BGH,
Beschl. v. 18.5.2004 - 4 StR 185/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 185/04
vom
18.05.2004
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 18.05.2004
gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Essen vom 23. Januar 2004
a) wegen eines offensichtlichen Fassungsversehens
im Schuldspruch insoweit berichtigt, daß die Worte
"in zwei Fällen" entfallen,
b) im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von
Kindern "in zwei Fällen" [richtig: in einem Fall; vgl. UA 7]
und exhibitionistischer
Handlungen unter Einbeziehung einer Strafe aus einem früheren
Urteil zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie wegen
sexuellen
Mißbrauchs von Kindern zu einer weiteren Freiheitsstrafe von
einem Jahr
und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des
Angeklagten
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil
wendet
sich der Angeklagte mit seiner wirksam auf den
Maßregelausspruch be-
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schränkten Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und
die Verletzung
sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der
Sachrüge Erfolg.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus (§ 63 StGB) hält der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand,
weil die Voraussetzungen der §§ 20 oder 21 StGB nicht
- wie für die Maßregel
nach § 63 StGB erforderlich (BGHSt 34, 22, 26/27) -
zweifelsfrei festgestellt
sind.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
setzt nach ständiger Rechtsprechung die positive Feststellung
eines länger
andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der
zumindest
eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit
sicher begründet (st. Rspr.;
BGH StraFo 2003, 281). Eine solche positive Feststellung kann - wie der
Generalbundesanwalt
in seiner Antragsschrift vom 4.05.2004 zutreffend näher
ausgeführt hat - auch dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe nicht entnommen
werden. Für die Anordnung der Unterbringung in einem
psychiatrischen
Krankenhaus genügt es aber nicht, wenn lediglich nicht
ausschließbar
die Schuldfähigkeit bei den Taten aufgrund eines
überdauernden Zustandes
zumindest erheblich vermindert war.
Allerdings ist das Landgericht mit den gehörten
Sachverständigen "zu
dem Ergebnis gelangt, daß der Angeklagte in der
Fähigkeit, das Unrecht seiner
Taten einzusehen und danach zu handeln, bei allen Taten
eingeschränkt war.
(...) Der Angeklagte sei abhängig von Alkohol sowie devianter
Sexualität und
daher vermindert steuerungsfähig" (UA 8). Dabei hat das
Landgericht aber bereits
nicht erkennbar bedacht, daß nach ständiger
Rechtsprechung die Annah-
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me erheblich verminderter Schuldfähigkeit nicht gleichzeitig
auf eine erhebliche
Verminderung der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit
gestützt werden kann
(vgl. BGHSt 40, 341, 349; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl.
§ 63 Rdn. 6). Im übrigen
steht die Annahme (zumindest) erheblich verminderter
Schuldfähigkeit in
Widerspruch zu den zu den einzelnen Taten getroffenen Feststellungen,
wonach
die Fähigkeit des Angeklagten, "seine Handlungen zielgerichtet
zu steuern,
... nicht beeinträchtigt" gewesen sei (UA 5/6; Hervorhebung
durch den Senat).
Der Widerspruch würde sich auch nicht ohne weiteres
auflösen, wenn das
Landgericht damit gemeint haben sollte, daß die jeweilige
alkoholbedingte Enthemmung
für sich allein die Steuerungsfähigkeit nicht
erheblich beeinträchtigt
hat. Denn nach Überzeugung der Strafkammer kann der Angeklagte
seine "sexuellen
Wünsche und Vorlieben" gerade im Zustand der Alkoholisierung
"nur
schwer kontrollieren" (UA 8), kommt also der Alkoholisierung letztlich
tatauslösende
Bedeutung zu. Soweit als weitere Ursache bei dem Angeklagten eine
von der Norm abweichende sexuelle Präferenz in Form
"pädophiler Fixierung"
hinzutritt, geht das Landgericht zwar - allerdings ohne nähere
Darlegung - von
einer "behandlungsbedürftigen seelischen Abartigkeit" (UA 11)
aus. Dies hätte
aber schon deshalb näherer Erörterung bedurft, weil
nach ständiger Rechtsprechung
nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine Devianz
in Form einer Pädophilie, ohne weiteres mit einer schweren
anderen seelischen
Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB
gleichzusetzen ist (vgl. zuletzt
Senatsurteil vom 10. März 2004 - 4 StR 563/03).
Über die Voraussetzungen einer Maßregelanordnung ist
danach insgesamt
neu zu befinden. In diesem Zusammenhang wird - worauf der
Generalbundesanwalt
in seiner Antragsschrift zu Recht hingewiesen hat - auch zu
prüfen
sein, ob - wie bereits im früheren Urteil vom 28. November
2001 (UA 5) -
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auch eine den Angeklagten weniger belastende Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt
(§ 64 StGB) in Betracht kommt und geeignet ist, erneuter
einschlägiger
Straffälligkeit des Angeklagten wirksam zu begegnen. Eine
Maßregelanordnung
nach § 64 StGB (hier mit der Wirkung gemäß
§ 67 f StGB)
setzt - anders als die Maßregelanordnung nach § 63
StGB - nicht voraus, daß
sich ein Zustand im Sinne des § 21 StGB sicher feststellen
läßt (st. Rspr.;
BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2; BGH, Beschluß vom 26.
Oktober 2000
- 3 StR 343/00).
Tepperwien Maatz Solin-Stojanovi
Ernemann Sost-Scheible |