BGH,
Beschl. v. 20.12.2001 - 4 StR 540/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 540/01
vom
20. Dezember 2001
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 20.
Dezember 2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Saarbrücken vom 11. September 2001 im
Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
Strafkammer des Landgerichts Landau zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte des "Widerstandes gegen
Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und versuchter gefährlicher
Körperverletzung, der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung
in 4 Fällen [gemeint: in 4 tateinheitlich zusammentreffenden
Fällen] und des Diebstahls" für schuldig befunden und
sie unter Einbeziehung "des Urteils des Amtsgerichtes
Zweibrücken [richtig: der Strafe aus dem Strafbefehl des
Amtsgerichtes Zweibrücken] vom 23.01.2001" zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und ihre Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich
die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung
sachlichen Rechts rügt. Das Urteil hat zum
Maßregelausspruch Erfolg; im übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Verurteilung liegen drei Straftaten zugrunde, die die Angeklagte
im Zeitraum von März bis Juli 1999 begangen hat. Nach den
insoweit getroffenen Feststellungen, gegen die die Revision auch nichts
einwendet, kam es in zwei Fällen zum Einsatz der Polizei gegen
die Angeklagte wegen ruhestörenden Lärms. Im ersten
Fall widersetzte sich die Angeklagte der von den Beamten beabsichtigten
Sicherstellung ihres Radiogerätes, das sie "trotz Mahnung
nicht abgestellt hatte", wobei sie gegen die Beamten tätlich
wurde. In dem weiteren Fall beleidigte sie die zum Einsatz erschienenen
vier Beamten und drohte ihnen an, "sie umzubringen und abzustechen".
Die dritte Tat betrifft einen von der Angeklagten verübten
Diebstahl von Bier und Zigaretten im Gesamtwert von etwas mehr als 25,
DM aus einem Lebensmittelgeschäft.
2. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch. Auch der Strafausspruch
und die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung halten
schon mit Blick auf die erhebliche, auch einschlägige
strafrechtliche Vorbelastung der Angeklagten der rechtlichen
Nachprüfung stand.
Dagegen kann die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) nicht bestehen
bleiben, weil die Voraussetzungen nicht ausreichend dargetan sind.
a) Das Landgericht hat sich zur Schuldfähigkeit der
Angeklagten den Ausführungen des gehörten
psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, denen zufolge
von "verminderter Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB
auszugehen (sei), da bei ihr eine schwere seelische Abartigkeit
vorliegt, die ihre Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit erheblich
beeinträchtigt hat" (UA 11). Die Angeklagte habe einen IQ von
78, verfüge über "keine tragfähigen sozialen
Kontakte", sie lebe bei zunehmender Verwahrlosung "ohne konkrete
Zielvorstellung" und verfüge "über keine
Lebensplanung", sie wirke "hoch impulsiv und wechselt spontan ihre
Ansichten" und sei "häufig depressiv, aufgewühlt und
emotional labil"; zu den "Begabungsmängeln und Defiziten im
Persönlichkeitsbereich" komme schließlich eine
"Polytoxikomanie einschließlich des Morphintyps" (UA 12).
b) Die zur Schuldfähigkeit der Angeklagten getroffenen
Feststellungen sind nicht geeignet, die Maßregelanordnung zu
rechtfertigen. Diese setzt die positive Feststellung eines
länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts
voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der
Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB
begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.). Die
Ausführungen der Strafkammer zur
Persönlichkeitsstörung der Angeklagten und zu der das
Gutachten des Sachverständigen tragenden fachlichen
Begründung sind aber so allgemein gehalten, daß sich
nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob die
festgestellte Störung den Schweregrad erheblich verminderter
Steuerungsfähigkeit erreicht (vgl. zum rechtlichen
Maßstab der "Schwere" der angenommenen
Persönlichkeitsstörung BGHSt 34, 22, 28; 37, 397,
401; BGHR StGB § 63 Zustand 14; Winckler/Foerster NStZ 1997,
334 f. = Bspr. von BGH NStZ 1996, 380). Es bleibt auch offen, ob die im
Urteil als "schwere seelische Abartigkeit" gewertete
"Dauerstörung im Persönlichkeitsgefüge" (UA
13) überhaupt einer in psychiatrischen Fachkreisen allgemein
anerkannten Kategorie psychischer Störungen entspricht. Der
Senat kann diese Frage nicht von sich aus - etwa unter Zuhilfenahme der
einschlägigen Klassifikationen psychischer Störungen
(ICD-10 Kapitel V (F) oder DSM-IV) - beantworten, abgesehen davon,
daß auch die Diagnose einer Störung nach
Maßgabe dieser Klassifikationssyteme noch keine hinreichenden
Rückschlüsse für die rechtliche Bewertung
unter dem Gesichtspunkt der Schuldfähigkeit erlaubt (st.
Rspr.; BGHSt 37 aaO; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 24).
Soweit das Landgericht - auch hierin dem Sachverständigen
folgend - auf die "Begabungsmängel", die
"Beeinträchtigung im Leistungsbereich", die
"zusätzlich destabilisierende Wirkung (von) Alkohol- und
Drogenmißbrauch", die "Verwahrlosungstendenzen", die
"dissoziale Entwicklung" sowie die "Suggestiveinflüsse und
Evidenzerlebnisse" (UA 14) verweist, sind damit persönliche
Merkmale beschrieben, die sich innerhalb der Bandbreite von
Eigenschaften auch voll schuldfähiger Menschen bewegen und
übliche Ursachen für ein strafbares Tun sein
können. Jedenfalls liegen die bei der Angeklagten
festgestellten Charakter- und Verhaltensauffälligkeiten bei
Straftätern häufig vor, ohne daß sie
für sich genommen eine generalisierende Aussage zur Frage der
Schuldfähigkeit zulassen (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand
26, Psychopathie).
Diese Mängel bei der Bewertung des Zustands der Angeklagten
beschweren die Angeklagte nicht, soweit das Landgericht bei der
Strafzumessung "§ 21 StGB zugunsten der Angeklagten bedacht"
(UA 12) hat. Auf die Voraussetzungen des § 63 StGB findet
dagegen der Zweifelsgrundsatz keine Anwendung (vgl. BGHSt 42, 385, 388).
c) Die unzureichenden Feststellungen zum Zustand der Angeklagten
entziehen auch der Gefährlichkeitsprognose die Grundlage (vgl.
BGH NStZ 1997, 335 f.). Zudem hält die
Gefährlichkeitsprognose der Strafkammer auch für sich
genommen rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Senat hat
bereits Bedenken, ob die hier abgeurteilten Taten in ihrer konkreten
Form und Häufung als "erheblich" i.S.d. § 63 StGB zu
werten sind. Soweit das Landgericht ersichtlich in erster Linie auf den
ersten Fall, in dem die Angeklagte gegen die Polizeibeamten
tätlich geworden ist, abstellt, wäre jedenfalls zu
bedenken gewesen, daß die Tat Züge einer
Gelegenheits- oder Konfliktstat trägt, deren symptomatische
Bedeutung die angenommene Gefährlichkeit in Frage stellen kann
(vgl. BGHSt 27, 246, 250; BGH NStZ 1991, 528; BGH, Beschl. vom 19.
Februar 1998 - 5 StR 17/98). Soweit das Landgericht zum Beleg
für die Gefährlichkeit der Angeklagten des weiteren
"Fremdaggressionen gegen ihre Mutter und eine Schwester" im Jahre 1998
heranzieht und ferner darauf verweist, die Angeklagte sei
"während ihres Aufenthaltes in der Landesnervenklinik
Klingenmünster ... häufiger in tätliche
Auseinandersetzungen mit dem dortigen Personal und Mitpatienten"
geraten (UA 14), entbehren die Feststellungen einer ausreichenden
Konkretisierung, um die Gefährlichkeitsprognose zu
stützen. Ohnehin können Taten, die im Rahmen einer
Unterbringung gegen Angehörige des Pflegepersonals und gegen
Mitpatienten begangen werden, nur eingeschränkt
Anlaß für die Anordnung einer strafrechtlichen
Unterbringung nach § 63 StGB sein (st. Rspr.; BGH NStZ 1998,
405; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26; BGH, Beschl.
vom 25. August 1998 - 4 StR 385/98). Dies gilt jedenfalls dann, wenn
die Taten nicht ausschließbar ihre Ursache (auch) in der
durch die Unterbringung für den Betreffenden bestehenden
Situation haben. Mangels näherer Darlegung zu den
tatbegleitenden Umständen gilt hinsichtlich des von der
Strafkammer weiter herangezogenen Vorfalls in der Justizvollzugsanstalt
vom 28. Oktober 2000 nichts anderes.
3. Die Frage der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus bedarf daher umfassender neuer Prüfung. Der Senat
macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2.
Halbs. StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Landau
zurück. Für das weitere Verfahren könnte es
sich empfehlen, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen.
Tepperwien Maatz Solin-Stojanovic Ernemann Sost-Scheible |