BGH,
Beschl. v. 19.5.2009 - 3 StR 191/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 191/09
vom
19. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 19. Mai 2009 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf von 19. Dezember 2008 im
Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
Strafkammer des Landgerichts Krefeld zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 28. Februar 2008
wegen Totschlags und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren verurteilt und
außerdem Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf die Revision
des Angeklagten hob der Senat mit Beschluss vom 17. Juli 2008 (vgl.
NStZ-RR 2008, 335) diese Entscheidung im Rechtsfolgenausspruch mit den
Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung an das Landgericht zurück. Dieses hat den
Angeklagten nunmehr mit dem angefochtenen Urteil zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt und
erneut die Unterbringung in der Sicherungsver-
1
- 3 -
wahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit
seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten
Revision.
Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch Erfolg. Im
Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3
Satz 2 StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das
Landgericht hat bei der vorrangig anzustellenden Prüfung, ob
der Gefährlichkeit des Angeklagten nicht allein durch eine
andere Maßregel begegnet werden kann (§ 72 Abs. 1
StGB), dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64
StGB) mit rechtlich unzureichender Begründung abgelehnt.
3
a) Der u. a. wegen Gewaltdelikten vorbestrafte Angeklagte konsumierte
seit seiner Jugend bis zu seiner Festnahme in vorliegender Sache
regelmäßig und massiv Cannabis und Alkohol. Er hielt
sich seit Jahren im Obdachlosen- und Alkoholikermilieu auf.
Zeugenaussagen zufolge war er häufiger volltrunken.
Insbesondere unter dem Einfluss von Alkohol, allerdings auch in
nüchternem Zustand, kam es in der Vergangenheit zu vielfachen,
teils erheblichen gewaltsamen Übergriffen gegen seine
frühere Ehefrau, seine Stiefkinder und später gegen
seine Lebensgefährtin. Auch bei Begehung der vorliegenden
Taten war der Angeklagte erheblich alkoholisiert.
4
Das sachverständig beratene Landgericht hat in allen
Fällen rechtsfehlerfrei eine erheblich verminderte
Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB infolge
eines Zusammenwirkens der alkoholischen Beeinflussung bei Tatbegehung
und einer beim Angeklagten vorliegenden dissozialen
Persönlichkeitsakzentuierung nicht auszuschließen
vermocht. Die Voraussetzungen des § 64 StGB hat das
Landgericht abgelehnt. Es hat zunächst offen gelassen, ob beim
Angeklagten ein Hang zum übermäßigen Konsum
von Rauschmitteln vorliegt
5
- 4 -
und hat sodann - einen Hang unterstellend - in Übereinstimmung
mit der psychiatrischen Sachverständigen angenommen, dass
zwischen den abgeurteilten Taten und einem Hang des Angeklagten zu
übermäßigem Alkoholgenuss jedenfalls ein
symptomatischer Zusammenhang nicht bestehe. Die Taten gingen nicht auf
einen solchen Hang zurück, sondern seien vielmehr Ausdruck der
dissozialen Wesensart des Angeklagten.
b) Diese Begründung trägt das Absehen von einer
Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht. Bei seiner
Bewertung ist das Landgericht von einem zu engen und deshalb
rechtsfehlerhaften Verständnis von dem erforderlichen
symptomatischen Zusammenhang zwischen einem Hang zum
übermäßigen Konsum von Rauschmitteln und
der Anlasstat des Täters ausgegangen. Nach ständiger
Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige
Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein solcher
Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen
Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte
erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei
unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu
besorgen ist (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 78 f. m. w. N.).
6
So liegt es hier. Das Landgericht hat zur Begründung der
erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit auch auf die
Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit abgestellt, so dass sich
deren Mitursächlichkeit für die Begehung der Taten
von selbst versteht. Es drängt sich darüber hinaus
nach den vom Landgericht zum Konsumverhalten des Angeklagten
getroffenen Feststellungen auf, dass die zur Tatzeit vorliegende
Alkoholisierung des Angeklagten auf einen Hang zum
übermäßigen Konsum alkoholischer
Getränke zurückzuführen ist.
7
2. Erweist sich danach die Ablehnung einer Maßregelanordnung
nach § 64 StGB als rechtsfehlerhaft, so ist damit zugleich der
Unterbringung in der
8
- 5 -
Sicherungsverwahrung die Grundlage entzogen (§ 72 Abs. 1 Satz
1 StGB). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die
Strafkammer, wäre sie vom Vorliegen eines Hanges ausgegangen
und hätte sie den Anlasstaten Symptomwert für den
Hang zugeschrieben, nicht nur die Gefahrprognose, sondern auch eine
hinreichend konkrete Aussicht auf eine erfolgreiche Suchtbehandlung und
eine damit einhergehende deutliche Verringerung der
Tätergefährlichkeit bejaht hätte, zumal
zwischen der Persönlichkeitsakzentuierung des Angeklagten und
seinem Rauschmittelkonsum nach den Feststellungen durchaus
Wechselwirkungen bestehen.
3. Danach muss über die Frage der Maßregelanordnung
nach § 66 und § 64 StGB neu verhandelt und
entschieden werden. Der neue Tatrichter wird dabei zu beachten haben,
dass Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen
Maßregel zur kumulativen Anordnung von Maßregeln
führen (vgl. BGH StV 2007, 633).
9
Für die neue Hauptverhandlung wird es sich empfehlen, einen
anderen Sachverständigen beizuziehen.
10
- 6 -
4. Der Senat hat von § 354 Abs. 2 2. Halbs. StPO Gebrauch
gemacht und die Sache an ein anderes Landgericht
zurückverwiesen.
11
Becker Pfister Sost-Scheible
Hubert Schäfer |