BGH,
Beschl. v. 19.8.2009 - 1 StR 206/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 206/09
vom
19. August 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________
UStG § 6
Die Einhaltung der für Ausfuhrlieferungen im Sinne von
§ 6 UStG vorgesehenen Nachweispflichten (§§
8 ff. UStDV) ist keine materiellrechtliche Voraussetzung der
Umsatzsteuerbefreiung (Aufgabe von BGHSt 31, 248).
BGH, Beschl. vom 19. August 2009 - 1 StR 206/09 - LG Mannheim
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Steuerhinterziehung u.a.
zu 2.: Steuerhinterziehung
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. August 2009
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mannheim vom 17. November 2008
a) in den Fällen II.C. 15 bis 29 der Urteilsgründe
aufgehoben;
b) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass
aa) der Angeklagte G. C. der Steuerhinterziehung in 14 Fällen,
der vorsätzlichen Verletzung der Buchführungspflicht
in 14 Fällen und der vorsätzlichen falschen
Versicherung an Eides Statt sowie
bb) die Angeklagte I. C. der Steuerhinterziehung in 14 Fällen
schuldig sind;
c) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
aa) in den Fällen II.C. 1 bis 8, 11 bis 14 und 30 bis 33 im
Ausspruch über die Einzelstrafe,
bb) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
- 3 -
tels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten G. C. wegen Steuerhinterziehung in
33 Fällen, vorsätzlicher Verletzung der
Buchführungspflicht in 14 Fällen und
vorsätzlicher falscher Versicherung an Eides Statt zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und die Angeklagte I. C. wegen
Steuerhinterziehung in 33 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Vollstreckung der
gegen die Angeklagte I. C. verhängten Strafe wurde zur
Bewährung ausgesetzt.
1
Die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung formellen
und sachlichen Rechts rügen, haben den aus dem Tenor
ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
I.
1. Das Landgericht hat die Angeklagten in den Fällen II.C. 15
bis 29 der Urteilsgründe wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer
verurteilt, da in diesen Fällen innergemeinschaftliche
Lieferungen bzw. Ausfuhrlieferungen zwar vereinbart und
durchgeführt wurden, diese Lieferungen jedoch wegen
Verschleierungshandlungen nicht eindeutig und leicht
nachprüfbar gewesen seien. Die Voraussetzungen der
Steuerbefreiung hätten daher gefehlt.
3
- 4 -
Aufgrund des fehlenden materiell-rechtlichen Charakters der
Nachweispflichten sind indes sowohl innergemeinschaftliche Lieferungen
(vgl. insoweit BFHE 219, 422 und 469, siehe auch BGHSt 53, 45) als auch
Ausfuhrlieferungen im Sinne von § 6 UStG (vgl. insoweit BFH
DStR 2009, 1636) trotz Nichterfüllung der Nachweispflichten
grundsätzlich steuerfrei, wenn aufgrund der objektiven
Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen von Ausfuhrlieferungen
vorliegen. Danach kann eine Verurteilung wegen Hinterziehung von
Umsatzsteuer nicht allein darauf gestützt werden, dass der
Unternehmer den ihm obliegenden Nachweispflichten nach
§§ 8 ff. UStDV bzw. §§ 17a ff.
UStDV nicht entsprochen hat (vgl. hinsichtlich §§ 17a
ff. UStDV bereits BGHSt 53, 45).
4
Soweit in der bisherigen Rechtsprechung im Anschluss an die damalige
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFHE 130, 118; BFH/NV 1996, 184;
BFH BStBl II 1995, 515; BFH/NV 2001, 212) bei Ausfuhrlieferungen im
Sinne von § 6 UStG auch in steuerstrafrechtlicher Hinsicht von
anderen Grundsätzen ausgegangen wurde (BGHSt 31, 248, BGH
wistra 1989, 190), hält der Senat in Übereinstimmung
mit der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs daran nicht mehr
fest.
5
Auch die Tatsache, dass die Zwischenschaltung der
ausländischen Domizilgesellschaft einen Gestaltungsmissbrauch
darstellte und allein erfolgte, um inländische Ertragsteuern
zu hinterziehen, führt nicht dazu, dass die
Umsatzsteuerbefreiung zu versagen ist.
6
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift insoweit
ausgeführt:
7
„Ein Ausschluss der Steuerbefreiung in diesen Konstellationen
wäre bereits mit den Vorgaben der zur Tatzeit geltenden
- 5 -
6. Richtlinie (und nachfolgend der Mehrwertsteuersystemrichtlinie)
nicht vereinbar. Die Berücksichtigung umsatzsteuerrechtlicher
Begünstigungstatbestände ist nämlich nur
dann ausgeschlossen, wenn 'die fraglichen Umsätze trotz
formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen
Bestimmungen der … Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung
erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben,
dessen Gewährung den mit diesen Bestimmungen verfolgten Zielen
zuwiderliefe' (EuGH Urteil vom 21.02.2006 - C-255/02, Halifax; vgl.
auch Senat Urteil vom 30.04.2009 - 1 StR 342/08). Dies ist nicht der
Fall, wenn allein die Hinterziehung von Ertragsteuern beabsichtigt ist,
Veräußerer oder Erwerber also nicht (zumindest auch)
Vorteile hinsichtlich einer Umsatzbesteuerung erzielten, erzielen
wollten oder auch nur hätten erzielen können und
damit jegliche Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens
ausgeschlossen war (vgl. EuGH Urteil vom 06.07.2006 - C-439/04,
Kittel). Die Mehrwertsteuerrichtlinien und das zu ihrer Umsetzung
erlassene nationale Recht dienen ausschließlich der Erhebung
der Umsatzsteuer und der Verhinderung ihrer Hinterziehung. Den Schutz
nationaler Ertragsteuern bezwecken sie dagegen nicht. Daher ist eine
sich lediglich auf die Nachweispflichten auswirkende Verschleierung
für sich genommen umsatzsteuerrechtlich ohne Relevanz (EuGH
Urteil vom 27.09.2007 - C-146/05, Collée; Senat Beschluss
vom 20.11.2008 - 1 StR 354/08 Rn. 13: 'Anderes gilt, wenn die
Verschleierungsmaßnahme anderen Zwecken dient.')“.
Dem schließt sich der Senat an.
8
2. In den Fällen II.C. 15 bis 29 ist die Verurteilung daher
aufzuheben. Diese Taten haben allein die Hinterziehung von Umsatzsteuer
im Zusammenhang mit Ausfuhrlieferungen zum Gegenstand. Der Wegfall der
Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer führt
vorliegend nicht zur Aufhebung der in diesem Zusammenhang getroffenen
Feststellungen, da diese auch für die Verurteilung wegen
Hinterziehung von Ertragssteuern von Bedeutung sind.
9
Die Voraussetzungen für eine eigene Sachentscheidung des
Senats nach § 354 Abs. 1 StPO sind nicht gegeben. Zwar ist
eher fern liegend, dass
10
- 6 -
noch Feststellungen getroffen werden können, die zum
Ausschluss der Umsatzsteuerbefreiung führen könnten.
Indes kann nicht ausgeschlossen werden, dass die
Umsatzsteuervoranmeldungen im Tatzeitraum, die die Angeklagten
für die von ihnen geführte Gesellschaft abgaben, aus
anderen Gründen unrichtig waren.
3. Soweit sich der aufgezeigte Rechtsfehler auch auf die Taten II.C. 12
und 14 auswirkt, bleibt der Schuldspruch davon unberührt. Denn
die Umsatzsteuerjahreserklärungen der Jahre 2000 und 2001, die
diese Taten zum Gegenstand haben, waren auch deshalb unrichtig, weil
dort unberechtigt Vorsteuerabzug für privat veranlassten
Aufwand der Angeklagten geltend gemacht wurde. Insoweit sind lediglich
die Einzelstrafaussprüche aufzuheben, da der Schuldumfang
unzutreffend bestimmt wurde.
11
II.
Hinsichtlich der Fälle II.C. 1 und 2, 7 und 8, 11 und 12 sowie
13 und 14 ist der Schuldspruch zu ändern. Die Strafkammer hat
insoweit jeweils tatmehrheitliche Begehung zwischen der Hinterziehung
von Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie
Solidaritätszuschlag einerseits und der Hinterziehung von
Umsatzsteuer andererseits angenommen. Nach den Feststellungen wurden
indes sämtliche Erklärungen, die den identischen
Veranlagungszeitraum betrafen, jeweils am selben Tag und daher im
Zweifel gleichzeitig beim Finanzamt eingereicht. Die jeweiligen
Erklärungen waren zudem teilweise inhaltsgleich. Dies
führt hinsichtlich der Fälle II.C. 1 und 2
(Veranlagungszeitraum 1997 betreffend die M. P. GmbH), II.C. 7 und 8
(Veranlagungszeitraum 1997 betreffend die M. V. GmbH & Co. KG),
II.C. 11 und 12 (Veranlagungszeitraum 2000 betreffend die M. V. GmbH
& Co. KG) sowie
12
- 7 -
II.C. 13 und 14 (Veranlagungszeitraum 2001 betreffend die M. V. GmbH
& Co. KG) jeweils zur Tateinheit (vgl. BGH wistra 2005, 56
m.w.N.).
III.
In den verbleibenden Fällen der Steuerhinterziehung tragen die
Feststellungen zwar den Schuldspruch. Die Feststellungen, aus denen
sich der Umfang der verkürzten Steuern ergibt, sind indes
lückenhaft. Die Besteuerungsgrundlagen werden nur
unvollständig mitgeteilt. Dem Senat ist daher nicht
möglich, auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen
sicher auszuschließen, dass die Steuerberechnung die
Angeklagten in Bezug auf den Schuldumfang beschwert. Das Urteil beruht
somit auch auf den Darstellungsmängeln (vgl. Senat, Urt. vom
12. Mai 2009 - 1 StR 718/08).
13
IV.
Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.C. 15 bis 29
der Urteilsgründe, die Änderung der
Konkurrenzverhältnisse sowie die den Schuldumfang betreffenden
Darlegungsmängel bedingen die Aufhebung sämtlicher
Einzelstrafen, die die Strafkammer hinsichtlich der jeweils 14
Fälle der Steuerhinterziehung verhängt hat. Dies
führt auch zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Bei der
Neufestsetzung der entfallenen Einzelstrafen wird zu
berücksichtigen sein, dass der Schuldspruch geändert
wurde (vgl. oben II.). Insoweit darf die Höhe der bisherigen
Einzelstrafen überschritten werden. Das
Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) steht dem
nicht entgegen. Es ist bei dieser Sachlage lediglich geboten, dass
jeweils die Summe der bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der
neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird
(vgl. BGH wistra 2008, 217; BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil
12).
14
- 8 -
V.
Soweit der Angeklagte G. C. in den Fällen II.E. 1 bis 14 der
Urteilsgründe wegen vorsätzlicher Verletzung der
Buchführungspflicht verurteilt wurde, tragen die getroffenen
Feststellungen die Verurteilung. Insbesondere bedurfte es keiner
weitergehenden Ausführungen zu einem tatsächlichen
Zusammenhang zwischen den Pflichtverletzungen und der eingetretenen
objektiven Bedingung der Strafbarkeit im Sinne von § 283b Abs.
3, § 283 Abs. 6 StGB. Denn der nach der bisherigen
Rechtsprechung erforderliche tatsächliche Zusammenhang (vgl.
BGHSt 28, 231; BGH wistra 2007, 463 m.w.N.) ist in der Regel gegeben.
15
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift insoweit
ausgeführt:
16
„Er (Anm.: der tatsächliche Zusammenhang) fehlt nur
in ganz wenigen, atypischen Fallkonstellationen. Einer
ausdrücklichen Erörterung dieses Gesichtspunktes
bedarf es daher grundsätzlich nicht. Ausführungen
dazu sind nur veranlasst, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass durch die Pflichtverletzung ausnahmsweise keine Gefahr
begründet oder gesteigert werden konnte.“
- 9 -
Der Senat schließt sich dem an und kann daher offenlassen, ob
daran festzuhalten ist, dass es auch im Rahmen des § 283b StGB
eines tatsächlichen Zusammenhangs zwischen der
Pflichtverletzungen und der eingetretenen objektiven Bedingung der
Strafbarkeit bedarf, wogegen beachtenswerte Argumente sprechen (vgl.
Bittmann Insolvenzstrafrecht § 13 Rdn. 7; Schäfer
wistra 1990, 81, 86 ff.).
17
Herr RiBGH Hebenstreit
befindet sich in Urlaub und
ist deshalb verhindert zu
unterschreiben.
Nack Wahl Nack
Graf Jäger |