BGH,
Beschl. v. 17.3.2009 - 1 StR 479/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 479/08
vom
17. März 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________________
AO § 153 Abs. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 2
1. Eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht nach
§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO besteht auch dann, wenn der
Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der
Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen
hat und er später zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass
die Angaben unrichtig sind.
2. Die sich aus § 153 AO ergebende steuerrechtliche Pflicht
zur Berichtigung von mit bedingtem Hinterziehungsvorsatz abgegebenen
Erklärungen wird strafrechtlich erst mit der Bekanntgabe der
Einleitung eines Steuerstrafverfahrens suspendiert, das die unrichtigen
Angaben erfasst (im Anschluss an BGHSt 47, 8, 14).
BGH, Beschl. vom 17. März 2009 - 1 StR 479/08 - LG
Nürnberg-Fürth
in der Strafsache
gegen
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wegen Steuerhinterziehung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. März 2009
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 10. März 2008 wird als
unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils
auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hinterziehung von
Umsatzsteuer für das Jahr 2002 zu einer Geldstrafe von 270
Tagessätzen zu je 30,-- Euro verurteilt. Vom Vorwurf, auch
hinsichtlich des Jahres 2003 Umsatzsteuer hinterzogen zu haben, hat es
ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen
seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der
er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das
Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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I.
1. Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte seit dem Jahr 1979
Geschäftsführer der in Nürnberg
ansässigen D. KG
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(nachfolgend: D. KG). Seit Mitte des Jahres 2001 entstanden in der
Buchhaltung des Unternehmens Buchungsrückstände. Dies
hatte zur Folge, dass die von der D. KG erzielten Umsätze und
gezahlten Vorsteuerbeträge spätestens seit dem Jahr
2002 der EDV-Buchhaltung des Unternehmens nicht mehr entnommen werden
konnten. Von Januar 2002 bis Mai 2003 wurden die beim Finanzamt
einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen daher von der angestellten
Buchhaltungskraft anhand der vorliegenden Eingangs- und
Ausgangsrechnungen manuell erstellt, wobei ihr allerdings
schwerwiegende Fehler unterliefen. Für das Jahr 2002 wurden
von den tatsächlich getätigten Umsätzen im
Umfang von mehr als 12,8 Mio. Euro lediglich knapp 9,1 Mio. Euro
erklärt. Zugleich wurden die Vorsteuern um etwa 62.000,-- Euro
zu niedrig angegeben. Auch die für die
Voranmeldungszeiträume des Jahres 2003 eingereichten
Umsatzsteuervoranmeldungen waren unrichtig und enthielten zu geringe
Umsatzsteuerbeträge. Der Angeklagte erfuhr spätestens
im ersten Halbjahr 2002 von den Rückständen in der
Buchhaltung. Auch wusste er, dass die Umsatzsteuervoranmeldungen
manuell erstellt wurden. Gleichwohl überprüfte er die
Voranmeldungen nicht. Im Hinblick auf die manuelle Erstellung der
Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2003 ordnete das
Finanzamt Nürnberg-Nord eine Umsatzsteuer-Nachschau an, die am
29. Oktober 2003 in den Geschäftsräumen der D. KG
durchgeführt wurde. Hierbei wurde sofort festgestellt, dass
die für Februar bis Mai 2003 tatsächlich erzielten
Umsätze weit über den vorangemeldeten
Umsätzen lagen. Dies wurde noch am gleichen Tag dem
Angeklagten mitgeteilt, der die bei der Umsatzsteuer-Nachschau
festgestellten Beträge als richtig anerkannte.
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Aufgrund der Mitteilung des Finanzamts rechnete der Angeklagte damit,
dass auch die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar
bis Dezember 2002 unrichtig waren. Gleichwohl unterließ er
die Abgabe einer richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung, mit
der er zugleich der sich aus § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ergebenden
Berichtigungspflicht hätte nachkommen können, die ihm
bekannt war. Die Berichtigung wäre ihm auch ohne weiteres
möglich gewesen, da die Buchhaltung zwischenzeitlich
vervollständigt worden war, so dass dem Angeklagten die
richtigen Umsatzzahlen zur Verfügung standen. Der Angeklagte
unterließ sowohl die Abgabe einer
Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002 als
auch eine Berichtigung der unrichtigen Vorsteueranmeldungen, um sich
die Steuervorteile, die die Gesellschaft durch die unrichtigen
Voranmeldungen erzielt hatte, auf Dauer zu sichern.
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2. Aufgrund dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten
wegen Steuerhinterziehung hinsichtlich des Jahres 2002 zu der
Geldstrafe von 270 Tagessätzen verurteilt. Vom Vorwurf der
Hinterziehung von Umsatzsteuer für das Jahr 2003 hat das
Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen
freigesprochen.
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II. Über die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision
der Staatsanwaltschaft, die sich auch gegen den Teilfreispruch richtet,
hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag entschieden. Die Revision des
Angeklagten hat aus den Gründen der Antragsschrift des
Generalbundesanwalts vom 24. November 2008 keinen Erfolg.
Ergänzend bemerkt der Senat zum Schuldspruch wegen
Steuerhinterziehung durch Unterlassen:
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1. Das Landgericht sieht den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2
AO deswegen als erfüllt an, weil der Angeklagte seiner
„Verpflichtung nach § 153 AO, unrichtige
Voranmeldungen durch Abgabe einer richtigen Jahreserklärung zu
berichtigen“ (UA S. 11), nicht nachgekommen sei. Die darin
zum Ausdruck kommende Auffassung, aus § 153 AO ergebe sich die
Verpflichtung zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung,
wenn zuvor unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden sind
und der Steuerpflichtige nachträglich deren Unrichtigkeit
erkannt hat, trifft nicht zu. Vielmehr handelt es sich bei der Pflicht
zur Anzeige und Berichtigung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen
nach § 153 AO und der Pflicht zur Abgabe einer
Umsatzsteuerjahreserklärung nach § 18 Abs. 3 UStG um
voneinander unabhängige Pflichten, die zudem unterschiedliche
Voraussetzungen haben.
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2. Die Umsatzsteuer ist eine Jahressteuer. Gleichwohl hat der
Unternehmer im Verfahren zur Umsatzbesteuerung bezogen auf jedes
Kalenderjahr mehrere steuerliche Erklärungspflichten. Zum
einen hat er beim Finanzamt bis zum zehnten Tag nach Ablauf jedes
Voranmeldungszeitraums - in der Regel des Kalendermonats (vgl.
§ 18 Abs. 2 Satz 2 UStG) - eine Umsatzsteuervoranmeldung
einzureichen, in der er die Steuer für den
Voranmeldungszeitraum selbst zu berechnen hat (§ 18 Abs. 1
Satz 1 UStG). Zum anderen hat er für das Kalenderjahr -
ebenfalls in Form einer Steueranmeldung - eine
Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, in der er die zu
entrichtende Steuer oder den Überschuss, der sich zu seinen
Gunsten ergibt, selbst zu berechnen hat (§ 18 Abs. 3 Satz 1
UStG). Bei der Pflicht zur Abgabe einer Jahreserklärung
handelt es sich um eine gegenüber der Pflicht zur Einreichung
von Voranmeldungen eigenständige Pflicht, deren
Nichterfüllung einen selbstständigen Unrechtsgehalt
besitzt (vgl. BGHSt 47, 8, 13 f.; BGHR AO § 370 Abs. 1
Konkurrenzen 13).
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Sind monatlich Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben, trifft den
Unternehmer hinsichtlich der Umsatzsteuer bezogen auf das Kalenderjahr
die Pflicht zur Abgabe von insgesamt dreizehn Steueranmeldungen,
nämlich von zwölf Umsatzsteuervoranmeldungen und
einer Umsatzsteuerjahreserklärung. Ist der
Voranmeldungszeitraum das Vierteljahr (§ 18 Abs. 2 Satz 1
UStG), hat der Unternehmer insgesamt fünf Steueranmeldungen
einzureichen.
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Die Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung
besteht auch dann, wenn einzelne oder alle Voranmeldungen für
das jeweilige Kalenderjahr unrichtig sind. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs führt allerdings der verfassungsrechtlich
verankerte Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (vgl. BVerfGE 109,
279, 324; 56, 37, 49) dazu, dass die fortbestehende steuerrechtliche
Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung dann -
strafrechtlich - suspendiert wird, wenn dem
Erklärungspflichtigen bekannt gegeben wird, dass gegen ihn
wegen der Verletzung seiner Pflicht zur Abgabe zutreffender
Umsatzsteuervoranmeldungen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden
ist (BGHSt 47, 8, 12 ff.; vgl. auch die Nachweise bei Jäger
NStZ 2005, 552, 556).
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3. Von diesen Pflichten zu unterscheiden ist die sich aus §
153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ergebende steuerrechtliche Anzeige- und
Berichtigungspflicht. Nach dieser Vorschrift ist der Steuerpflichtige
zur unverzüglichen, d. h. ohne schuldhaftes Zögern
(vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB; Rolletschke in Rolletschke/
Kemper, Steuerverfehlungen, Stand 88. Ergänzungslieferung
Dezember 2008, § 370 AO Rdn. 274) vorzunehmenden Anzeige und
Richtigstellung gegenüber den Finanzbehörden
verpflichtet, wenn er nachträglich vor Ablauf der
Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn
abgegebene Erklärung un-
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richtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer
Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist.
Bei dieser Pflicht handelt es sich um eine weitere
eigenständige - und zwar steuerrechtliche - Pflicht, die nicht
stets, sondern nur dann entsteht, wenn die in § 153 AO
genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Sie verpflichtet den
Steuerpflichtigen nicht zur Abgabe einer Steuererklärung,
sondern zur Berichtigung der als unrichtig erkannten
Erklärungen. Deshalb ergibt sich aus § 153 AO bei
nachträglichem Erkennen, dass eingereichte
Umsatzsteuervoranmeldungen unrichtig waren, nicht die Pflicht zur
Abgabe einer wahrheitsgemäßen
Umsatzsteuerjahreserklärung. Vielmehr ist anzuzeigen, welche
Umsatzsteuervoranmeldungen unrichtig sind; zudem sind diese zu
berichtigen. Dies schließt freilich nicht aus, dass die
Anzeige und Berichtigung der unrichtigen Voranmeldungen stillschweigend
durch die Abgabe einer zutreffenden
Umsatzsteuerjahreserklärung vorgenommen werden kann (vgl.
Tipke in Tipke/Kruse, AO Stand 118. Lfg. März 2009, §
153 Rdn. 15).
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4. Auch bei der Anzeige- und Berichtigungspflicht aus § 153 AO
handelt es sich um eine Erklärungspflicht im Sinne des
§ 370 Abs. 1 AO, deren gänzliche
Nichterfüllung ebenso strafbar ist (§ 370 Abs. 1 Nr.
2 AO) wie die nur scheinbare Berichtigung mit erneut falschen Angaben
(§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO).
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Die Frage, ob und gegebenenfalls wann nach Abgabe einer unrichtigen
Steuererklärung eine Berichtigungspflicht
gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
entsteht, hängt maßgeblich davon ab, ob und
gegebenenfalls wann der Steuerpflichtige von der Unrichtigkeit einer
von ihm oder für ihn abgegebenen Erklärung Kenntnis
erlangt. Denn ein nachträgliches
„Erkennen“ ist begrifflich nur möglich,
wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit zunächst nicht
gekannt hat.
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Eine Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß
§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO kommt daher nur dann in Betracht,
wenn der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Abgabe der
Erklärung keine Kenntnis von der Unrichtigkeit der
Erklärung hatte. Eine solche Pflicht besteht somit dann nicht,
wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Abgabe der Erklärung
deren Unrichtigkeit gekannt hat. Die Pflichten aus § 153 AO
entstehen damit erst in dem Zeitpunkt, in dem der Steuerpflichtige die
Unrichtigkeit tatsächlich erkennt. Die bloße
Möglichkeit, die Unrichtigkeit zu erkennen, genügt
angesichts des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes nicht (vgl. Tipke aaO
Rdn. 12).
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5. Für die Frage der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung
durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) durch
Nichterfüllung der Anzeige- und Berichtigungspflicht aus
§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind nach der Einreichung
unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen je nach Kenntnisstand des
Steuerpflichtigen drei Fallgruppen zu unterscheiden:
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a) Kennt der Steuerpflichtige bei Abgabe einer Steuererklärung
deren Unrichtigkeit nicht und nimmt er eine solche auch nicht billigend
in Kauf, unterliegt er einem vorsatzausschließenden
Tatumstandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB). Er ist dann -
insoweit - straflos. Hat er die Unrichtigkeit leichtfertig nicht
erkannt, kommt das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit der
leichtfertigen Steuerhinterziehung (§ 378 AO) in Betracht.
Erlangt der Steuerpflichtige in einem solchen Fall
nachträglich Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben,
trifft ihn die Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Kommt er dieser Pflicht vorsätzlich
nicht nach, ist er strafbar wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen
gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
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b) Hat der Steuerpflichtige bewusst unrichtige Voranmeldungen
abgegeben, besteht bereits keine steuerrechtliche Anzeige- und
Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO. Denn
dann kennt er deren Unrichtigkeit von Anfang an. Ein
nachträgliches Erkennen ist in solchen Fällen
begrifflich ausgeschlossen. Freilich ist dann hinsichtlich der
abgegebenen Steuererklärungen regelmäßig
eine mit direktem Vorsatz durch aktives Tun begangene
Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr.
1 AO gegeben, sofern nicht der unwahrscheinliche Fall vorliegt, dass
der Steuerpflichtige davon ausgegangen ist, seine falschen Angaben
würden nicht zu einer Steuerverkürzung
führen. In diesem Fall dürfte aber eine
Steuerordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung
(§ 378 AO) gegeben sein.
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c) Ob eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht
gemäß § 153 AO besteht, wenn der
Steuerpflichtige erst nachträglich erfährt, dass er
unrichtige Angaben gemacht hat, er aber bei Abgabe der
Steuererklärung die Unrichtigkeit seiner Angaben in Kauf
genommen und sich deshalb - durch die Abgabe der unrichtigen
Steuererklärung - zugleich auch wegen bedingt
vorsätzlich begangener Steuerhinterziehung (§ 370
Abs. 1 Nr. 1 AO) strafbar gemacht hat, ist im Schrifttum umstritten
(bejahend: Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler AO Stand
201. Lfg. Dezember 2008, § 153 Rdn. 12 f.; Klein/Brockmeyer AO
9. Aufl. § 153 Rdn. 4; verneinend: Tipke aaO Rdn. 11;
Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008 § 370
AO Rdn. 332 m.w.N.; Joecks in Franzen/ Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6.
Aufl. § 370 AO Rdn. 182; Rolletschke aaO Rdn. 273).
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Nach Ansicht des Senats gebieten Wortlaut, Sinn und Zweck der
Vorschrift des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, eine
steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht aus dieser
Vorschrift auch dann anzunehmen, wenn der
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Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der
Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen
hat, und er später zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist,
dass die Angaben unrichtig sind.
aa) Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 AO besteht auch in diesem Fall eine Berichtigungspflicht, weil auch
derjenige, der zunächst mit der Unrichtigkeit der Angaben nur
gerechnet, sie aber nicht sicher gekannt hat, die Unrichtigkeit
„nachträglich erkennt“, wenn er
später positiv erfährt, dass seine Angaben
tatsächlich unrichtig waren.
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bb) Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 153 Abs. 1
Nr. 1 AO sollen Steuerpflichtige, die bereits bedingt
vorsätzlich unrichtige Steuererklärungen abgegeben
haben, von der steuerrechtlichen Anzeige- und Berichtigungspflicht
nicht ausgenommen werden. Die Norm des § 153 AO
ergänzt die §§ 149, 150 und 90 AO und dient
der gesetzmäßigen Besteuerung (§ 85 AO),
indem sie die in § 150 Abs. 2 AO und § 90 Abs. 1 Satz
2 AO konstituierte Wahrheitspflicht für Angaben in der
Steuererklärung und in anderen Erklärungen auch nach
deren Abgabe fortbestehen lässt (Heuermann aaO Rdn. 1a). Sie
trägt dem Umstand Rechnung, dass der Steuerpflichtige in der
Regel über bessere Erkenntnismöglichkeiten
hinsichtlich der ihn betreffenden steuerlich erheblichen Tatsachen
verfügt als die Finanzverwaltung. Zudem soll sie
gewährleisten, dass die Finanzbehörde von
Besteuerungsgrundlagen Kenntnis erhält, die ihr bislang noch
nicht bekannt waren (vgl. Heuermann aaO Rdn. 14). Die Vorschrift
begründet eine gesetzliche Garantenpflicht, die ihre
Rechtfertigung in dem Fehler verursachenden vorangegangenen Tun findet
(vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008,
§ 370 AO Rdn. 329). Insoweit besteht zwischen dem bei Abgabe
der Steuererklärung gutgläubigen und dem
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mit bedingtem Vorsatz handelnden Steuerpflichtigen kein rechtlich
bedeutsamer Unterschied.
cc) Die Verpflichtung zur Berichtigung nach bedingt
vorsätzlicher Abgabe unrichtiger Steuererklärungen
führt auch nicht dazu, dass die Steuerhinterziehung zu einem
Dauerdelikt würde (so aber Joecks in Franzen/Gast/Joecks,
Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 182). Denn sie trifft
den Steuerpflichtigen erst dann, wenn er von der Unrichtigkeit seiner
Erklärung tatsächlich Kenntnis erlangt. Dann
verwirklicht er aber nicht mehr den Tatbestand des § 370 Abs.
1 Nr. 1 AO, sondern aufgrund eines neuen Tatentschlusses den des
§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
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6. Die Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch
Nichtbeachtung der steuerrechtlichen Pflicht des § 153 AO ist
grundsätzlich auch dann strafbewehrt, wenn der
Steuerpflichtige mit der Berichtigung unrichtiger Steuervoranmeldungen
bedingt vorsätzlich begangene Taten der Steuerhinterziehung
(§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder Steuerordnungswidrigkeiten
gemäß § 378 AO aufdeckt, die er bei der
Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen begangen hat.
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Der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der
Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ipsum
accussare“; vgl. dazu BVerfGE 56, 37; BGHSt 47, 8) steht dem
nicht entgegen (vgl. BVerfG wistra 1988, 302). Art. 2 Abs. 1 GG
schreibt keinen lückenlosen Schutz gegen staatlichen Zwang zur
Selbstbelastung vor ohne Rücksicht darauf, ob dadurch
schutzwürdige Belange Dritter beeinträchtigt werden
(vgl. zur Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort
BVerfGE 16, 190 f.). Der Staat ist darauf angewiesen, die ihm
gesetzlich zustehenden Steuereinnahmen tatsächlich zu
erzielen, um seinen vielfälti-
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- 13 -
gen Aufgaben gerecht zu werden. Darüber hinaus ist die
gleichmäßige Erfassung aller Steuerpflichten mit
Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Es ist daher sachlich
gerechtfertigt, dem Steuerpflichtigen eine
wahrheitsgemäße Auskunft auch dann abzuverlangen,
wenn er damit eine Steuerstraftat oder eine Steuerordnungswidrigkeit
offenbaren muss (BVerfG wistra 1988, 302).
Dies gilt auch für die Berichtigungspflicht nach
vorangegangenem sanktionsbewehrtem Fehlverhalten. Denn durch eine
Selbstanzeige kann der Steuerpflichtige regelmäßig
Straf bzw. Sanktionsfreiheit erlangen (§ 371, § 378
Abs. 3 AO). Er befindet sich dann nicht in einer unauflösbaren
Konfliktlage, die im Hinblick auf den Grundsatz „nemo tenetur
se ipsum accusare“ und das in § 393 Abs. 1 Satz 2
und 3 AO normierte Zwangsmittelverbot der steuerrechtlichen
Berichtigungspflicht entgegenstehen könnte. Von Bedeutung ist
dabei, dass auch in der Einreichung einer
wahrheitsgemäßen
Umsatzsteuerjahreserklärung im Verhältnis zu den
zuvor unterlassenen oder unzutreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen eine
Selbstanzeige liegen kann, ohne dass es ausdrücklich eines
entsprechenden Hinweises bedarf (BGH wistra 1999, 27; 1991, 223, 225);
die Abgabe getrennter Selbstanzeigen bezogen auf die von den
Pflichtverstößen betroffenen
Umsatzsteuervoranmeldungen ist nicht erforderlich (vgl. Joecks in
Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 371 AO Rdn.
69).
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Soweit Fälle eines unzumutbaren Zwangs zur Selbstbelastung
verbleiben, etwa weil wegen des Vorliegens eines Sperrgrundes (vgl.
§ 371 Abs. 2, § 378 Abs. 3 Satz 1 AO) eine wirksame
Selbstanzeige ausgeschlossen ist, kann diesem Umstand bei einer
vorangegangenen Steuerordnungswidrigkeit gemäß
§ 378 AO im Rahmen der Anwendung des § 47 OWiG
Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG wistra 1988, 302; vgl. auch OLG
Hamm NJW 1959,
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1504), bei einer (bedingt) vorsätzlich begangenen
Steuerstraftat durch Annahme eines Beweismittelverwertungs- oder
Verwendungsverbots (vgl. BVerfGE 56, 37; BGH wistra 2005, 148; vgl.
auch die Regelung in § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO).
Lediglich für den Fall, dass dem Täter einer
Steuerhinterziehung im Hinblick auf die Umsatzsteuervoranmeldungen die
Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist, hat
der Bundesgerichtshof bislang im Hinblick darauf, dass sich die
Erklärungspflicht auf dieselbe Steuerart und denselben
Besteuerungszeitraum bezieht, für die Dauer des
Steuerstrafverfahrens eine Suspendierung der Pflicht zur Abgabe einer
Umsatzsteuerjahreserklärung angenommen (BGHSt 47, 8, 14; s. o.
unter II.2.).
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Für die sich aus § 153 AO ergebende Pflicht zur
Berichtigung mit bedingtem Hinterziehungsvorsatz abgegebener
Umsatzsteuervoranmeldungen gilt dies - bei dieser Fallgestaltung
(Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens) -
entsprechend. Ist eine wirksame Selbstanzeige aber lediglich deshalb
nicht möglich, weil der Steuerpflichtige nicht in der Lage
ist, die hinterzogenen Steuern innerhalb einer angemessenen Frist
nachzuentrichten (§ 371 Abs. 3 AO; vgl. dazu BVerfG wistra
1988, 302), kommt eine derartige Suspendierung der Strafbewehrung der
steuerlichen Berichtigungspflicht jedenfalls dann nicht in Betracht,
wenn der Steuerpflichtige bei pflichtgemäßer und
rechtzeitiger Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten zur
Zahlung noch in der Lage gewesen wäre. Denn der Grundsatz der
Selbstbelastungsfreiheit gebietet nicht, den Steuerhinterzieher
gegenüber anderen Steuerpflichtigen besser zu stellen, nur
weil er auch Steuerstraftäter ist. Dies gilt insbesondere vor
dem Hintergrund, dass die Hinterziehung von Umsatzsteuer
untreueähnlichen Charakter
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hat, weil der Unternehmer die Umsatzsteuer letztlich nur für
den Steuerfiskus verwaltet.
7. Die Nichterfüllung der danach bestehenden Anzeige- und
Berichtigungspflicht des § 153 AO ist als Steuerhinterziehung
durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) zu bestrafen. Geht
dieser Tat eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung durch
aktives Tun voraus, weil der Täter bei der Abgabe der
Ursprungserklärung die Unrichtigkeit seiner Angaben billigend
in Kauf genommen hat, sind beide Gesetzesverstöße
Teil derselben Tat im prozessualen Sinne gemäß
§ 264 StPO (vgl. auch BGH wistra 2005, 66, 67; 2008, 22, 25
f.). Ob - anders als im Verhältnis von unrichtiger
Umsatzsteuervoranmeldung und nicht abgegebener
Umsatzsteuerjahreserklärung (vgl. dazu das Senatsurteil vom
heutigen Tag im Verfahren 1 StR 627/08 m.w.N.) - die der
Steuerhinterziehung durch aktives Tun nachfolgende Unterlassungstat
eines Verstoßes gegen § 153 AO als mitbestrafte
Nachtat zurücktritt oder - etwa wegen des in einem direkten
Hinterziehungsvorsatz zum Ausdruck kommenden höheren
Schuldgehalts - als eigenständige Tat im materiellen Sinn zur
vorangegangenen Steuerhinterziehung in Tatmehrheit steht, braucht der
Senat hier nicht zu entscheiden.
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8. Für den vorliegenden Fall gilt Folgendes:
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a) Die auf § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützte
Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung durch
Unterlassen hält bereits deswegen rechtlicher
Nachprüfung stand, weil der Angeklagte pflichtwidrig
für das Jahr 2002 schon keine
Umsatzsteuerjahreserklärung abgegeben hat. Denn nach den
Urteilsfeststellungen unterließ der Angeklagte die Abgabe
einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002,
um sich die durch die Erklärung zu niedriger Umsätze
erzielten „Steuervorteile“ auf Dauer zu sichern (UA
S. 11). Der Frage, ob der
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Angeklagte die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen
gemäß § 153 AO zu berichtigen hatte, kommt
daher für die Erfolgsaussichten seiner Revision keine
Bedeutung mehr zu.
b) Eine von der Pflicht zur Abgabe einer
Umsatzsteuerjahreserklärung unabhängige strafbewehrte
Berichtigungspflicht gemäß § 153 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AO hätte freilich jedenfalls dann bestanden, wenn
der Angeklagte - entgegen der Überzeugung der Strafkammer (UA
S. 10, 14) - bereits bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen
für das Jahr 2002 billigend in Kauf genommen hätte,
dass die Voranmeldungen unrichtig waren. Denn er hat die Unrichtigkeit
nachträglich erkannt. Den Urteilsfeststellungen ist trotz
missverständlicher Formulierungen noch mit hinreichender
Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Angeklagte jedenfalls dann, als er
den Entschluss fasste, für das Jahr 2002 keine
Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, um sich die durch die
Anmeldung zu niedriger Umsätze erzielten
„Steuervorteile“ auf Dauer zu sichern (UA S. 11),
die Unrichtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldungen erkannt hat.
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Ohne Auswirkungen auf eine eventuelle Berichtigungspflicht des
Angeklagten war auch der Umstand, dass von den Finanzbehörden
im Hinblick auf das Jahr 2003 eine Umsatzsteuer-Nachschau und daran
anschließend eine Außenprüfung
durchgeführt wurde. Denn die Außenprüfung
wurde erst mit Anordnung vom 13. Januar 2004 auf den
Voranmeldungszeitraum 2002 erstreckt. Als der Angeklagte von der
Unrichtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2002
Kenntnis erlangte, hatten die Finanzbehörden noch keine
Kenntnis von der Unrichtigkeit der für das Jahr 2002
eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen. Damit hätte
für den Angeklagten - im Fall bedingt vorsätzlich
abgegebener unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen - im Hinblick auf
die Berichtigungspflichten keine rechtlich relevante Konfliktsituation
bestanden, weil er
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mit der Berichtigung der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen
für das Jahr 2002 jedenfalls gemäß
§ 371 AO auch Straffreiheit für die zuvor begangene
Steuerhinterziehung hätte erlangen können. Die
Umsatzsteuer-Nachschau im Sinne von § 27b UStG, die sich auf
das Jahr 2003 bezog, stellte für den Besteuerungszeitraum 2002
bereits keine steuerliche Prüfung im Sinne von § 371
Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO dar (vgl. dazu auch Kemper in
Rolletschke/Kemper aaO § 371 AO Rdn. 43d).
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander |