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BGH, Beschluss vom 17. September 2008 - 5 StR 377/08


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 17.9.2008 - 5 StR 377/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 17.9.2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17.9.2008
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 25. April 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Totschlags entfällt, und im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Die Sache wird zur Bestimmung einer neuen Jugendstrafe und zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den heranwachsenden Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Die dagegen mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Das Rechtsmittel ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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a) Der einschlägig wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte und zur Tatzeit stark alkoholisierte (etwa 2 ‰ BAK) Angeklagte ist nur unterdurchschnittlich groß. Er veranlasste im Rahmen einer Geburtstagsfeier in der Nacht des 21. Juli 2007 eine Gruppe noch junger Geburtstagsgäste zu einem nächtlichen Waldspaziergang auf einem Bunkergelände. Der Angeklagte gab mittels fingierter Mobiltelefongespräche vor, mit vermeintlichen Scharfschützen in Verbindung zu stehen, denen er anwesende Personen beschrieb, deren Positionen benannte und Schießbefehle erteilte. Etliche Spaziergänger gerieten darob in Panikstimmung, waren mit den Nerven völlig fertig und weinten. Um dieses Tun des Angeklagten zu beenden, schubste der Zeuge B. den Angeklagten zu Boden, versetzte ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht und verlangte eine Entschuldigung. Gleichwohl erklärte der Angeklagte wenig später in anordnendem Tonfall in sein Mobiltelefon, er werde sich jetzt mit - seiner späteren Verlobten - C. entfernen und die anderen könnten nunmehr alle erschossen werden.
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B. „platzte nun endgültig der Kragen“ (UA S. 13). Er griff den Angeklagten am Hals und warf ihn zu Boden. „Der Angeklagte kam in einer kleinen Senke ca. 1 bis 2 Meter neben der Straße auf dem Rücken zum Liegen. Der später Geschädigte versetzte dem Angeklagten - über dessen Oberkörper kniend - erneut Faustschläge ins Gesicht. Spätestens in diesem Moment entschloss sich der Angeklagte, das mitgeführte Messer gegen den ihm körperlich überlegenen Geschädigten B. einzusetzen. Dabei war es seine Absicht, vor den anderen zu demonstrieren, dass er trotz seiner körperlichen Unterlegenheit in der Lage ist, eine solche Auseinandersetzung für sich zu entscheiden, wobei ihm auch bewusst war, dass der Zeuge B. nicht etwa beabsichtigte, ihm ernsthafte Verletzungen zuzufügen, sondern lediglich die Beendigung seines provokanten Verhaltens erreichen wollte. Der Angeklagte führte ohne jede Vorwarnung drei gezielte Stiche gegen den Oberkörper des Zeugen B. , zwei in die Herz- und einen in die Nierengegend. Dabei war ihm bewusst, dass solche Stiche zu schwersten und auch tödlichen Verletzungen führen können; er stach trotzdem zu.“ (UA S. 14)
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B. trug eine 2,5 bis 3 cm lange und 6 cm tiefe Stichwunde oberhalb des linken Beckenkammes, eine 0,5 cm lange und weniger als 1 cm tiefe Schnittwunde am Brustbein, eine 0,3 cm lange und weniger als 1 cm tiefe Schnittwunde am linken Rippenbogen sowie eine oberflächlich vom Brustbein über die rechte Brustseite und dem rechten Oberarm verlaufende Schnittverletzung davon. Die Verletzungen sind folgenfrei verheilt.
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b) Zur Begründung des zumindest bedingten Tötungsvorsatzes des in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Stiche auf besonders gefährdete Körperregionen, die Herz- und Nierengegend gerichtet waren. „Dafür, dass die Treffer an diesen Stellen zufällig gewesen sein könnten, spricht unter Berücksichtigung der liegenden Position des Angeklagten, der sein Ziel problemlos wählen konnte, nichts.“ (UA S. 17) Auch die Verletzungen des Brustkorbes seien mit einer durchaus erheblichen Kraftentfaltung geführt worden, weil insbesondere das Brustbein und die Rippen ein tieferes Eindringen des Messers verhindert haben können.
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Das Landgericht hat den Angeklagten für berechtigt angesehen, sich gegen den gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff des B. zu wehren, indes sei der Angeklagte zu dem Messereinsatz nach der vorangegangenen Provokation nicht berechtigt gewesen.
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2. Die zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung des Landgerichts hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt) und vermag letztlich nur eine Vermutung zu begründen (vgl. BGH StV 2002, 235; BGH, Beschluss vom 23. Juli 2008 - 5 StR 257/08).
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a) Äußerst gefährliche Gewalthandlungen, die einen Schluss auf eine Billigung tödlicher Verletzungen nahe legen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51 m.w.N.), hat das Landgericht nicht festgestellt.
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Die noch oberflächlichen und geringen Schnittverletzungen am Brustbein und linkem Rippenbogen sind als Grundlage einer solchen Schlussfolgerung offensichtlich ungeeignet. Sie belegen kein vertikales auf innere Organe gerichtetes Auftreffen auf den Oberkörper des Opfers, sondern lediglich eine eher parallel zum Körper geführte Stichbewegung.
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Auf die vom Landgericht der erhöhten Kraftentfaltung entnommene Indizwirkung kann es demnach insoweit nicht mehr ankommen. Dieser Umstand ist im Übrigen ebenfalls nicht tatsachengestützt begründet, weil die vom Landgericht angenommene Möglichkeit, das vom Angeklagten geführte Messer sei durch Rippen oder Brustbein abgeleitet worden, angesichts der geringen Größe und Tiefe der Schnittwunden und ohne Beleg für eine Berührung knöcherner Substanz eine bloße Vermutung darstellt.
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b) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe seine Messerangriffe auf besonders gefährdete Körperregionen gerichtet, die er problemlos habe auswählen können (UA S. 17), fußt auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Sie lässt fehlerfrei festgestellte wesentliche Umstände der Kampfeslage außer Betracht (vgl. BGH NJW 2007 aaO; BGH, Urteil vom 31. Januar 2007 - 5 StR 404/06).
Der kurz gewachsene Angeklagte wehrte sich auf dem Rücken liegend gegen den auf ihm knienden und Faustschläge ins Gesicht versetzenden Zeugen B. . Wie der Angeklagte in dieser ihn äußerst bedrängenden Situation besonders gefährdete Körperregionen des Angreifers als Ziel „problemlos wählen konnte“ (UA S. 17), ist nicht nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund konnten auch aus der Vortat vom 7. Januar 2005 herangezogene Umstände (konkrete Lebensgefahr bei 7 cm tiefem Stich in die linke Brustkorbseite; Angeklagter sucht stets den offenen Kampf und will trotz körperlicher Unterlegenheit die Auseinandersetzung für sich entscheiden) keine Indizwirkung für die Annahme eines Tötungsvorsatzes entfalten.
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3. Der Senat schließt aus, dass eine Neuverhandlung zum Schuldspruch die Voraussetzungen eines Tötungsvorsatzes erbringen kann. Demnach hat die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Totschlags in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO zu entfallen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 354 Rdn. 15 m.w.N.).
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Einer weiteren Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler nicht. Dessen Korrektur führt zum Wegfall der im Wege von Schlussfolgerungen für die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes getroffenen Feststellungen.
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Die Wertung des Landgerichts, die Verletzungshandlungen des Angeklagten seien nicht gerechtfertigt, ist rechtsfehlerfrei (vgl. BGH NStZ 2002, 425, 426 f.; BGH StraFo 2006, 79, 80).
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4. Die Verhängung einer Jugendstrafe ist trotz der Schuldspruchreduzierung tragfähig begründet. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, dass der mildere Schuldspruch zur Verhängung einer geringeren Jugendstrafe geführt hätte. Nur noch deren Höhe hat das neue Tatgericht zu bestimmen. Dies hat auf der Grundlage der aufrechterhaltenen Feststellungen zu geschehen, die freilich um solche ergänzt werden können, die mit diesen nicht in Widerspruch treten.
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