BGH,
Beschl. v. 18.5.2010 - 5 StR 143/10
5 StR 143/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 18. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Mai 2010
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Neuruppin vom 3. Dezember 2009 gemäß § 349
Abs. 4 StPO im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der
Angeklagte wegen Beihilfe zum Totschlag in Tateinheit mit Beihilfe zur
Freiheitsberaubung mit Todesfolge verurteilt ist, und im Ausspruch
über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird gemäß §
349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Die Sache wird zur Bestimmung einer neuen Jugendstrafe und zur
Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere
Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Nichtrevidenten D. und Da. wegen
Freiheitsberaubung, den Nichtrevidenten V. wegen Beihilfe zur
Freiheitsberaubung zu jeweils zur Bewährung ausgesetzten
Freiheitsstrafen verurteilt. Den Angeklagten hat es wegen
(gemeinschaftlichen) Totschlags in Tateinheit mit Freiheitsberaubung
mit Todesfolge unter Einbeziehung einer nach Tatbegehung ergangenen,
nicht erledigten Verurteilung des Angeklagten nach
Erwachsenenstrafrecht zu einer Einheitsjugendstrafe von sieben Jahren
verurteilt. Die Revision des Angeklagten erzielt den aus der
Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
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1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und
Wertungen getroffen:
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a) D. und R. betrieben in den Jahren 2000 und 2001 mehrere Bordelle im
Umkreis von Neuruppin in Konkurrenz zueinander, aber auch teilweise in
finanzieller Teilhaberschaft. Der Umgang mit R. gestaltete sich wegen
dessen übermäßigen Alkohol- und
Drogenkonsums zunehmend schwieriger. Der
„Sicherheitsbeauftragte“ des R. , L. , verfolgte
eigene geschäftliche Ziele und kam mit D. überein, R.
unter Zuhilfenahme der Kontakte des V. in das Bordellmilieu nach Polen
verschleppen zu lassen und mittels einer fingierten Vergewaltigung
einer Minderjährigen durch eine dieserhalb zu erwartende
Haftstrafe für längere Zeit dem heimischen
Rotlichtmillieu zu entziehen.
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Der Plan zur Entführung des R. wurde am 19. Dezember 2001
verwirklicht. L. teilte D. telefonisch mit, dass er R.
„eingepackt“ habe (UA S. 9). D. wies
„seine rechte Hand“ Da. an, R. mit dem Pkw aus
Planitz abzuholen. Da. fuhr den bereits misshandelten, gefesselten R. ,
dessen Augen und Mund verklebt waren, nach Dabergotz bei Neuruppin, wo
ihn D. in seinen Transporter übernahm. V. besorgte D. die
Telefonnummer eines Polen namens T. , der den Auftrag
übernahm, R. nach Polen zu verschleppen. Gegen Mitternacht
erschien Da. am vereinbarten Übernahmeort in der Nähe
der polnischen Grenze bei Seelow. In einem polnischen Taxi trafen 30
Minuten später T. und der damals 19 Jahre alte Angeklagte ein
„und hievten den R. von dem Transporter des D. etwa zwei
Meter hinüber in den Kofferraum des Taxis. In Abkehr vom
ursprünglichen Tatplan der Verschleppung des R. nach Polen
holten der unbekannt gebliebene T. und der Angeklagte noch zur
Nachtzeit den R. in der Nähe der Ortschaft Libbenichen aus dem
Kofferraum und brachten ihn an einen abgelegenen Wanderweg. Dort schlug
einer der beiden dem R. mit einer
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Glasflasche auf den Kopf, wodurch dieser eine tiefreichende, bis auf
den Schädelknochen durchdringende Kopfschwartenplatzwunde
erlitt und vermutlich das Bewusstsein verlor. Anschließend
ließen sie den sichtbar schwer verletzten und immer noch an
Händen und Füßen gefesselten Mann bei
winterlichen Temperaturen an Ort und Stelle zurück. Dabei
wussten sie, dass das Opfer - wenn es nicht schon an der Kopfverletzung
sterben - voraussichtlich erfrieren würde und nahmen dessen
Tod billigend in Kauf. Tatsächlich verstarb R. am Ablageort
durch Einatmen von Blut infolge seiner massiven Gesichtsverletzungen im
Zusammenwirken mit einer Unterkühlung am 20. Dezember
2001“ (UA S. 10 f.).
b) Das Landgericht hat sich von einer Mittäterschaft des in
der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten durch von diesem und in
schwacher Ausprägung von dem Opfer stammende DNA auf einem in
Tatortnähe gefundenen Zellstofftaschentuch und den Inhalt
zweier von V. bekundeter Gespräche mit T. überzeugt.
Dessen Mitteilung hat das Landgericht als erlebnisfundiert bewertet.
Gegen Weihnachten 2001 habe T. , der eine Hand verbunden gehabt habe,
dem V. berichtet, dass er für D. etwas erledigt habe. Nach
Kenntnisnahme vom Tod des R. habe T. während des zweiten
Treffens dem V. mitgeteilt, dass er mit einem weiteren Polen R. in ein
polnisches Taxi übernommen habe. „Nach einer Weile
des Herumfahrens auf deutscher Seite hätten sie den R.
irgendwo rausgelassen, und der andere ‚T. ’ habe
dem R. spontan eine Flasche auf den Kopf geschlagen. Dort
hätten sie das Opfer dann liegenlassen und seien
weggefahren“ (UA S. 17).
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Zusätzlich hat sich das Landgericht zur Identifizierung des
Angeklagten auf die Täterbeschreibung des D.
gestützt, es habe sich um einen jungen Polen Anfang 20
gehandelt, der ebenfalls T. gerufen worden sei. Dem Angeklagten sei
trotz einer Einschränkung der Beweglichkeit seines rechten
Armes und der Verkürzung der Finger der rechten Hand bis zum
jeweiligen Fingermittelgelenk ein von D. in dessen polizeilicher Ver-
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nehmung mitgeteilter körperlicher Einsatz, der nur in einer
leichten Hilfestellung hätte bestehen müssen,
möglich gewesen.
c) Das Landgericht hat „anhand der durch den Angeklagten V.
nur vom Hörensagen wiedergegebenen Tatschilderung nicht mit
der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit
feststellen können, welcher der beiden Polen den Schlag mit
der Flasche ausgeführt hat, so muss sich der Angeklagte im
Falle der Schlagausführung durch den anderen T. dessen
Handlung mit Blick auf die sich anschließende gemeinsame
Tatvollendung in der Weise des Zurücklassens des geschundenen
und gefesselten Opfers unter lebensgefährlichen Bedingungen
zurechnen lassen“ (UA S. 24 f.).
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2. Das Urteil hat keinen Bestand, soweit das Landgericht den
Angeklagten als Mittäter angesehen hat.
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a) Zwar ist die tatrichterliche Bewertung über das Vorliegen
von Täterschaft oder Teilnahme nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs nur einer eingeschränkten
revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich (BGHSt 48, 52, 56;
BGH NJW 2010, 92, 97 m.w.N.). Das Landgericht ist indes nur befugt,
Mittäterschaft aufgrund rechtlich zutreffender
Anknüpfungstatsachen anzunehmen. Daran fehlt es hier.
Das Landgericht ist von einer sukzessiven Mittäterschaft durch
aktives Tun des Angeklagten ausgegangen, weil diesem der - nach dem
Grundsatz in dubio pro reo (vgl. BGHR StPO § 261 in dubio pro
reo 8; BGH StV 2007, 284, 286; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - 5
StR 459/06 Tz. 5) dem unbekannten T. zugeschriebene -
verletzungsintensive Schlag mit der Flasche wegen
anschließender gemeinsamer Tatvollendung durch
Zurücklassen des Opfers zuzurechnen sei. Hierbei hat das
Landgericht indes übersehen, dass der Angeklagte durch das
bloße Zurücklassen des dem Tod geweihten Opfers die
weitere Tatausführung nicht mehr fördern konnte, weil
für die Herbeiführung des
tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan
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worden war. Mangels eines Beitrags zu einer aktiven
Tatbestandsverwirklichung scheidet hier die Annahme sukzessiver aktiver
Mittäterschaft aus (vgl. BGH NStZ 1984, 548, 549 m.w.N.; BGH
StV 2007, 284, 285).
b) Die fehlerfrei getroffenen Feststellungen rechtfertigen aber auch im
Übrigen nicht die Annahme eines mittäterschaftlichen
Totschlags und einer mittäterschaftlichen Freiheitsberaubung.
Es fehlt insoweit an der gebotenen umfassenden Würdigung des
Beweisergebnisses (vgl. BGH NJW 2010, 92, 97 m.w.N.).
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Zwar vermag der Senat dem Zusammenhang der Urteilsgründe noch
zu entnehmen, dass der Angeklagte - wie es das Landgericht bei der
Verbringung des R. in das Taxi beweiswürdigend
überzeugend Da. egt hat - auch aktiv beim Ausladen des
Verletzten aus diesem Fahrzeug mitgewirkt hat. Dieses aktive Handeln
scheidet indes als Grundlage für die Annahme
mittäterschaftlichen Handelns ebenfalls aus. Das Landgericht
hat die festgestellten Tatbeiträge des schweigenden
Angeklagten weder dahingehend gewürdigt, ob sie in einem
Unterordnungsverhältnis zu denen des unbekannt gebliebenen T.
stehen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - 5 StR
219/08 Tz. 299), noch hat es Erwägungen zum Bestehen und des
Umfangs eines Tatinteresses des Angeklagten angestellt (vgl. BGHSt 37,
289, 291; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - 5 StR 459/06 Tz. 6).
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c) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen drängten
hier zu der Annahme, der Angeklagte habe lediglich als Gehilfe des T.
gehandelt.
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Ausführender des Entführungsauftrags war nicht der
Angeklagte, sondern der unbekannt gebliebene T. , der zudem das
polnische Tatfahrzeug stellte und allein über Kontakte zu den
deutschen Auftraggebern verfügte. Das Landgericht hat diesen
selbst als Haupttäter und den Angeklagten als dessen
jüngeren Begleiter bezeichnet (UA S. 19). Im Rahmen der Straf-
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zumessung hat es dem Angeklagten zugute gebracht, dass er
„nach den möglichen Feststellungen nicht der
‚treibende Keil’ bei der Tatausführung
gewesen ist“ (UA S. 28). Bei der gemeinsamen Verbringung des
R. in das Tatfahrzeug ist das Landgericht lediglich von einer leichten
Hilfestellung des am rechten Arm und an der rechten Hand behinderten
Angeklagten ausgegangen.
3. Der Senat schließt im Blick auf die
äußerst eingeschränkte Beweislage aus, dass
ein neues Tatgericht weitergehende Feststellungen wird treffen
können, die eine mittäterschaftliche Begehung des
Freiheitsberaubungs- und Tötungsverbrechens oder - bei Annahme
von Beihilfe - zusätzlich für einen Verdeckungsmord
durch Unterlassen (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 13 Rdn. 32)
wird tragen können, und entscheidet entsprechend §
354 Abs. 1 StPO auf Beihilfe durch (vgl. BGH StV 2007, 284, 286; 2009,
176, 177; BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - 5 StR 219/08 Tz. 9).
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4. Die neu berufene Jugendstrafkammer wird danach die für das
Verbrechen wegen Schwere der Schuld festzusetzende Jugendstrafe auf der
Grundlage der bisherigen Feststellungen neu zu bestimmen haben. Bei dem
zur Tatzeit nicht vorbestraften Angeklagten dürfte die
zusätzliche Annahme schädlicher Neigungen aber
ausgeschlossen sein (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2
schädliche Neigungen 5; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 5
StR 55/09 Tz. 9 f.).
Die erfolgte Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten in
Berlin vom 20. Mai 2009 wegen vierfachen Diebstahls
(Gesamtfreiheitsstrafe elf Monate unter Strafaussetzung zur
Bewährung) gemäß § 105 Abs. 2,
§ 31 Abs. 2 Satz 1 JGG lässt trotz bisher fehlender
ausdrücklicher Begründung keinen Rechtsfehler
erkennen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das später
unter Anwendung von Jugendstrafrecht ausgeurteilte
Tötungsverbrechen im Vergleich zu dem milde sanktionierten
Diebstählen hier das Schwergewicht im Sinne das entsprechend
anzuwendenden § 32 Satz 1 JGG bildet
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(vgl. BGHR JGG § 32 Gesamtstrafe 2) und es deshalb bei der
gebotenen Bildung einer einheitlichen Jugendstrafe bleibt (vgl. BGHR
JGG § 32 Schwergewicht 3 bis 5). Eine Anwendung von
Erwachsenenstrafrecht auf die Tat und eine Gesamtstrafenbildung
gemäß § 55 StGB ist hierdurch
ausgeschlossen (vgl. BGHR JGG § 32 Gesamtstrafe 2).
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