BGH,
Beschl. v. 17.3.2010 - 2 StR 397/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 397/09
vom
17. März 2010
Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja
EMRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d
Eine allgemeine Zurechnung des Verfahrensgangs in Vertragsstaaten der
EMRK unabhängig davon, ob die konkret betroffenen
Verfahrenshandlungen dem jeweils nationalen Verfahrensrecht entsprechen
oder nicht, ist durch die Konvention nicht geboten.
Die Regelungen der EMRK schaffen kein einheitliches Verfahrensrecht der
Vertragsstaaten im Einzelnen mit einer unbeschränkten
Zurechnung unabhängig von den nationalen
Verfahrensrechtsordnungen.
2. Strafsenat, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 17. März 2010
gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 18. März 2009 wird als unbegründet
verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf eine Verfahrensrüge und
die Sachrüge gestützte Revision ist im Ergebnis
unbegründet.
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I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde ein in dem Dorf Ye. in
der östlichen Türkei lebender jüngerer
Bruder des Angeklagten, M. D. , bei einer Auseinandersetzung um das
dort erhobene örtliche "Hirtengeld" im Jahr 2005 durch einen
Messerstich des Dorfvorstehers S. erheblich verletzt.
Versöhnungsverhandlungen zwischen den
Familienältesten scheiterten. Im Jahr 2006 entwickelten daher
der Angeklagte und seine drei Brüder M. , I. und Y. D. den
Plan, den damali-
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gen Angreifer S. aus Rache zu töten; eine Beteiligung ihres
Vaters konnte nicht festgestellt werden. Der Angeklagte organisierte in
Ausführung des gemeinsamen Plans die Reise in die
Türkei für sich und seine Brüder I. D. , der
die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt und
in Österreich lebt, und Y. D. , der türkischer
Staatsangehöriger ist und wie der Angeklagte in Deutschland
lebt. Er buchte Hin- und Rückflüge für den
8. bzw. 25. Juni 2006 von Frankfurt nach Ankara sowie einen Mietwagen
in Ankara. Mit diesem fuhren die drei Brüder nach Ankunft am
8. Juni 2006 etwa 800 km in die Provinz E. . Dort mieteten sie sich in
der von ihrem Heimatdorf etwa 20 km entfernten Kreisstadt K. unter
Vorlage unbekannter Ausweise in einem Hotel ein, das sie jeweils
täglich bar bezahlten.
Am Tattag, dem 12. Juni 2006, folgten alle vier Brüder mit dem
vom Angeklagten gesteuerten Mietwagen dem Tatopfer S. zu einer
Metzgerei in der Kreisstadt Ko. . Als S. den Laden betrat, folgten ihm
drei der Täter, die mit zwei Beilen und einem Messer bewaffnet
waren; der Angeklagte wartete unterdessen in dem fluchtbereit vor dem
Laden geparkten Fahrzeug. Die drei Brüder des Angeklagten
drangen sogleich auf das Tatopfer ein und fügten ihm mit einer
Vielzahl von Beilhieben und Messerstichen tödliche
Verletzungen zu. Die beiden in der Metzgerei anwesenden unbeteiligten
Personen, B. und T. , hielten sie durch Drohungen davon ab, S. zu Hilfe
zu kommen. Sodann flohen die vier Brüder mit dem Mietfahrzeug
vom Tatort.
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Die herbeigerufene Polizei befragte auf der Straße anwesende
Tatzeugen, deren Identität jedoch nicht ermittelt werden
konnte; diese gaben Hinweise auf drei oder vier Täter und
beschrieben das Fluchtfahrzeug. Der in der Nähe der Metzgerei
beschäftigte Fotograf A. teilte der Polizei mit, es seien
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nach der Tat drei Männer aus der Metzgerei gekommen und in das
von einem Vierten gesteuerte Fahrzeug gestiegen.
Der Angeklagte und seine Brüder wurden schnell als
Verdächtige ermittelt; noch am Tattag ergingen Haftbefehle.
Die Täter ließen das Mietfahrzeug zurück
und verbargen sich zunächst in der Türkei. Der
Angeklagte reiste nach dem 20. Juni 2006 auf Umwegen in die
Bundesrepublik zurück; ebenso sein Bruder Y. . Dieser wurde am
27. Dezember 2006 in Frankfurt festgenommen und an die Türkei
ausgeliefert. Der Aufenthalt I. D. s ist unbekannt. Die Brüder
M. und Y. D. wurden vom türkischen Schwurgericht in E. am 5.
Mai 2008 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die wegen der
vorangegangenen Provokation durch das Tatopfer auf 24 Jahre gemildert
wurde.
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Nach der Tötung des S. wurden die Häuser der
Familienmitglieder des Angeklagten in dem Heimatdorf Ye. von
Angehörigen des Familienverbands des Getöteten
angegriffen, geplündert und zerstört; die Familie des
Angeklagten musste das Dorf verlassen.
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II.
Mit der Verfahrensrüge macht die Revision eine Verletzung von
Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK geltend.
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1. Dem liegt Folgendes zugrunde:
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Der Angeklagte hat eine Beteiligung an der Tat bestritten. Das
Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft
des Angeklagten zum einen auf Feststellungen zur Organisation und
Durchführung der Reise durch ihn, auf
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sein Nachtatverhalten und auf seine Position in der Familie
gestützt, zum anderen auf Aussagen türkischer Zeugen,
insbesondere auch von drei Zeugen des Tatgeschehens. Das Landgericht
hat umfangreiche Bemühungen unternommen, die beiden in der
Metzgerei anwesenden Zeugen B. und T. sowie den einzigen namentlich
bekannten Augenzeugen der Flucht der Täter mit dem Mietwagen
vom Tatort, den Zeugen A. , zum Zweck der Vernehmung in der
Hauptverhandlung zu laden. Die Zeugen waren letztlich nicht bereit, in
der Hauptverhandlung in Deutschland auszusagen; auch eine audiovisuelle
Übertragung einer Vernehmung in der Türkei war wegen
Fehlens der technischen Voraussetzungen nicht möglich.
Aufgrund eines Beschlusses des Landgerichts wurden die Zeugen B. und T.
im Wege der Rechtshilfe vernommen. An der Vernehmung nahmen zwei
Berufsrichter des Landgerichts Darmstadt, der sachbearbeitende
Staatsanwalt sowie ein Dolmetscher teil. Eine Teilnahme der Verteidiger
des Angeklagten wurde trotz intensiver entsprechender
Bemühungen des Landgerichts von den türkischen
Justizbehörden nicht gestattet. Der Aufforderung des
Landgerichts, einen eigenen Fragenkatalog für die Vernehmung
durch das Rechtshilfegericht vorzulegen, kamen die Verteidiger nicht
nach.
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Der Zeuge A. wurde in der türkischen Hauptverhandlung gegen
zwei der Mittäter des Angeklagten vernommen. Die Verteidiger
des Angeklagten nahmen an dieser Hauptverhandlung nicht teil.
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Zu ihrer beabsichtigten Vernehmung vor dem Landgericht erschienen die
Zeugen B. , T. und A. nicht. Einer der Verteidiger des Angeklagten
beantragte, die Protokolle der polizeilichen Vernehmungen sowie der
Vernehmungen der Zeugen in der türkischen Hauptverhandlung
sowie der Rechtshilfevernehmungen zu verlesen. Der andere Verteidiger
des Angeklagten
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erklärte, einer Verlesung der genannten Urkunden
gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO werde nicht
zugestimmt. Auf Beschluss des Landgerichts wurden die genannten
Protokolle der Vernehmungen der drei Zeugen - neben zahlreichen anderen
- gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen.
Türkische Vernehmungs- und Ermittlungsbeamte wurden als Zeugen
in der Hauptverhandlung vernommen. Die Videoaufzeichnung einer
polizeilichen Vernehmung der Zeugen B. und T. wurde in Augenschein
genommen; einer der Berufsrichter des Landgerichts, die an der
Rechtshilfevernehmung teilgenommen hatten, wurde als Zeuge vernommen.
Das Landgericht hat seine Feststellungen zum Ablauf des Geschehens in
der Metzgerei und zur Identifikation der Brüder des
Angeklagten wesentlich auch auf die Aussagen der Zeugen B. und T.
gestützt. Seine Überzeugung, dass der Angeklagte als
vierter Tatbeteiligter im Fluchtfahrzeug vor der Tür wartete,
hat es, neben der Aussage des türkischen
Ermittlungsführers Tü. , der entsprechende
Beobachtungen anonym gebliebener Zeugen wiedergab, wesentlich auch auf
die Aussage des Zeugen A. gestützt.
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2. Die Revision ist der Ansicht, es sei das Recht des Angeklagten auf
ein faires Verfahren dadurch verletzt worden, dass dem Angeklagten und
seinen Verteidigern keine Möglichkeit zu einer konfrontativen
Befragung der besonders wichtigen Zeugen B. , T. und A.
eingeräumt wurde. Dies sei hier rechtsfehlerhaft gewesen; das
Urteil beruhe auch auf dem Rechtsfehler.
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a) Die Revision stützt sich dabei auf die in der
Rechtsprechung zu dieser Frage entwickelte "Stufentheorie" (vgl. EGMR
NJW 2006, 2753 [Haas ./. Bundesrepublik Deutschland; hierzu BGH NJW
2000, 1661; BVerfG NJW 2001, 2245]; BGHSt 46, 93; 51, 150).
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Danach hat der Beschuldigte als besondere Ausformung des Grundsatzes
der Verfahrensfairness ein Recht, Belastungszeugen unmittelbar zu
befragen oder befragen zu lassen; wenn ein Zeuge nur
außerhalb der Hauptverhandlung vernommen worden ist, muss dem
Beschuldigten dieses Recht zur konfrontativen Befragung entweder bei
der Vernehmung oder zu einem späteren Zeitpunkt
eingeräumt werden (BVerfG NJW 2010, 925 f.; BGHSt 51, 150,
154). Eine Nichtgewährung des Befragungsrechts führt
aber nicht ohne weiteres zur Unverwertbarkeit der belastenden Aussage;
vielmehr kommt es darauf an, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit
einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und
-würdigung den Geboten der Verfahrensfairness genügt
(BVerfG NJW 2010, 925, 926; BGHSt 46, 93, 95). Hierbei ist es von
erheblicher Bedeutung, ob der Umstand, dass der Angeklagte keine
Möglichkeit zur konfrontativen Befragung hatte und dies auch
nicht durch kompensierende Maßnahmen (z.B. Videovernehmung;
Anwesenheit zumindest des Verteidigers bei der Zeugenbefragung)
ausgeglichen wurde, der Justiz zuzurechnen ist oder auf
Gründen außerhalb des Einfluss- und
Zurechnungsbereichs der Strafverfolgungsbehörden beruht (BGHSt
51, 150, 155). Im ersteren Fall folgt aus der Zurechenbarkeit des
Verstoßes gegen den Fairnessgrundsatz zwar kein
grundsätzliches Verwertungsverbot; jedoch sind an die
Beweiswürdigung in diesem Fall besonders hohe Anforderungen zu
stellen. Dies schließt es regelmäßig aus,
die Verurteilung des Angeklagten allein auf die Aussage der
betreffenden Belastungszeugen zu stützen; diese kann vielmehr
nur dann Grundlage einer Verurteilung sein, wenn sie durch andere,
gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage
bestätigt wird (BGHSt 46, 93, 106; 51, 150, 155 f.; BGH NStZ
2005, 224, 225; NStZ-RR 2005, 321). Nicht erforderlich ist, dass diese
weiteren Beweisergebnisse schon für sich allein die
Verurteilung tragen und die betreffende Zeugenaussage daher nur noch
"bestätigenden" Charakter hat (BVerfG NJW 2010, 925, 926 [Rdn.
20]).
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Wenn die Unmöglichkeit konfrontativer Befragung der Justiz
nicht zuzurechnen ist, kann eine Verurteilung auf die Aussage des
Zeugen bei äußerst sorgfältiger
Würdigung gestützt werden, wenn sie nicht einzig und
allein auf dieser Aussage beruht (EGMR NJW 2006, 2753
[Haas/Deutschland]; BGHSt 51, 150, 155; vgl. dazu auch
Schädler in KK 6. Auflage, Art. 6 MRK Rdn. 51 ff., 59 f.;
Meyer-Goßner StPO 52. Auflage, Art. 6 MRK Rdn. 22; Esser NStZ
2007, 106; Schädler StraFo 2008, 229; jeweils m.w.N.).
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b) Die Revision meint zutreffend, dass die deutschen
Strafverfolgungsbehörden hier alles ihnen Mögliche
unternommen haben, um eine konfrontative Befragung der Zeugen B. , T.
und A. oder zumindest eine deren Ausfall kompensierende
Maßnahme zu ermöglichen. Der Verstoß gegen
das Fairnessgebot sei daher der deutschen Justiz nicht unmittelbar
zuzurechnen. Diese müsse sich aber das konventionswidrige,
Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK verletzende Verhalten der
türkischen Strafverfolgungsbehörden zurechnen lassen.
Die Türkei sei - abweichend vom Fall EGMR NJW 2006, 2753
(Haas/Deutschland), in dem es um einen Zeugen im Libanon ging -
Vertragsstaat der EMRG und daher verpflichtet, die Beschuldigtenrechte
der Konvention zu gewähren.
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Die Ausführung des deutschen Rechtshilfeersuchens, die gegen
Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK verstoßen habe, sei Teil der
gegen den Angeklagten geführten Strafverfolgung insgesamt und
daher dem verurteilenden deutschen Gericht auch dann zuzurechnen, wenn
dieses selbst sich nach Kräften um eine Einhaltung der
Konvention bemüht hat.
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3. Die zulässige Rüge hat keinen Erfolg.
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a) Es mangelt schon an einem der deutschen Justiz zuzurechnenden
Verfahrensverstoß der türkischen Justizorgane.
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aa) Nach Art. 3 Abs. 1 des Europäischen
Rechtshilfeübereinkommens (EuRhÜbk), dessen
Mitgliedsstaat die Türkei seit 1969 ist, erledigt der ersuchte
Staat ein Ersuchen zur Vornahme von Untersuchungshandlungen in der in
seinen eigenen Rechtsvorschriften vorgebenden Form. Zwar sieht Art. 8
des Zweiten Zusatzprotokolls zum EuRhÜbk eine Erledigung unter
Anwendung der Formvorschriften des ersuchenden Staats vor, wenn dies
den Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Staats nicht
zuwiderläuft; die Türkei hat das Zweite
Zusatzprotokoll aber nicht ratifiziert. Ein Anwesenheitsrecht des
Angeklagten oder seiner Verteidiger ergab sich daher hier nicht aus
Vorschriften über die internationale Rechtshilfe.
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bb) Auch aus den Regelungen der türkischen Strafprozessordnung
(Ceza Muhakemeleri Usulü Kanunu, CMUK) ergab sich ein solches
Recht nicht.
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Nach Madde (Art.) 84 Abs. 1 CMUK haben der Beschuldigte oder
Angeklagte, der Verteidiger und der Opferanwalt das Recht zur
Anwesenheit bei richterlichen Untersuchungshandlungen. Nach Madde 84
Abs. 2 CMUK findet diese Bestimmung auch Anwendung auf die richterliche
Vernehmung eines Zeugen, wenn dieser nicht in der Lage ist, in der
Hauptverhandlung zu erscheinen, oder wenn sein Erscheinen durch die
große Entfernung seines Wohnsitzes vom Prozessort erschwert
wäre (vgl. Turkish Criminal Procedure Code - Ceza Muhakesemi
Kanunu, Istanbul 2009). Diese Vorschrift ist aber, wie auch das
Schreiben des türkischen Justizministeriums an die
Oberstaatsanwaltschaft Elazig (HA Bd. VII Bl. 1569 f.) im Zusammenhang
mit dem dort zitierten Erlass Nr. 69 vom 1. Januar 2006 ergibt (vgl.
www.merzuat.adalet.gov.tr/html/27798.html), auf die kommissarische
Vernehmung von Zeugen auf ausländische Rechtshilfeersuchen
nicht anzuwenden. Verteidiger eines ausländischen Verfahrens
werden, wie sich auch aus der Entscheidung im vorliegenden Verfahren
über den Antrag auf Gestattung der An-
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wesenheit der Verteidiger ergibt (HA Bd. VIII Bl. 1765), als
"interessierte Personen" (vgl. Art. 4 S. 2 EuRhÜbk) angesehen.
Ob einem türkischen Verteidiger die Anwesenheit hätte
gestattet werden müssen, kann dahinstehen, denn der Angeklagte
hat auf die zunächst ausdrücklich
angekündigte Beauftragung eines Verteidigers in der
Türkei aus nicht bekannten Gründen verzichtet.
Es ist daher davon auszugehen, dass die türkischen
Justizbehörden die Vernehmung der Zeugen B. und T. im
Rechtshilfewege in Übereinstimmung mit türkischem
Recht durchgeführt haben. Dies ist jedenfalls für die
Beurteilung der Fairness des Gesamtverfahrens von Bedeutung.
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Soweit es den Zeugen A. betrifft, ist dieser nicht im Wege der
Rechtshilfe, sondern polizeilich sowie in der in der Türkei
durchgeführten Hauptverhandlung vernommen worden. Das
Landgericht hat die Protokolle dieser Vernehmungen verlesen und seine
Überzeugung von der Anwesenheit einer vierten Person im
Fluchtfahrzeug auf die Aussage des Zeugen A. in der türkischen
Hauptverhandlung gestützt.
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b) Eine allgemeine Zurechnung des Verfahrensgangs in Mitgliedsstaaten
der EMRK unabhängig davon, ob die konkret betroffenen
Verfahrenshandlungen dem jeweils nationalen Verfahrensrecht entsprechen
oder nicht, ist durch die Konvention nicht geboten; eine entsprechende
Auslegung - wie sie dem Revisionsvorbringen offenbar zugrunde liegt -
würde dem Regelungsgehalt der EMRK nicht gerecht. Eine
Beschwerde ist gemäß Art. 35 Abs. 3 MRK für
unzulässig zu erklären, wenn die gerügte
Handlung oder Unterlassung dem beklagten Staat nicht zuzurechnen ist
(EGMR, Entscheidungen vom 15. Juni 1999, Nr. 18360/91; EKMR,
Entscheidung vom 14. April 1998, Nr. 20652/92; vgl. Grabenwerter, EMRK
3. Aufl. 2008 § 13 Rdn. 42 m.w.N.). Schon hieraus ergibt sich,
dass die Regelungen der MRK nicht dahin zu verstehen sind, dass sie ein
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quasi einheitliches Verfahrensrecht der Vertragsstaaten im Einzelnen
mit einer unbeschränkten Zurechnung unabhängig von
den nationalen Verfahrensrechtsordnungen schaffen.
c) Selbst wenn man mit der Revision annähme, das Unterbleiben
einer konfrontativen Vernehmung der Zeugen in der Türkei sei
dem Landgericht trotz dessen eigener hinreichender Bemühungen
und trotz Vereinbarkeit des Verfahrens mit türkischem Recht
zurechenbar, wären die Aussagen verwertbar. Denn das
Landgericht hat seine Überzeugung, der Angeklagte sei
Mittäter des Mordes gewesen und habe an der Tat als
Organisator und Fahrer des Fluchtfahrzeugs mitgewirkt, nicht allein auf
die Aussagen der Zeugen B. und T. (zur Identifizierung der drei
Täter in der Metzgerei) und des Zeugen A. (zur Anwesenheit
einer vierten Person als Fahrer) gestützt, sondern auf eine
Vielzahl weiterer, gravierender Beweisanzeichen. Hierzu zählen
insbesondere die traditionell gewichtige innerfamiliäre
Position des Angeklagten als ältester Sohn, die von ihm
eingeräumte Organisation der gemeinsamen Reise zum Tatort, das
überaus auffällige Verhalten bei der Unterbringung im
Hotel, die Zurücklassung des Mietwagens und die komplizierte
Flucht des Angeklagten nach der Tat, das Vorliegen eines starken
Tatmotivs sowie die offenkundige Unhaltbarkeit seiner zur
Erklärung dieser Auffälligkeit gegebenen Einlassungen.
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Das Landgericht war sich der Problematik der Beweiswürdigung
auch bewusst. Die von ihm vorgenommene Beweiswürdigung ist
äußerst sorgfältig und eingehend, der
Beweiswert der in die Hauptverhandlung eingeführten Aussagen
der drei Zeugen ist vom Tatrichter umfassend kritisch hinterfragt und
unter steter Beachtung der Beziehung zu anderen Beweisergebnissen
gewürdigt worden.
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Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist daher auch unter
Berücksichtigung des Verfahrensmangels und der hieraus nach
Maßgabe der ständigen Rechtsprechung erwachsenen
ganz besonders hohen Anforderungen an die Überzeugungsbildung
rechtsfehlerfrei.
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III.
Das Urteil hat auch sachlich-rechtlich Bestand.
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1. Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei. Die Verurteilung wegen Mordes
aus niedrigen Beweggründen begegnet hier keinen rechtlichen
Bedenken. Der Angeklagte war von der den Anlass der Tat bildenden
Handlung des später Getöteten nicht
persönlich, sondern allein als Mitglied seiner Familie
betroffen. Er lebt seit langer Zeit in der Bundesrepublik und ist
deutscher Staatsangehöriger. Dass die einer "Hinrichtung"
ähnliche Tötung eines Menschen allein aus Rache, zur
Verteidigung der sogenannten "Familienehre" und als
Repräsentant einer verfeindeten Familie als besonders
verwerflich und moralisch verurteilenswert angesehen wird, ist dem
Angeklagten vertraut, auch wenn er für sich selbst diese
Wertung nicht akzeptieren mag. Eine entsprechende Tatmotivation wird
auch in der Türkei als verwerflich und straferschwerend
angesehen.
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Zutreffend hat das Landgericht den Angeklagten als Mittäter
gemäß § 25 Abs. 2 StGB angesehen, auch wenn
er die zum Tod des Opfers führenden Handlungen nicht selbst
ausgeführt hat. Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen
der Mittäterschaft lagen nach den Feststellungen des
Landgerichts unzweifelhaft vor.
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2. Auch der Rechtsfolgenausspruch ist rechtsfehlerfrei. Soweit das
Landgericht die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen
Verfahrensverzögerung auch mit der Begründung
abgelehnt hat, eine solche sei bei Verhängung lebenslanger
Freiheitsstrafe nicht möglich (UA S. 49), ist dies zwar
fehlerhaft, da es auf der Grundlage der vom Bundesgerichtshof
inzwischen aufgegebenen "Strafzumessungslösung" beruht (vgl.
BGHSt 52, 124). Hierauf kommt es aber nicht an, denn das Landgericht
hat zutreffend ausgeführt, dass es vorliegend schon an einer
rechtsstaatswidrigen Verzögerung des Verfahrens fehlte. Dieses
ist vielmehr durchweg mit der gebotenen Beschleunigung geführt
worden; dass es wegen des Tatorts in der Türkei und der
hierdurch bedingten Schwierigkeiten der Beweisgewinnung lange dauerte,
begründet keine Rechtsstaatswidrigkeit im Sinne eines
Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK.
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Die Revision war daher zu verwerfen.
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Rissing-van Saan Fischer Appl
Cierniak Schmitt |