BGH,
Beschl. v. 19.12.2000 - 4 StR 503/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 503/00
vom
19. Dezember 2000
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2000
gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Halle vom 8. August 2000
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte des
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier
Fällen schuldig ist;
b) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in 234 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von
sieben Jahren verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen.
Ferner hat es den
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"erweiterten Verfall" eines Betrages von 2.630 DM "als Wertersatz"
angeordnet.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
materiellen
Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Änderung des
Schuldspruchs und zur Aufhebung
des Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im
Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen bezog der Angeklagte, der in einem
Asylbewerberheim
wohnte, monatlich 380 DM Sozialhilfe. Um sich eine fortlaufende
Einnahmequelle zu verschaffen, veräußerte der
Angeklagte in der Zeit von Ende
Januar 1999 bis Anfang Januar 2000 an Abnehmer, die ihn im
Asylbewerberheim
aufsuchten, in 234 Fällen Kleinmengen von Haschisch, Heroin,
Kokain
und Marihuana. Feststellungen dazu, "wann und in welchen Mengen sich der
Angeklagte welche Betäubungsmittel beschaffte," konnte das
Landgericht nicht
treffen. Es hat die Einzelverkäufe deshalb jeweils als
rechtlich selbständige
Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
(§ 29 Abs. 1 Nr.
1, Abs. 3 Nr.1 BtMG) gewertet. Diese Beurteilung der
Konkurrenzverhältnisse
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand:
Sämtliche Betätigungen, die sich auf den Betrieb
derselben, in einem
Akt erworbene Betäubungsmittelmenge beziehen, sind als eine
Tat des unerlaubten
Handeltreibens anzusehen, weil bereits der Erwerb und der Besitz von
Betäubungsmitteln, die zum Zweck gewinnbringender
Weiterveräußerung bereitgehalten
werden, den Tatbestand des Handeltreibens in bezug auf die Gesamtmenge
erfüllen. Zu dieser Tat gehören als
unselbständige Teilakte im Sinne
einer Bewertungseinheit auch die späteren
Veräußerungsgeschäfte, soweit
sie dasselbe Rauschgift betreffen (st. Rspr., BGHSt 30, 28; BGHR BtMG
§ 29
Bewertungseinheit 13 m.w.N.). Allerdings gebietet es der Zweifelssatz
grund-
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sätzlich nicht, festgestellte
Einzelveräußerungen zu einer Bewertungseinheit
zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte
Möglichkeit besteht,
daß die veräußerten
Betäubungsmittel ganz oder teilweise aus demselben
Verkaufsvorrat stammen (vgl. BGH StV 1999, 431; BGHR BtMG § 29
Bewertungseinheit
14, jew. m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte - wie
hier - die Tat bestreitet und deshalb nicht in der Lage ist,
Umstände vorzutragen,
die sich zu seinen Gunsten auswirken können (vgl. BGHR StGB
§ 52 Abs.
1 in dubio pro reo 6). Jedoch ist die Annahme einer Bewertungseinheit
zugunsten
des Angeklagten dann geboten, wenn sich konkrete Anhaltspunkte
dafür
ergeben, daß die an sich selbständigen
Veräußerungen von Rauschgift dieselbe
Erwerbsmenge betreffen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit
13;
Franke/Wienroeder BtMG § 29 Rdn. 32, jew. m.w.N.).
Das Landgericht hat dies an sich nicht verkannt. Seine Annahme, eine
Zusammenfassung der festgestellten Drogenverkäufe
könne nur willkürlich erfolgen,
da “nicht genügend konkrete Anhaltspunkte”
dafür vorlägen, die auf
eine oder mehrere Vorratsmengen schließen ließen,
begegnet jedoch durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat nämlich den
rechtsfehlerfrei
festgestellten Sachverhalt nicht umfassend gewürdigt, sondern
wesentliche
Umstände außer acht gelassen, die es nahelegen,
daß die an sich selbständigen
Veräußerungen von Haschisch, Heroin, Kokain und
Marihuana dieselbe
Erwerbsmenge des jeweiligen Betäubungsmittels betrafen.
Bereits die Ausgangssituation, wonach der von Sozialhilfe lebende
Angeklagte
sich entschlossen hat, gewerbsmäßig
Betäubungsmittel fortlaufend an
zahlreiche Endverbraucher in Kleinmengen zu verkaufen, legt es nahe,
daß er
die Ware in größeren Teilmengen
kostengünstig erworben hat, um durch den
Weiterverkauf die beabsichtigte Gewinnspanne erzielen zu
können (vgl. BGH,
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Beschl. vom 16. November 2000 - 3 StR 457/00). Hierfür spricht
auch die Abwicklung
der Betäubungsmittelgeschäfte in dem Zimmer des
Angeklagten, einem
anderen Raum des Asylbewerberheims oder auf dem Hof vor dem Heim.
Dabei holte der Angeklagte nach Entgegennahme der Bestellung das jeweils
bereits zu Konsumeinheiten in Tütchen ("Bubbles") abgepackte
oder in Folie
eingedrehte Rauschgift, während seine Abnehmer warteten, aus
einem Versteck
auf dem Hof oder in einem der Räume des Asylbewerberheims und
übergab
es ihnen. Soweit der Angeklagte in mindestens 49 Fällen an
Matthias
H. jeweils 1 g Heroingemisch veräußerte (Fall II 8
der Urteilsgründe), wurde
das Rauschgift zudem vor der Übergabe vom Angeklagten jeweils
mit einer
Digitalwaage "nachgewogen". Danach liegt es nahe, daß der
Angeklagte Haschisch,
Heroin, Kokain und Marihuana jeweils in größeren
Mengen vorrätig
hielt. Für die Annahme sukzessiver, auf denselben Bestand des
jeweiligen
Betäubungsmittels bezogener Geschäfte spricht auch
ihr enger zeitlicher Zusammenhang.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht dem die
(möglicherweise)
unterschiedliche Qualität der vom Angeklagten verkauften
Betäubungsmittel
nicht entgegen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 7).
Bei dieser Sachlage ist zu Gunsten des Angeklagten von der folgenden
Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse auszugehen:
Soweit der Angeklagte zwischen dem 23. April und 8. Mai 1999 an Tino
He. in drei Fällen jeweils 1 g Haschisch
veräußert hat (II 1 der Urteilsgründe),
ist insbesondere wegen des engen zeitlichen Zusammenhanges eine
Bewertungseinheit
anzunehmen, so daß nur eine Tat des unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln vorliegt.
Die Veräußerungen von Haschisch an Steffen W. in dem
Zeitraum von
August 1999 bis Januar 2000 (II 4 der Urteilsgründe, in
fünf Fällen zugleich mit
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jeweils 1g Kokain) und zwischen dem 18. August und 18. November 1999 an
Maik G. (II 6 der Urteilsgründe), sind zu einer weiteren
selbständigen Bewertungseinheit
zusammenzufassen, da zwischen diesen und den
Veräußerungen
an Tino He. (II 1 der Urteilsgründe) ein Zeitraum von fast
drei Monaten
liegt.
Eine weitere Bewertungseinheit bilden die 15 Einzelverkäufe
von jeweils
1 g Marihuana an Ronny B. (Fall II 2 der Urteilsgründe).
Dies gilt auch für die Einzelverkäufe von
Heroingemisch an Christian
Ge. in 50 Fällen (II 3 der Urteilsgründe: jeweils 1
g), Steve M. in 100 Fällen
(II 5 der Urteilsgründe: jeweils 1 g), Alexej Bi. in
fünf Fällen (II 7 der Urteilsgründe,
jeweils 0,5 g) und an Matthias H. in 49 Fällen (II 8 der
Urteilsgründe,
jeweils 1 g), wobei auch diese Tat, obwohl bei einer Gesamtmenge von
201,5 g Heroingemisch trotz der schlechten Qualität die
Annahme einer nicht
geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in
Betracht kommt, in
Anwendung des Zweifelssatzes als Vergehen nach § 29 Abs. 1 Nr.
1 BtMG zu
werten ist.
Eine Zusammenfassung aller Veräußerungen zu nur
einer Bewertungseinheit
kommt jedoch entgegen der Auffassung der Revision nicht in Betracht,
da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der
Beschaffung aller veräußerten,
unterschiedlichen Betäubungsmittel derselbe Erwerbsvorgang
zugrundelag.
Der Angeklagte ist mithin des unerlaubten Handeltreibens in vier
Fällen
schuldig (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 BtMG).
Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265
StPO steht
nicht entgegen, weil auszuschließen ist, daß sich
der leugnende Angeklagte
anders als geschehen gegen den geänderten Schuldvorwurf
verteidigt hätte.
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Die Schuldspruchänderung nötigt zur Aufhebung des
gesamten Strafausspruchs,
der im übrigen auch dann, wenn 234 rechtlich
selbständige Taten
vorlägen, keinen Bestand haben könnte, da die
verhängten Einzelfreiheitsstrafen
und die Gesamtfreiheitsstrafe unvertretbar hoch sind.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Athing Ernemann |