BGH,
Beschl. v. 17.9.2008 - 5 StR 284/08
5 StR 284/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 17. September 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2008
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Braunschweig vom 26. Februar 2008 gemäß §
349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der
Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
Jugendschutzkammer des Landgerichts Göttingen
zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen unter Einbeziehung
von anderweitig rechtskräftig verhängten Strafen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten
verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Seine Revision
hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Das Landgerichts hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte lebte von seiner Ehefrau getrennt. Seine gemeinsamen
Kinder besuchten ihn „im Wesentlichen“ alle zwei
Wochen über das Wochenende. Zwischen Ostern 2006 und dem 10.
September 2006 missbrauchte der Angeklagte seine im Jahr 1994 geborene
Tochter, die Nebenklägerin, indem er ihren
äußeren Genitalbereich massierte und mit einem
Finger in die Scheide eindrang. Ein solches Geschehen ereignete sich
mindestens dreimal auf dem Sofa des Wohnzimmers und mindestens dreimal
im
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Bett des Angeklagten. Bei einer weiteren Tat auf dem Sofa
führte der Angeklagte eine Flasche in die Scheide der
Nebenklägerin ein. Als diese vor Schmerzen schrie,
führte er stattdessen seinen Finger ein.
Von der Anklage erhobene weitere Vorwürfe des sexuellen
Missbrauchs konnten nicht mit der erforderlichen Sicherheit
festgestellt werden.
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2. Die Beweiswürdigung hält revisionsrechtlicher
Überprüfung nicht stand (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387,
insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt). Das Landgericht hat seine
Überzeugung vom Tathergang und der Täterschaft des
die Taten bestreitenden Angeklagten allein auf die Angaben der
Nebenklägerin gestützt. Den an diese
Beweiskonstellation zu stellenden Anforderungen (vgl. BGHR StPO
§ 261 Beweiswürdigung 1, 14; § 267 Abs. 1
Satz 1 Beweisergebnis 8; Indizien 2) werden die Urteilsgründe
nicht gerecht.
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Die für die Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der
Angaben der Nebenklägerin für das Landgericht
maßgebliche Wertung, ihre Angaben wiesen einen
„großen Detailreichtum“ auf und seien
„im wesentlichen konstant“, findet in den
Urteilsfeststellungen keine Stütze. Zudem setzen sich die
beweiswürdigenden Erwägungen nicht mit allen
Umständen, die geeignet sind, die Entscheidung zu
beeinflussen, in einer für das Revisionsgericht
nachvollziehbaren Weise auseinander.
a) Die Darstellung aller Taten erschöpft sich allein in der
Schilderung eines serienhaft wiederholten sexuellen Kerngeschehens. Der
vermeintliche Detailreichtum ist jedenfalls für die
Sachverhaltsfeststellung oder die Begründung der
Beweiswürdigung nicht fruchtbar gemacht worden.
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So bleibt die Bewertung des Landgerichts, die Nebenklägerin
habe Details geschildert, die sie ohne reales Erleben nicht habe wissen
können, unbelegt und bietet daher kein nachvollziehbares
Kriterium für die Glaubhaf-
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tigkeit der Angaben. Der allein angeführte Umstand, dass die
bei den Taten zwölf Jahre alte Nebenklägerin in der
Hauptverhandlung „das Anlegen von Strümpfen und
Strumpfhalter minutiös“ beschreiben konnte,
lässt kaum Rückschlüsse auf die
Erlebnisfundiertheit der hiermit nicht unmittelbar verknüpften
Schilderungen der Taten zu.
In diesem Zusammenhang hätte auch die Feststellung der Anzahl
der Taten sorgfältiger Erörterung bedurft. Das
Landgericht gründet dies auf die Angaben der
Geschädigten, es sei „eigentlich an jedem
Wochenende“ zu einem sexuellen Übergriff gekommen,
es habe aber auch Wochenenden gegeben, an denen nichts passiert sei.
Insgesamt seien die „Übergriffe oft
geschehen“, „mehr als zweimal auf dem
Sofa“ und „mehr als zweimal im Bett des
Angeklagten“; zudem habe es den besonderen Fall mit der
Flasche gegeben. Eine Einbettung in zeitliche Gegebenheiten - mit
Ausnahme des ersten festgestellten Übergriffs sind keine
Tageszeiten genannt - oder eine Verknüpfung mit sonstigen
individualisierenden Geschehnissen ist nicht belegt. So
erschließt sich weder, anhand welcher Umstände die
Nebenklägerin die Anzahl der Taten benennen konnte, noch,
worin das Landgericht bei diesen Schilderungen den Detailreichtum
gesehen hat.
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b) Auch die Bewertung der Angaben als konstant findet in den
Urteilsfeststellungen keine Stütze. Vielmehr hat das
Landgericht „Abweichungen“ im Aussageverhalten der
Nebenklägerin ausgemacht, die „einige
Details“ vergessen, aber „einige wichtige
Details“ erstmals in der Hauptverhandlung bekundet habe. Die
im Hinblick auf diese Besonderheiten erforderliche geschlossene
Darstellung ihrer damaligen und ihrer Angaben in der Hauptverhandlung
lässt das Landgericht dennoch vermissen und legt auch nicht
alle selbst als solche erkannten Abweichungen dar. Insbesondere
hätte die gewichtige Aussageerweiterung, der Angeklagte habe
zunächst eine Flasche eingeführt - wobei für
dieses einzig beträchtlich markante Detail offensichtlich
zugrunde gelegt wird, dass dies nur einen ergänzenden
Handlungsteil bei einer von der Anklage erfassten Tat darstellt -,
sorgfältiger in den Blick
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genommen werden müssen. Auf dieser Grundlage lässt
sich die Wertung, die Angaben erfüllten das
Glaubhaftigkeitskriterium der Konstanz, revisionsrechtlich nicht
überprüfen.
Die Feststellungen in Bezug auf die Aussageentstehung sind zudem
lückenhaft. Den Urteilsgründen lässt sich
hierzu lediglich entnehmen, dass die Nebenklägerin ihrer
Mutter am 10. September 2006 erzählt habe, dass der Angeklagte
an ihre Scheide gefasst habe. Unter welchen Umständen sie
diese Vorwürfe im Sinne der festgestellten Taten erweitert
hat, teilt das Landgericht nicht mit. Auch die Gründe
für ein solches divergierendes Offenbarungsverhalten bleiben
unerörtert.
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c) Eine nähere Auseinandersetzung mit den
beträchtlichen psychischen Auffälligkeiten der
Nebenklägerin lässt das Landgericht bei der
Prüfung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben ebenfalls vermissen.
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d) Die Sicht des Landgerichts, es gebe keine Anhaltspunkte für
eine unzutreffende Belastung des Angeklagten durch die
Nebenklägerin, lässt unbeachtet, dass sie
Vorwürfe für einen weitergehenden Tatzeitraum gegen
ihn erhoben hat, diesbezüglich aber ein Freispruch erfolgt
ist. Ob dieses Rückschlüsse auf ein Belastungsmotiv
zulässt - wozu indes die Mitteilung der den Freispruch
tragenden Gründe erforderlich gewesen wäre -, bleibt
unerörtert.
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs.
2 Satz 1 2. Alternative StPO Gebrauch.
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Sollte sich das neue Tatgericht abermals von der Schuld des Angeklagten
überzeugen, so wird es bei der Prüfung der
Voraussetzungen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung
Folgendes zu beachten haben: Die den bisher einbezogenen Strafen
zugrunde liegenden Taten sind sämtlich vor dem Strafbefehl des
Amtsgerichts Bad Gandersheim vom 2. März 2005
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begangen worden. Wäre dieser noch nicht vollstreckt - wobei
auf die bislang ungeklärte Vollstreckungssituation zum
Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung abzustellen ist (BGH
NStZ-RR 2006, 232; Fischer, StGB 55. Aufl. § 55 Rdn. 37a) - so
würde diese Vorverurteilung Zäsurwirkung entfalten.
Dann käme eine Gesamtstrafenbildung mit den bisher
einbezogenen Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 17.
April 2007 nicht in Betracht.
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