BGH,
Beschl. v. 18.1.2005 - 4 StR 532/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 532/04
vom
18.01.2005
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 18.01.2005
gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Neubrandenburg vom 21. Juni 2004 in den
Aussprüchen über
a) die im Fall II. 4 der Urteilsgründe verhängte
Einzelstrafe,
b) die Gesamtstrafe sowie
c) die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten
in einem psychiatrischen Krankenhaus
mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer
zuständige Jugendkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei
Fällen, erpresserischen Menschenraubes und Verbreitung
pornographischer
Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Ferner
hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus
angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner
Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts
rügt. Das
Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen
Umfang zum
Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im übrigen ist es
unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat
zum Schuldspruch sowie zu den Einzelstrafaussprüchen in den
Fällen II. 1 bis
3 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten aufgedeckt.
2. Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch im übrigen nicht
bestehen
bleiben.
a) Zur Aufhebung führt in erster Linie, daß die
Schuldfähigkeitsbeurteilung
im angefochtenen Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet
und deshalb keine geeignete Grundlage für die Anordnung der
Unterbringung
des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bildet.
Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kommt nur
bei solchen
Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich
verminderte
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Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten,
länger andauernden und
nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der
§§ 20, 21 StGB hervorgerufen
ist (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 27). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen
hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
b) Das Landgericht hat sich zur Schuldfähigkeit den
Ausführungen des
gehörten psychiatrischen Sachverständigen
angeschlossen, denen zufolge die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den Sexualdelikten
aufgrund einer
"kombinierte(n) Persönlichkeitsstörung mit unreifen,
emotional instabilen, schizoiden
und dissozialen Anteilen (ICD 10 - F 61.0) sowie eine(r) kombinierte(n)
Störung schulischer Fertigkeiten (ICD 10 - F 81.3)" erheblich
im Sinne des § 21
StGB vermindert gewesen sei. "Die sich bereits in der Jugend angedeutete
Störung habe sich im Erwachsenenalter manifestiert. Es bestehe
ein Leidensdruck
und es sei zu Einschränkungen der beruflichen und sozialen
Leistungsfähigkeit
gekommen. Die sexuelle Identität sei brüchig. Der
Angeklagte besitze
nur eine geringe Frustrationstoleranz, empfinde nur begrenzt Schuld und
sei
kaum in der Lage, aus negativen sozialen Erfahrungen zu lernen (...).
Insbesondere
bestünden schwere soziostrukturelle Einbußen im
Lebenslängsschnitt
und im unmittelbaren Tatvorfeld und eine ausgeprägte
Deformierung des individuellen
Wertgefüges. Die erhebliche psychopathologische
Beeinträchtigung
im Sinne des § 21 StGB ergebe sich bei den Sexualstraftaten
daraus, daß sie
einer eingeschliffenen Verhaltensschablone entsprächen. Es
bestehe eine abnehmende
Befriedigung bei den Taten, jedoch eine zunehmende Frequenz,
eine gedankliche Einengung und Erinnerung an die Taten und ein Ausbau
des
Raffinements" (UA 23/24).
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c) Diese zur Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen
Feststellungen
und Bewertungen sind nicht geeignet, die Maßregelanordnung zu
rechtfertigen.
Zwar können auch nichtpathologisch bedingte Störungen
Anlaß für eine
Unterbringung nach § 63 StGB sein, wenn sie in ihrem Gewicht
den krankhaften
seelischen Störungen entsprechen (BGHSt aaO S. 28). Die
Diagnose einer
wie auch immer gearteten Persönlichkeitsstörung
läßt jedoch für sich genommen
eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des
Täters nicht zu (vgl.
BGHSt 42, 385, 388). Vielmehr bedarf es einer Gesamtschau der
Täterpersönlichkeit
und ihrer Entwicklung, um feststellen zu können, ob die
Störungen des
Täters sein Leben vergleichbar schwer und mit
ähnlichen Folgen wie krankhafte
seelische Störungen - auch im Hinblick auf seine
Fähigkeit zu normgemäßem
Verhalten - stören, belasten oder einengen (vgl. BGHSt 37,
397, 401;
BGHR StGB § 63 Zustand 25, 34).
Diesen Anforderungen (vgl. dazu grundlegend BGH, Urteil vom
21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHR StGB § 21 seelische
Abartigkeit 39,
zum Abdruck in BGHSt 49, 45 bestimmt) genügen die
Urteilsgründe nicht.
d) Die Ausführungen der Jugendschutzkammer zur
Persönlichkeitsstörung
des Angeklagten und zu der das Gutachten des Sachverständigen
tragenden
sachlichen Begründung sind so allgemein gehalten,
daß sich nicht zuverlässig
beurteilen läßt, ob die festgestellte
Störung den Schweregrad erheblich
verminderter Steuerungsfähigkeit sicher erreicht hat (vgl. zu
den Schwierigkeiten
dieser Einordnung Senatsbeschluß NZV 2000, 213, 214 m. Nachw.
aus dem psychiatrischen Schrifttum). Hinzu kommt, daß es sich
bei der von
dem Sachverständigen auch angenommenen "kombinierten
Störung schulischer
Fertigkeiten" ohnehin um eine "schlecht definierte, unzureichend konzep-
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tualisierte Restkategorie" handelt (Dilling/Mombour/Schmidt, Hrsg., ICD
- 10
Kapitel V (F), 5. Aufl. S. 278 f.). Zudem bewertet das im Urteil
wiedergegebene
Gutachten des Sachverständigen das Verhalten des Angeklagten
auch nicht
auf den Einzelfall bezogen. Die Beurteilung der
Schuldfähigkeit nach §§ 20, 21
StGB hat aber stets in bezug auf eine bestimmte Tat ("bei Begehung der
Tat",
§§ 20, 21 StGB) zu erfolgen (vgl. Senatsurteil BGHR
StGB § 21 seelische Abartigkeit
4; ferner BGH, Urteil vom 20. August 2003 - 2 StR 166/03). Dieser
Mangel begründet hier zumal deshalb Bedenken, weil das
Landgericht einerseits
eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nur
für die Sexualdelikte
(Fälle II. 1 bis 3 der Urteilsgründe) annimmt, obwohl
der Sachverständige das
Vorliegen einer Störung der Sexualpräferenz
(Paraphilie im engeren Sinne)
gerade nicht eindeutig zu diagnostizieren vermochte, er vielmehr
lediglich die
"Befürchtung" einer "zwanghaften Sucht nach sexuellen
Gelegenheiten bei
willkürlicher Opferwahl" hegt (vgl. UA 23, 30). Dies stellt
zumindest die sichere
Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der
diagnostizierten
Störung und der Sexualdelinquenz in Frage.
e) Die Feststellungen ergeben darüber hinaus auch den
für eine Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlichen länger
andauernden
Zustand der zumindest verminderten Schuldfähigkeit nicht
hinreichend.
Daß die bei dem Angeklagten im Erwachsenenalter zutage
getretene Störung
sich "bereits in der Jugend angedeutet" habe (UA 23), ist nicht durch
Tatsachen
belegt. Zudem ist diese Annahme - jedenfalls soweit es die jetzige
psychiatrische
Diagnose betrifft - nicht ohne weiteres vereinbar mit den Erkenntnissen
aus dem früheren Verfahren, in dem für die dort
abgeurteilte erste Sexualstraftat
eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund
einer
völlig anderen Diagnose, nämlich einer "damals
bestehenden, den Grad eines
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Schwachsinns erreichenden Intelligenzminderung im Zusammenwirken mit
einer
leichten Retardierung (der) Gesamtpersönlichkeit" angenommen,
für die
dort abgeurteilte weitere Sexualstraftat wegen eines zwischenzeitlich
stattgefundenen
"Nachreifungsprozesses" jedoch die volle Schuldfähigkeit
bejaht wurde
(UA 6).
3. Die Schuldfähigkeitsbeurteilung bedarf deshalb insgesamt
neuer Prüfung.
Es wird sich empfehlen, dazu einen weiteren Sachverständigen
hinzuzuziehen.
Dabei darf sich der Tatrichter nicht einfach der Bewertung des
Sachverständigen
anschließen, ohne diese kritisch zu hinterfragen (st. Rspr.;
vgl.
BGHSt 42, 385, 388 f.; BGHR StPO § 261
Überzeugungsbildung 17; speziell
zu den Anforderungen an die Schuldfähigkeitsbeurteilung bei
Sexualdelikten
aus psychiatrischer Sicht Mauthe DRiZ 1999, 262 ff.).
Die Mängel der Schuldfähigkeitsbeurteilung im
angefochtenen Urteil entziehen
dem Maßregelausspruch nach § 63 die Grundlage.
Über diesen ist insgesamt
neu zu befinden. Darüber hinaus hebt der Senat auch die im
Fall II. 4
der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe von vier
Jahren Freiheitsstrafe auf.
Das Landgericht hat hinsichtlich dieser Tat des erpresserischen
Menschenraubs
- auch insoweit dem psychiatrischen Sachverständigen folgend -
eine
erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten
verneint. Der neue Tatrichter
muß aber angesichts der - wie aufgezeigt - gebotenen
umfassenden
neuen Beurteilung der Schuldfähigkeit Gelegenheit haben,
über diese Frage
widerspruchsfrei hinsichtlich aller verfahrensgegenständlichen
Straftaten zu
befinden. Dagegen können die in den Fällen II. 1 bis
3 der Urteilsgründe verhängten
Einzelstrafen bestehen bleiben, denn der Angeklagte ist nicht dadurch
beschwert, daß das Landgericht insoweit bei der
Strafbemessung das Vorlie-
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gen der Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht hat. Die
Aufhebung der Einzelstrafe
im Fall II. 4 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des
Gesamtstrafenausspruchs
nach sich. Auch über die - angesichts der besonderen, auch
das Verhalten der Geschädigten berücksichtigenden
Umstände auffallend
hohe - Gesamtstrafe ist deshalb neu zu befinden.
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