BGH,
Beschl. v. 2.6.2005 - StB 8/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StE 8/03 - 2 (1/04)
StB 8/05
vom
2.06.2005
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung u. a.;
hier: Beschwerde des Zeugen H.
wegen Anordnung von Haft zur Erzwingung des Zeugnisses u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 2.06.2005
gemäß § 304 Abs. 4
StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Zeugen H. gegen den Beschluß
des Oberlandesgerichts Naumburg vom 26.04.2005
wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
I.
Das Oberlandesgericht Naumburg hatte den Beschwerdeführer sowie
den damaligen Mitangeklagten W. am 16. Dezember 2003 der
Brandstiftung sowie der versuchten Brandstiftung in je zwei
Fällen schuldig gesprochen:
Es hatte gegen den Beschwerdeführer auf eine
Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten und gegen den damaligen Mitangeklagten
W. auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren erkannt. Auf die von beiden
eingelegten Revisionen ist die Verurteilung des damaligen
Mitangeklagten W.
auf eine Verfahrensrüge in vollem Umfang aufgehoben worden;
hinsichtlich
des Beschwerdeführers ist der Schuldspruch dahin
geändert worden, daß er
der tateinheitlichen Brandstiftung in zwei vollendeten und zwei
versuchten Fällen
schuldig ist, und der Strafausspruch - unter Aufrechterhaltung der
insoweit
vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen - aufgehoben worden. Im
Umfang der Aufhebung ist die Sache an das Oberlandesgericht
zurückverwie-
3 -
sen worden (BGH NStZ 2005, 46). Nach Abtrennung des Verfahrens gegen
den Beschwerdeführer hat das Oberlandesgericht diesen am
22.02.2005
zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Diese
Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das
Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer
anschließend in dem abgetrennten Verfahren gegen den
Angeklagten
W. als Zeugen vernommen. Er hat dabei lediglich die Frage beantwortet,
ob er den Angeklagten W. kenne, und danach jede weitere Aussage
- etwa auch zu den persönlichen Verhältnissen des
Angeklagten W. -
umfassend verweigert, weil die Beantwortung weiterer Fragen ihn der
Gefahr
der Strafverfolgung aussetze. Das Oberlandesgericht hat die
einschränkungslose
Auskunftsverweigerung als unberechtigt angesehen. Es hat deswegen
dem Beschwerdeführer die durch seine Weigerung verursachten
Kosten des
Verfahrens auferlegt, gegen ihn ein Ordnungsgeld von 500 € -
ersatzweise für
den Fall der Nichtbeitreibbarkeit Ordnungshaft von fünf Tagen
- festgesetzt
sowie zur Erzwingung des Zeugnisses Haft bis zur Beendigung des
Verfahrens
im ersten Rechtszug, jedoch nicht über sechs Monate hinaus,
angeordnet. Der
hiergegen vom Beschwerdeführer eingelegten Beschwerde hat das
Oberlandesgericht
nicht abgeholfen.
II.
1. Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ist nur teilweise
zulässig.
Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 4 Satz
2 Halbs. 1 StPO nicht
statthaft, soweit sie sich gegen die
Kostenüberbürdung sowie die Festsetzung
von Ordnungsgeld (§ 70 Abs. 1 StPO) richtet; insoweit greift
keiner der Ausnahmetatbestände
des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 StPO ein. Anders
verhält
- 4 -
es sich bezüglich der Anordnung der Erzwingungshaft. Hierin
liegt eine Verhaftung
im Sinne des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 StPO (vgl.
BGHSt 36, 192
zu § 304 Abs. 5 StPO), so daß die
Beschwerdemöglichkeit eröffnet ist.
2. In dem danach zulässigen Umfang erweist sich die Beschwerde
jedoch
als unbegründet. Zu Recht hat das Oberlandesgericht ein
umfassendes
Auskunftsverweigerungsrecht des Beschwerdeführers verneint und
ihn daher
zur Erzwingung des Zeugnisses gemäß § 70
Abs. 2 StPO in Haft genommen.
a) Gemäß § 55 Abs. 1 StPO ist ein Zeuge
grundsätzlich nur berechtigt,
die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihn
oder
einen in § 52 Abs. 1 StPO genannten Angehörigen der
Gefahr aussetzen würde,
wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.
Nur
ausnahmsweise ist er zur umfassenden Verweigerung der Auskunft
berechtigt,
wenn seine gesamte in Betracht kommende Aussage mit einem
möglicherweise
strafbaren oder ordnungswidrigen eigenen Verhalten in einem so engen
Zusammenhang
steht, daß im Unfang der vorgesehenen
Vernehmungsgegenstände
nichts übrig bleibt, wozu er ohne die Gefahr der Verfolgung
wegen einer
Straftat oder Ordnungswidrigkeit wahrheitsgemäß
aussagen könnte (BGH NStZ
2002, 607).
Eine das Recht zur Auskunftsverweigerung begründende
Verfolgungsgefahr
im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht dann nicht mehr, wenn
eine
Strafverfolgung des Zeugen wegen des Lebenssachverhalts, zu dem er
befragt
werden soll, zweifelsfrei ausgeschlossen ist, weil er insoweit bereits
rechtskräftig
abgeurteilt wurde und daher die Strafklage verbraucht ist (BGH NJW 1999,
1413). Besteht zwischen dem Gegenstand, zu dem er befragt werden soll,
und
- 5 -
dem abgeurteilten Sachverhalt ein Zusammenhang, ist daher abzugrenzen:
Das Auskunftsverweigerungsrecht kann grundsätzlich nur in dem
Umfang greifen,
in welchem die Befragung sich auf Vorgänge richtet, die im
Verhältnis zu
dem abgeurteilten Geschehen andere Taten im verfahrensrechtlichen Sinn
des
§ 264 Abs. 1 StPO darstellen würden (vgl. BGH NJW
1999, 1413, 1414) und
der Zeuge hierfür möglicherweise durch eine -
wahrheitsgemäße - Aussage
zumindest weitere Ermittlungsansätze gegen sich selbst liefern
müßte (vgl.
BVerfG NStZ 2002, 378, 379).
Besonderheiten bestehen dann, wenn wegen des Lebensvorgangs, zu
dem der Zeuge befragt werden soll, gegen ihn ein bereits
rechtskräftiger
Schuldspruch vorliegt, der Straf- bzw. sonstige Rechtsfolgenausspruch
jedoch
noch nicht rechtskräftig geworden ist. In einem derartigen
Fall besteht ein Auskunftsverweigerungsrecht
des Zeugen, soweit er durch die Beantwortung der
an ihn gerichteten Fragen strafzumessungsrelevante oder für
den sonstigen
Rechtsfolgenausspruch bedeutsame Umstände offenbaren
müßte, die gegebenenfalls
zu seinem Nachteil Berücksichtigung finden könnten
(vgl. LG Darmstadt
StV 1988, 101). Jedoch ist insoweit zu beachten, daß
sogenannte doppelrelevante
Tatsachen, die sowohl für den Schuld- wie für den
Rechtsfolgenausspruch
bedeutsam sind, durch die Rechtskraft des Schuldspruchs und der ihm
zugrunde liegenden Feststellungen für das weitere Verfahren
gegen den Zeugen
bindend geworden sind (Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl.
§ 353 Rdn. 20
m. zahlr. w. N.). Gleiches gilt hinsichtlich der allein für
den Rechtsfolgenausspruch
maßgeblichen Feststellungen, die das Revisionsgericht bei
Teilaufhebung
des ersten gegen den Zeugen ergangenen Urteils hat bestehen lassen
(vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Der Beantwortung von Fragen, die
sich mit diesen
Feststellungen befassen, kann sich der Zeuge nicht entziehen, da das
Gericht,
- 6 -
das noch über den Rechtsfolgenausspruch zu entscheiden hat, an
die bisher
getroffenen Feststellungen gebunden ist, so daß es dem Zeugen
nachteiligere
Umstände, die er bei seiner Befragung insoweit eventuell
offenbaren müßte,
nicht mehr zu seinem Nachteil verwerten dürfte.
b) Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des
Oberlandesgerichts
nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es angenommen, daß dem
Beschwerdeführer
kein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, das es ihm
gestatten
würde, auf sämtliche Fragen des Gerichts und der
weiteren Prozeßbeteiligten
- abgesehen von derjenigen nach seiner Bekanntschaft mit dem Angeklagten
W. - zu schweigen.
Dies versteht sich zunächst von selbst, soweit das
Oberlandesgericht
durch die Befragung des Beschwerdeführers die
persönlichen Verhältnisse des
- auch insoweit schweigenden - Angeklagten W. aufzuklären
sucht. Es ist
nicht ersichtlich, daß sich der Beschwerdeführer
durch die Beantwortung entsprechender
Fragen, die in keinerlei Zusammenhang mit dem ihm und dem
Angeklagten W. vorgeworfenen oder sonstigem denkbaren strafbaren
Verhalten
stehen, dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung aussetzen oder in Gefahr
geraten könnte, für die Bemessung der gegen ihn noch
nicht rechtskräftig verhängten
Strafe Umstände nachteiligen Inhalts offenbaren zu
müssen. Die entsprechende
Behauptung des Beschwerdeführers entbehrt jeden sachlichen
Gehalts. Sie verkennt namentlich, daß alle
maßgeblichen, den Beschwerdeführer
betreffenden Strafzumessungstatsachen, die im Urteil des
Oberlandesgerichts
vom 16. Dezember 2003 festgestellt wurden, für das weitere
Verfahren
verbindlich sind, da der Senat die Aufhebung des Strafausspruchs gegen
den
Beschwerdeführer nicht auf die zugrunde liegenden
Feststellungen erstreckt
- 7 -
hat. Selbst wenn vor diesem Hintergrund noch einzelne Fragen denkbar
sein
sollten, deren Beantwortung in Ergänzung der bindenden
Feststellungen weitere
für die Bemessung der Strafe gegen den Zeugen relevante,
nachteilige Tatsachen
aufdecken könnte, würde dies den Zeugen allein
berechtigen, auf derartige
Fragen die Auskunft zu verweigern, nicht indessen ein umfassendes
Auskunftsverweigerungsrecht zu den persönlichen
Verhältnissen des Angeklagten
W. begründen.
Aber auch bezüglich der dem Angeklagten W. und dem
Beschwerdeführer
vom Generalbundesanwalt vorgeworfenen Tat (im Sinne des § 264
Abs. 1 StPO) steht dem Beschwerdeführer ein umfassendes
Auskunftsverweigerungsrecht
nicht mehr zu. Die Verurteilung des Beschwerdeführers ist im
Schuldspruch rechtskräftig. Die den Schuld- wie den
Strafausspruch betreffenden
doppelrelevanten Tatsachen sind für das weitere Verfahren
gegen den
Beschwerdeführer ebenso bindend wie die im Urteil des
Oberlandesgerichts
vom 16. Dezember 2003 getroffenen Feststellungen, die allein
für den Strafausspruch
relevant sind (s. oben). Soweit der Generalbundesanwalt
ursprünglich
den weiteren Vorwurf erhoben hatte, der Beschwerdeführer habe
tateinheitlich
mit den abgeurteilten Brandstiftungsdelikten als
Rädelsführer eine terroristische
Vereinigung gegründet und sich an ihr mitgliedschaftlich
beteiligt,
steht aufgrund des insoweit in Rechtskraft erwachsenen Urteils des
Oberlandesgerichts
vom 16. Dezember 2003 weiterhin fest, daß der
Beschwerdeführer
hierfür nicht bestraft werden kann, weil ihm der
persönliche Strafaufhebungsgrund
nach § 129 a Abs. 5, § 129 Abs. 6 Halbs. 2 StGB aF zu
Gute kommt.
Damit ist insoweit nicht nur die Strafklage verbraucht; vielmehr kann
dem Beschwerdeführer
die Gründung der terroristischen Vereinigung sowie die
mitgliedschaftliche
Beteiligung an ihr auch nicht mehr strafschärfend angelastet
- 8 -
werden (BGH NStZ 2005, 46, 47). Der durch das oberlandesgerichtliche
Urteil
bewirkte Strafklageverbrauch geht indessen noch weiter. Er erstreckt
sich auch
auf alle mit der Straftat nach § 129 a Abs. 1 und 2 StGB aF
möglicherweise
außer den abgeurteilten Brandstiftungstaten tateinheitlich
verwirklichten weiteren
Delikte, soweit sie wegen der für sie angedrohten
Höchststrafe nicht
schwerer wiegen als das Verbrechen nach § 129 a Abs. 1 und 2
StGB aF (vgl.
BGHSt 29, 288, 293 ff.).
Der Beschwerdeführer darf daher allgemein weder Fragen nach dem
Bestehen und der Tätigkeit der terroristischen Vereinigung
noch nach der möglichen
Beteiligung des Angeklagten W. hieran unbeantwortet lassen. Anders
liegt es nur, soweit er hierdurch eventuell gleichzeitig
ergänzende Umstände
offenbaren müßte, die ohne Widerspruch zu den
bindenden Feststellungen des
oberlandesgerichtlichen Urteils vom 16. Dezember 2003 für die
Bemessung
seiner Strafe für die tateinheitlichen vier
Brandstiftungsdelikte strafschärfende
Bedeutung erlangen könnten. Ebenso steht ihm § 55
Abs. 1 StPO zur Seite,
soweit Fragen an ihn gerichtet werden, deren Beantwortung ihn der Gefahr
aussetzen würde, wegen möglicher schwererer, vom
Strafklageverbrauch nicht
erfaßter Delikte verfolgt zu werden, und sei es auch nur,
weil die Ermittlungsbehörden
aus seinen Angaben weitere Ermittlungsansätze gewinnen
könnten.
Daß das Oberlandesgericht diese Einschränkungen der
Zeugnispflicht respektieren
will, hat es in dem angefochtenen Beschluß deutlich zum
Ausdruck gebracht.
Tolksdorf Winkler Becker
- 9 -
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja__
StPO § 55 Abs. 1
Zum Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts eines Zeugen, wenn gegen
ihn wegen des Lebensvorgangs, zu dem er befragt werden soll, ein bereits
rechtskräftiger Schuldspruch vorliegt, der Straf- bzw.
sonstige Rechtsfolgenausspruch
jedoch noch nicht rechtskräftig geworden ist.
BGH, Beschl. vom 2.06.2005 - StB 8/05 - Oberlandesgericht Naumburg |