BGH,
Beschl. v. 18.7.2007 - 1 StR 280/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 280/07
vom
18.7.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18.7.2007 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 30. Oktober 2006 wird als unbegründet
verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Ergänzend zu den Ausführungen des
Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 21. Juni 2007 und den in
sachgerechter Weise die prozessualen Abläufe darstellenden
Ausführungen der Gegenerklärung der
Staatsanwaltschaft München I vom 13. April 2007 bemerkt der
Senat:
Die Rüge, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die damalige
Zeugenvernehmung des jetzigen Angeklagten vom 16. März 2004
verwertet, bleibt ohne Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die
Rüge in zureichender Weise ausgeführt worden ist;
jedenfalls ist die Rüge unbegründet.
Rechtsfehlerhaft wäre die Verwertung dann, wenn bei der
Vernehmung vom 16. März 2004 der als Zeuge belehrte Vernommene
bereits damals die Stellung eines Beschuldigten gehabt hätte
und deshalb nicht nach § 55 StPO, sondern nach § 136
Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 StPO zu belehren gewesen
wäre.
Der § 136 StPO zugrunde liegende Beschuldigtenbegriff
vereinigt subjektive und objektive Elemente. Die
Beschuldigteneigenschaft setzt - subjektiv -
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den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der
sich - objektiv - in einem Willensakt manifestiert (vgl. BGHSt 38, 214,
228; BGH NJW 1997, 1591; Rogall in SK-StPO 52. Lfg. Vor § 133
Rdn. 33; vgl. auch § 397 Abs. 1 AO). Wird gegen eine Person
ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, liegt darin
ein solcher Willensakt. Andernfalls beurteilt sich dessen Vorliegen
danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach
außen, insbesondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen
darstellt (eingehend: Urteil des Senats vom 3.7.2007 - 1 StR 3/07, zur
Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Dieser Grundsatz gilt
auch für Vernehmungen. Allerdings ergibt sich bereits aus
§§ 55, 60 Nr. 2 StPO, dass im Strafverfahren auch ein
Verdächtiger im Einzelfall als Zeuge vernommen werden darf,
ohne dass er über die Beschuldigtenrechte belehrt werden muss
(vgl. BGHSt 10, 8, 10; 17, 128, 133; Urteil des Senats vom 3.7.2007
aaO; ferner BVerfG [Kammer], Beschl. vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR
1513/05). Der Vernehmende darf dabei auch die Verdachtslage weiter
abklären; da er mithin nicht gehindert ist, den Vernommenen
mit dem Tatverdacht zu konfrontieren, sind hierauf zielende Vorhalte
und Fragen nicht zwingend ein hinreichender Beleg dafür, dass
der Vernehmende dem Vernommenen als Beschuldigten
gegenübertritt. Der Verfolgungswille kann sich jedoch aus dem
Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung
ergeben.
Ergibt sich die Beschuldigteneigenschaft nicht aus einem Willensakt der
Strafverfolgungsbehörden, kann - abhängig von der
objektiven Stärke des Tatverdachts - unter dem Gesichtspunkt
der Umgehung der Beschuldigtenrechte gleichwohl ein Verstoß
gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO
vorliegen. Ob die Strafverfolgungsbehörde einen solchen Grad
des Verdachts auf eine strafbare Handlung für gegeben
hält, dass sie einen Verdächtigen als Beschuldigten
vernimmt, unterliegt ihrer pflichtgemäßen
Beurteilung. Im Rahmen der gebotenen sorgfältigen
Abwägung aller Umstände des Einzelfalls
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kommt es dabei darauf an, inwieweit der Tatverdacht auf hinreichend
gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich Tat und Täter oder
lediglich auf kriminalistischer Erfahrung beruht. Falls jedoch der
Tatverdacht so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde
andernfalls willkürlich die Grenzen ihres
Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es
verfahrensfehlerhaft, wenn dennoch nicht zur Beschuldigtenvernehmung
übergegangen wird (vgl. BGHSt 37, 48, 51 f.; 38, 214, 228; BGH
NJW 1994, 2904, 2907; 1996, 2663 f.; 1997, 1591; NStZ-RR 2002, 67 [bei
Becker]; 2004, 368; Beschluss vom 25. Februar 2004 - 4 StR 475/03).
Andererseits kann der Umstand, dass die
Strafverfolgungsbehörde - zumal bei Tötungsdelikten -
erst bei einem konkreten und ernsthaften Tatverdacht zur Vernehmung des
Verdächtigen als Beschuldigten verpflichtet ist, für
ihn auch eine schützende Funktion haben. Denn der Vernommene
wird hierdurch nicht vorschnell mit einem Ermittlungsverfahren
überzogen, das erhebliche nachteilige Konsequenzen
für ihn haben kann (Senat aaO).
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien ergibt sich,
dass zum Zeitpunkt der Vernehmung am 16. März 2004 der
Geschädigte zwar bereits über einen Monat als
vermisst gemeldet war, sein Tod war den ermittelnden Beamten jedoch
noch nicht bekannt geworden. Vielmehr konnte, wie sich aus dem Vermerk
des KHK K. vom 26. Juni 2004 ergibt, auch noch mehr als drei Monate
nach der fraglichen Vernehmung mangels weiterer Erkenntnisse weder ein
Unglücksfall noch eine Straftat ausgeschlossen werden.
Letztlich blieb damals sogar die Möglichkeit offen, dass der
Geschädigte noch lebte und lediglich unbekannten Aufenthalts
war, da sein Tod den deutschen Ermittlungsbehörden erst im
August 2004 bekannt wurde.
Nach alledem ist es nicht zu beanstanden, dass bei der Vernehmung am
16. März 2004 keine Beschuldigtenbelehrung erfolgte.
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Der Schriftsatz der Verteidigung vom 13.7.2007 lag dem Senat bei der
Entscheidung vor.
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