BGH,
Beschl. v. 20.2.2001 - 5 StR 3/01
5 StR 3/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 20. Februar 2001
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Februar 2001
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hamburg vom 13. Oktober 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO
verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Revision des
Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen
Rechts. Sie ist zum Schuldspruch unbegründet
gemäß § 349 Abs. 2 StPO. Jedoch
hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Prüfung
nicht stand, soweit das Landgericht die uneingeschränkte
Schuldfähigkeit des Angeklagten bejaht hat.
1. Die Strafkammer hat sich hierbei auf das Gutachten des
psychiatrischen Sachverständigen gestützt, der zwar
das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit in Form
einer manifesten narzißtischen
Persönlichkeitsstörung bejaht, eine hierauf beruhende
erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten jedoch ausgeschlossen hat, da ein die
Schuldfähigkeit beeinträchtigender Affektdurchbruch
bei Begehung der Tat im Ergebnis zu verneinen sei. Wenngleich auch
mehrere Anzeichen auf einen möglichen Affektdurchbruch
hindeuteten, so sprächen doch die lange Planung, der komplexe
Handlungsablauf und das umsichtige Nachtatverhalten des Angeklagten
für den Erhalt seiner Steuerungsfähigkeit.
2. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Wird eine
"schwere" andere seelische Abartigkeit festgestellt, die als
Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nach dem
Gesetz jeweils nur dann in Betracht kommt, wenn Symptome von
beträchlichem Gewicht vorliegen, deren Folgen den
Täter vergleichbar schwer stören, belasten oder
einengen wie krankhafte seelische Störungen (BGHSt 37, 397,
401), so liegt es nahe, dieser Form der
Persönlichkeitsstörung - sofern sie zu keinem
Ausschluß der Schuldfähigkeit führt - die
Wirkung einer von § 21 StGB geforderten "erheblichen"
Verminderung der Schuldfähigkeit zuzurechnen (BGHR StGB
§ 21 - seelische Abartigkeit 10, 20, 23; BGH NStZ 1996, 380).
Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein motivischer Zusammenhang zwischen
psychischer Störung und Tatgeschehen besteht (vgl. Rasch StV
1991, 126, 130).
a) Als er den Entschluß faßte, die Zeugin W zu
überfallen, befand sich der 43-jährige, ehemals gut
situierte Angeklagte in einer desolaten Situation. Nach den
Feststellungen war er völlig mittellos, erheblich
unterernährt, drohte obdachlos zu werden - die zwangsweise
Räumung seiner Wohnung stand unmittelbar bevor - und
verfügte über keine erkennbaren familiären
oder sonstigen Bindungen. In Verkennung der Realität war er
infolge seiner als schwere andere seelische Abartigkeit eingestuften
narzißtischen Persönlichkeitsstörung davon
überzeugt, daß er Opfer von
Behördenwillkür geworden sei und daß
für seinen sozialen Abstieg Behördenvertreter,
insbesondere die für ihn zuständige Sachbearbeiterin
des Sozialamtes, die Zeugin W , verantwortlich seien. Diese hatte nach
vielen fruchtlosen Ermahnungen, den für den Bezug von
Sozialhilfe erforderlichen Mitwirkungspflichten (Nachweis über
persönliche Arbeitsbemühungen, Meldung bei der
Arbeitsvermittlung, Einhalten von Terminen) nachzukommen,
schließlich die Einstellung der Sozialhilfe an den
Angeklagten angeordnet und die behördlichen Mietzahlungen
storniert. Wegen ihrer in seinen Augen insgesamt feindseligen und
unangemessenen Haltung wollte der Angeklagte sich an der Zeugin
rächen. Sein Ziel war es, ihr eine Lehre zu erteilen,
daß sie so nicht mit ihm umspringen könne.
Überdies beabsichtigte er ein Zeichen zu setzen, und durch
eine Tat, die nicht als "dummer Jugenstreich" gewertet werden
könne, auf seine Misere aufmerksam zu machen (UA S. 27). Am
Tage der Zwangsräumung suchte er das Dienstzimmer der Zeugin
auf, und verlangte von ihr unter Vorhalt eines geladenen Revolvers die
Herausgabe ihrer Geldbörse und der Kassengelder des
Sozialamtes. Als die Zeugin dieser Forderung nicht nachkam und sich
wortlos anschickte, das Zimmer zu verlassen, stieg in dem Angeklagten
ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit auf,
möglicherweise fühlte er sich auch beschämt,
weil sein Vorhaben mißlungen war. Das Verhalten der Zeugin
bewertete er als weiteren Beweis für ihren von ihm so oft
beklagten Mangel an sozialer Kompetenz (UA S. 30, 31). Aufgrund eines
neuen Tatentschlusses gab er nunmehr aus einer Entfernung von ein bis
zwei Metern drei Schüsse auf die Zeugin ab, um seiner
Enttäuschung über ihr Verhalten Ausdruck zu verleihen
und sie zu bestrafen (UA S. 31). Die Zeugin erlitt
lebensgefährliche Verletzungen. Nach der Tat entledigte sich
der Angeklagte der Waffe und stellte sich wenige Stunden
später der Polizei.
b) Auch unter Berücksichtigung der im Urteil
ausführlich dargelegten Vorgeschichte, die zahlreiche
Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten aufzeigt, und mit
Blick darauf, daß die festgestellte psychische
Störung des Angeklagten erkennbar auch in dem Tatgeschehen zum
Ausdruck gekommen ist, hätte das Landgericht die von ihm
vertretene Auffassung, daß trotz der Annahme einer schweren
anderen seelischen Abartigkeit keine erhebliche
Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit gegeben war,
näher erläutern müssen. Die vom Landgericht
angeführte Begründung, daß ein
Affektdurchbruch im Ergebnis nicht vorgelegen habe, geht fehl. Hier war
nämlich in erster Linie zu prüfen, ob der Angeklagte
allein infolge seiner abnormen Persönlichkeit in der
fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken
Motivationsdruck ausgesetzt war, wie er sonst in vergleichbaren
Situationen bei anderen Straftätern nicht vorhanden ist, und
ob dadurch seine Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten,
deutlich vermindert war (vgl. BGHR StGB § 21
- seelische Abartigkeit 14). Daß der Angeklagte
überlegt und zielgerichtet gehandelt hat, schließt
erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus (vgl. BGHR
StGB aaO 10, 14, 23). Auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann
die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize
zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander
abzuwägen und danach seinen Willensentschluß zu
bilden (vgl. BGHR StGB aaO 14).
3. Der Senat schließt aus, daß in der neuen
Hauptverhandlung die Prüfung der Schuldfähigkeit zu
dem Ergebnis führen wird, daß
Schuldunfähigkeit anzunehmen oder nicht
auszuschließen sei. Er hebt deshalb nur den Strafausspruch
auf. Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer die
Voraussetzungen des § 21 StGB bejahen, so wird auch die Frage
zu prüfen sein, ob eine Unterbringung des Angeklagten nach
§ 63 StGB
anzuordnen ist; das Verschlechterungsverbot würde dem nicht
entgegenstehen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
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Gerhardt Brause |