BGH,
Beschl. v. 2.2.2000 - 2 StR 550/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 550/99
vom
2. Februar 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Totschlags
zu 2.: Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2.
Februar 2000, an der teilgenommen haben: Vizepräsident des
Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender, die Richter
am Bundesgerichtshof Niemöller, Detter, Dr. Bode, die
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt
für den Angeklagten A. , Rechtsanwalt für den
Angeklagten E. , als Verteidiger, für die Nebekläger
Rechtsanwalt in Begleitung des Rechtsanwalts ,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 1999 hinsichtlich
des Angeklagten E. im Schuldspruch wie folgt geändert:
Der Angeklagte ist des Mordes in zwei Fällen jeweils in
Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen
Selbstladekurzwaffe schuldig.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der
Nebenkläger wird das vorgenannte Urteil hinsichtlich des
Angeklagten A. im Schuld- und Strafausspruch wie folgt
geändert:
Der Angeklagte A. wird wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe
verurteilt.
3. Zur Prüfung, ob die Schuld des Angeklagten A. besonders
schwer wiegt, sowie zur Entscheidung über die Kosten der
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger,
soweit sie den Angeklagten A. betreffen, wird die Sache an eine andere
als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision der Nebenkläger wird verworfen.
5. Der Angeklagte E. hat die Kosten zu tragen, die durch das ihn
betreffende Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstanden sind.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten E. wegen Mordes sowie wegen
Totschlags, jeweils in Tateinheit mit Führen einer
halbautomatischen Selbstladekurzwaffe, zu lebenslanger Freiheitsstrafe
als Gesamtstrafe verurteilt und festgestellt, daß seine
Schuld besonders schwer wiegt. Den Angeklagten A. hat es wegen
Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.
I.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Beide Angeklagte sind türkische Staatsangehörige. Der
Angeklagte A. hält sich seit 1980 in der Bundesrepublik
Deutschland auf, der Angeklagte E. seit 1990, er lebte nach den Regeln
seines moslemischen Glaubens. Im Oktober 1997 beging die Ehefrau des
Angeklagten E. - sie war die Schwester des Angeklagten A. - Selbstmord.
Das Motiv hat sich nicht mit Sicherheit klären lassen.
Möglich ist, daß familiäre Probleme, ein
außereheliches Verhältnis mit D. oder eine
Vergewaltigung durch ihn Auslöser des Freitodes waren. Der
Angeklagte E. ging von einer Vergewaltigung seiner Ehefrau durch D. aus
und war - zusammen mit dem Angeklagten A. - entschlossen, die Ehre
seiner Frau und seiner Familie durch Tötung des D.
wiederherzustellen. Beide Angeklagten suchten in der Folgezeit nach
ihm. Dieser war untergetaucht, da er von den
Tötungsplänen Kenntnis erlangt hatte. Die Angeklagten
drohten bei ihrer Suche allen Personen, von denen sie glaubten, diese
würden D. und seine Ehefrau unterstützen. Dem
späteren Tatopfer Ü. Y. gegenüber
erklärten sie, er und seine Ehefrau, Ay. Y. , sollten sich aus
der Sache heraushalten und D. nicht helfen. Sie fragten ihn bei dieser
Gelegenheit auch, ob er wisse, wo sich dieser aufhalte. Als Ü.
Y. dies verneinte, drohten sie ihm, wenn er wisse, wo dieser sei und es
nicht sage und sie erführen das, dann sei er auch ein Feind
von ihnen und solle sich auf Rache gefaßt machen, der
Angeklagte A. fügte hinzu, sie würden ihn sonst
erschießen.
Als die Angeklagten erfuhren, daß die Ehefrau des D. aus der
Türkei nach Deutschland zurückgekehrt sei, suchten
sie am 16. Dezember 1997 die Eheleute Y. in Frankfurt am Main auf,
diese sollten ihnen dessen Aufenthaltsort mitteilen. In der Wohnung
hielt sich zu diesem Zeitpunkt neben den drei Kindern der Eheleute Y.
auch die Ehefrau des D. auf. Als der Angeklagte A. sich nach ihr
erkundigte, wies ihn Ü. Y. aus der Wohnung. Es kam zu einem
Gerangel, in das beide Angeklagte verwickelt waren. Sie erkannten,
daß Y. die Ehefrau des D. schützen und verhindern
wollte, daß der Aufenthalt ihres Ehemannes bekannt
würde. Aus Wut und Zorn hierüber zog der Angeklagte
E. seine mitgeführte Pistole Kal. 9 mm, lud diese durch und
schoß auf Ü. Y. , während der Angeklagte A.
rief: "schieß". Die Ehefrau des Y. versuchte ihm zu Hilfe zu
eilen und umklammerte den Angeklagten E. . Dieser schlug sie mit der
Pistole nieder und schoß dann, um weiter ungehindert auf
Ü. Y. feuern zu können, mehrfach auf die am Boden
liegende Frau. Anschließend schoß er weiter auf
Ü. Y. . Nachdem der Angeklagte A. gerufen hatte: "Die Sache
ist erledigt, laß uns abhauen", verließen die
Angeklagten die Wohnung. Beide Tatopfer verstarben an den Folgen ihrer
Schußverletzungen.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten E. hinsichtlich der
Tötung von Ay. Y. wegen Mordes verurteilt, weil dieser
gehandelt habe, um eine andere Straftat (Tötung des
Ü. Y. ) zu ermöglichen. Dessen Tötung als
Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten, hat es abgelehnt,
weil die besonderen Anschauungen und Wertvorstellungen der Angeklagten
("Vergeltungspflicht") dem entgegenstünden. Da auch das
Mordmerkmal der Heimtücke nicht gegeben sei, hat es sowohl den
Angeklagten A. wie auch den Angeklagten E. insoweit nur wegen
Totschlags (Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zehn Jahren) verurteilt.
3. Gegen diese Entscheidung wendet sich Staatsanwaltschaft mit ihrer
zuungunsten beider Angeklagter eingelegten Revision. Sie rügt
die Verletzung sachlichen Rechts und erstrebt hinsichtlich der
Tötung von Ü. Y. eine Verurteilung beider Angeklagter
wegen Mordes (Mordmerkmal: niedrige Beweggründe). Die
Nebenkläger begehren mit ihrer ebenfalls auf die Verletzung
sachlichen Rechts gestützten Revision, die sich nur gegen den
Angeklagten A. richtet, dessen Verurteilung wegen Mordes an beiden
Tatopfern (Mordmerkmale: niedrige Beweggründe und
Heimtücke).
II.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg,
das der Nebenkläger teilweise.
1. Die Verneinung des Mordmerkmals "niedrige Beweggründe"
hinsichtlich der Tötung des Ü. Y. ist
rechtsfehlerhaft.
Dieses Mordmerkmal, das auf Grund einer Gesamtwürdigung zu
beurteilen ist, welche die Umstände der Tat, die
Lebensverhältnisse des Täters und seine
Persönlichkeit einschließen muß, liegt
vor, wenn das Motiv der Tötung nach allgemeiner sittlicher
Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders
verachtenswert ist (BGHSt 3, 132 ff.; 35, 116, 127; BGHR StGB
§ 211 niedriger Beweggrund 22 und 23).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts erfüllen die Motive der
Angeklagten diese Voraussetzungen. Nach den Feststellungen haben sie
nämlich die Tat begangen, weil sie in Wut und Zorn
darüber geraten waren, daß Ü. Y. die
Ehefrau von D. schützen und zugleich verhindern wollte,
daß dessen Aufenthalt ausfindig gemacht werden konnte (UA S.
10). Vor solchen Handlungen hatten die Angeklagten zuvor Dritte, auch
das spätere Opfer, ausdrücklich gewarnt und sogar mit
dem Tode bedroht (UA S. 7, 8). Bei der Tötung handelt es sich
um eine Bestrafungsaktion für die vermeintliche
Unterstützung, die Y. dem D. gewährt hatte (UA S.
36). Getötet wurde ein Mensch, der in keiner Weise an der -
vermeintlichen - Tat des D. beteiligt war. Lediglich weil er sich nicht
an die Aufforderung der Angeklagten gehalten hatte, die Familie D.
nicht zu unterstützen, sollte er - wie vorher
angekündigt - "mit dem Tode bestraft werden". Das die Tat
auslösende Motiv, unbeteiligte Dritte, die eine von der
Rechtsordnung verbotene Vergeltung nicht fördern wollen oder
auch nur der Behinderung verdächtig sind, zu töten,
zeigt eine Gesinnung, die wertungsmäßig auf sittlich
tiefster Stufe steht. In ihr kommt eine Eigensucht zum Ausdruck, welche
zur Durchsetzung selbstgesteckter, von der Rechtsordnung
mißbilligter Ziele Menschenleben für gering achtet
und deshalb unter keinen Umständen Verständnis durch
die Allgemeinheit erwarten kann.
Es kann deshalb offenbleiben, inwieweit nach objektiven Kriterien
für die Bewertung eines Tatmotivs als "niedrige
Beweggründe" von Bedeutung sein kann, daß ein
Angeklagter in einer fremden Vorstellungswelt lebt, da ein solcher Fall
nicht vorlag. Insbesondere bedarf es keiner Entscheidung, ob die
Tötung eines vermeintlichen Vergewaltigers auf Grund einer auf
"soziokulturellen und religiösen Wertvorstellungen beruhenden
Vergeltungspflicht" der Annahme niedriger Beweggründe im Sinne
des § 211 StGB entgegenstehen würde (ablehnend
für den Fall der Blutrache vgl. BGHR StGB § 211 Abs.
2 niedrige Beweggründe 29 = BGH StV 1996, 208 f. m. Anm.
Fabricius; vgl. aber auch BGH StV 1997, 565 f.; BGH, Urt. v. 28. August
1979 - 1 StR 282/79; zum Phänomen der Blutrache allgemein:
vgl. Wahl, Kriminalistik 1985, 103 ff.; für Tötung
zur Rettung der Familienehre oder aus Gründen der Selbstjustiz
vgl. BGH NJW 1980, 537 und StV 1981, 399 f.; 1994, 182 = BGHR StGB
§ 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 28; BGH StV 1998,
130 f.), da sich die Tat der Angeklagten gegen einen unbeteiligten
Dritten richtete.
Ihr Vorgehen muß deshalb entgegen der Ansicht des
Landgerichts objektiv als besonders verachtenswert und verwerflich
angesehen werden.
Aus den Urteilsgründen ergeben sich auch die subjektiven
Voraussetzungen für die Bewertung der Tat als ein Handeln aus
niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 Abs. 2
StGB. Die Feststellungen belegen nämlich, daß sich
die Angeklagten bei der Tat der Umstände bewußt
waren, die ihre Beweggründe als niedrig erscheinen lassen und
daß sie ihre gefühlsmäßigen
Regungen gedanklich beherrschen und willensmäßig
steuern konnten (vgl. hierzu BGHSt 28, 210, 212; BGHR StGB §
211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 6, 15
- m. Anm. Heine JR 1990, 299 ff.-, 16; 26, 32 und 33). Daß
die Angeklagten außer Stande gewesen wären, ihre -
das Vorgehen wesentlich prägenden - Gefühle des Zorns
und der Rache gedanklich zu beherrschen und
willensmäßig zu steuern, liegt angesichts der
Verwerflichkeit ihrer Tat fern und bedurfte keiner näheren
Darlegung (vgl. BGH NStZ 1994, 34 f. = StV 1994, 372 f. m. Anm.
Fabricius S. 373, 374; BGH NStZ-RR 1998, 133). Darüber hinaus
stellt das Landgericht im einzelnen fest, daß die Angeklagten
ihr Vorgehen gegenüber Dritten und gegenüber dem
Tatopfer angekündigt hatten. Ein ohne Plan und Vorbereitung
"spontan" aus der Situation heraus gefaßter
Tötungsentschluß - was der Annahme niedriger
Beweggründe entgegenstehen könnte (vgl. dazu BGH StV
1982, 566 = NStZ 1983, 19; StV 1984, 72; 1984, 465) - liegt somit nicht
vor. Beweggründe, welche sich beim Angeklagten E. auf seine
Verhaftung in besonderen heimatlichen Wertvorstellungen
zurückführen lassen, waren für die Tat nicht
ausschlaggebend. Es fehlen daher Anhaltspunkte dafür,
daß die Angeklagten für die Beurteilung ihrer Tat
wesentliche Umstände verkannt haben könnten.
2. Die Feststellungen rechtfertigen somit entgegen der Ansicht der
Schwurgerichtskammer im Falle der Tötung des Ü. Y.
die Verurteilung beider Angeklagter wegen Mordes. Der Senat hat den
Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht
dem nicht entgegen (vgl. Anklage vom 1. Oktober 1998).
Der Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten E. bleibt von der
Änderung des Schuldspruchs unberührt, da bereits die
höchstmögliche (Gesamt-) Strafe verhängt und
auch eine Entscheidung über die besondere Schuldschwere
gemäß § 57 b StGB getroffen ist. An die
Stelle der insoweit verhängten Freiheitsstrafe von zehn Jahren
tritt aber lebenslange Freiheitsstrafe.
Hinsichtlich des Angeklagten A. entfällt ebenfalls die
Freiheitsstrafe von zehn Jahren, an ihre Stelle tritt lebenslange
Freiheitsstrafe, auf die der Senat gemäß §
354 Abs. 1 StPO erkannt hat (vgl. dazu
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 354 Rdn.
9). Dem Senat ist es aber verwehrt, über die Frage der
Schuldschwere (vgl. § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) selbst zu
entscheiden, da es sich dabei zunächst um eine tatrichterliche
Wertung handelt (BGHSt 40, 360, 366, 367). Insoweit ist die Sache an
eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückzuverweisen.
3. Die weitergehende Revision der Nebenkläger, mit der sie die
Bejahung des Mordmerkmals "Heimtücke" und eine Verurteilung
des Angeklagten A. auch wegen der Tötung von Ay. Y. erstreben,
ist unbegründet. Heimtückisches Vorgehen hat das
Landgericht rechtsfehlerfrei verneint. Eine strafbare Beteiligung des
Angeklagten A. an der Tötung von Ay. Y. ist in den
Urteilsgründen zwar nicht ausdrücklich
erörtert. Daraus folgt aber nicht, daß die
Schwurgerichtskammer ihre Kognitionspflicht (vgl. dazu BGHSt 25, 72,
75, 76; 32, 215 ff.; Urteil des Senats NStZ 1999, 206 ff m. Anm. Bauer
207 f; Pauly StV 199, 415 ff.) verkannt hätte. Nach den von
ihr getroffenen Feststellungen schied eine strafrechtlich relevante
Beteiligung des Angeklagten A. an der Tötung von Ay. Y. aus,
wovon bereits die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift ausgegangen
war. Die Tötung der Ehefrau des Ü. Y. war nicht vom
gemeinsamen Tatplan getragen, den das Landgericht zutreffend
für die Ermordung von Ü. Y. zugrundegelegt hat. Eine
strafrechtlich erhebliche Beteiligung des Angeklagten A. bedurfte
deshalb als fernliegend keiner besonderen Erörterung.
Jähnke Niemöller Detter Bode Otten |