BGH,
Beschl. v. 19.9.2000 - 4 StR 311/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 311/00
vom
19. September 2000
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19.
September 2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Saarbrücken vom 9. November 1999
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der
Angeklagte des Totschlags schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten am 4. Februar 1998 wegen Mordes
(Mordmerkmal: "niedrige Beweggründe") zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, daß seine Schuld
besonders schwer wiegt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat
das Urteil durch Beschluß vom 22. September 1998 (4 StR
376/98) mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zum
äußeren Tatgeschehen - aufgehoben und die Sache im
Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das
Landgericht zurückverwiesen.
Mit dem jetzt angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Angeklagten
erneut wegen Mordes verurteilt und eine lebenslange Freiheitsstrafe
verhängt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten,
mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat wiederum
im wesentlichen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen wollte sich die langjährige
Lebensgefährtin des Angeklagten, Maria S. , von dem
Angeklagten trennen. Als es dem - zur Tatzeit alkoholisierten -
Angeklagten bei einer Aussprache mit ihr nicht gelang, sie "dazu zu
bewegen, die Beziehung mit ihm fortzusetzen", nahm er seinen
Trommelrevolver und zwang sie mit vorgehaltener Waffe, sich zu
entkleiden. Er hielt sodann den geladenen Revolver an ihre rechte
Schläfe, spannte den Hahn der Waffe und drohte ihr, sie zu
erschießen, wenn sie nicht bei ihm bleibe. Als die Drohung
nicht die gewünschte Wirkung zeigte und Frau S.
sinngemäß sagte, "dann drück´
doch ab", tat er dies. Maria S. starb binnen weniger Minuten an den
Folgen des Kopfsteckschusses.
a) Zur inneren Tatseite hat das Landgericht nunmehr festgestellt,
daß der Angeklagte "aufgrund eines vorgefaßten
Tatplans bewußt und gewollt" geschossen hat, weil Frau S.
"auf seinen Wunsch, die Lebensgemeinschaft fortzusetzen, nicht
einging"; er habe die Trennung nicht akzeptiert, weil er
fürchtete, "dadurch die [gemeinsame] Tochter Nicole zu
verlieren" (UA 23/ 24).
b) Das Landgericht würdigt das Geschehen wiederum als
Tötung "aus niedrigen Beweggründen" und
begründet dies wie folgt (UA 27):
"Er [der Angeklagte] hat Frau S. vorsätzlich getötet,
um sich den weiteren Umgang mit der Tochter Nicole zu sichern. Er
wollte nicht akzeptieren, daß seine langjährige
Lebensgefährtin ihn verläßt, da er
fürchtete, daß ihm seine Tochter dadurch entfremdet
würde. Er ging davon aus, daß er Frau S. im Fall der
Trennung sowieso verlieren würde. Der Angeklagte hatte deshalb
eine "Güterabwägung" getroffen, wonach er Frau S. ,
sollte sie ihre Entscheidung nicht rückgängig machen,
das Lebensrecht absprechen wollte, um ohne ihren Einfluß mit
der Tochter verkehren zu können. Der Angeklagte hat seinen
Plan, nachdem Frau S. ein weiteres Zusammenleben mit ihm ablehnte,
bewußt und zielstrebig durch deren Tötung
realisiert. Seine Motive waren zutiefst verachtenswert, sein Handeln
stand auf sittlich niedrigster Stufe."
2. Die Revision beanstandet zwar zu Recht, daß nicht alle von
der Strafkammer im Urteil als "in Rechtskraft erwachsen" bezeichneten
Feststellungen von der Bindungswirkung des Senatsbeschlusses vom 22.
September 1998 erfaßt sind. Das Urteil beruht jedoch nicht
auf diesem Rechtsfehler; denn die Strafkammer hat selbst eine
umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt und betont,
daß sich die "bindenden Feststellungen ... auch in der
Beweisaufnahme vor der Kammer bestätigt haben" (UA 26).
3. Erfolg hat die Revision aber mit der Rüge, das Mordmerkmal
Tötung "aus niedrigen Beweggründen" sei nicht
festgestellt.
Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 22. September 1998
unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ausgeführt hat, hat die Beurteilung der
Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind, also nach
allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in
deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als
verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen,
aufgrund einer Gesamtwürdigung aller
äußeren und inneren für die
Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren
zu erfolgen. Dem wird die Würdigung des Landgerichts auch in
dem nunmehr angefochtenen Urteil nicht gerecht. Denn wenn - wovon das
Landgericht auszugehen scheint (s. UA 12, 16, 24/25), was jedenfalls zu
Gunsten des Angeklagten angenommen werden muß - der
Angeklagte (auch) zum Wohle des Kindes handeln wollte und er
begründeten Anlaß zu der Befürchtung hatte,
seine Tochter, die an ihm hing (UA 12, 25) und zu der er "eine
besonders starke Bindung" hatte (UA 24), werde ihm bei einer Trennung
"entfremdet", so handelte er objektiv nicht aus einer Gesinnung heraus,
die wertungsmäßig auf sittlich tiefster Stufe steht.
Ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn es dem Angeklagten
"allenfalls am Rande" um das Kindeswohl ging (vgl. BGH StV 1984, 72; s.
auch BGH NJW 1958, 189), kann dahinstehen; denn das ist nicht
festgestellt. Im übrigen belegen die Feststellungen auch
nicht, daß beim Angeklagten die subjektiven Erfordernisse des
angenommenen Mordmerkmals vorlagen (s. BGHR StGB § 211 Abs. 2
niedrige Beweggründe 13, 15, 26, 32; Lackner/Kühl
StGB 23. Aufl. § 211 Rdn. 5 b).
4. Da sich die Strafkammer rechtsfehlerfrei davon überzeugt
hat, daß der Angeklagte Frau S. vorsätzlich
getötet hat und nach zweimaliger Urteilsaufhebung durch den
Senat weitere Feststellungen, die eine Verurteilung wegen Mordes tragen
könnten, nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den
Schuldspruch dahingehend ab, daß der Angeklagte des
Totschlags schuldig ist. § 265 StPO steht dem nicht entgegen;
denn der Angeklagte wurde bereits darauf hingewiesen, daß
eine Verurteilung wegen Totschlags in Betracht kommen kann (Bl. 504
d.A.). Eine solche hatte die Staatsanwaltschaft auch beantragt (Bl. 875
d.A.). Außerdem hätte er sich gegen den
geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als bisher verteidigen
können.
5. Die Strafe muß neu festgesetzt werden. Der nunmehr
entscheidende Tatrichter wird hierbei insbesondere mildernd zu
berücksichtigen haben, daß die neue Verhandlung
bereits die sechste Hauptverhandlung in dieser Sache für den
Angeklagten ist und die Tat schon fünf Jahre
zurückliegt.
Die Zurückverweisung an ein anderes Landgericht (§
354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO) - wie von der Revision angeregt - kommt
nicht in Betracht, weil es im Saarland nur ein Landgericht (das
Landgericht Saarbrücken) gibt.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Athing Solin-Stojanovic |