BGH,
Beschl. v. 18.8.2000 - 3 StR 433/99
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 433/99
vom
18. August 2000
in der Strafsache gegen
wegen Verunglimpfung des Staates;
hier: Vorlegungsbeschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts
Hamburg vom 25. August 1999 - I - 60/99 - 2 Ss 61/99
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts am 18. August 2000 gemäß
§ 121 Abs. 2 GVG beschlossen:
Die Sache wird an das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg
zurückgegeben.
Gründe:
I.
Die Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg wegen
Verunglimpfung des Staates (§ 90 a Abs. 1 StGB) in zwei
Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt worden. Ihr wird
vorgeworfen, als verantwortliche Redakteurin im Januar 1996 zwei
Druckschriften veröffentlicht zu haben, die sich mit dem
Polizeieinsatz zur Festnahme von der Mitgliedschaft in der RAF
Verdächtigen in Bad Kleinen im Sommer 1993 und insbesondere
mit den Umständen des Todes von Wolfgang Grams
befaßten und in denen die Bundesrepublik Deutschland
beschimpft worden sein soll. Ihre Berufung führte zu einer
Änderung im Strafausspruch. Das Hanseatische Oberlandesgericht
Hamburg möchte auf die Revision der Angeklagten hin das
angefochtene Urteil aufheben, weil die Bestrafung ohne
Rücksicht auf die Wahrheit oder Unwahrheit der festgestellten
Äußerungen der Angeklagten erfolgt ist. Es sieht
sich an einer solchen Entscheidung gehindert durch das (zu dem
inhaltsgleichen, damals geltenden § 96 Abs. 1 Nr. 1 StGB
ergangenen) Urteil des BGH vom 20. Juli 1961 - 3 StR 21/61 (NJW 1961,
1932 f.), in dem ausgeführt ist, daß es auf die
Unwahrhaftigkeit der Äußerung nicht ankomme. Es hat
deshalb die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG
dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung der Rechtsfrage vorgelegt:
Kommt es für die Anwendung des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 1.
Alternative StGB auf die Wahrheit oder Unwahrheit der
Äußerung an?
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
"Bei Tatsachenbehauptungen kommt es für die Anwendung des
§ 90a Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative StGB auf die Wahrheit der
Äußerung an, sofern die angebliche Tatsache nicht
ausschließlich das Mittel für böswillige
Schmähungen darstellt."
II.
Der Senat ist zur Entscheidung über die Vorlage
zuständig. Zu den die Zuständigkeiten des 3.
Strafsenats begründenden Katalogtaten des § 74 a GVG
zählt zwar ausdrücklich nur die Gefährdung
des demokratischen Rechtsstaats in den Fällen des §
90 a Abs. 3 StGB. Aus dem Geschäftsverteilungsplan des
Bundesgerichtshofs ergibt sich auch nicht unmittelbar eine
Zuständigkeit für Fälle des § 90 a
Abs. 1 StGB. Der Senat hat deshalb eine Entscheidung des
Präsidiums eingeholt. Danach fällt die Sache in die
Zuständigkeit des 3. Strafsenats, da das dem 3. Strafsenat
durch Abschnitt II des Geschäftsverteilungsplans zugewiesene
Rechtsgebiet des Staatsschutzstrafrechts kraft Sachzusammenhangs auch
die Zuständigkeit für die Auslegung des Tatbestandes
des § 90 a Abs. 1 StGB jedenfalls dann erfaßt, wenn
es um die Abweichung von einer Entscheidung geht, die der 3. Strafsenat
kraft seiner Staatsschutzzuständigkeit zu § 90 a Abs.
3 StGB (bzw. § 90 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F.) getroffen hat.
III.
Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG liegen
nicht vor. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat nicht
dargelegt, daß die Vorausssetzungen erfüllt sind,
unter denen die Vorlegungsfrage für den abgeurteilten Fall
entscheidungserheblich ist. Es hat weder dargetan, daß die
Voraussetzungen des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegen, noch
hat es näher ausgeführt, ob die prozessualen
Voraussetzungen für die Erhebung eines Wahrheitsbeweises
gegeben wären. Auch kann der Senatsentscheidung NJW 1961, 1932
f. nicht entnommen werden, daß der Bundesgerichtshof den
Wahrheitsbeweis bei Tatsachenbehauptungen im Rahmen des § 90 a
Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht zuläßt.
1. Die Vorlegungsfrage kann erst dann eine entscheidungserhebliche
Rechtsfrage betreffen, wenn die übrigen
Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB
erfüllt sind, die Strafbarkeit der Angeklagten mithin von der
Entscheidung der vorgelegten Frage abhinge.
Der Vorlagebeschluß enthält keine nachvollziehbare
Prüfung des Tatbestandes des § 90 a Abs. 1 Nr. 1
StGB. Zwar führt das Oberlandesgericht aus, daß die
Strafkammer die Tatbestandsvoraussetzungen ohne Rechtsfehler bejaht
hat, und insbesondere dem Gesamtzusammenhang der beiden
Veröffentlichungen ein täterschaftliches Beschimpfen
der Angeklagten entnommen werden könne. Dem Beschluß
läßt sich aber nicht entnehmen, aus welchen
Gründen das Oberlandesgericht die Merkmale der Strafvorschrift
für gegeben erachtet, denn auch das landgerichtliche Urteil,
auf das sich das Oberlandesgericht weitgehend bezieht, enthält
keine, einer revisionsrechtlichen Nachprüfung standhaltende
umfassende rechtliche Würdigung des abgeurteilten Sachverhalts.
a) Da das Amtsgericht zwei Fälle des Verunglimpfens des
Staates angenommen hat, hätten Landgericht und
Oberlandesgericht für jeden Artikel getrennt die Strafbarkeit
der Angeklagten beurteilen müssen. Daran fehlt es im
landgerichtlichen Urteil, wenn nach einer Aufzählung aus dem
Zusammenhang gerissener Sätze und Satzteile die
Schlußfolgerung gezogen wird, daß ein Szenario
behauptet werde, das typisch für einen totalen Staat sei, ohne
daß deutlich gemacht wird, aus welchem Artikel welche
Behauptung stammt und ob die in jedem der beiden Artikel aufgestellten
einzelnen Behauptungen oder der Gesamtzusammenhang in jedem Artikel die
Voraussetzungen des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen.
Die in dem Vorlagebeschluß verwendete Formulierung,
daß das Oberlandesgericht "insbesondere dem Zusammenhang der
beiden in ´Wir-Form´ geschriebenen
Veröffentlichungen ein täterschaftliches Beschimpfen"
entnimmt, läßt besorgen, daß auch das
vorlegende Gericht nicht beide Fälle getrennt voneinander
rechtlich bewertet hat.
b) § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt voraus, daß "die
Bundesrepublik Deutschland, eines ihrer Länder oder ihre
verfassungsmäßige Ordnung" beschimpft oder
böswillig verächtlich gemacht wird. Landgericht und
Oberlandesgericht halten - ohne nähere Begründung -
die Tatbestandsalternative des Beschimpfens der Bundesrepublik
Deutschland für gegeben. Das versteht sich indes angesichts
des Wortlauts und des Inhalts der beiden inkriminierten Artikel nicht
von selbst. Denn Schutzgut der Vorschrift (vgl. hierzu BVerfGE 47, 198,
231; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 90 a Rdn. 2
m.w.Nachw.) ist das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, nicht aber
das von Staatsorganen, der Bürokratie oder einzelner Beamter
(vgl. BGHSt 11, 11 f.; 7, 110 f.; 6, 324 f.); ob es betroffen ist, ist
Tatfrage (vgl. BGHSt 11, 11). Da beide Artikel überwiegend
Behauptungen enthalten, die sich gegen einzelne Bundesminister, den
Generalbundesanwalt, gegen den Verfassungsschutz und die GSG 9 und
einzelne Beamte richten, kam es auf diese Prüfung auch an;
diese betrifft jedoch eine Tat- und keine Rechtsfrage.
c) Ebenfalls ohne nähere Begründung bejahen
Landgericht und Oberlandesgericht von den beiden möglichen
Tathandlungen das Beschimpfen. Beschimpfen ist eine nach Form oder
Inhalt besonders verletzende Mißachtungskundgebung, wobei das
besonders Verletzende entweder äußerlich in der
Roheit des Ausdrucks oder inhaltlich im Vorwurf eines schimpflichen
Verhaltens liegen kann (BGHSt 7, 110). Dabei kann - was ebenfalls offen
bleibt - das Beschimpfen in einzelnen Formulierungen, aber auch im
Gesamtzusammenhang liegen, wobei harte politische Kritik (BVerfGE 69,
257, 271), sei sie auch offenkundig unberechtigt, unsachlich oder
uneinsichtig (BGHSt 19, 317), noch kein Beschimpfen darstellt
(Tröndle/Fischer aaO Rdn. 3 m.w.Nachw.). Mit dieser
Abgrenzung, auf die es aber für die Bedeutung des Grundrechts
auf Meinungsfreiheit entscheidend ankommt (vgl. auch BVerfGE 47, 198,
231; 69, 257, 269; BGHR StGB § 90 a Kunstfreiheit 1), haben
sich Landgericht und Oberlandesgericht nicht auseinandergesetzt, obwohl
erhebliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß
jedenfalls einige der beanstandeten Äußerungen der
Angeklagten nur harte politische Kritik darstellen. Für diese
hätte dann weiter geprüft werden müssen, ob
sie nicht deshalb den Tatbestand des Beschimpfens erfüllen,
weil sie sich ausschließlich als Mittel für eine
böswillige Schmähung darstellen.
2. Auch für den Fall, daß das Vorlagegericht alle
übrigen Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 90 a Abs.
1 Nr. 1 StGB rechtlich nachvollziehbar bejaht hätte,
wären die Voraussetzungen für eine Vorlage nicht
erfüllt. Denn als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung
hätte das Oberlandesgericht darlegen müssen,
daß es im vorliegenden Fall auch nach verfahrensrechtlichen
Grundsätzen auf die Erhebung des Wahrheitsbeweises ankam. Dazu
genügt es nicht, daß der Generalstaatsanwalt und
wohl auch das Oberlandesgericht mehrere näher
aufgeführte Verfahrensrügen, darunter auch
Aufklärungsrügen, für unzulässig
hält (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das
Oberlandesgericht hätte darstellen müssen, welche
Anträge gestellt worden sind, welche davon zulässig
und welche unter dem Gesichtspunkt des Wahrheitsbeweises
möglicherweise begründet gewesen wären.
3. Entgegen der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts und eines
Teils der Literatur (Stree in Schönke/Schröder StGB
25. Aufl. § 90 a Rdn. 5 i.V.m. § 90 Rdn. 2;
Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 90 a Rdn. 3;
Laufhütte in LK StGB 11. Aufl. § 90 a Rdn. 9
m.w.Nachw.) kann der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in NJW 1961,
1932 f. auch nicht entnommen werden, daß er den
Wahrheitsbeweis bei Tatsachenbehauptungen im Rahmen des § 90 a
Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht zuläßt. Denn der vom
Oberlandesgericht angeführte Satz aus jener Entscheidung
"Entgegen der Auffassung der Revision kommt es weder auf eine
Formalbeleidigung noch auf eine Unwahrhaftigkeit der
Äußerung an (RGSt 61, 308)" bezieht sich nicht auf
eine konkrete, mit Mitteln des Beweisrechts
überprüfbare Tatsachenbehauptung, sondern auf
wertende Aussagen, die den Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens und
Zustandes enthalten und die in ihrer Verallgemeinerung dem
Wahrheitsbeweis gar nicht zugänglich sind. Ersichtlich deshalb
hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, daß es auf die
Unwahrhaftigkeit der Äußerung nicht ankomme. Auch
der in diesem Zusammenhang zitierten Reichsgerichtsentscheidung RGSt
61, 308 kann nichts anderes entnommen werden, denn auch dieser liegt
lediglich ein Werturteil und keine dem Wahrheitsbeweis
zugängliche Tatsachenbehauptung des damaligen Angeklagten
zugrunde.
Soweit das vorlegende Oberlandesgericht auf den von ihm abgelehnten
Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts (NStZ-RR
1996, 135 f.) abhebt, bemerkt der Senat, daß sich auch dieser
Entscheidung nicht entnehmen läßt, das Bayerische
Oberste Landesgericht lasse den Wahrheitsbeweis bei
Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang des § 90 a Abs. 1 Nr. 1
StGB
grundsätzlich nicht zu. Denn es hat lediglich im Rahmen des
subjektiven Tatbestandes ausgeführt, daß die
Unwahrheit der beanstandeten Äußerung (der deutsche
Staat hat 19 Personen, darunter das RAF-Mitglied Wolfgang Grams
"ermordet") evident sei.
Rissing-van Saan Miebach Winkler Pfister von Lienen |