BGH,
Beschl. v. 2.2.2000 - 1 StR 597/99
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 597/99
vom
2. Februar 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Veruntreuens von Arbeitsentgelt u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Februar 2000
beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Coburg vom 14. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben (§
349 Abs. 4 StPO).
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Die Angeklagten wurden jeweils wegen Veruntreuung von Arbeitsentgelt in
35 Fällen (§ 266a Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit
Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung in
größerem Umfang (§ 407 Abs. 1 Nr. 1 SGB
III) zu zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen verurteilt.
Ihre Revisionen haben mit der Sachrüge Erfolg.
1. Folgendes ist festgestellt:
a) Die Angeklagten waren die Verantwortlichen der türkischen
T. AG mit Niederlassung in W. , die im Rahmen der
Werkvertragskontingentregelung zwischen der Bundesrepublik und der
Türkei insbesondere der Baufirma D. in W. türkische
Bauarbeiter zur Verfügung stellte.
b) Die Möglichkeiten dieser Regelung reichten für den
Arbeitskräftebedarf der Fa. D. nicht aus. Da
Selbständige nicht unter diese Regelung fallen, wollten die
Angeklagten nach anwaltlicher Beratung eine Gesellschaft mit
türkischen Bauarbeitern als Gesellschafter gründen.
Dies schrieb der Angeklagte Tu. Y. am 21. März 1995 dem
Landratsamt - Ausländeramt - Lichtenfels und bat um
"Überprüfung der diesbezüglichen
Möglichkeiten". Ausweislich des Schreibens sollte durch die
Gesellschaftsgründung erreicht werden, daß die
Arbeiter "einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis mit
selbständiger Erwerbstätigkeit stellen
können, so daß diese Arbeiter mit diesem Visum
uneingeschränkt für uns bzw. die Fa. D.
tätig sein können".
Die Firma D. bat das Landsratsamt mit Schreiben vom 23. März
1995, "den Antrag der Fa. T. , Facharbeiter zu stellen, zu bewilligen".
Sie brauche für ihre Baustellen kurzfristig Maurer,
Betonbauer, Schaler, Putzer und Pflasterer.
c) Gegenüber dem Landratsamt äußerten sich
auf dessen Anfrage die IHK Bayreuth und das Arbeitsamt Coburg.
Während die IHK Bayreuth dem Anliegen der Fa. T. positiv
gegenüberstand, brachte das Arbeitsamt Coburg mit
längeren, auch auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
gestützten rechtlichen Ausführungen Bedenken zum
Ausdruck: Aus den Schreiben vom 21. und 23. März 1995 gehe
hervor, daß nicht selbständige sondern
Arbeitnehmertätigkeit geplant sei.
d) Was das Landratsamt in den nächsten Monaten den Angeklagten
mitteilte, ergeben die Urteilsgründe nicht. Jedoch errichteten
der Angeklagte Ta. Y. und 29 türkische Bauarbeiter durch
notariellen Vertrag vom 19. November 1995 die Y. & Co
Bauunternehmung in W. . Ihr Gegenstand war "die Erbringung von
Werkleistungen auf dem Gebiet des Hoch-, Tief- und Ausbaus und
artverwandte Leistungen". Kein Gesellschafter außer Ta. Y.
war vertretungsberechtigt. Durch weiteren notariellen Vertrag vom 7.
Januar 1996 traten weitere acht türkische Bauarbeiter als
Gesellschafter ein, zwei traten aus. Tu. Y. gehörte der
Gesellschaft nicht an, hatte aber bestimmenden Einfluß.
e) Er legte die Verträge dem Landratsamt vor. Der
Sachbearbeiter R. hatte Bedenken gegen die Erteilung von
Aufenthaltsgenehmigungen und wandte sich an den Regierungsdirektor Ri.
, der die Genehmigungen mit folgender Auflage erteilte: "Gilt nur
für die Ausübung der selbständigen
Tätigkeit als Gesellschafter innerhalb der GdbR Fa. Y.
& Co, W. , zum Zwecke der Erbringung von Werkleistungen
für die Fa. D. ,
W. ". Die Auffassung des Arbeitsamts Coburg ließ er
außer Betracht, da dies "nach den Richtlinien des
Innenministeriums am Verwaltungsverfahren nicht zu beteiligen gewesen
sei".
f) Zwischen April und September 1996 setzten die Angeklagten die
Gesellschafter so ein, wie Bauarbeiter üblicherweise
eingesetzt werden. Sie zahlten ihnen Gewinnanteile in Höhe des
Tariflohns für Bauarbeiter. Bei Lohnzahlungen in gleicher
Höhe wären Sozialabgaben von insgesamt 118.000 DM
angefallen.
2. Die Angeklagten haben fehlendes Unrechtsbewußtsein geltend
gemacht. Ihnen sei "signalisiert worden, daß der von ihnen
eingeschlagene Weg rechtlich zulässig sei".
3. Das Landgericht geht von einem Verbotsirrtum aus, den die
Angeklagten jedoch hätten vermeiden können
(§ 17 Satz 2 StGB). Sie hätten sich nicht auf die
Aufenthaltsgenehmigungen verlassen dürfen, sondern
hätten bei der Arbeits- oder Sozialverwaltung nachfragen
müssen. Das Landratsamt hätte dem von ihnen erweckten
Eindruck, die türkischen Bauarbeiter sollten
selbständige Tätigkeit ausüben, vertraut.
Darüber hinaus stehe in einem von "T." Y. - welcher Angeklagte
das ist, bleibt letztlich offen - unterschriebenen Brief vom 16. Mai
1997 an die Fa. D. , es seien Leistungen "entgegen gültigem
Recht" ausgeführt worden. Schließlich
hätten sie auch die AOK Lichtenfels getäuscht; dieser
hatten sie "unrichtig angegeben, daß die
´Gesellschafter´ Arbeitnehmer der T. AG sind und
daher eine Absicherung über die SSK" - Türkische
Krankenversicherung - "besteht". All dies belege, daß sie
schuldhaft gehandelt hätten.
4. Diese Erwägungen sind in ihrem Ansatz
widersprüchlich.
a) Eine auf einer Täuschung durch den Anfrager basierende
Auskunft könnte keinen Verbotsirrtum begründen, da
der Anfrager dann weiß, daß das, was er tut, nicht
dem entspricht, wozu er eine Auskunft erhalten hat.
b) Ebensowenig läge ein Verbotsirrtum vor, wenn die
Angeklagten unabhängig vom Verhalten des Landratsamts ihr
Verhalten für verboten gehalten hätten.
In all diesen Fällen wären die Angeklagten aber von
der Annahme eines - auch vermeidbaren - Verbotsirrtums nicht beschwert.
5. Die Annahme, die Angeklagten hätten das Landratsamt
getäuscht
oder sonst das Verbotene ihres Tuns erkannt, wird jedoch von den
Feststellungen nicht getragen:
a) Selbst wenn das Landratsamt - im Gegensatz zum Arbeitsamt, das mit
den Briefen vom 21. und 23. März 1995 keine andere
Erkenntnisgrundlage hatte - über die vorgesehene
Tätigkeit der Bauarbeiter geirrt hat, so ist nicht
ersichtlich, daß dieser Irrtum auf dem Verhalten der
Angeklagten beruhte. Diese haben gegenüber dem Landratsamt
weder ausdrücklich unwahre Tatsachen erklärt, noch
wesentliche Tatsachen verschwiegen. Ein nicht auf den Anfrager
zurückgehender behördlicher Irrtum kann sich nicht zu
dessen Lasten auswirken.
b) Hinsichtlich des Briefs vom 16. Mai 1997 ist über die
genannte Passage hinaus nichts mitgeteilt. Selbst wenn sich die
Leistungen entgegen gültigem Recht auf das Verhalten der
Angeklagten im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsvertrag beziehen
sollten, so erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß
etwaige entsprechende Erkenntnisse der Angeklagten zur Tatzeit noch
nicht vorlagen, sondern Ergebnis der zwischenzeitlich gegen sie
eingeleiteten Ermittlungen waren. Damit hätte sich die
Strafkammer auseinandersetzen müssen.
c) Auch zu der genannten Angabe gegenüber der AOK Lichtenfels
ist näheres nicht mitgeteilt. Vor allem deckt sich diese im
Rahmen der rechtlichen Würdigung getroffene Feststellung aber
nicht mit dem Inhalt der im Rahmen der Beweiswürdigung
mitgeteilten Aussagen des Zeugen A. von der AOK Lichtenfels, die zu
alledem nichts enthält, sondern nur die rechnerischen
Grundlagen zur festgestellten Höhe der
nichtabgeführten Sozialabgaben betrifft.
Mitgeteilt ist demgegenüber die Aussage des Zeugen K. von der
AOK Burgkunstadt, der bekundet hat, daß für die
Gesellschafter "entsprechende" Bescheinigungen der SSK vorgelegen
hätten, die nicht gelten würden, soweit "diese
türkischen Staatsangehörigen unselbständig
im Rahmen der Y. GbR gehandelt hätten".
Gewürdigt ist diese als glaubhaft bezeichnete Aussage nur
dahin, daß sie dem insgesamt gefundenen Ergebnis nicht
entgegensteht.
All dies ist unklar. Wenn der AOK Burgkunstadt Bescheinigungen der SSK
vorlagen, die einen Versicherungsschutz (nur) für
Selbständige beinhalteten, hätte es der Darlegung
bedurft, warum für die Angeklagten Anlaß bestand,
gegenüber der AOK Lichtenfels zu behaupten, die Gesellschafter
seien deshalb bei der SSK versichert, weil sie Arbeitnehmer der Fa. T.
seien.
Die Feststellungen und Erwägungen im Zusammenhang mit dem
Verhalten der Angeklagten gegenüber der AOK können
nach alledem nicht Grundlage von Schlüssen zum Nachteil der
Angeklagten sein.
6. Da also nicht davon ausgegangen werden kann, daß die
Angeklagten das Verbotene ihres Tuns erkannt hatten, ist entscheidend,
ob sie, wie das Landgericht meint, ihren Irrtum vermeiden konnten.
Dies war zu verneinen.
a) Da die Angeklagten wegen der gesellschaftsrechtlichen
Vertragsgestaltung die maßgeblichen ausländer- und
sozialrechtlichen Bestimmungen nicht für anwendbar hielten,
handelt es sich um einen Irrtum über letztlich
berufsspezifische Rechtsfragen, der die Schuld nur entfallen
läßt, wenn zuvor ausreichende Erkundigungen
eingezogen wurden (vgl. Tröndle/Fischer StGB, 49. Aufl.
§ 17 Rdn. 9 m.w.Nachw.). Dieser Erkundigungspflicht sind die
Angeklagten durch das Schreiben an das Landratsamt und die Vorlage des
notariellen Vertrages nachgekommen. Wenn auch ausdrückliche
Ausführungen des Landratsamts gegenüber den
Angeklagten nicht festgestellt sind, so hat es doch in Kenntnis der
Ziele der Angeklagten und aller tatsächlichen
Umstände - durch einen Regierungsdirektor - mit der Erteilung
der Aufenthaltsgenehmigungen Entscheidungen im Sinne der Angeklagten
getroffen. An derartigen behördlichen Entscheidungen kann der
Bürger in aller Regel sein Verhalten ausrichten, ohne
Bestrafung befürchten zu müssen (vgl. schon
für behördliche Auskünfte BayOblG GA 1966,
182, 183; Friedrich-Christian Schroeder in LK 11. Aufl. § 17
Rdn. 43 m.w.Nachw.).
b) Entgegen der Annahme des Landgerichts brauchten die Angeklagten
nicht bei noch weiteren Stellen Rechtsrat einholen. Dies wäre
nur der Fall, wenn die angefragte Behörde zur Beantwortung
für den Anfrager erkennbar unzuständig wäre.
aa) Das Landratsamt - Ausländeramt - war für die
Erteilung der Aufenthaltsgenehmigungen zuständig, die
Grundlage der vorgesehenen beruflichen Tätigkeit der
türkischen Bauarbeiter im Inland waren. Es hat jedoch
letztlich nicht zu befinden, ob eine bestimmte Art der
Berufsausübung als selbständig zu bewerten ist.
bb) Für die Annahme, daß sich das Landratsamt
gleichwohl auch für die Beurteilung dieser Frage für
kompetent gehalten hat, spricht indessen, daß es die von ihm
- unbeschadet von Verwaltungsrichtlinien - selbst eingeholte eingehende
fachliche Stellungnahme des Arbeitsamts außer Betracht
gelassen hat.
Andererseits hat Regierungsdirektor Ri. ausweislich der
Urteilsgründe ausgesagt, er habe "gegenüber den
Angeklagten ... nicht zum Ausdruck gebracht, daß die
ausländerrechtlichen Genehmigungen für sich alleine
ein ´Freibrief´ für das Handeln der
Angeklagten seien".
cc) Letztlich braucht der Senat aber nicht zu entscheiden, ob sich das
Landratsamt insgesamt für kompetent gehalten hat oder nicht:
Fragt ein Bürger bei einer nicht offensichtlich insgesamt
unzuständigen Behörde nach der Erlaubtheit eines
Vorhabens, so muß diese den Anfragenden darauf hinweisen,
wenn sie sich selbst nicht für genügend kompetent zur
Beurteilung dieses Vorhabens hält (BayObLG aaO).
Ein solcher ausdrücklicher Hinweis kann unter den gegebenen
Umständen nicht dadurch ersetzt werden, daß die
Erklärung, die Genehmigungen seien ein Freibrief, unterlassen
wurde.
dd) Darauf, daß die Angeklagten jedenfalls bei der IHK
Bayreuth, einer für die Beurteilung einschlägiger
berufsspezifischer Rechtsfragen ebenfalls kompetenten Stelle (vgl. OLG
Zweibrücken StV 1992, 119, 120), offenbar auch keine andere
Auskunft bekommen hätten (vgl. oben 1 c), kommt es daher nicht
mehr an.
7. Die Sache bedarf nach alledem neuer Verhandlung und Entscheidung,
ohne daß es auf das übrige Revisionsvorbringen noch
ankäme.
Der beantragte Freispruch durch den Senat kommt dagegen nicht in
Betracht, weil insbesondere im Zusammenhang mit dem Brief vom 16. Mai
1997 und dem Verhalten der Angeklagten gegenüber der AOK (vgl.
oben 5 b, c) noch Feststellungen möglich erscheinen, die einen
Schuldspruch tragen können (vgl. BGHSt 36, 316, 319).
Schäfer Maul Wahl
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