BGH,
Beschl. v. 19.9.2000 - 5 StR 404/00
5 StR 404/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 19. September 2000
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. September 2000
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 5. April 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit
mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten
ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO,
soweit das Rechtsmittel sich gegen den Schuldspruch und die
Einziehungsanordnung richtet. Jedoch kann der Strafausspruch aus
sachlichrechtlichen Gründen keinen Bestand haben.
I.
Der wegen vieler vorsätzlicher Körperverletzungen,
vor langer Zeit auch wegen Sexualdelikten bestrafte, bargeldlose
Angeklagte bestellte sich über eine Agentur telefonisch eine
Prostituierte in seine Wohnung, um sich sexuelle Dienste "kostenlos,
gegebenenfalls unter Anwendung von Gewalt, gewähren zu
lassen." Es erschien die Nebenklägerin, die zunächst
eine Entgeltzahlung in Höhe von 200,- DM im voraus verlangte.
Durch erhebliche Schläge, Bedrohung mit einem Teppichmesser
und das Ausreißen von Haarbüscheln erzwang der
Angeklagte im Wechsel zweimal ungeschützten Oralverkehr
(fellatio), zweimal Beischlaf unter Verwendung eines Kondoms und
schließlich schmerzhaften Analverkehr, bei dem er der
Nebenklägerin ein Kissen in das Gesicht drückte. Zum
Samenerguß kam es nicht. Schließlich zwang der
Angeklagte die Nebenklägerin zur Säuberung des WC.
II.
Trotz des erheblichen Gewichtes der Tat und der Vorbelastung des
Angeklagten, sämtlich vom Landgericht ohne Rechtsfehler in die
Strafzumessung eingestellt, ist die verhängte Freiheitsstrafe
von 13 Jahren derart hoch, daß sie ihrer Aufgabe, gerechter
Schuldausgleich zu sein (BGHSt 34, 345, 349), nicht mehr entspricht.
III.
Für die neue Entscheidung über die Strafe bemerkt der
Senat folgendes:
1. Im Rahmen der nach § 46 Abs. 1 und 2 StGB gebotenen
umfassenden Gesamtwürdigung wird auch der Gesichtspunkt zu
berücksichtigen sein, daß die Nebenklägerin
grundsätzlich zu sexuellen Handlungen mit dem Angeklagten
gegen Entgelt bereit war, wenngleich sich dies - wie vom
Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hervorgehoben -
nicht etwa auf alle erzwungenen Sexualpraktiken bezog. Mag auch die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu diesem Fragenkomplex - weil
jeweils an andere tatrichterliche Formulierungen anknüpfend -
uneinheitlich sein (einerseits BGH bei Dallinger MDR 1973, 555; BGH StV
1995, 635; 1996, 26; BGH, Beschluß vom 3. Januar 1995 - 4 StR
723/94 -; BGH, Beschluß vom 10. August 1995 - 4 StR 452/95 -;
andererseits BGH bei Dallinger MDR 1971, 895; BGH NStZ-RR 1998, 326;
BGH, Urteil vom 16. August 2000 - 2 StR 159/00 -), so bleibt doch
folgendes festzuhalten: Im kriminologischen Gesamtspektrum der - auch
qualifizierten - Vergewaltigungstaten besteht eine Polarität
und ist dementsprechend bei der Strafzumessung eine Differenzierung
geboten zwischen Taten gegen Frauen, die sich dem Täter zu -
gegebenenfalls entgeltlichen - sexuellen Handlungen anbieten, und Taten
gegen Opfer, die dem Täter keinerlei Anlaß zu der
Annahme geben, sie wären zu sexuellem Kontakt bereit.
2. Der neue Tatrichter sollte auch Erwägungen (wie etwa UA S.
20) vermeiden, die die Besorgnis wecken könnten, er gehe etwa
von einem linearen Verhältnis zwischen Tatschwere und
Tatschuld einerseits und der innerhalb des gegebenen Strafrahmens
festzusetzenden Strafe andererseits aus (vgl. BGHSt 34, 355, 359 f.
m.N.; BGH NStZ 1983, 217).
Harms Häger Tepperwien
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