BGH,
Beschl. v. 19.9.2000 - 4 StR 320/00
StGB §§ 55 Abs. 2, 69a
Ist bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung die in dem
früheren Urteil angeordnete Sperrfrist zur Erteilung der
Fahrerlaubnis durch die Festsetzung einer einheitlichen neuen
Sperrfrist "gegenstandslos" geworden, so ist, wenn im Rechtsmittelzug
die Verurteilung wegen der Anlaßtat entfällt und der
Maßregelausspruch deshalb aufgehoben wird, auszusprechen,
daß die früher erkannte Maßnahme
aufrechterhalten bleibt.
BGH, Beschluß vom 19. September 2000 - 4 StR 320/00 -
Landgericht Mosbach
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 320/00
vom
19. September 2000
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19.
September 2000 gemäß §§ 154 Abs.
2, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird gemäß § 154 Abs. 2
StPO eingestellt, soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger
Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren
ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist. Insoweit werden die Kosten
des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der
Staatskasse auferlegt.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mosbach vom 27. April 2000
a) dahin geändert, daß der Angeklagte wegen schwerer
räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Strafe aus dem
Urteil des Amtsgerichts Buchen vom 15. November 1999 (Cs 25 Js 6347/99
AK 447/99) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und einem
Monat verurteilt wird,
b) im Maßregelausspruch aufgehoben sowie
c) dahin ergänzt, daß die im Urteil des Amtsgerichts
Buchen angeordnete Sperrfrist für die Erteilung einer
Fahrerlaubnis aufrechterhalten wird.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
4. Der Angeklagte trägt die übrigen Kosten seines
Rechtsmittels.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
räuberischer Erpressung und wegen fahrlässiger
Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren
ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und
zwei Monaten verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen,
dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu
erteilen. In die Gesamtstrafe einbezogen wurde die vom Amtsgericht
Buchen durch Urteil vom 15. November 1999 wegen vorsätzlicher
Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren
ohne Fahrerlaubnis verhängte Freiheitsstrafe von sechs
Monaten. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die
Verletzung sachlichen Rechts.
1. Der Senat stellt auf Antrag des Generalbundesanwalts das Verfahren
gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der
Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in
Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis
verurteilt worden ist. Insoweit könnte der Senat den
Schuldspruch nicht bestätigen, weil die bisher getroffenen
Feststellungen eine rauschmittelbedingte ("relative")
Fahruntüchtigkeit im Sinne des § 316 Abs. 1 StGB
nicht belegen. Daß der Angeklagte "am Abend" des Vortages
eine "nicht mehr feststellbare Anzahl" benzodiazepinhaltiger Tabletten
eingenommen hat, genügt zur sicheren Feststellung,
daß der Angeklagte bei der Fahrt mit seinem Motorrad am
Morgen des folgenden Tages nicht mehr in der Lage war, "das Fahrzeug
sicher zu führen", nicht. Feststellungen zu
Auffälligkeiten des Angeklagten bei der Fahrt selbst oder in
unmittelbarem Zusammenhang damit nach Abstellen des Krades fehlen (vgl.
BGHSt 44, 219, 225 f.). Die allenfalls vage, zudem nicht
ausschließbar von dem Bemühen,
Schuldmilderungsgründe für den anschließend
begangenen Überfall vorzubringen, getragene Angabe des
Angeklagten, er sei den gesamten Vormittag über "benebelt"
gewesen (UA 6), vermag diese Feststellungen nicht zu ersetzen. Was die
Sachverständige ausgeführt hat, erschöpft
sich nach dem Inhalt des Urteils im wesentlichen in einer allgemeinen
Beschreibung der Auswirkungen der Einnahme benzodiazepinhaltiger
Medikamente. Auch das genügt nicht (BGHSt aaO S. 226; vgl.
ferner Senatsbeschluß vom 25. Mai 2000 - 4 StR 171/00).
Schließlich teilt das Urteil nicht einmal mit, ob dem
Angeklagten eine Blutprobe entnommen wurde. Deshalb kann der Senat auch
nicht überprüfen, ob das Landgericht zu Recht von
einer "hohen Wirkstoffkonzentration der sedierenden
Medikamentenwirkstoffe" (UA 6 f.) ausgegangen ist und welche
Rückschlüsse sich daraus für den
Fahrtzeitpunkt ergeben.
Eine Zurückverweisung und Neuverhandlung der Sache allein
wegen dieses Tatvorwurfs, die auch die erneute Hinzuziehung eines
Sachverständigen erforderlich machte, erscheint dem Senat aus
den in § 154 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StPO genannten
Gründen nicht sachdienlich.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben, soweit er wegen schwerer räuberischer
Erpressung zur Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt ist. Doch
macht der Wegfall der von der Einstellung gemäß
§ 154 Abs. 2 StPO betroffenen Einzelfreiheitsstrafe von drei
Monaten die Aufhebung und Neufestsetzung der Gesamtstrafe erforderlich.
Diese kann der Senat hier in entsprechender Anwendung des §
354 Abs. 1 StPO selbst vornehmen. Angesichts der vom Landgericht auf
vier Jahre zwei Monate festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe und der
Höhe der Einsatzstrafe von vier Jahren kann der zu Gunsten des
Angeklagten berücksichtigte Wegfall der dreimonatigen
Freiheitsstrafe unter Beachtung der Grundsätze der
§§ 39 2. Halbsatz, 54 Abs. 1 Satz 2 StGB zu keiner
niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe als vier Jahre und einen Monat
führen. Diese hat der Senat deshalb festgesetzt.
3. Die Teileinstellung des Verfahrens entzieht auch der auf den
Tatvorwurf nach § 316 Abs. 2 StGB gestützten
Anordnung der Sperrfrist nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB die
Grundlage; auf die verbleibende Straftat der schweren
räuberischen Erpressung läßt sich unter den
festgestellten Umständen, die Annahme, der Angeklagte sei zum
Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, nicht stützen.
Der Senat ändert deshalb den Maßregelausspruch dahin
ab, daß an die Stelle der Anordnung einer Sperre von zwei
Jahren der Ausspruch tritt, daß die Anordnung der Sperre im
Urteil des Amtsgerichts Buchen aufrechterhalten bleibt.
Bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach §
55 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter, wenn in der früheren
Entscheidung eine Sperre gemäß § 69a StGB
bestimmt war und der Angeklagte erneut wegen einer Straftat verurteilt
wird, die seine fehlende Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen erneut belegt, eine neue einheitliche Sperre
festzusetzen (OLG Köln VRS 61, 348 f; Hentschel Trunkenheit
Fahrerlaubnisentziehung Fahrverbot 8. Aufl. Rdn. 741 m.w.N.), die dann
die alte Sperre gegenstandslos werden läßt. Davon
ausgehend hat das Landgericht die Verurteilung des Angeklagten wegen
fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu Recht zum
Anlaß genommen, eine neue, einheitliche Sperre zu bestimmen,
wobei es freilich den gebotenen Ausspruch über die Anrechnung
des Ablaufs der früheren Sperrfrist versäumt hat.
Bietet die neu abzuurteilende Tat keine Grundlage für die
Anordnung einer Sperre, so muß die frühere Sperre,
wenn die Frist nicht schon abgelaufen ist, bei der
nachträglichen Gesamtstrafenbildung aufrechterhalten bleiben.
Dies ergibt sich unmittelbar aus § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB, der
damit die Bindung des für die nachträgliche
Gesamtstrafenbildung zuständigen Gerichts an die Rechtskraft
der früheren Entscheidung zum Ausdruck bringt (BGH NStZ 1992,
231), und ist auch dann zu beachten, wenn im Rechtsmittelverfahren als
Folge einer Beschränkung des Schuldspruchs - wie sie hier als
Konsequenz der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO vorzunehmen
war - die Anlaßtat wegfällt und die noch
verbleibenden Taten die Anordnung einer Maßnahme nach den
§§ 69, 69a StGB nicht rechtfertigen können.
In einem solchen Fall kann die Festsetzung der neuen Sperrfrist im
angefochtenen Urteil keinen Bestand haben; an ihre Stelle muß
der Ausspruch treten, daß die im früheren Verfahren
festgesetzte Sperre - hier die vom Amtsgericht Buchen bestimmte -
aufrechtzuerhalten ist. Dieser Ausspruch obliegt, weil zwingend, im
Revisionsverfahren entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dem
Revisionsgericht selbst.
Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) steht
hier nicht entgegen. Bei dem Vergleich, den die Beachtung dieses
Verbots verlangt, sind gegenüberzustellen der Nachteil, der
den Angeklagten träfe, wenn es bei der von der Vorinstanz
festgesetzten neuen Sperrfrist verbliebe, und derjenige, der ihn als
Folge des Ausspruchs trifft, daß die im früheren
Verfahren angeordnete Sperre - bei Wegfall der neuen Sperre -
aufrechterhalten bleibt. Da die im früheren Verfahren
angeordnete Sperrfrist 14 Monate (beginnend mit der Rechtskraft des
Urteils des Amtsgerichts Buchen) beträgt und das angefochtene
Urteil eine Sperrfrist von zwei Jahren bestimmt hat, gereicht die
Änderung des Maßregelausspruchs dahin, daß
an die Stelle der Anordnung der neuen Sperrfrist die Aufrechterhaltung
der alten tritt, dem Angeklagten nur zum Vorteil.
4. Der gemessen an den gesamten Rechtsfolgen geringfügige
Erfolg des Rechtsmittels gibt dem Senat keinen Anlaß, den
Angeklagten teilweise von den Kosten und Auslagen freizustellen
(§ 473 Abs. 4 Satz 1 StPO).
Meyer-Goßner Maatz Tolksdorf
Athing Solin-Stojanovic |