BGH,
Beschl. v. 18.1.2000 - 4 StR 623/99
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 623/99
vom
18. Januar 2000
in der Strafsache gegen
wegen Urkundenfälschung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 18. Januar
2000 gemäß §§ 346 Abs. 2, 349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:
1. Der Beschluß des Landgerichts Stralsund vom 7. September
1999 wird aufgehoben.
2. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stralsund vom 18. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit
die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den
rechtswidrigen Taten der Angeklagten bestehen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Schuldunfähigkeit
(§ 20 StGB) freigesprochen und ihre Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Es hat ihr die Fahrerlaubnis
entzogen, ihren Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist
von einem Jahr für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis
festgesetzt. Ferner hat es die Einziehung des Pkw Barkas B 1000 der
Angeklagten angeordnet.
1. Das Landgericht hat die Revision der Angeklagten durch
Beschluß vom 7. September 1999 als unzulässig
verworfen, weil "die Revisionsanträge" nicht rechtzeitig
angebracht worden seien. Dabei wurde übersehen, daß
die Verteidigerin der Angeklagten bereits mit dem Schriftsatz vom 22.
Juni 1999, mit dem rechtzeitig Revision eingelegt worden ist, die
Verletzung materiellen Rechts gerügt und damit das
Rechtsmittel frist- und formgerecht begründet hat. Der
Verwerfungsbeschluß ist daher auf Antrag der Angeklagten
gemäß § 346 Abs. 2 StPO aufzuheben.
2. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der
Unterbringungsanordnung; im übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Das sachverständig beratene Landgericht ist zu der
Überzeugung gelangt, daß die Angeklagte infolge
ihres als querulatorischer Wahn aufzufassenden Zustandes bei Begehung
der rechtsfehlerfrei festgestellten Taten in dem Zeitraum vom 18. Juli
bis zum 3. September 1997 schuldunfähig gewesen ist. Die
Angeklagte, die an einer "anhaltenden wahnhaften Störung und
an einem Residualzustand einer schizophrenen Psychose mit paranoider
Symptomatik" leide, sei der Annahme, daß Polizei, Justiz und
inzwischen auch Verwandte sowie Nachbarn sich gegen sie verschworen
hätten mit dem gemeinsamen Ziel, ihr und ihrem Sohn Schaden
zuzufügen. Aufgrund ihres Zustandes seien von der Angeklagten
"auch zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten, die
für die Allgemeinheit gefährlich sind, zu erwarten."
Diese Gefährlichkeitsprognose ist aber - wie die Revision zu
Recht rügt - durch die bisherigen Feststellungen nicht
hinreichend belegt:
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende
Maßnahme. Deshalb darf sie - bei Vorliegen der
übrigen Voraussetzungen - nur dann angeordnet werden, wenn
eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die
einfache Möglichkeit künftiger schwerer
Störungen des Rechtsfriedens besteht (BGH NStZ 1986, 572; BGHR
StGB § 63 Gefährlichkeit 16, 25). Nach den
Urteilsgründen ist schon zweifelhaft, ob das Landgericht, das
sich den Ausführungen der Sachverständigen
"vollinhaltlich angeschlossen hat", diese Grenzen des
Anwendungsbereiches der Maßregel bedacht hat. Die
Sachverständige ist nämlich bei der Beurteilung des
Zustandes der Angeklagten davon ausgegangen, daß diese - wie
ihr Verhalten bei der Polizeiflucht (Fall II 2 der
Urteilsgründe) zeige - dann, "wenn sie sich in die Enge
getrieben fühle, aus ihren angstbesetzten Vorstellungen heraus
auch durchaus aggressiv handeln" könne. Es sei "nicht
auszuschließen, daß es in solchen Situationen zu
ernsthaften Übergriffen komme". Damit ist aber mehr als die
bloße Möglichkeit, daß von der Angeklagten
in Zukunft rechtswidrige Taten zu erwarten sind, nicht dargetan.
Zwar hat die Sachverständige demgegenüber im Rahmen
der Beurteilung der Gefährlichkeit der Angeklagten unter
anderem ausgeführt, sie sei "aufgrund der erhobenen Befunde
davon überzeugt", daß die Angeklagte "im Falle einer
Zwangsräumung ihres Wohnraumes sich derart in die Enge
getrieben fühlen würde, daß sie zu allem
fähig sei". Die "anhaltende Realitätsverkennung"
mache es ihr "ohne entsprechende Behandlung unmöglich, aus dem
Wahnsystem auszubrechen. Es seien, da sich ihre private Situation eher
verschlechtere als verbessere, künftig durchaus schwerere
Straftaten als die bislang begangenen zu erwarten". Auch damit ist aber
die Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht
in nachprüfbarer Weise dargelegt, da sich dem Urteil nicht
entnehmen läßt, Straftaten welcher Art das
Landgericht für künftig wahrscheinlich gehalten hat.
Hierzu hätte es eingedenk des in § 62 StGB normierten
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BGHR
StGB § 63 Gefährlichkeit 17) angesichts der
Anlaßtaten, die das Landgericht zutreffend als Vergehen nach
§ 6 PflVersG (Fälle II 1.1 und 1.2), nach §
21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (Fälle II 3.7 und 3.8), § 21
Abs. 2 Nr. 2 StVG (Fälle II 3.1 bis 3.6) und - im Fall II 2
(Polizeiflucht) - als tateinheitlich begangene Vergehen nach
§§ 113 Abs. 1 und 2, 240, 267 StGB, § 6
PflVersG und § 370 AO i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 3 KfzStG
gewertet hat, auch deshalb besonders sorgfältiger Darlegung
bedurft, weil diese Taten nach den Feststellungen ihrem Gewicht nach
dem unteren Bereich strafbaren Verhaltens zuzuordnen sind (vgl. BGH
NStZ 1986, 237; BGH, Beschluß vom 7. Dezember 1999 - 4 StR
485/99).
Die Frage der Notwendigkeit der Unterbringung der Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung. Die zu
den rechtswidrigen Taten des Angeklagten getroffenen Feststellungen
werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie
können deshalb bestehen bleiben (vgl. BGHR StGB § 63
Zustand 19). Dies schließt ergänzende Fest-
stellungen durch den neuen Tatrichter, die zu den bisher getroffenen
Feststellungen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Athing Ernemann |