BGH,
Beschl. v. 19.4.2000 - 5 StR 644/99
5 StR 644/99
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 19. April 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. April 2000
beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Koblenz vom 1. April 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO im gesamten
Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden mit der Maßgabe nach
§ 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen,
daß der Angeklagte W des gewaltsamen Schmuggels schuldig ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Steuerhinterziehung
zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und fünf Monaten
verurteilt und gegen den Angeklagten B unter Einbeziehung einer im Jahr
1997 verhängten Geldstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren und sechs Monaten gebildet. Daneben hat es sichergestellte
Zigaretten und einen Gasrevolver mit Munition sowie eine
Reizgassprühflasche eingezogen. Die Revisionen der Angeklagten
haben mit der Sachrüge hinsichtlich des jeweiligen
Strafausspruchs Erfolg; im übrigen sind sie
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entzogen die Angeklagten
gemeinschaftlich eine LKW-Ladung unversteuerter und unverzollter
Zigaretten, die im T1-Versandverfahren - aus London kommend und
für Weißrußland abgefertigt - durch
Deutschland lediglich durchgeführt werden sollte, der
zollamtlichen Überwachung, indem sie in einer Lagerhalle die
Zollplomben des LKW entfernen ließen, um die Zigaretten ohne
Entrichtung der anfallenden Abgaben mit Gewinn in Deutschland
weiterzuverkaufen. Dadurch wurden Eingangsabgaben in Höhe von
mehr als 2 Millionen DM hinterzogen; die Zigaretten wurden allerdings
sofort nach der Tat von Ermittlungsbeamten, welche die Halle umstellt
hatten, sichergestellt. Der Angeklagte W führte bei der Tat
einen Gasrevolver mit Gasaustritt durch den Lauf nach vorne
einschließlich Munition sowie eine
Reizgassprühflasche mit sich.
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigungen hat weder aufgrund der erhobenen
Verfahrensrügen noch aufgrund der Sachrügen zum
Schuldspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
Allerdings ist klarzustellen, daß der Angeklagte W nicht
lediglich der Steuerhinterziehung, sondern des gewaltsamen Schmuggels
schuldig ist. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die Voraussetzungen
von § 373 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AO als gegeben angesehen und die
Strafe dem Strafrahmen des § 373 AO entnommen, obwohl sich der
Angeklagte W zum Zeitpunkt, als die Zollplombe entfernt wurde, nicht
selbst in der Lagerhalle aufhielt. Aus dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe ergibt sich, daß der Angeklagte W die
Waffen bereits bei sich führte, als er den LKW
tatplangemäß von der regulären Fahrtroute
weg zum Abladeort lotste. Für die rechtliche Beurteilung als
gewaltsamer Schmuggel ist es ausreichend, daß dem
Täter - wie hier - die Waffen zu irgendeinem Zeitpunkt
während des Tathergangs zur Verfügung standen (vgl.
BGHSt 31, 105, 106; BGH NStZ 1984, 216). Der damit erfüllte
Tatbestand des § 373 AO verdrängt als qualifizierte
Form der Steuerhinterziehung den Grundtatbestand des § 370
Abs. 1 AO (vgl. BGHSt 32, 95).
3. Die Strafaussprüche haben dagegen bei beiden Angeklagten
keinen Bestand. Die Strafzumessungserwägungen lassen besorgen,
daß das Landgericht die im vorliegenden Einzelfall gegebenen
Besonderheiten des Lockspitzeleinsatzes im Zusammenhang mit einer fast
durchgehenden Observation der Angeklagten und der Schmuggelware nicht
ausreichend strafmildernd berücksichtigt hat (zu den Grenzen
eines zulässigen Lockspitzeleinsatzes vgl. BGH NJW 2000, 1123).
Die Tatausführung wurde erst dadurch möglich,
daß ein Informant des Zollfahndungsamtes, der Zeuge K , den
Anstoß zur konkreten Tat geliefert hatte, ohne allerdings
unmittelbar zur Tat anzustiften. Er führte den zwar erheblich
vorbestraften, aber nach den Urteilsfeststellungen für eine
derartige Tat zumindest nicht erkennbar tatgeneigten Angeklagten B an
den Angeklagten W heran, dessen Absicht zur Durchführung eines
Zigarettenschmuggels in der dann vorgenommenen Art er kannte. Auch wenn
der Entschluß zur Tatausführung von den Angeklagten
selbst ohne direkte Einwirkung des Informanten getroffen wurde, so
konnte die Tat dennoch nur deswegen durchgeführt werden, weil
das Zollfahndungsamt den Angeklagten über den Informanten
nicht nur eine Lagerhalle, sondern auch noch einen Abnehmer
für die Zigaretten in Form eines Scheinaufkäufers
beschaffte.
Das Landgericht hat zwar unter Berücksichtigung dieser
Umstände in seine Strafzumessungserwägungen
einbezogen, daß die Mitwirkung des Zeugen K die "Tat
weitgehend gefördert und vereinfacht hat" und die Zigaretten
auch nicht "in den illegalen Verkehr gelangt sind". Die weitgehend
pauschalen tatrichterlichen Ausführungen lassen jedoch
besorgen, daß das Landgericht nicht in ausreichendem
Maße berücksichtigt hat, daß die Tat nicht
nur aufgrund des Tatanstoßes durch den Informanten und des
mehrfachen Eingreifens der Zollfahndung überhaupt erst
möglich wurde, sondern daß darüber hinaus
wegen der fast lückenlosen Überwachung der
Angeklagten und der Schmuggelware von Anfang an nahezu keine Gefahr
bestand, daß die Zigaretten jemals in den freien Verkehr
gelangen konnten.
Der Senat kann nicht auschließen, daß das Urteil -
das strafschärfend gerade auf die Höhe des
entstandenen Steuerschadens von mehr als 2 Millionen DM abhebt - auf
diesem Mangel beruht.
4. Die Aufhebung der Einzelstrafen bedingt die Aufhebung auch der gegen
den Angeklagten B verhängten Gesamtfreiheitsstrafe. Der
Aufhebung von Feststellungen bedarf es hingegen nicht. Der neue
Tatrichter wird die Strafen auf der Grundlage der bislang getroffenen
Feststellungen, die allerdings durch zusätzliche
ergänzbar sind, unter besonderer Berücksichtigung der
Observation und des Tätigwerdens des Informanten neu zu
bestimmen haben. Er wird auch die lange Verfahrensdauer sowie die
erheblichen nach Anklageerhebung und
Eröffnungsbeschluß im Jahr 1995 eingetretenen
Verfahrensverzögerungen zu berücksichtigen haben,
deren Gründe dem angefochtenen Urteil bisher nicht zu
entnehmen sind.
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