BGH,
Beschl. v. 18.6.2009 - 4 StR 55/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 55/09
vom
18. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 18. Juni
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Siegen vom 24. September 2008 im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines
Kindes in drei Fällen, "davon in einem Fall des schweren
sexuellen Missbrauchs und in einem besonders schweren Fall des
sexuellen Missbrauchs", zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der
Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts; er beanstandet ferner das
Verfahren und macht das Fehlen von Prozessvoraussetzungen geltend.
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I. Das Rechtsmittel ist zum Schuldspruch aus den Gründen der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO. Insoweit ist lediglich
ergänzend anzumerken, dass auch die von der Re-
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vision erhobene Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts
und der Aufklärungspflicht durch Ablehnung des
Hilfsbeweisantrags auf Einholung eines weiteren psychiatrischen
Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der
Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin keinen Erfolg hat.
Die Ablehnung dieses Antrags, den der Angeklagte mit mangelnder
Sachkunde begründet hat, hält rechtlicher
Nachprüfung stand. Das Landgericht hat dazu in den
Urteilsgründen nachvollziehbar ausgeführt, dass der
gerichtlich bestellte Sachverständige sich nicht, wie von der
Revision behauptet, pauschal dahin geäußert hat, bei
einem Kind im Alter der Nebenklägerin sei in sexueller
Hinsicht von völliger Unkenntnis auszugehen. Vielmehr habe er
unter Berücksichtigung der ihm vermittelten
Anknüpfungstatsachen ausführlich und differenziert
zur Frage kindlicher Neugier und kindlichen Verständnisses
bezogen auf sexuelle Vorgänge Stellung genommen.
II. Die Revision hat jedoch mit der Sachrüge zum
Strafausspruch Erfolg.
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Das Landgericht hat festgestellt, dass sich die sexuellen
Übergriffe des Angeklagten gegenüber der seinerzeit
sieben- bis achtjährigen Nebenklägerin, mithin im
Zeitraum zwischen Sommer 2000 und Sommer 2002, ereigneten. Es
hätte deshalb gemäß § 2 Abs. 3
StGB erwägen müssen, welches Gesetz im vorliegenden
Fall die jeweils mildeste Bestrafung zulässt. Dies ist nicht
durch einen abstrakten Vergleich der Tatbestände und
Strafdrohungen zu ermitteln; es ist vielmehr zu prüfen,
welcher Strafrahmen für eine Tat unter Anwendung des alten und
des neuen Rechts nach den Umständen des konkreten Falles
jeweils zu Grunde zu legen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ-RR 1999,
354).
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Danach gilt hier folgendes:
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1. In Fall II 1 der Urteilsgründe hat das Landgericht das
Verhalten des Angeklagten zwar ohne Rechtsfehler als schweren sexuellen
Missbrauch eines
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Kindes gewürdigt; es hätte jedoch bei der gebotenen
konkreten Betrachtungsweise gemäß § 2 Abs.
3 StGB den Strafrahmen des § 176 a Abs. 1 StGB in der Fassung
des 6. Strafrechtsreformgesetzes (StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I
164) zu Grunde legen müssen, das am 1. April 1998 in Kraft
trat und bis zum 31. März 2004, also auch zur Tatzeit, Geltung
hatte. Im Unterschied zu der danach in Kraft getretenen Fassung, deren
im Mindestmaß erhöhter Strafrahmen von zwei Jahren
(§ 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB) das Landgericht zum Ausgangspunkt
für seine Strafzumessung genommen hat, sah die Fassung des
Gesetzes zur Tatzeit nur eine Mindeststrafe von einem Jahr vor. Trotz
unveränderten Höchstmaßes kann der Senat
nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass das
Landgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden Strafrahmens eine
geringere Strafe verhängt hätte.
2. Wegen der festgestellten beischlafähnlichen, nicht mit
einem Eindringen in den Körper verbundenen sexuellen
Handlungen in Fall II 2 der Urteilsgründe (sog.
Schenkelverkehr bis zum Samenerguss) hat das Landgericht einen
besonders schweren Fall des sexuellen Missbrauchs eines Kindes "nach
§ 176 Abs. 1 StGB" angenommen und den Strafrahmen "des
§ 176 Abs. 3 StGB … von einem Jahr bis zu 15
Jahren" zu Grunde gelegt. Damit hat es ersichtlich auf § 176
Abs. 3 StGB in der zum Zeitpunkt der Aburteilung geltenden Fassung
abgestellt und übersehen, dass die zur Tatzeit geltende
Fassung des sexuellen Missbrauchs (§ 176 StGB in der Fassung
des 6. StrRG) neben dem Regelstrafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn
Jahren keinen Sonderstrafrahmen für besonders schwere
Fälle enthielt, die letztgenannte Fassung demnach hier das
mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB ist. Ein Beruhen
des Strafausspruchs auf diesem Rechtsfehler kann auch insoweit nicht
ausgeschlossen werden.
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3. Auch die Strafrahmenwahl in Fall II 3 der Urteilsgründe
begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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a) Nach den Feststellungen beugte sich der Angeklagte, nachdem er eine
Autofahrt an einem unbelebten Straßenstück
unterbrochen hatte, über die auf der Rücksitzbank
seines PKW angeschnallt sitzende Nebenklägerin und gab ihr
einen Zungenkuss, woraufhin sie ihn wegstieß. Sodann wartete
er die Vorbeifahrt eines anderen PKW ab, beugte sich daraufhin weit in
das eigene Fahrzeug hinein, öffnete seine Hose und forderte
die Nebenklägerin auf, sein Glied anzufassen, wozu diese nicht
bereit war. Daraufhin schloss der Angeklagte seine Hose wieder, stieg
in den PKW und fuhr mit der Nebenklägerin nach Hause.
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b) Diese Feststellungen legen die Annahme eines minder schweren Falles
des sexuellen Missbrauchs eines Kindes nahe. Das Landgericht hat
ersichtlich die zum Zeitpunkt der Aburteilung geltende Fassung des
§ 176 StGB zur Anwendung gebracht, die einen minder schweren
Fall nicht vorsieht. Bei der auch hier vorzunehmenden konkreten
Betrachtungsweise nach § 2 Abs. 3 StGB hätte jedoch
der Umstand Berücksichtigung finden müssen, dass
§ 176 Abs. 1 Satz 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung
des 6. StrRG die Regelung eines minder schweren Falls enthielt, die
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe androhte.
Ein Beruhen des Rechtsfolgenausspruchs auf dem Rechtsfehler kann auch
hier nicht ausgeschlossen werden.
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III. Der Senat hat die zum Rechtsfolgenausspruch getroffenen
Feststellungen insgesamt aufrechterhalten, da es sich bei den
Rechtsfehlern ausschließlich um Wertungsfehler handelt. Der
zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter kann
ergänzende Feststellungen treffen. Wegen
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der rechtlichen Bedenken gegen die Erwägung des Landgerichts,
dem Angeklagten sei auch anzulasten, dass seine Taten zum Scheitern der
Ehe zwischen der Mutter der Nebenklägerin und Walter B.
geführt hätten, verweist der Senat auf die
Stellungnahme des Generalbundesanwalts.
Frau VRi'inBGH Dr. Tepperwien ist urlaubsbedingt verhindert zu
unterschreiben
Maatz Maatz Solin-Stojanović
Franke Mutzbauer |