BGH,
Beschl. v. 20.8.2008 - 5 StR 334/08
5 StR 334/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 20. August 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Brandstiftung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. August 2008
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Neuruppin vom 22. April 2008 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Aufrechterhalten
bleiben die Feststellungen zum äußeren Tathergang
und zum natürlichen Vorsatz des Angeklagten. Insoweit wird die
weitergehende Revision gemäß § 349 Abs. 2
StPO als unbegründet verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Brandstiftung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der
Angeklagte mit seiner Revision. Das Rechtsmittel hat nur zur Frage der
Schuldfähigkeit Erfolg; im Übrigen ist es aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte lebte in einer betreuten Wohneinrichtung. Am 21. Juli
2007 verließ er gegen 0.10 Uhr seine Station und begab sich
auf das angrenzende Gelände des von einem Verein zur
Förderung der Beschäftigung behinderter Menschen
betriebenen Gutshofs. Auch der Angeklagte war hier
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bis zum Juni 2007 tätig gewesen. Er ging zu dem aus
Holzbrettern und Welldachplatten gebauten Gänsestall und
setzte einen in der Nähe der hölzernen Wand
gelagerten Strohballen in Brand. Wie von ihm beabsichtigt, griff das
Feuer von dem Strohballen auf die Wand über und breitete sich
bis zum Dach hin aus. Ein Arbeiter des Hofs bemerkte das Feuer, rettete
die Gänse und alarmierte die Feuerwehr, so dass der
Angeklagte, der auch helfen wollte, nicht mehr benötigt wurde.
2. Die Feststellungen zur Tatbegehung durch den Angeklagten weisen
keine Rechtsfehler auf. Insbesondere ist die Beweiswürdigung
zur Täterschaft des bestreitenden Angeklagten ausreichend
tatsachenfundiert. Soweit allerdings die sachverständig
beratene Strafkammer eine relevante Beeinträchtigung der
Schuldfähigkeit verneint hat, kann das Urteil keinen Bestand
haben.
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Im Anschluss an den Sachverständigen hat das Landgericht
hierzu festgestellt, dass der Angeklagte intelligenzgemindert sei und
auffällige Verhaltensstörungen zeige. Trotz
deutlicher Abweichungen im wahrnehmenden Denken, im Fühlen und
in der Gestaltung sozialer Beziehungen finde er sich an „den
meisten Tagen“ mit sozialen Normen und Regeln zurecht. Seine
Steuerungsfähigkeit könne aber infolge impulsiver
Durchbrüche beeinträchtigt sein. Bei der Tat sei dies
nicht der Fall gewesen, denn der Täter sei überlegt
und geplant vorgegangen, so dass keine Anhaltspunkte für einen
impulsiven Durchbruch vorlägen.
Diese im Wesentlichen an dem Eingangsmerkmal
„Schwachsinn“ des § 20 StGB ausgerichteten
Erwägungen halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht
stand. Denn die festgestellten massiven Auffälligkeiten in der
Persönlichkeit des Angeklagten, die seinen Werdegang und seine
Lebensumstände entscheidend beeinflusst haben, seine
Vorverurteilungen sowie das Tatbild und -motiv hätten zu einer
eingehenden Prüfung und Erörterung gedrängt,
ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung
aufgrund ei-
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ner schweren anderen seelischen Abartigkeit in Form einer gravierenden
Persönlichkeitsstörung erheblich vermindert oder gar
aufgehoben war. Eine hierzu erforderliche Gesamtschau (vgl. BGHR StGB
§ 21 seelische Abartigkeit 4, 9, 16, 24, 29), in die all diese
Besonderheiten einzubeziehen wären, lassen die
Urteilsgründe vermissen. In diese wäre insbesondere
auch die Affinität des Angeklagten zu Brandstiftungen, die das
Landgericht losgelöst von anderen Aspekten allein unter dem
Gesichtspunkt berücksichtigt, dass es „Pyromanie als
eigenständige
Persönlichkeitsstörung“ nicht gäbe
(vgl. hierzu Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch
der forensischen Psychiatrie Bd. 1 2007, S. 130), einzustellen gewesen.
Anlass zu einer solchen eingehenden Prüfung hätte
schon deswegen bestanden, weil der im Urteil festgestellte Werdegang
des Angeklagten keinen Lebensbereich erkennen lässt, der von
einem ungestörten sozialen Anpassungs- und
Handlungsvermögen geprägt ist. So verbrachte er einen
Großteil seines Lebens in Heimen, nach dem er im Alter von
dreizehn Jahren mit seiner Adoptivfamilie gebrochen hatte, weil er sich
dort zurückgesetzt fühlte. Als Erwachsener
führte der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt einen eigenen
Haushalt und lebte immer unter engmaschiger Betreuung, was sich allein
durch die festgestellte, nicht überaus stark
ausgeprägte Minderbegabung nicht erklärt. Im
partnerschaftlichen Bereich fällt auf, dass er eine
Lebenspartnerschaft mit einem Mann eingegangen ist, obwohl er angeblich
keine homosexuellen Neigungen hat. Dennoch kehrte er die Verbindung
besonders offensiv gegenüber seinen Arbeitskollegen heraus, so
dass diese ihn hänselten, bis er schließlich nicht
mehr auf seiner bisher einzigen Arbeitsstelle auf dem Gutshof erschien.
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Vor allem aber das Tatbild in Verbindung mit dem Vorleben des
Angeklagten, der bereits mehrfach wegen Brandstiftungen verurteilt und
einmal im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden ist,
wäre als Indiz für eine psychische Störung
zu diskutieren gewesen. Hierbei hätte die im Hinblick auf
Diagnosekriterien einiger Persönlichkeitsstörungen
gemäß dem
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Klassifikationssystem ICD-10 auffällige psychische
Befindlichkeit in den Blick genommen werden müssen, wonach der
Angeklagte sich schnell gekränkt, zurückgesetzt oder
ungerecht behandelt fühlt und über mangelnde
Fürsorge beklagt, nach Frustrationen zu eigen- und
fremdaggressiven Handlungen und zu Brandstiftungen neigt. Auch die
möglichen Auswirkungen, die der Tod und die am Tag vor der Tat
erfolgte Beisetzung eines engen Freundes auf die psychischen
Befindlichkeit des Angeklagten hatten - worin das Landgericht immerhin
einen möglichen Beweggrund für die Tatbegehung sieht
-, hätten in diesem Zusammenhang in die umfassende Beurteilung
einbezogen werden müssen.
Von einer solchen Prüfungspflicht war das Landgericht auch
nicht etwa im Hinblick auf das „überlegte und
geplante Handeln des Angeklagten“ enthoben (BGHR StGB
§ 21 seelische Abartigkeit 10, 14, 23). Abgesehen davon, dass
nach den Feststellungen ein überaus überlegtes
Verhalten bei Begehung der zudem motivatorisch kaum
verständlichen, ganz unvernünftigen Tat nicht
hervorsticht, kann selbst bei geplantem und geordnetem Vorgehen die
Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu
einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvermögen gegeneinander
abzuwägen und danach seinen Willensentschluss zu bilden (BGH
NStZ-RR 2008, 104; BGH StraFo 2001, 249).
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Nach den Feststellungen lässt sich nicht einmal sicher
ausschließen, das eine umfassende Beurteilung aller Kriterien
zur Schuldunfähigkeit führt. Die Möglichkeit
einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit liegt
auf der Hand. Sollte im Hinblick auf die bestandskräftigen
Feststellungen zur
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Tat in dieser Sache die Bewährungsaussetzung der Unterbringung
im psychiatrischen Krankenhaus widerrufen werden, liegt eine
Verfahrensweise nach § 154 Abs. 2 StPO nicht fern.
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