BGH,
Beschl. v. 2.12.2004 - 3 StR 273/04
Nachschlagewerk: ja
BGHSt:
ja
Veröffentlichung: ja
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StPO § 354 Abs. 1 a
Zur Auslegung von § 354 Abs. 1 a StPO.
BGH, Beschluß vom 2. Dezember 2004 - 3 StR 273/04 - LG Kiel
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 273/04
vom
2. Dezember 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbun-
desanwalts - zu 1. a) mit seiner Zustimmung und zu 2. auf seinen Antrag
- und
des Beschwerdeführers am 2. Dezember 2004
gemäß § 154 a Abs. 1 Satz 1
Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 a
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird
a) die Verfolgung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO
auf den Vorwurf
des Betrugs beschränkt,
b) das Urteil des Landgerichts Kiel vom 5. März 2004 im
Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte des Be-
trugs schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verwor fen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tra-
gen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in Tateinheit mit
Beihilfe zur Untreue zu einer Gesamtgeldstrafe von 240
Tagessätzen zu je 500
Euro verurteilt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision
eingelegt. Er r ügt
die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet das Verfahren.
1. Der Senat hat die Verfolgung gemäß § 154
a Abs. 2 StPO mit Zu-
stimmung des Generalbundesanwalts auf den Vorwurf des Betrugs beschr
änkt
und den Schuldspruch entsprechend geändert. Hinsichtlich der
verbleibenden
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Verur teilung wegen Betr ugs hat die Nachprüfung des Ur teils
aufgrund der Re-
visionsrechtfertigung keinen zur Aufhebung des Urteils
führenden Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Der Strafausspruch kann ungeachtet der Änderung des Schuld-
spruchs bestehen bleiben. Er beruht zwar auf der (weggefallenen) Ver
urteilung
wegen tateinheitlich begangener Beihilfe zur Untreue. Das
Landgericht hat
ausdrücklich zu Lasten des Angeklagten
berücksichtigt, daß er "mit der Beihilfe
zur Untreue einen weiteren Straftatbestand erfüllt hat".
Angesichts dessen
kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden,
daß die
Strafkammer, auch wenn die verhängte Strafe
äußerst milde ist, auf der Grund-
lage des geänderten Schuldspruchs auf eine noch geringere
Strafe erkannt
hätte.
a) Einer Aufhebung des Strafausspr uchs bedar f es gleichwohl
nicht, weil
die verhängte Rechtsfolge - auch nach Wegfall der
tateinheitlichen Verurtei-
lung wegen Beihilfe zur Untreue - im Sinne des § 354 Abs. 1 a
Satz 1 StPO
(eingeführt durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der
Justiz vom
24. August 2004 BGBl I 2198, 2300) angemessen ist.
§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO erlaubt - nach seinem Wortlaut -
das Abse-
hen von der Aufhebung des angefochtenen Urteils lediglich "wegen einer
Ge-
setzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen". Das
könnte dafür
sprechen, daß nach dieser Vorschrift nur verfahren werden
kann, wenn ein
Rechtsfehler ausschließlich bei der Zumessung der Strafe
aufgetreten ist, die
Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch hingegen keinen
Rechtsfehler er-
geben hat und dieser unverändert bestehen bleibt.
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Eine derartige Auslegung ist allerdings vom Wortlaut der Vorschrift
nicht
geboten. Sie würde zudem ihren Anwendungsbereich den
Intentionen des Ge-
setzes zuwider beschränken. Mit der Wendung "wegen einer
Gesetzesverlet-
zung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen" will das Gesetz erreichen,
daß das
Revisionsgericht abschließend in der Sache entscheiden kann,
wenn eine Ge-
setzesverletzung nur zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs
führen wür-
de. Erklärtes Ziel der gesetzlichen Neuregelung ist es, zum
Zwecke der Res-
sour censchonung und der Verfahrensbeschleunigung
Zurückverweisungen an
die Vorinstanz wegen Rechtsfehlern bei der Zumessung der Rechtsfolge
nicht
nur in den Fällen zu vermeiden, in denen das
Revisionsgericht ausschließen
kann, daß die konkret verhängte Strafe auf dem vom
Tatr ichter bei der Straf-
zumessung begangenen Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
Vielmehr
soll das Urteil auch dann rechtskräftig werden, wenn das
Revisionsgericht die
verhängte Strafe tr otz des Rechtsfehlers bei ihrer Zumessung
im Ergebnis für
angemessen erachtet, selbst wenn nicht festgestellt werden kann,
daß der Tat-
richter ohne den Fehler auf dieselbe Strafe erkannt hätte
(vgl. BTDrucks.
15/3482 S. 21 f.).
Das Gesetz hat also - ergänzend zu dem nach wie vor
möglichen Blick
auf die hypothetische Entscheidung des Tatrichters - die Angemessenheit
der
Rechtsfolge zum Maßstab gemacht und insofern dem
Revisionsgericht die Be-
fugnis zu eigener Bewertung eingeräumt. Daß die
dadurch bezweckte Auswei-
tung des Kreises der r evisionsr echtlich im Ergebnis unbeachtlichen
Rechtsfeh-
ler nur beschränkt wirksam wer den sollte,
läßt sich den Gesetzesmater ialien
nicht entnehmen. Insbesondere ergibt sich aus ihnen nicht,
daß bei Rechtsfeh-
lern, die zu einer Änderung des (in der geänderten
Fassung rechtskräftig wer-
denden) Schuldspruchs führen, die Revision zwar nach
Maßgabe der Ber u-
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hensprüfung verworfen werden kann, für eine eigene
Bewertung der Angemes-
senheit durch das Revisionsgericht aber generell kein Raum sein soll.
Ein solches Ergebnis wäre auch sinnwidrig. Es liegt auf der
Hand, daß
das Gewicht eines Umstands, den der Tatrichter dem Angeklagten
rechtsfeh-
lerhaft strafschärfend anlastet - objektiv und in der tatr
ichterlichen Bewertung -
nicht notwendig davon abhängt, ob er zugleich den Schuldspruch
berührt und
dessen Änderung erforderlich macht. Im Gegenteil: Die
Berücksichtigung etwa
einer einschlägigen Vorstrafe, die dem Angeklagten nicht
hätte strafschärfend
vorgeworfen werden dürfen, weil das Urteil erst nach der
nunmehr abzuurtei-
lenden Tat gesprochen worden ist, hat erkennbar
größeres Gewicht für die
Strafzumessung als die einer Bagatelltat, die der Tatrichter als
tateinheitlich mit
einem schweren Delikt begangen ausgeurteilt hat und das
Revisionsgericht
aus dem Schuldspruch herausnimmt. Es ist kein Grund er sichtlich, warum
die
Bejahung der Angemessenheit der Rechtsfolge durch das Revisionsgericht
entsprechend der gesetzgeberischen Zielsetzung nur im ersten Fall die
Zu-
rückverweisung entbehrlich machen soll, im zweiten Fall
hingegen nicht. Eine
solche Differenzierung leuchtet unabhängig davon nicht ein, ob
das Revisions-
ger icht sich zu einer entsprechenden Änderung des
Schuldspruchs veranlaßt
sieht, weil die Feststellungen die Verurteilung wegen des Delikts nicht
tragen
und keine weiteren Feststellungen zu er warten sind, oder ob es die
Verfolgung
- wie hier - nach § 154 a Abs. 2 StPO beschränkt und
den Schuldspr uch nur
deswegen entsprechend ändert.
Gegen diese Auslegung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO kann
nicht
überzeugend eingewendet werden, daß sie die - nach
wie vor - in erster Linie
dem Tatr ichter anvertraute Aufgabe der Rechtsfolgenbestimmung,
insbesonde-
re der Strafzumessung, in unvertretbarem Umfang auf das Revisionsgericht
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überträgt. Denn zum einen wir d sich bei einer
gravierenden Änderung des
Schuldspruchs die verhängte Rechtsfolge in aller Regel nicht
mehr als ange-
messen darstellen. Zum anderen ist das Revisionsgericht aber auch nicht
zwin-
gend gehalten, von der Aufhebung des Strafausspruchs abzusehen, wenn es
die verhängte Rechtsfolge ungeachtet der Änderung des
Schuldspruchs für
angemessen hält. Die Entscheidung ist vielmehr
ausdrücklich in das Er messen
des Revisionsgerichts gestellt. Ob es von der Möglichkeit,
nach § 354 Abs. 1 a
Satz 1 StPO zu verfahren, Gebrauch macht, wird vom Umfang und der Erheb-
lichkeit der Abänderung des Schuldspruches abhängen.
Jedenfalls in Fällen, in
denen die abgeurteilte Straftat als Folge der
Schuldspruchänderung ein ande-
res Gepr äge erfährt, wird sich - mit Blick auf den
Vorrang der tatrichterlichen
Entscheidung - die Aufhebung des Strafausspruchs
regelmäßig auch dann
empfehlen, wenn das Revisionsgericht die Strafe im Ergebnis
für angemessen
erachtet.
b) Der Senat hält die vom Landgericht hier ausgesprochene
Strafe - in
der nach seiner Auslegung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO
für erforderlich ge-
haltenen Einstimmigkeit - im Sinne dieser Vorschrift für
angemessen.
aa) Daß die Bejahung der Angemessenheit der
verhängten Rechtsfolge
und das Absehen von der Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs
gemäß
§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO in den Fällen einer
Entscheidung im Beschlußver-
fahren Einstimmigkeit voraussetzt, ergibt sich aus dem Umstand,
daß es sich
inhaltlich um eine Verwerfung der Revision gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO handelt
(vgl. BTDrucks. 15/3482 S. 22). Welches Quor um für eine
Entscheidung auf-
grund einer Hauptverhandlung gilt (§ 196 Abs. 1 GVG oder
- naheliegender
Weise - § 263 Abs. 1 StPO), braucht hier nicht entschieden zu
werden.
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Eines speziellen Antrags der Staatsanwaltschaft, nach § 354
Abs. 1 a
Satz 1 StPO zu verfahren, bedarf es nicht. Das folgt im
Umkehrschluß aus
§ 354 Abs. 1 letzter Halbsatz und § 354 Abs. 1 a Satz
2 StPO.
bb) Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs.
1 a
StPO angesehen werden kann - was bei einer Angeklagtenr evision im
Hinblick
auf § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO auch dann der Fall ist, wenn der
Tatrichter eine
unverständlich milde Strafe verhängt hat - hat das
Revisionsger icht auf der
Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter
Berücksichti-
gung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller
nach § 46 StGB
für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu
beurteilen.
Hier erweist sich die vom Landgericht festgesetzte Geldstrafe von 240
Tagessätzen - nach Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung
wegen Beihilfe
zur Untreue - schon deswegen als angemessen im Sinne des § 354
Abs. 1 a
StPO, weil sie als Sanktion für einen Betrug mit einem Schaden
von weit über
drei Millionen Deutsche Mark, zumal mit Blick auf die
Intensität der Beteiligung
des Angeklagten, auch unter Berücksichtigung
sämtlicher zu seinen Gunsten
zu bedenkenden und vom Landgericht tatsächlich bedachten
Umstände außer-
gewöhnlich, wenn nicht unvertretbar milde erscheint. Das gilt
auch angesichts
der rechtsstaatswidrigen Ver fahrensverzögerung, die das
Landgericht im übri-
gen mit einer angenommenen Dauer von sechs Jahren
überhöht in Ansatz ge-
bracht haben dürfte und entsprechend den Vorgaben des
Bundesverfassungs-
ger ichts (BVerfG NJW 2003, 2897; vgl. auch BGHSt 46, 160) kompensiert
hat.
Tolksdorf
Miebach
von Lienen
Becker
Hubert
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