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BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - 4 StR 605/09


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 19.1.2010 - 4 StR 605/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 605/09
vom
19. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Januar 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der Sachrüge und beanstandet darüber hinaus das Verfahren.
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I.
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Einer Erörterung der erhobenen Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
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1. Das Landgericht hat nicht geprüft, ob der Angeklagte vom Versuch des Totschlags mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist (§ 24 StGB). Hierzu bestand nach den getroffenen Feststellungen Anlass:
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Am Abend des 11. Juli 2008 hielten sich die ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten, D. M. , und deren Tochter im Haus der Familie S. auf. Kurz nach Mitternacht verschaffte sich der Angeklagte gewaltsam Zutritt zum Haus. Unter lauten Beschimpfungen schlug der Angeklagte mit einer Axt zunächst auf den Kopf von D. M. ein, sodann auf den Kopf von C. S. . C. S. wurde daraufhin ohnmächtig. Während sich der Angeklagte erneut D. M. zuwandte, betrat U. S. das Wohnzimmer. Der Angeklagte hieb mit der Axt sofort auf den Kopf des Geschädigten S. ein und zerschlug dabei zwei Stühle, mit denen dieser den Angriff des Angeklagten abzuwehren versuchte. U. S. gelang schließlich die Flucht zum Nachbarhaus.
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2. Vor dem Hintergrund der Feststellungen bestand Anlass für die Prüfung der Frage, ob der Angeklagte vom unbeendeten oder beendeten Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs.1 Satz 1 StGB).
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a) Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227; 35, 90; 33, 295, 298; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 29). Ist dies der Fall, so ist der Versuch beendet und damit ein strafbefreiender Rücktritt durch bloßes Absehen von weiteren tatbestandsmäßigen Handlungen nicht möglich. Rechnet der Täter dagegen nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand (noch) nicht mit dem Eintritt des
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tatbestandsmäßigen Erfolges, und sei es auch nur in Verkennung der durch seine Handlung verursachten Gefährdung, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus der Sicht des Täters noch möglich ist (BGHSt 39, 221, 227), so dass die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung genügt.
b) Der neue Tatrichter wird die Rücktrittsvoraussetzungen - für jeden Geschädigten gesondert - unter Berücksichtigung der Vorstellungen des Angeklagten nach Abschluss der jeweils letzten konkret vorgenommenen Ausführungshandlung prüfen müssen, da sich die Gründe des angefochtenen Urteils dazu nicht verhalten. Dabei wird es hinsichtlich der Geschädigten C. S. auf die Vorstellungen des Angeklagten zu dem Zeitpunkt ankommen, in dem diese infolge seiner Axthiebe ohnmächtig wurde, woraufhin er von ihr abließ. Hätte er sich bei Aufgabe der weiteren Tatausführung hier keine Vorstellungen über die Folgen seines Angriffs auf die Geschädigte gemacht, kommt ein beendeter Versuch in Betracht (BGHSt 40, 304, 306). Was einen möglichen Rücktritt vom (unbeendeten) Versuch des Totschlags im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB zum Nachteil der D. M. angeht, als sich der Angeklagte von dieser Geschädigten ab- und dem U. S. zuwandte, wird das Landgericht insbesondere bedenken müssen, dass Strafbefreiung im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB den Entschluss des Täters voraussetzt, auf die weitere Durchführung der Tat im Ganzen und endgültig zu verzichten (BGHSt 7, 296, 297; 35, 184, 187). Nicht aufgegeben ist die Tat dagegen, solange der Täter mit dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend innehält (BGH, Urteil vom 1. April 2009 - 2 StR 571/08, NStZ 2009, 501). Im Hinblick auf den Geschädigten U. S. wird zu erörtern sein, ob der Angeklagte die Vorstellung hatte, er könne U. S. noch erreichen, als dieser sich nach der letzten Angriffshandlung des Angeklagten zur Flucht wandte, ob also aus seiner Sicht eine Vollendung noch möglich war. Anderenfalls und auch dann, wenn der Ange-
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klagte zu diesem Zeitpunkt davon ausging, der Geschädigte S. werde die Polizei alarmieren oder Hilfe holen, wird ein fehlgeschlagener Versuch in Betracht zu ziehen sein.
II.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass die bisher zur Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen und Bewertungen nicht geeignet sind, die Maßregelanordnung zu rechtfertigen.
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1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385 f.). Davon geht zwar auch das Landgericht aus. Es hat jedoch die erforderliche, objektiv festzustellende erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB (nur) vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens der akuten Alkoholintoxikation (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 2,31 ‰) mit einer - in den Urteilsgründen im Übrigen an keiner Stelle näher belegten - Alkoholabhängigkeit sowie einer wahnhaften Störung auf der Basis einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur bejaht. Die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB setzt aber voraus, dass der Ausschluss oder die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf einem länger andauernden psychischen Defekt des Täters beruht. Hat letztlich der Genuss von Alkohol seine Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat aufgehoben oder erheblich vermindert, so ist für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur Raum, wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder der Täter an einer länger dauernden
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krankhaften seelisch-geistigen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies im konkreten Fall getan haben (BGHSt 44, 338, 339; 44, 369, 373).
2. Rechtlichen Bedenken begegnet der Maßregelausspruch auch deshalb, weil sich das Landgericht nur unzureichend mit der Gefährlichkeitsprognose auseinandergesetzt hat. Insoweit beschränkt sich das Urteil auf die Feststellung, die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit ergebe sich aus den Ausführungen der forensisch-psychiatrischen Sachverständigen, wonach nicht nur die wahnhafte Störung vor dem Hintergrund einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur, sondern auch die Alkoholabhängigkeit beim Angeklagten untherapiert fortbestünden; Behandlungsangebote habe der vorläufig untergebrachte Angeklagte bislang nicht angenommen. Diese Erwägungen genügen unabhängig von der auch insoweit erforderlichen, hier aber fehlenden Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten (vgl. BGHSt 27, 246, 248) schon deshalb nicht, weil das Urteil nicht deutlich macht, jedenfalls aber nicht ausreichend mit Tatsachen belegt, dass bei dem Angeklagten die begründete Wahrscheinlichkeit weiterer (einschlägiger) Straftaten besteht (zum Maßstab vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 19). Dies gilt umso mehr, als (einschlägige) Vorstrafen des Angeklagten in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt werden und die Motivation zur Tat wesentlich in konstellativen Faktoren zu sehen ist, die dem persönlichen Lebensbereich des Angeklagten vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen mit seiner Lebensgefährtin zuzuordnen sind, die sich kurz zuvor von ihm getrennt hatte. Insoweit genügt die bloße Wiederholungsmöglichkeit ebenso wenig wie eine nur latente Gefahr weiterer Straftaten (Senatsbeschluss vom 8. Juli 1999 - 4 StR 283/99, NStZ 1999, 610). Auch die Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher er-
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neuter Prüfung, gegebenenfalls unter Einschaltung eines neuen Sachverständigen.
Tepperwien Maatz Solin-Stojanović
Ernemann Franke



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