BGH,
Beschl. v. 19.2.2008 - 1 StR 596/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 596/07
vom
19.2.2008
BGHSt: nein
Nachschlagewerk: ja (nur 2.b)
Veröffentlichung: ja (nur 2.b)
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StPO § 200
Bei einer Vielzahl gleichartiger Wirtschaftsstraftaten genügt
der Anklagesatz regelmäßig dann sowohl der
Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion, wenn über die
Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens und des gesamten
Tatzeitraums hinaus die gleichartigen Taten gruppiert bezeichnet werden
und wenn die Einzelheiten im wesentlichen Ermittlungsergebnis
detailliert (etwa tabellarisch) aufgelistet werden.
BGH, Beschl. vom 19.2.2008 - 1 StR 596/07 - LG Mannheim
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
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wegen Betruges
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19.2.2008 beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mannheim vom 14. Juni 2007 aufgehoben, soweit festgestellt ist, dass
der Wertersatzverfall wegen entgegenstehender Rechte der Verletzten
unterbleibt, und der Umfang des aus der Tat Erlangten bezeichnet ist
(Nr. 3 des Tenors). Diese Feststellungen entfallen.
2. Im Übrigen werden die Revisionen der Angeklagten gegen das
vorbezeichnete Urteil verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Betrugstaten im Zusammenhang
mit Geldanlagegeschäften verurteilt. Aus den Taten hatten die
Angeklagten Geldbeträge erlangt.
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1. Die Revisionen haben mit der Sachbeschwerde lediglich insoweit
Erfolg, dass die Feststellung, wonach der Wertersatzverfall wegen
entgegenstehender Rechte der Verletzten unterbleibt, und die Benennung
des Umfangs des aus der Tat Erlangten (Nr. 3 des Tenors) entfallen. Es
entspricht zwar § 111i
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Abs. 2 StPO nF, dass der Tatrichter im Urteil feststellen kann, dass
nur deshalb nicht auf Verfall erkannt worden ist, weil
Ansprüche des Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB
einer solchen Anordnung entgegenstehen, und er in diesem Fall das aus
der Tat Erlangte oder dessen Wert im Sinne von § 73 Abs. 1,
§ 73a StGB zu bezeichnen hat. Diese Regelung ist durch das
Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnhilfe und der
Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober
2006 (BGBl I 2350 ff.) geschaffen worden und am 1. Januar 2007 in Kraft
getreten. Ihrer Anwendung auf bereits zuvor beendigte Taten steht
jedoch § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB entgegen, wonach insoweit
das mildere alte Recht gilt. Denn der Auffangrechtserwerb nach
§ 111i Abs. 5 StPO nF hat trotz seiner Einfügung in
die Strafprozessordnung materiell-rechtlichen Charakter. Die
Feststellungsentscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO nF stellt
die Grundentscheidung für den Auffangrechtserwerb dar und
kommt somit einer aufschiebend bedingten Verfallsanordnung gleich. Eine
allein auf die Anordnung nach § 111i Abs. 3 StPO nF
(Aufrechterhaltung von der Rückgewinnhilfe dienenden
Maßnahmen für drei Jahre) gerichtete,
beschränkte Feststellungsentscheidung ist in
Altfällen ebenso wenig möglich (vgl. zum Ganzen,
Senatsbeschluss vom 19.2.2008 - 1 StR 503/07 und Urteil des 4.
Strafsenats vom 7.2.2008 - 4 StR 502/07 m.w.N.).
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf
Grund der Revisionsrechtfertigungen aus den in den Antragsschriften des
Generalbundesanwalts vom 28. November 2007 dargelegten Gründen
keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben
(§ 349 Abs. 2 StPO).
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Ergänzend bemerkt der Senat:
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a) Die Rüge - des Angeklagten K. - der Verletzung des
§ 243 Abs. 3 Satz 1 StPO (Nichtverlesung von Teilen des ihn
betreffenden Anklagesatzes) ist schon deshalb unbegründet, da
ein Verfahrensverstoß nicht vorliegt.
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In dem verbundenen Verfahren waren in der Hauptverhandlung vom
Staatsanwalt zwei Anklagesätze zu verlesen. Sie umfassten 30
beziehungsweise 34 Seiten. Jeweils 25 Seiten davon enthielten eine nach
Vermittlern geordnete tabellarische Aufstellung der den angeklagten
Taten zu Grunde liegenden Vertragsabschlüsse mit den Namen und
Anschriften der Geschädigten, dem Anlagebetrag, dem Tag des
Zahlungs-, ersatzweise des Vertragsabschlusses und einem Hinweis,
welchem der sieben Angeklagten der Abschluss strafrechtlich zuordenbar
sei. Diese Aufstellung war in Darstellung und Inhalt in beiden Anklagen
vollkommen identisch. Verlesen wurde diese Aufstellung deshalb nur mit
einem Anklagesatz. Die Verlesung des anderen Anklagesatzes
beschränkte sich auf die übrigen - von der anderen
Anklage inhaltlich abweichenden - reinen Textteile.
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Eine derartige Verfahrensweise ist dann rechtsfehlerfrei, wenn allen
Verfahrensbeteiligten - und für die Öffentlichkeit -
klar ersichtlich ist, dass die nur einmal verlesene
Geschädigtenliste beide Anklagen betrifft. Davon kann im
vorliegenden Fall ausgegangen werden. Ausweislich der
Sitzungsniederschrift hatten sich alle Verteidiger mit der Art und
Weise der Verlesung durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft
einverstanden erklärt. Die gestraffte Verlesungsform war also
Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung. Die
Bedeutung der nur einmal verlesenen Listen für beide Anklagen
war damit ins Bewusstsein aller gerufen worden.
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Die hier gewählte Art und Weise des Vortrags der
Anklagesätze stellte daher keinen unzulässigen
Verzicht auf die Verlesung des Anklagesatzes oder von Teilen hiervon
dar. Sie vermied lediglich eine zeitraubende Doppelverlesung, die
keinerlei Gewinn im Hinblick auf den Normzweck des § 243 Abs.
3 StPO (vgl. BGH NJW 2006, 3582 Rdn. 11, 45 ff. m.w.N.) mit sich
gebracht hätte.
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b) Der Fall gibt Anlass für folgenden Hinweis:
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Der nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO zu verlesende Anklagesatz
muss nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die Tat, die dem
Angeschuldigten zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die
gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden
Strafvorschriften bezeichnen.
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Die Anklage hat danach die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie
Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die
Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und
erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von
anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters
unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über
welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft
urteilen soll (Umgrenzungsfunktion, vgl. BGHSt 40, 390, 392).
Übertriebene Anforderungen dürfen an die
Konkretisierung der Tat aber nicht gestellt werden (Tolksdorf in KK 5.
Aufl. § 200 Rdn. 3). Zur Verdeutlichung und
ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes darf
deshalb auf das wesentliche Ermittlungsergebnis
zurückgegriffen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001,
656, 657). Darüber hinaus hat die Anklage auch die Aufgabe,
den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten
über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um
ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der An-
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klage erhobenen Vorwurf einzustellen (Informationsfunktion, vgl. BGHSt
40, 44, 47 f.; BGH NStZ 2006, 649, 650).
In Fallgestaltungen der vorliegenden Art - Vielzahl gleichartiger
Wirtschaftsstraftaten, namentlich Anlagebetrügereien -
genügt der Anklagesatz regelmäßig dann
sowohl der Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion, wenn
über die Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens und des
gesamten Tatzeitraums hinaus die gleichartigen Taten gruppiert
bezeichnet werden und wenn die Einzelheiten im wesentlichen
Ermittlungsergebnis detailliert (etwa tabellarisch) aufgelistet werden.
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Die Gruppierung kann die den jeweiligen Angeklagten betreffenden Taten
nach dem gruppenspezifischen Modus Operandi, Zeitraum, Tatort (in Form
des räumlichen Bereichs) und den Schadensgruppen
(höchster und geringster Einzelschaden sowie
durchschnittlicher Tatschaden) zusammenfassen. Die Angabe der Zahl der
Tatopfer reicht aus, wenn sich deren Individualisierung und die sie und
den jeweiligen Angeklagten betreffenden Taten aus dem wesentlichen
Ermittlungsergebnis unverwechselbar ergeben.
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Eine solchermaßen gruppierte Darstellung genügt
nicht nur der Umgrenzungs- und Informationsfunktion des Anklagesatzes,
sie wird beiden Funktionen bei der Verlesung in der Hauptverhandlung
eher gerecht als das manchmal stundenlange Vorlesen hunderter, zuweilen
tausender von Datensätzen, bei dem die Aufmerksamkeit der
Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit
regelmäßig rasch erlahmt.
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3. Der nur geringfügige Teilerfolg der Revisionen rechtfertigt
es nicht, die Beschwerdeführer - teilweise - von den durch ihr
Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (§
473 Abs. 4 StPO).
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Nack Kolz Hebenstreit
Elf Graf |