BGH,
Beschl. v. 20.8.2004 - 2 StR 281/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 281/04
vom
20. August 2004
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 20. August 2004
gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Kassel vom 9. März 2004 mit den Feststellungen aufge-
hoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurge-
richtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu
einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ver urteilt.
Seine auf
die allgemeine Sachrüge gestützte Revision
führt zur Aufhebung des Urteils
und zur Zurückverweisung.
1. Nach den Feststellungen beschloß der aus Pakistan
stammende, seit
1992 in Deutschland lebende Angeklagte, der strenggläubiger
Moslem und
Mitglied der A. -Gemeinde ist, am 21.
März 2003, den ebenfalls aus
Pakistan stammenden Zeugen R. zu töten, weil dieser im
März 2003 im Besitz
von sechs Fotogr afien gewesen war, welche Portraitaufnahmen einer
Tochter
des Angeklagten ohne Kopftuch oder Schleier zeigten; hierdurch
fühlte der An-
geklagte seine sowie die Ehre seiner Tochter verletzt und seinen guten
Ruf
sowie das Ansehen seiner Gemeinde beschädigt. Eine Ver
mittlung durch den
Gemeindevorsitzenden war beabsichtigt, aber noch nicht zustande
gekommen.
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Am 19. März 2003 hatte der Angeklagte dem Br uder des R.
mitgeteilt, letzter er
müsse sich öffentlich entschuldigen, sonst werde der
21. März der letzte Tag
seines Lebens sein.
Am 21. März 2003 trank der Angeklagte - nach den
Feststellungen mög-
licherweise unter Verkennung der Wirkung von Alkohol in suizidaler
Absicht -
etwa 0,4 l Whisky. Dann begab er sich unter Mitführen eines
langen Messers
und eines Handbeils zur Wohnung des R., um diesen zu töten;
seine Blutalko-
holkonzentration betrug maximal 2,37 Pr omille.
Auf dem Weg zu dem Tatort r ief der Angeklagte den R. an, beschimpfte
diesen und kündigte sein Eintreffen an. An dem Mietshaus
angekommen, in
welchem die Familie des R. wohnte, forderte der Angeklagte
über die Haus-
sprechanlage die Ehefrau des Zeugen auf, diesen nach unten zu schicken,
da
er ihn töten wolle. R. reagierte hierauf nicht. Der Angeklagte
gelangte nun in
das Treppenhaus, begab sich zur Wohnungseingangstür des R. im
3. Stock,
klingelte und schlug gegen die Wohnungstür und forderte den
Zeugen laut auf
her auszukommen, damit er ihn umbringen könne. Der Zeuge
öffnete nicht,
sondern begab sich mit seiner Familie auf den Balkon der Wohnung.
Der Angeklagte verließ nun das Haus wieder und begab sich,
das Beil
offen tragend, zu einem Haus in der Nachbarschaft. Er wur de kurze Zeit
später
festgenommen, nachdem mehrere Anwohner die Polizei verständigt
hatten.
Gegenüber dem Haftrichter äußerte der
Angeklagte am Folgetag, "wenn die
Polizei nicht eingegriffen hätte, hätte er den R.
getötet. In Pakistan wäre R.
schon längst wegen dieser Angelegenheit umgebracht worden" (UA
S. 10).
2. Auf diese Feststellungen konnte die Verurteilung wegen versuchten
Totschlags nicht gestützt werden. Das Landgericht hat hierzu
ausgeführt, der
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Angeklagte habe zum Totschlag unmittelbar im Sinne des § 22
StGB ange-
setzt, indem er versucht habe, "in die Wohnung einzudringen und sein
Vorha-
ben … sofort nach Öffnen der Wohnungstür
in die Tat umzusetzen" (UA S. 31).
Er habe dadurch das geschützte Rechtsgut in eine konkrete nahe
Gefahr ge-
bracht, weil er in der Erwartung gehandelt habe, daß die
Tür geöffnet und er
seine Waffen dann alsbald gegen R. einsetzen werde. Ein
strafbefreiender
Rücktritt vom Versuch gemäß § 24
Abs. 1 StGB liege nicht vor. Der Angeklagte
sei nicht freiwillig zur ückgetreten, da "er sich
außer Stande sah, die Woh-
nungstür … aufzubrechen und sein Vorhaben
… in die Tat umzusetzen" (UA S.
32) .
Das Landgericht hat hierbei die Voraussetzungen des
§ 22 StGB und
des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zwar allgemein zutreffend
beschrieben; es hat
aber nicht in dem erforderlichen Maße geprüft, ob
diese Voraussetzungen hier
konkr et gegeben waren.
a) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen bleibt schon
unklar,
ob nach der Vorstellung des Angeklagten, auf welche es
gemäß § 22 StGB
ankommt, ein unmittelbares Ansetzen zur Tat über haupt gegeben
war. Soweit
der Generalbundesanwalt insoweit auf die Entscheidung BGHSt 26, 201,
203 f.
verwiesen hat, in welcher das Überschr eiten der
Versuchsschwelle zum Raub
in einem Klingeln an der Wohnungstür des beabsichtigten Opfers
in der Ab-
sicht, alsbald nach Öffnen mit Gewalt auf die
öffnende Person einzuwir ken,
gesehen wurde (vgl. auch BGHSt 39, 236, 238; BGH NStZ 1984, 506), wird
dabei eine wesentliche Abweichung im Sachverhalt übersehen. In
den genann-
ten Fällen war das jeweilige Opfer nämlich nach der
Vorstellung des Täters
ahnungslos; eben hierauf war die geplante Tatausführung
gestützt. Außerdem
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waren die Täter jeweils entschlossen, auf die - d. h. jede
beliebige - öffnende
Person mit Gewalt einzuwirken.
Hiermit kann der vorliegende Fall nicht ohne weiteres gleichgesetzt wer-
den. Der Angeklagte hatte zunächst telefonisch, sodann vom
Hauseingang aus
dem Zeugen R. mitgeteilt bzw. mitteilen lassen, er möge
herauskommen, damit
er - der Angeklagte - ihn töten könne. Er
wußte außerdem, daß sich in der
Wohnung nicht allein der R., sondern auch mehrer e
Familienangehörige auf-
hielten. Der Angeklagte konnte daher bei halbwegs realistischer
Betrachtung
nicht annehmen, der R. werde aufforderungsgemäß die
Tür öffnen, um sich
töten zu lassen. Denkbar wäre auch, daß er
damit r echnete, die Ehefrau des R.
oder eines von dessen Kindern werde die Tür öffnen.
Was er für diesen Fall
geplant hatte, ist nicht festgestellt.
Zumindest nicht fernliegend wäre aber vor allem die Erwartung,
der R.
werde heraus- (oder herunter-) kommen und sich einem Kampf mit dem Ange-
klagten stellen. Hierfür spricht der nach der Lebenserfahrung
naheliegende
Sinn der Äußerungen des Angeklagten vor der
Haustür und vor der Wohnungs-
tür; ferner der Umstand, daß er sich nach dem
Verlassen des Hauses zunächst
weiterhin in dessen Nähe aufhielt; schließlich vor
allem auch die Einlassung
vor dem Haftrichter, er hätte den R. getötet, "wenn
die Polizei nicht eingegriffen
hätte". Diese Einlassung ist mit den Feststellungen nicht
vereinbar, wonach der
Angeklagte zum Zeitpunkt seiner Festnahme den Versuch längst
als fehlge-
schlagen erkannt hatte. Sie könnte aber darauf hindeuten,
daß der Angeklagte
zu diesem Zeitpunkt (immer noch) auf den R. wartete, um seinen Plan
umzu-
setzen. Das Landgericht hat sich hiermit nicht auseinandergesetzt.
Die Feststellungen zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten
lassen daher verschiedene Möglichkeiten offen, in denen das
Klingeln an der
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Tür noch nicht als Überschreiten der Schwelle zum
Versuch angesehen wer-
den könnte, weil der Beginn der Tathandlung noch unter einem
subjektiven
Vorbehalt stand ( vgl. hierzu den Fall BGH NStZ 1999, 395; zur
Abgrenzung
auch Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl., § 22 Rdn. 10
ff. m. w. N.). Der neue Tat-
richter wird insoweit das Vorstellungsbild des Angeklagten genauer als
bisher
geschehen aufzuklären haben.
b) Auch die Ablehnung eines Rücktritts
gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1
(1. Alt.) StGB begegnet insoweit rechtlichen Bedenken, als
tatsächliche Fest-
stellungen nicht in einer für das Revisionsgericht
nachprüfbaren Weise umfas-
send gewürdigt sind. Die Beurteilung, der Rücktritt
sei nicht freiwillig im Sinne
des § 24 Abs. 1 StGB erfolgt, stimmt mit den Feststellungen
nicht überein,
denn danach war der Versuch fehlgeschlagen; auf Freiwilligkeit
wäre es daher
nicht angekommen (vgl. BGHSt 34, 53, 56; 35, 90, 94; 39, 221, 227; 41,
369;
Tr öndle/Fischer aaO § 24 Rdn. 6 f. m. w. N.).
Die Annahme eines - als unfreiwillig bezeichneten - Fehlschlags hat das
Landgericht darauf gestützt, der Angeklagte habe sich
"außer Stande (gese-
hen), die Wohnungstür … aufzubrechen" (UA S. 32).
Das ist mit den Feststel-
lungen nicht vereinbar. Danach schlug und trat der Angeklagte gegen die
Tür
und rief laut. Er setzte weder das 28 cm lange "Survival-Messer" noch
das Beil
ein, um die Wohnungstür aufzubrechen; auch die
Schläge und Tritte dienten
ersichtlich nicht dem Aufbrechen der Tür. Es ist auch nicht
ersichtlich, warum
dies dem Angeklagten angesichts der mitgeführten Werkzeuge
nicht hätte ge-
lingen sollen, wenn er es gewollt hätte. Auch insoweit leidet
das Urteil daher an
einem Mangel konkreter Feststellungen zum subjektiven Vorstellungsbild
des
Angeklagten.
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3. Sollte der neue Tatr ichter wiederum zur Annahme eines versuchten
Tötungsdelikts gelangen, wir d er der Frage, ob die Tat aus
niedrigen Beweg-
gründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB begangen
wurde, vertiefte Beachtung
zu schenken haben. § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO stünde
einer Verschlechterung
des Schuldspruchs nicht entgegen (BGHSt 14, 5, 7; 21, 256, 260; 29, 63,
66;
Meyer-Goßner , StPO 47. Aufl., § 331 Rdn. 8,
§ 358 Rdn. 11 m. w. N.).
Das Landgericht hat insoweit nur ausgeführt, die Motive des
Angeklag-
ten seien nicht als auf niedriger Gesinnung beruhend zu werten (UA S.
32).
Dies läßt jede konkrete Würdigung
vermissen. Daß die Absicht, einen Men-
schen wegen des Besitzes von Portraitfotos einer (unverschleierten)
Frau mit
einem Beil zu erschlagen, nicht als achtenswertes Motiv angesehen
werden
kann, liegt auf der Hand. Dasselbe gilt grundsätzlich
für die abwegigen An-
nahmen, durch ein solches Verhalten sei die "Familienehr e" oder die
Ehre
einer religiösen Glaubensgemeinschaft ver letzt. Vielmehr
würde die Tötung
eines Menschen allein aus diesem objektiv belanglosen Grund zu dem
Anlaß
gänzlich außer Verhältnis stehen; die
Annahme, gleichwohl eine exemplarische
"Bestrafung" vollstrecken zu sollen, stünde
außerhalb der in der
Rechtsgemeinschaft anerkannten Bewertungsverhältnisse.
Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Angeklagte aufgrund
sozial-
kultureller Prägung diese Wertungen nicht oder nur wesentlich
eingeschr änkt
gekannt hätte und hätte nachvollziehen
können (dazu im einzelnen Senatsur-
teil vom 28. Januar 2004 - 2 StR 452/03; vgl. auch
Tröndle/Fischer aaO § 211
Rdn. 14 m. w. N.). Das liegt bei einem seit elf Jahren in Deutschland
lebenden
Täter nicht nahe. Die Äußerung des
Angeklagten gegenüber dem Haftrichter,
in Pakistan wäre der R. "schon längst umgebracht
worden", deutet darauf hin,
daß er sich - unterstellt, es gebe entsprechende Anschauungen
in Pakistan -
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des gravierenden Bewertungsunterschieds durchaus bewußt war.
Im übrigen
ist weder festgestellt, daß eine entspr echende Tat nach
pakistanischem Recht
ger echtfer tigt wäre oder milder beurteilt würde,
noch daß der Angeklagte dies
annahm. Das bloße Verhaftet-Sein in sektiererischen
"Überzeugungen" und
nicht allgemein gültigen Ehr- oder Rachevorstellungen
begründet jedenfalls
dann keine mildere Bewertung objektiv niedriger Beweggründe,
wenn der Täter
den Widerspruch zur allgemeinen Anschauung kennt und an seiner abwei-
chenden Bewer tung gleichwohl uneinsichtig starr festhält.
Rissing-van
Saan
Detter
Bode
Fischer
Roggenbuck
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