsbereich verbliebe. Auf die
hypothetische Frage, wie der Tatrichter ohne den fraglichen Rechtsfehler entschieden
hätte, kommt es nach der Begründung dieser Neuregelung gerade
nicht an (vgl. BTDrucks. 15/3482 S. 22). Ob die Beurteilung der Angemessenheit
allein auf Grund der festgestellten Urteilsgründe möglich erscheint oder ob
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es etwa in besonderem Maße auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten
ankommt und deshalb die Aufhebung des Strafausspruchs und die Zurückverweisung
der Sache geboten ist, ist eine Frage des Einzelfalls.
bb) Für die Beurteilung der Angemessenheit ist hier vom Strafrahmen
des § 250 Abs. 1 StGB aF und § 250 Abs. 2 StGB nF auszugehen, der Freiheitsstrafe
zwischen fünf und fünfzehn Jahren vorsieht. Die Annahme eines
minder schweren Falles liegt angesichts des außergewöhnlich schweren Tatbildes
selbst bei Berücksichtigung der eingetretenen Verfahrensverzögerung
und der überlangen Untersuchungshaft fern.
Die Tatschuld wird durch die bereits vom Landgericht zutreffend festgestellten
Umstände wie die massive kriminelle Energie, die erheblichen physischen
und psychischen Folgen für das Tatopfer, den außergewöhnlich hohen
Wert des Raubgutes, die Tatausführung im besonders geschützten Wohnbereich
des Ehepaares L. , das Mitsichführen von zwei Schußwaffen, darunter
eine Maschinenpistole, und die Abgabe zumindest eines scharfen Schusses
entscheidend geprägt. Hinzu kommt, was die Strafkammer nicht erörtert hat,
daß die Täter das schon ältere Ehepaar mit Klebeband gefesselt und teilweise
geknebelt zurückgelassen haben und daß der Angeklagte zugleich den Tatbestand
einer gefährlichen Körperverletzung in drei Alternativen (gefährliches
Werkzeug, hinterlistiger Überfall und gemeinschaftlich) verwirklicht hat.
Die von der Strafkammer als strafmildernd angestellten Erwägungen,
wie die Ausrichtung auf eine "übliche Beute", die Regulierung des Schadens
durch eine Versicherung des Geschädigten und die generelle, nicht konkret
belegte höhere Haftempfindlichkeit eines Ausländers sind bereits rechtlich be-
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denklich, fallen aber jedenfalls gegenüber den genannten tatprägenden Umständen
nicht ins Gewicht. Bei einer Gesamtbetrachtung - ohne Berücksichtigung
der Verfahrensverzögerung und der überlangen Untersuchungshaft -
stellt sich die Tat im Vergleich zu sonstigen Fällen des besonders schweren
Raubes als den Durchschnitt weit überragend dar, für die auch bei einem nicht
vorbestraften Täter eine Freiheitsstrafe von neun Jahren an der unteren Grenze
des Schuldangemessenen liegt. Bei dieser Bewertung hat ein Vergleich mit
der Bestrafung von Mittätern (durch andere Gerichte) außer Betracht zu bleiben,
da allein die individuelle Schuld des Angeklagten maßgeblich ist (vgl.
BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 23).
4. Die Feststellung der eingetretenen Verfahrensverzögerungen weist
nur einen Fehler zu Gunsten des Angeklagten auf.
a) Das Landgericht hat den Zeitraum für die am 14. März 1997 beginnende
und später ausgesetzte erste Hauptverhandlung bis zum Beginn der
zweiten Hauptverhandlung am 2. Juni 1998 mit 14 Monaten und zwei Wochen
zu Unrecht als Verfahrensverzögerung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK
gewertet. Die erste Hauptverhandlung mußte am 22. Mai 1998 abgebrochen
werden, weil sowohl einer der Schöffen als auch der für solche Notfälle hinzugezogene
Ergänzungsschöffe erkrankt waren. Hierdurch ist das Recht des Angeklagten
auf Behandlung seiner Sache in angemessener Frist nicht verletzt
worden. Denn es ist weder eine beschleunigende Handlung unterlassen, noch
eine verzögernde Handlung vorgenommen worden. Vielmehr war die Aussetzung
der Hauptverhandlung eine zwingende verfahrensrechtliche Maßnahme
infolge einer nicht vorhersehbaren Erkrankung von zwei Schöffen. Die erforderliche
Vorsorge war durch die Heranziehung eines Ergänzungsschöffen getrof-
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fen worden. Die Bestellung eines zweiten Ergänzungsschöffen war nach Sachlage
nicht geboten. Damit lag - anders als bei einer unzureichenden personellen
Ausstattung der Justiz - eine kurzfristig auftretende unvermeidbare Störung
des Verfahrensablaufs vor, die eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK
nicht begründet (vgl. Gaede wistra 2004, 166, 170 m. w. N.).
b) Im übrigen ist die Feststellung der Zeiträume, in denen das Verfahren
nicht ausreichend gefördert worden ist, nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für
die zweite Hauptverhandlung vom 2. Juni 1998 bis zum 12. September 2001.
Nach Abzug der als Verzögerung gewerteten Zeiträume von insgesamt 16 Monaten
und zwei Wochen verbleibt eine Dauer von etwa zwei Jahren. Der Senat
teilt - unabhängig von der Berechnungsmethode im einzelnen - die Auffassung
der Strafkammer auch im Endergebnis, wonach eine solche Verfahrensdauer
für die Durchführung der Hauptverhandlung unter den hier gegebenen, vom
Landgericht ausführlich geschilderten Umständen des Einzelfalles nicht als
unangemessen lang bezeichnet werden kann.
Das Landgericht hat den Zeitraum nach der teilweisen Aufhebung des
Ersturteils durch das Senatsurteil vom 11. September 2003 zu Recht nur insoweit
als Verfahrensverzögerung gewertet, als dieses Verfahren nach der Zurückverweisung
nicht zügig genug bearbeitet worden ist. Denn allein der Umstand,
daß auf eine Revision ein Urteil teilweise aufgehoben und zurückverwiesen
wird, begründet regelmäßig keine rechtsstaatswidrige
Verfahrensverzögerung, sondern ist Folge der Verfahrensgestaltung durch die
Strafprozeßordnung, die im Regelfall gerade zum Schutz des Angeklagten die
Nachprüfung einer Verurteilung in Rechtsmittelverfahren vorsieht (vgl. BVerfG
NJW 2003, 2228; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 15). Etwas
anderes mag gelten, wenn die Zurückverweisung Folge erheblicher, kaum
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mag gelten, wenn die Zurückverweisung Folge erheblicher, kaum verständlicher
Rechtsfehler ist, die der Vornahme einer verzögernder Handlung gleichstehen
(vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 22). Eine
solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor.
5. Die von der Strafkammer vorgenommene Kompensation der eingetretenen
Verfahrensverzögerungen und der überlangen Untersuchungshaft durch
eine Reduzierung der Freiheitsstrafe von neun Jahren um zwei Jahre und
sechs Monate auf eine verbleibende Rechtsfolge von sechs Jahren und sechs
Monaten hält einer rechtlichen Nachprüfung stand, wäre aber jedenfalls auch
angemessen (§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO).
a) Es ist nicht zu beanstanden, daß das Landgericht als Ausgangspunkt
für die vorgenommene Kompensation fiktiv von einer zeitnah erfolgten Verurteilung
ausgegangen ist, ohne zwischen den Gesichtspunkten der langen Verfahrensdauer
und der Verfahrensverzögerung betragsmäßig zu unterscheiden.
Denn beide Gesichtspunkte haben zwar einen unterschiedlichen gedanklichen
Ausgangspunkt; sie überschneiden sich jedoch und sind vom konkreten zeitlichen
Ablauf sowie den Auswirkungen auf den Angeklagten regelmäßig nicht
sinnvoll zu trennen. Entsprechendes gilt für den Umstand, daß die Strafkammer
die Kompensation für die Verfahrensverzögerung und die überlange Untersuchungshaft
nicht getrennt, sondern gemeinsam vorgenommen hat.
b) Die Bemessung der Kompensation durch das Landgericht in Höhe einer
Strafmaßreduzierung um zwei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe
zeigt auch in Anbetracht der mehrfachen, kumulierten Verzögerungszeiträume,
der damit verbundenen und darüber hinaus aufgetretenen Verfahrensdauer
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und der überlangen Dauer der Untersuchungshaft keinen Rechtsfehler zu seinem
Nachteil auf. Eine noch höhere Kompensation würde zu einer unvertretbar
milden Strafe führen, in der das Gewicht und die Brutalität der vom Angeklagten
begangenen Tat so wenig zum Ausdruck käme, daß dies auch unter Berücksichtigung
der überlangen Verfahrensdauer nicht mehr zu rechtfertigen
wäre.
c) Selbst wenn man abweichend von der Auffassung des Senats und
des Landgerichts die durch die teilweise Zurückverweisung der Sache durch
das Senatsurteil vom 11. September 2003 verursachte weitere Verfahrensdauer
von insgesamt einem Jahr und sechs Monaten als Verfahrensverzögerung
im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK bewerten würde, wäre die vorgenommene
Kompensation um zwei Jahre und sechs Monate angemessen (§ 354
Abs. 1 a Satz 1 StPO). Denn das Landgericht hat von diesem Zeitraum bereits
einen Teil von fünf Monaten seiner Kompensation zu Grunde gelegt, so daß
zusätzlich nur weitere 13 Monate zu berücksichtigen wären. Da die Strafkammer
aber andererseits - wie oben unter 4. a) dargelegt - die Zeit der ersten,
später ausgesetzten Hauptverhandlung ab dem 14. März 1997 mit 14 Monaten
und zwei Wochen zu Unrecht als Verzögerung gewertet hatte, würde sich der
der Kompensation zu Grunde zu legende Gesamtzeitraum gegenüber der Berechnung
des Landgerichts nicht erhöhen, sondern sogar - wenn auch geringfügig
- ermäßigen.
d) Entgegen der Auffassung der Revision kann das Revisionsgericht
nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO auch die Angemessenheit der letztlich verhängten
Rechtsfolge nach Durchführung einer fehlerhaften Kompensation zum
Ausgleich einer Verfahrensverzögerung oder einer überlangen Untersuchungshaft
bejahen. Der Umstand, daß die Herabsetzung der Strafe im Falle
einer Verfahrensverzögerung nach der Rechtsprechung des
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Verfahrensverzögerung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(NStZ 1997, 591) - mit dem sonstigen System des Strafzumessungsrechts
allerdings nicht übereinstimmend - ausdrücklich und konkret zu bestimmen
ist, ändert nichts daran, daß es sich um einen Strafzumessungsvorgang
handelt, der zu einer angemessenen Rechtsfolge führen soll. Es ist mit dem
Wortlaut des § 354 Abs. 1 a StPO vereinbar und entspricht dem Anliegen des
Gesetzgebers, einen Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung zu leisten
(BTDrucks. 15/3482 S. 21), die Vorschrift auch auf Fälle der Kompensierung
einer Verfahrensverzögerung anzuwenden. Dies gilt sowohl für die Bestätigung
der schließlich verhängten Rechtsfolge nach Satz 1 dieser Regelung, wie für
die angemessene Herabsetzung nach Satz 2. Diesem Anliegen würde nicht
Rechnung getragen, wenn gerade in Fällen, in denen das Verfahren bereits
verzögert worden war, auf diese Möglichkeit eines beschleunigten Verfahrensabschlusses
verzichtet würde.
Tolksdorf Miebach Winkler
RiBGH Becker ist urlaubsbedingt Hubert
an der Unterzeichnung gehindert.
Tolksdorf
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
__________________
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StPO § 354 Abs. 1 a, MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
1. Zur Prüfung der Angemessenheit einer Rechtsfolge durch das Revisionsgericht
nach § 354 Abs. 1 a StPO.
2. § 354 Abs. 1 a StPO ist auch bei der fehlerhaften Berücksichtigung einer
Verfahrensverzögerung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK anwendbar.
BGH, Beschl. vom 17.03.2005 - 3 StR 39/05 - Landgericht Oldenburg



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