BGH,
Beschl. v. 18.7.2000 - 5 StR 289/00
5 StR 289/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 18. Juli 2000
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Juli 2000
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Chemnitz vom 7. März 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die
Revision des Angeklagten ist, soweit sie den Schuldspruch betrifft,
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die
Beweiswürdigung, auf deren Grundlage das Schwurgericht eine
Notwehrlage des Angeklagten bei Beginn der gewalttätigen
Einwirkung auf sein Opfer ausgeschlossen und eine alkoholbedingte
erhebliche Verminderung, nicht indes einen Ausschluß der
Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen hat, hält
nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe
sachlichrechtlicher Prüfung stand. Anders verhält es
sich mit dem Rechtsfolgenausspruch.
Die Begründung, mit welcher das Landgericht die Anordnung
einer Maßregel der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als
rechtsfehlerhaft. Der - wie vom psychiatrischen
Sachverständigen zweifelsfrei festgestellt - alkoholkranke
Angeklagte hat ohne jeden verständlichen Anlaß im
Zustand alkoholbedingter erheblicher Enthemmung im Sinne von §
21 StGB eine besonders schwere Gewalttat begangen. Danach ist die vom
Schwurgericht gebilligte Wertung des Sachverständigen, es
fehle an einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten des
Angeklagten infolge seines Hanges, nicht verständlich. Die von
§ 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr kann allein durch die
Anlaßtat begründet werden (vgl. BGHR StGB §
64 Abs. 1 - Gefährlichkeit 2; BGH, Beschluß vom 11.
März 1997 - 5 StR 29/97 - ; Tröndle/Fischer, StGB 49.
Aufl. § 64 Rdn. 6); durch eine hangbedingte schwere Gewalttat
als Anlaßtat wird sie regelmäßig
hinreichend belegt. In Ermangelung jeglichen nachvollziehbaren
Tatmotivs war hier auch aus dem eher unauffälligen Vorleben
des Angeklagten nichts anderes herzuleiten. Der weitere Hinweis des
Sachverständigen, der Angeklagte biete "noch keine
nachvollziehbare innere Motivation" für eine Entziehungskur,
ist - auch im Blick auf zu erwägende Möglichkeiten
einer maßgeblichen Motivationsstärkung im Rahmen der
Behandlung - zu vage, um das Fehlen der für eine Unterbringung
gemäß § 64 StGB erforderlichen hinreichend
konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges (BVerfGE 91, 1)
ausreichend zu belegen und die Nichtanordnung der Maßregel
allein zu tragen.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Strafe
bei Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB niedriger
hätte ausfallen können. Das gilt insbesondere
angesichts dessen, daß der Strafausspruch - trotz des
gravierenden Tatbildes - seiner Begründung wegen nicht
unbedenklich ist. Einem Täter wie dem Angeklagten, dem eine
erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (§ 21
StGB) zugute zu halten ist, darf die bei Begehung der Tat bewiesene
Handlungsintensität, die auf diesen Zustand
zurückgeht, nur eingeschränkt angelastet werden (vgl.
BGHR StGB § 21 - Strafzumessung 17; Tröndle/Fischer
aaO § 46 Rdn. 19 und 22; jeweils m.w.N.). Eine wesentliche
Strafschärfung wegen besonderen Leidens des Opfers setzt
- wenn nicht etwa entsprechend gezieltes Verhalten des Täters
in Frage steht - regelmäßig voraus, daß
das Opfer dabei mindestens teilweise bei Bewußtsein gewesen
ist, was sich hier ohne näheren Beleg nicht von selbst
versteht.
Bei dieser Sachlage muß über Strafhöhe und
Maßregel - wiederum unter Zuziehung eines
Sachverständigen (§ 246a StGB) - erneut
tatrichterlich verhandelt werden.
Harms Basdorf Tepperwien
Gerhardt Brause |