BGH,
Beschl. v. 20.2.2009 - I ARs 3/2008 - 1 BGs 20/2009
Bundesgerichtshof
Ermittlungsrichter I
I ARs 3/2008
1 BGs 20/2009
In dem Verfahren
der aus den Abgeordneten
Dr. S .,
Prof. Dr. P . und
St .
bestehenden Minderheit von einem Viertel der Mitglieder des 1.
Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
- Antragstellerin -
gegen
1. den 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen
Bundestages,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
- Antragsgegner zu 1 -
2. den Vorsitzenden des 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode
des Deutschen Bundestages, den Abgeordneten K. ,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
- Antragsgegner zu 2 -
- 2 -
erlässt der Ermittlungsrichter I beim Bundesgerichtshof am 20.
Februar 2009 folgenden
B e s c h l u s s:
I. Der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen
Bundestages hat nochmals über den vom Abgeordneten Prof. Dr.
P. am 8. Oktober 2008 schriftlich gestellten Beweisantrag (A-Drs. 586)
abzustimmen und ihm - sollte er weiterhin von mindestens einem Viertel
der Mitglieder des Ausschusses unterstützt werden -
(zumindest) mehrheitlich zuzustimmen.
II. Die weiteren und weitergehenden Anträge werden als
unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
1
Die Begehren der Antragstellerin zielen auf die ausschussinterne
Umsetzung und Ausführung eines im 1. Untersuchungsausschuss
der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gestellten Antrags auf
Beiziehung von Unterlagen der Bundesregierung (Mitteilungen eines
BND-Mitarbeiters).
2
1. Der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen
Bundestages wurde am 7. April 2006 eingesetzt, um unter anderem zu
klären, „ob und inwieweit über die in dem
Bericht der Bundesregierung [an das Parlamentarische Kontrollgremium
vom 20. Februar 2006] aufgeführten hinaus weitere
Informationen … vom BND vor Beginn und während des
Irak-Krieges aus dem Irak an die Zentrale gegeben wurden und an
US-Dienststellen gelangt sind, die für die
US-Kriegsführung von Bedeutung sein konnten oder sogar
tatsächlich dafür eingesetzt wurden“ (IV.2.
der BT-Drs. 16/990 und 16/1179), sowie zu klären,
„Anfragen welchen Inhalts von
- 3 -
den US-Stellen an den BND ab Beginn des Jahres 2003 gestellt wurden
[und] wie auf die Anfragen seitens des BND reagiert wurde“
(a.a.O. Ziffern IV.4.).
3
Im Mai 2006 fasste der Untersuchungsausschuss mehrere
Beweisbeschlüsse, die insbesondere die Beiziehung von
Unterlagen der Bundesregierung und des BND zu Weisungen und
Aufträgen an im Irak eingesetzte BND-Mitarbeiter sowie deren
Meldungen an die BND-Zentrale (Beweisbeschluss 16-16 vom 18. Mai 2006)
und von weiteren Akten sowie Unterlagen der Bundesregierung und des
Bundeskanzleramtes zum Gegenstand hatten (Beweisbeschlüsse
16-17 und 16-27 vom 18. Mai 2006).
4
Im Juni 2008 übermittelte die Bundesregierung dem
Untersuchungsausschuss mehrere Stehordner, die nach dem Schreiben des
Bundeskanzleramts vom 30. Juni 2008 - unter Zusicherung der
Vollständigkeit - „das Schriftgut des
Bundesnachrichtendienstes zu den o.g.
Beweisbeschlüssen“ sowie „Schriftgut,
… [das] nicht einschlägig im Sinne des
Untersuchungsauftrags ist“, enthalten. Die Unterlagen weisen
stellenweise Schwärzungen auf, bezüglich derer - auch
zur „Zusammenstellung der Akten“ - das
Bundeskanzleramt auf die
„verfassungsmäßigen Grenzen des
Beweiserhebungsrechts“ des Untersuchungsausschusses verwies.
Teil der Unterlagen sind in einem mit der VS-Einstufung
„Geheim“ versehenen Stehordner enthaltene Schreiben
eines BND-Mitarbeiters, die in erheblichem Umfang geschwärzt
sind (im Folgenden bezeichnet als „Request for
Information“).
5
In der 96. Sitzung des Untersuchungsausschusses vom 25. September 2008
beantragte der Abgeordnete S. , die Bundesregierung aufzufordern,
„die ‚geweißten’ Stellen in den
Akten offen zu legen“. Dieser Antrag wurde von der
Ausschussmehrheit abgelehnt.
6
In der 98. Sitzung des Untersuchungsausschusses vom 8. Oktober 2008
stellte der Abgeordnete Prof. Dr. P. mündlich folgenden Antrag:
„Der Ausschuss fordert die Bundesregierung auf, die auf den
request for information beruhenden Meldungen des Gardisten, die bislang
nahezu vollständig ‚geweißt’
sind, dem Ausschuss in ungeweißter Form zu
übermitteln.
- 4 -
Falls die Bundesregierung dieser Aufforderung nicht nachkommt, wird
eine einstweilige Verfügung beantragt.“
7
Nachdem der Antrag zurückgestellt worden war, wies Dr. H.
(Bundeskanzleramt) darauf hin, dass die Schwärzungen aus
„wohlerwogenen Gründen“ des Staatswohls
vorgenommen worden seien; es handle sich um Informationen eines anderen
Nachrichtendienstes, die „der Gardist … lediglich
[als] völlig indoloser Bote“ weitergeleitet habe und
bezüglich derer die Bundesregierung nicht disponieren
könne. Anschließend verlas der Vorsitzende des
Untersuchungsausschusses noch in dessen 98. Sitzung folgenden,
zwischenzeitlich vom Abgeordneten Prof. Dr. P. schriftlich vorgelegten
Antrag:
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Requests for
Information des Verbindungsoffiziers des BND bei US-CENTCOM/FORWARD in
Doha in vollständiger Fassung dem 1. Untersuchungsausschuss
vorzulegen.“
8
Der als Drucksache (A-Drs.) 586 erfasste Antrag wurde im
Untersuchungsausschuss auch im Hinblick auf das beim
Bundesverfassungsgericht anhängige Organstreitverfahren (Az.:
2 BvE 3/07) sowie die „Dispositionsbefugnis der
Bundesregierung“ und die „Verfügungsgewalt
des deutschen Nachrichtendienstes“ erörtert, wobei
der Antragsteller seinen Antrag als
„Beweiskonkretisierungsantrag“ bezeichnete. Auf die
sog. Fristeinrede (die sich darauf bezieht, dass Beweisanträge
grundsätzlich bis zum Donnerstag der Vorwoche einzureichen
sind) wurde allseits verzichtet. Anschließend stimmten die
Abgeordneten Dr. St. , Prof. Dr. P. sowie S. - und damit ein Viertel
der Mitglieder des Ausschusses - für den Antrag, die
„Koalitionsfraktionen“ (Protokoll S. 23) stimmten
gegen ihn. Daraufhin stellte der Vorsitzende fest, dass der Antrag mit
dem notwendigen Minderheitsquorum beschlossen worden sei, das
Beweismittel sei weder unerreichbar, noch sei die Zulässigkeit
gerügt worden. Hiergegen erhob ein Mitglied des
Untersuchungsausschusses - noch während der Sitzung -
Einwendungen und verwies darauf, dass es sich nicht um einen
Beweisantrag, sondern eine Handlungsaufforderung gehandelt habe,
für die nicht § 17 PUAG gelte, sondern die durch
(einfache) Mehrheit abgelehnt werden könne.
- 5 -
9
In der Folgezeit fertigte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses
den Beschluss nicht aus und leitete ihn auch nicht der Bundesregierung
zu. Dies begründete er in der 100. Sitzung des
Untersuchungsausschusses vom 16. Oktober 2008 damit, dass er
prüfe, ob es sich um einen Sach- oder einen Beweisantrag
gehandelt habe und wie es zu werten sei, „dass die Minderheit
dem Antrag zugestimmt habe und die Mehrheit sich nicht wie
üblich enthalten, sondern dagegen gestimmt habe“.
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2008 teilte er unter anderem mit, dass
der Antrag nicht als Beweisantrag im Sinn des § 17 PUAG
angesehen werden könne; vielmehr sei der Antrag durch die
Ausschussmehrheit (wirksam) abgelehnt worden. Er sehe sich aus
Rechtsgründen daran gehindert, die Zuleitung als
Beweisbeschluss an die Bundesregierung zu veranlassen (Schreiben vom
10. November 2008).
10
2. Die Antragstellerin ist der Ansicht, wegen der Schwärzungen
in den Schreiben des BND-Mitarbeiters sei es dem Untersuchungsausschuss
nicht möglich, insbesondere Ziffer IV.4. des
Untersuchungsauftrags zu erfüllen. Sie ist der Meinung, dem
zulässigen und rechtmäßigen Antrag sei am
8. Oktober 2008 durch einen (wirksamen) Beweisbeschluss entsprochen
worden, zumal die Beweiserhebung zulässig und das Beweismittel
erreichbar sei. Auch habe (insbesondere) der Ausschussvorsitzende
selbst den Antrag als Beweisantrag behandelt und die Entscheidung
über ihn als Beweisbeschluss bezeichnet. Ein
nachträgliches Prüfungsrecht stehe dem Vorsitzenden
des Untersuchungsausschusses nicht zu.
11
Die Antragstellerin beantragt festzustellen:
1. Der Antrag zu A-Drs. 586 ist am 8.10.2008 in der 98. Sitzung des 1.
Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages
wirksam beschlossen worden,
2. der Vorsitzende des 1. Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode
des Deutschen Bundestages ist verpflichtet, den Beweisbeschluss zu
A-Drs. 586 der Bundesregierung unverzüglich zuzuleiten,
- 6 -
hilfsweise:
der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen
Bundestages wird verpflichtet, unverzüglich eine wirksame
Beschlussfassung zum Antrag A-Drs. 596 nachzuholen.
12
Mit Schreiben vom 5. Februar 2009 fasste die Antragstellerin den
Hilfsantrag „wie folgt“: Es wird festgestellt, dass
der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen
Bundestages verpflichtet ist, den Beweisantrag auf A-Drs. 586
unverzüglich zu beschließen.
13
Die Antragsgegner sind der Ansicht, das vorliegende Antragsverfahren
sei bereits unzulässig. Zum einen ziele es der Sache nach auf
das bereits in dem Organstreitverfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht verfolgte Begehren und sei Teil der
Auseinandersetzung über die Aktenfreigabe durch die
Bundesregierung. Zum anderen sei der Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs für die Entscheidung nicht
zuständig, weil es sich nicht um einen Beweisantrag im Sinn
des § 17 PUAG, sondern um einen Sachantrag gehandelt habe.
Auch die unbeanstandet gebliebene Behandlung des in der 96. Sitzung des
Untersuchungsausschusses gestellten Antrags zeige, dass der hier
gegenständliche und mit jenem identische Antrag zutreffend als
Sachantrag - und nicht als Beweisantrag - behandelt worden sei, zumal
der Antragsteller selbst seinen Antrag nicht als Beweisantrag angesehen
habe. Schließlich sind die Antragsgegner der Meinung, die
Anträge seien wegen fehlenden
Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. In der Sache
vertreten die Antragsgegner die Auffassung, dass - würde es
sich um einen Beweisantrag handeln - die Beweiserhebung
unzulässig und das Beweismittel teilweise unerreichbar sei;
unzulässig sei er als „reine Wiederholung“
und aus Gründen des Geheimnisschutzes und damit des
Staatswohls, unerreichbar sei das Beweismittel, weil die
Bundesregierung über die von den US-Stellen gelieferten
Informationen keine Verfügungsgewalt besitze.
14
Die Antragsgegner beantragen,
die Anträge als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise
als unbegründet zurückzuweisen.
- 7 -
15
3. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insbesondere auf die
Antragsschrift vom 5. Dezember 2008 und die Erwiderung des Vertreters
der Antragsgegner vom 12. Januar 2009 Bezug genommen.
II.
16
Das Begehren der Antragstellerin hat teilweise Erfolg. Der
Untersuchungsausschuss ist verpflichtet, sich nochmals mit dem vom
Abgeordneten Prof. Dr. P. gestellten Beweisantrag (A-Drs. 586) zu
befassen und ihm - sollte er weiterhin von mindestens einem Viertel der
Mitglieder des Ausschusses unterstützt werden - (zumindest)
mehrheitlich im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG zuzustimmen.
17
1. Die Haupt- und Hilfsanträge sind zulässig.
18
a) Der Statthaftigkeit der Anträge und der
Entscheidungsbefugnis des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof
stehen weder Art. 93 GG, § 13 BVerfGG entgegen, noch das
bereits anhängige Organstreitverfahren oder die
Möglichkeit einer (weiteren) Befassung des
Bundesverfassungsgerichts mit einer Aktenanforderung des
Untersuchungsausschusses gegenüber der Bundesregierung oder
einer der in § 18 Abs. 1 PUAG aufgeführten Stellen.
19
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist weder unmittelbar noch
mittelbar die im Streitfall (gegebenenfalls) allein vom
Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Frage, ob die Bundesregierung
gegenüber dem Untersuchungsausschuss zur Übersendung
von (ungeschwärzten) Akten - hier: bezüglich der
„Request for Information“ - verpflichtet ist (vgl.
§§ 18 Abs. 3, 36 Abs. 1 PUAG). Vielmehr geht es - was
auch die Anträge deutlich machen - um das in § 17
PUAG ausdrücklich geregelte Verfahren bei der
ausschussinternen Behandlung und Entscheidung über den Antrag
zu einer Beweiserhebung und damit einen bezüglich der
erforderlichen Zustimmungsquote gegenüber dem Strafprozess
zwar modifizierten, hinsichtlich der Ablehnungsgründe
(§ 17 Abs. 2 PUAG) aber der Regelung in § 244 Abs. 3
StPO teilweise entsprechenden Verfahrensabschnitt (vgl. auch BT-Drs.
14/5790 S. 17). Auch wenn das Beweiserhebungs- und
Beweiserzwingungsrecht der Minderheit in Art. 44 GG wurzelt (vgl.
BVerfGE 67, 100, 128, 134), geht es vorliegend mithin nicht (vorrangig)
- 8 -
um die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht, sondern die Anwendung der
einfachgesetzlichen Regelung des § 17 PUAG. Diese
Prüfung ist nicht dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten,
sondern obliegt - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG,
einstweilige Anordnung vom 15. Juni 2006 - 2 BvQ 18/05 [Rdn. 37 ff.];
anderer Ansicht wohl Klein in Maunz/Dürig, Grundgesetz
Kommentar, Art. 44 Rdn. 239) - nach §§ 17 Abs. 4, 36
Abs. 1 PUAG (zumindest auch) dem Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs.
20
b) Antragsberechtigt im Sinn des § 17 Abs. 4 PUAG und
Antragstellerin ist die Minderheit eines Viertels der Mitglieder des
Untersuchungsausschusses als solche, nicht die Abgeordneten
(persönlich), die diese Minderheit bilden (vgl.
Gärditz ZParl 2005, 854, 859; Platter, Das parlamentarische
Untersuchungsverfahren vor dem Verfassungsgericht, Berlin, 2004, S.
166). Antragsgegner sind - wie in der Antragsschrift
aufgeführt und aus dem jeweiligen Antrag unzweifelhaft zu
entnehmen - der Untersuchungsausschuss (1. Haupt- und Hilfsantrag)
sowie der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses (2. Hauptantrag; zum
Vorsitzenden als möglichem Antragsgegner auch Gärditz
ZParl 2005, 854, 868).
21
2. Die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 36
Abs. 2 PUAG ist nicht geboten. Hinsichtlich der
Verfassungsmäßigkeit der Einsetzung des
Untersuchungsausschusses bestehen keine Bedenken, zumal auch von den
Verfahrensbeteiligten weder im vorliegenden Verfahren noch - soweit
bekannt - in dem vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen
Organstreitverfahren (Az. 2 BvE 3/07) entsprechende Einwände
erhoben wurden.
22
3. Die Antragstellerin hat in der Sache teilweise Erfolg.
23
a) Unbegründet sind jedoch die mit den Hauptanträgen
verfolgten Begehren.
24
Soweit aufgrund des 1. Hauptantrags festgestellt werden soll, dass der
Beweisantrag vom Untersuchungsausschuss wirksam beschlossen wurde,
trifft dies nicht zu. Vielmehr stimmte die Mehrheit der
Ausschussmitglieder gegen den Antrag. Damit war er abgelehnt
(§ 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG). Dem steht nicht entgegen, dass nach
§ 17 Abs. 2 PUAG - sofern die Voraussetzungen im
Übrigen vorliegen - Be-
- 9 -
weise zu erheben sind, wenn dies von einem Viertel der Mitglieder des
Untersuchungsausschusses beantragt wurde. Allein dadurch, dass eine
qualifizierte Minderheit einen solchen Antrag stellt oder für
ihn stimmt, wird er nicht vom Ausschuss „wirksam
beschlossen“ (vgl. dazu auch unten b. dd.).
25
Infolge der Ablehnung des Antrags war und ist der Vorsitzende des
Untersuchungsausschusses nicht - wie im 2. Hauptantrag begehrt -
verpflichtet, den Beweisbeschluss der Bundesregierung zuzuleiten (vgl.
§ 6 Abs. 2 PUAG).
26
b) Erfolg hat jedoch der entsprechend dem Entscheidungstenor
auszulegende Hilfsantrag. Der Untersuchungsausschuss hat sich nochmals
mit dem vom Abgeordneten Prof. Dr. P. gestellten Beweisantrag (A-Drs.
586) zu befassen und ihm - sollte er weiterhin von mindestens einem
Viertel der Mitglieder des Ausschusses unterstützt werden -
(zumindest) mehrheitlich im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG
zuzustimmen.
27
aa) Bei dem vom Abgeordneten Prof. Dr. P. gestellten Antrag (A-Drs.
586) handelt es sich um einen Beweisantrag im Sinn des § 17
Abs. 2, 4 PUAG.
28
(1.) Unter einem Beweisantrag wird im Strafverfahren - soweit
vorliegend von Bedeutung - das Begehren eines Prozessbeteiligten
verstanden, mit einem bestimmten, nach der Strafprozessordnung
zulässigen Beweismittel eine konkrete, für den
Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch relevante Beweisbehauptung
festzustellen (vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 51.
Aufl., § 244 Rdn. 18; Fischer in Karlsruher Kommentar zur
Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 244 Rdn. 69 ff., 79 jeweils
m.w.N.). Er ist mithin durch die Bezeichnung eines Beweismittels und
die Angabe der durch dieses zu beweisenden Behauptung, also eine
äußere oder innere Tatsache bzw. einen Sachverhalt,
gekennzeichnet.
29
Diese Anforderungen gelten infolge der Verweisung in Art. 44 Abs. 2
Satz 1 GG im Grundsatz auch für Beweisanträge im Sinn
des § 17 Abs. 2 PUAG (vgl. Glauben/Brocker, Das Recht der
parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und
Ländern, 2005, § 16 Rdn. 3, 5). Die Angabe des
Beweismittels, dessen sich der Ausschuss bedienen soll, ist auch bei
einer im Untersuchungsausschuss begehrten
- 10 -
Beweisaufnahme unerlässlich, schon weil erst dies die
Prüfung ermöglicht, ob das Beweismittel erreichbar
ist (§ 17 Abs. 2 PUAG). Ferner muss den Mitgliedern des
Ausschusses vor der Abstimmung über den Antrag als notwendige
Grundlage des eigenen Abstimmungsverhaltens aber auch die Tatsache oder
der Sachverhalt bekannt sein, die bzw. der Gegenstand der
Beweisaufnahme sein soll. Nicht zuletzt wird hiervon häufig
die Entscheidung abhängen, ob die Beweiserhebung vom
Untersuchungsauftrag gedeckt und aus diesem oder anderen
Gründen zulässig ist (§ 17 Abs. 2 PUAG).
Auch ist erst dann, wenn Beweismittel und Beweisthema klar sind, eine
sachgerechte Entscheidung des Gerichts nach § 17 Abs. 4 PUAG
über eine abgelehnte Beweiserhebung möglich. Indes
dürfen insofern an einen Beweisantrag keine
überzogenen, letztlich nur mehr Formalien betreffende
Anforderungen gestellt werden. So ist es beispielsweise ausreichend,
wenn die Angabe des Beweisthemas vom Antragsteller erst auf Frage eines
Ausschussmitglieds nachgeholt wird. Ferner wird dem Zweck, der der
Forderung nach der Mitteilung des Beweisthemas zugrunde liegt, auch
ohne dessen ausdrückliche Angabe entsprochen, wenn das
Beweisthema offensichtlich ist oder aufgrund des Zusammenhangs, in dem
der Antrag gestellt wurde, unzweifelhaft feststeht und ohne weiteres
etwa aus dem über die Ausschusssitzung gefertigten Protokoll
nachvollzogen werden kann. In solchen Fällen unterliegt es
keinen Bedenken, wenn Beweismittel und Beweisthema erst im
Beweisbeschluss konkret bezeichnet werden (vgl. BT-Drs. 14/2363 S. 13;
ähnlich Glauben/Brocker a.a.O § 16 Rdn. 3).
30
Neben diesen allgemein Beweisanträge betreffenden
Grundsätzen gelten für Anträge, die die
Vorlage von Akten im Sinn des § 18 Abs. 1 PUAG betreffen,
weitere Besonderheiten. Akten als solche - als
„Gesamturkunde“ - sind nämlich keine
Beweismittel im Sinn der Strafprozessordnung für ihren Inhalt.
Beweismittel sind insofern vielmehr nur die jeweils einen bestimmten
Vorgang oder eine solche Tatsache betreffenden Eintragungen, also die
einzelnen in der Akte enthaltenen Urkunden (Fischer in Karlsruher
Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O. § 244 Rdn. 81
m.w.N.). Die uneingeschränkte Übernahme dieser
Bewertung in Bezug auf Akten als Beweismittel würde indes den
Bedürfnissen und Besonderheiten des Verfahrens eines
Untersuchungsausschusses nicht gerecht, zumal die Strafprozessordnung
selbst (in § 96 i.V.m. § 94 Abs. 1) zwischen
„Akten“ und „Beweismitteln“
zumindest einen engen Zusammenhang herstellt. Im Strafverfahren werden
die der Staatsanwalt
- 11 -
schaft bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens ohnehin bekannten
Ermittlungsmaßnahmen und deren Ergebnisse dem Gericht durch
die Übersendung der Akten unterbreitet und dem Verteidiger auf
Verlangen durch Akteneinsicht (§ 147 StPO)
übermittelt. Weitgehend auf dieser Grundlage entscheidet das
Gericht, welche Beweise in der Hauptverhandlung erhoben werden sollen;
auch für die Prozessbeteiligten, die Beweiserhebungen anregen
oder beantragen wollen, sind die in den Akten niedergelegten
Erkenntnisse regelmäßig von besonderer Bedeutung und
vor einer solchen Antragstellung jedenfalls zu bedenken. In
ähnlicher Weise dient die Aktenanforderung im
Untersuchungsausschuss zunächst regelmäßig
der Information der Ausschussmitglieder (Glauben/Brocker a.a.O.
§ 17 Rdn. 4, 8; Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren
parlamentarischer Untersuchungsausschüsse des Deutschen
Bundestages, 2003, S. 325; Wiefelspütz, Das
Untersuchungsausschussgesetz, 2003, S. 232; vgl. auch BVerfG, Beschluss
vom 1. Oktober 1987 - 2 BvR 1178, 1179, 1191/86 [Rdn. 114]), ist die
Aktenübersendung also notwendige - und durch die Verfassung
abgesicherte - Grundlage für die Ausübung des
parlamentarischen Kontrollrechts (vg. BVerfGE 67, 100, 132:
„Wesenskern“). Darüber hinaus ist die
Aktenanforderung aber bereits Teil der Beweiserhebung; sie bereitet
nämlich die Beweisaufnahme durch Einführung einzelner
Aktenteile im Wege des Urkundenbeweises nach § 31 PUAG vor
(vgl. Glauben/Brocker a.a.O. § 15 Rdn. 3, § 16 Rdn.
8, § 15 Rdn. 5, § 17 Rdn. 41; ferner Klein in
Maunz/Dürig a.a.O. Art. 44 Rdn. 215, 218; Achterberg/Schulte
in v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 44 Rdn.
116; Weisgerber a.a.O. S. 144; zur Unterscheidung
„Beweiserhebung“ -
„Beweisaufnahme“: BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober
1987 - 2 BvR 1178, 1179, 1191/86 [Rdn. 115]). Dienen die Akten mithin
aber zunächst der Informationsbeschaffung, so kann - soweit
sie die Beweisaufnahme vorbereiten - zumindest im Regelfall nicht
verlangt werden, dass der Antragsteller in seinem Beweisantrag bereits
das auf den (ihm regelmäßig jedenfalls im Detail
noch nicht bekannten) Inhalt der Akte bezogene Beweisthema mitteilt;
schlichtweg „ins Blaue hinein“ aufgestellte
Behauptungen oder Vermutungen hinsichtlich des Akteninhalts sind von
ihm nicht zu verlangen und wären für die mit der
Entscheidung über den Antrag Befassten auch nicht
weiterführend. Die „sinngemäße
Anwendung“ der Vorschriften über den Strafprozess
(Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG; dazu Weisgerber a.a.O. S. 147) gebietet es
in solchen Fällen der Aktenanforderung daher
regelmäßig nicht, einen Beweisantrag nur dann
anzunehmen, wenn auch ein konkretes Beweisthema mitgeteilt ist; insofern
- 12 -
genügt vielmehr, dass ein erkennbarer Zusammenhang mit dem
Untersuchungsauftrag besteht (vgl. zu einem
„Beweisantrag“ auf Aktenvorlage, dessen Beweisthema
lediglich mit dem „Untersuchungsauftrag“ bezeichnet
wurde: BVerfGE 67, 100, 109, 145; im Ergebnis ähnlich BbgVerfG
LKV 2004, 177, 178; Glauben/Brocker a.a.O. § 16 Rdn. 3).
31
(2.) Auf dieser Grundlage ist der vom Abgeordneten Prof. Dr. P.
gestellten Antrag (A-Drs. 586) als Beweisantrag im Sinn des §
17 Abs. 2, 4 PUAG zu bewerten.
32
Der Antrag bezeichnete die anzufordernden Unterlagen und es war
offensichtlich, dass die Mitteilungen des BND-Mitarbeiters in
unmittelbarem Zusammenhang mit dem Untersuchungsauftrag standen und
Beweisthema die dem Antragsteller im Einzelnen noch nicht bekannten
Inhalte der „Request for Information“, jedenfalls
aber schon die Existenz von „Anfragen … von
US-Stellen“ im Sinn der Ziffer IV.4. des
Untersuchungsauftrags waren.
33
Unerheblich ist demgegenüber, ob der Antrag bereits
früher gestellt oder von einem früheren Beweisantrag
umfasst war. Allein dies, also die bloße Wiederholung,
würde dem Antrag nicht die Qualität als Beweisantrag
nehmen. Jedoch wäre der Antrag als Beweisantrag
unzulässig oder zumindest nicht als solcher zu behandeln, wenn
er trotz bereits erfolgter Beweisaufnahme nochmals gestellt und auf
deren bloße Wiederholung gerichtet wäre (vgl.
Fischer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O.
§ 244 Rdn. 107). Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Es
ist schon nicht vorgetragen, dass bezüglich der
übersandten „Request for Information“
gemäß § 31 PUAG Beweis erhoben wurde. Aber
auch wenn auf die bloße Übersendung der Unterlagen
abzustellen wäre, würde sich der Antrag nicht auf
deren Wiederholung beziehen; denn der Antragsteller will mit seinem
Begehren ein Übermittlung der ungeschwärzten
Schriftstücke erreichen, nicht aber die erneute
Übersendung der im selben Umfang unleserlich gemachten
Unterlagen.
- 13 -
34
bb) Der Antrag entspricht auch im Übrigen den sich aus
§ 17 Abs. 2 Halbs. 1 PUAG ergebenden Anforderungen.
35
Dabei kann dahinstehen, ob er - wie nach dem Wortlaut von § 17
Abs. 2 PUAG erforderlich - von einer qualifizierten Minderheit (so zwar
nicht die amtliche, aber die gebräuchliche Bezeichnung, vgl.
etwa BT-Drs 14/5790 S. 17; BVerfGE 105, 197, 225 f.) oder lediglich
einem Ausschussmitglied gestellt wurde. Nach dem Sinn und Zweck der
Regelung (Minderheitenschutz) genügt es, wenn ihm - wie hier -
vor der Abstimmung weitere Mitglieder „beigetreten“
sind und er damit durch eine qualifizierte Minderheit
unterstützt wurde.
36
Demgegenüber kommt der Frage, wie der Vorsitzende, der oder
die Antragsteller bzw. die weiteren Ausschussmitglieder den Antrag
qualifiziert haben, keine maßgebliche Bedeutung für
die hier vorzunehmende Bewertung zu (zu der auf ältere
Gesetzesmaterialien zurückgehenden Bezeichnung als
„Beweisvorbereitungsantrag“ bzw.
„Beweisvorbereitungsbeschluss“: Glauben/Brocker
a.a.O. § 16 Rdn. 8). Im Rahmen einer nach § 17 Abs. 4
PUAG zu treffenden Entscheidung ist ein Antrag als Beweisantrag zu
behandeln, wenn er den an diesen zu stellenden Anforderungen entspricht.
37
cc) Der Beweisantrag durfte von der Ausschussmehrheit nicht abgelehnt
werden, da keiner der Ablehnungsgründe des § 17 Abs.
2 PUAG vorlag.
38
(1.) § 17 Abs. 2 PUAG ermöglicht die -
grundsätzlich zu begründende (BVerfGE 105, 197, 225;
Glauben/Brocker a.a.O. § 27 Rdn. 9) - Ablehnung eines
Beweisantrags nur im Fall der Unzulässigkeit der
Beweiserhebung oder der Unerreichbarkeit des Beweismittels.
39
(a.) Der Antrag durfte nicht wegen Unzulässigkeit der
Beweiserhebung abgelehnt werden.
40
Unzulässig ist die Beweiserhebung beispielsweise dann, wenn
sie durch den Untersuchungsauftrag nicht gedeckt ist oder gegen
verfassungsrechtliche, gesetzli
- 14 -
che und geschäftsordnungsrechtliche Vorschriften
verstößt (BT-Drs. 14/2363 S. 14; 14/5790 S. 17;
Risch DVBl. 2003, 1418; Glauben/Brocker a.a.O. § 15 Rdn. 6 f.).
41
Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Allein der
Umstand, dass ein Beweisantrag mehrfach gestellt wurde, macht -
unabhängig davon, ob ein solcher Fall hier vorliegt - die
Beweiserhebung nicht unzulässig. Ebenso wenig wäre
die Beweiserhebung unzulässig, wenn ein Antrag trotz bereits
erfolgter Ablehnung erneut oder wenn er nach durchgeführter
Beweiserhebung nochmals gestellt werden würde (vgl. Fischer in
Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O. § 244 Rdn.
107; zur Unterscheidung zwischen der Unzulässigkeit eines
Beweisantrags und der Unzulässigkeit der Beweiserhebung auch
Meyer-Goßner a.a.O. § 244 Rdn. 48). In diesen
Fällen wäre die (erneute) Erhebung des Beweises nicht
„verboten“, sondern - möglicherweise - der
Beweisantrag nicht als solcher zu behandeln oder unzulässig.
42
Auch soweit sich die Antragsgegner auf eine Unzulässigkeit
„wegen Geheimnisschutzinteressen“ berufen, vermag
dies die Ablehnung des Beweisantrags nicht zu rechtfertigen. Nach dem
Wortlaut des § 96 StPO steht eine
„Sperrerklärung“ zwar schon dem Ersuchen
um Übersendung von Akten entgegen. Jedoch wird die im
Strafprozess durch §§ 95, 96 StPO geregelte
Aktenanforderung im Verfahren des Untersuchungsausschusses durch
§ 18 PUAG modifiziert. Sachlich gerechtfertigt dadurch, dass
regelmäßig allein die aktenführende oder
für die „Sperrerklärung“ bzw. die
Herausgabe der Akten verantwortliche Stelle die tatsächlichen
Grundlagen und Hintergründe etwaiger
„Geheimnisschutzinteressen“ kennt und bewerten
kann, besteht die Verpflichtung der Bundesregierung und der in
§ 18 Abs. 1 PUAG genannten Stellen, einem
Aktenübersendungsersuchen des Untersuchungsausschusses zu
entsprechen „vorbehaltlich verfassungsrechtlicher
Grenzen“. Dies - und auch die Regelung in § 18 Abs.
2 PUAG - zeigt, dass der Untersuchungsausschuss ein solches Ersuchen
auch dann stellen darf, wenn zu erwarten ist, dass es aus
„verfassungsrechtlichen Gründen“ abgelehnt
wird; denn über deren Vorliegen entscheidet die
Bundesregierung oder der zuständige Bundesminister und im
Streitfall das Bundesverfassungsgericht - nicht aber schon vorab der
Untersuchungsausschuss. Hinzu kommt, dass - falls schon der
Untersuchungsausschuss im Hinblick auf eine drohende oder bereits
tatsächlich abgegebene
„Sperrerklärung“ der Bundesregierung
- 15 -
von einer mittels Beweisbeschluss einzufordernden
Aktenübersendung absehen müsste - von ihm eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach § 18 Abs. 3
PUAG nicht mehr eingeholt werden könnte. Nichts anderes gilt,
wenn das Aktenübersendungsersuchen in Form eines Beweisantrags
gestellt wird.
43
Im Übrigen ist vorliegend zudem zu berücksichtigen,
dass die Übersendung der (nicht oder weniger umfassend
geschwärzten) „Request for Information“
bislang noch nicht in konkretisierter Form Gegenstand eines
Beweisantrags oder eines Ak-tenübersendungsersuchens war. Auch
der Beweisbeschluss 16-438 betrifft lediglich „Aufzeichnungen
… zwischen Stellen des BND … und Stellen von
Centcom“. Hinzu kommt, dass die „Request for
Information“ nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrags
der Antragstellerin in der Antragsschrift (S. 6) jedenfalls nicht nur
aus den Gründen geschwärzt wurden, die der Vertreter
des Bundeskanzleramts in der 110. Ausschusssitzung vom 18. Dezember
2008 (nochmals) erläuterte (fehlende Dispositionsbefugnis),
und er dort zudem ankündigte, dass ein entsprechender
Beweisantrag eine - wenn auch nicht aussichtsreiche - Anfrage um
Freigabe bei der dispositionsbefugten Stelle zur Folge hätte.
44
(b.) Auch der Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit lag und liegt nicht
vor.
45
Unerreichbar sind Beweismittel, bei denen der Untersuchungsausschuss
nicht weiß oder nicht ermitteln kann, wo sie sich aufhalten
oder bei denen abzusehen ist, dass sie auch nach Anwendung der im
Untersuchungsausschussgesetz vorgesehenen Zwangsmittel für die
Beweiserhebung im laufenden Untersuchungsverfahren nicht
herbeigeschafft werden können (BT-Drs. 14/2363 S. 14; 14/5790
S. 17). Letzteres ist bezüglich der „Request for
Information“ aus den oben dargelegten Gründen nicht
der Fall, Unerreichbarkeit aufgrund anderer Umstände ist
ersichtlich nicht gegeben.
46
(2.) Ob neben den in § 17 Abs. 2 PUAG aufgeführten
Gründen noch weitere Umstände, wie Verschleppung oder
offensichtlicher Missbrauch (BVerfGE 105, 197, 225), die Ablehnung
eines Beweisantrags rechtfertigen können oder ob solche
Umstände bereits zur Unzulässigkeit der
Beweiserhebung führen, bedarf keiner Entscheidung. Solche
Umstände sind vorliegend nicht gegeben.
- 16 -
47
dd) Bestand und besteht somit kein tragfähiger Grund
für die Ablehnung des Antrags, waren die Ausschussmitglieder
zumindest mehrheitlich (im Sinn des § 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG)
verpflichtet, dem Beweisantrag zuzustimmen, mithin den Beweisbeschluss
zu erlassen (vgl. BT-Drs. 14/2363 S. 14; 14/5790 S. 17; Klein in
Maunz/Dürig a.a.O. Art. 44 Rdn. 198; Risch DVBl. 2003, 1418,
1423; zur entsprechenden Praxis der Untersuchungsausschüsse
auch Platter a.a.O. S. 80 mit Beispielen in Fußn. 257). Dies
ist nunmehr nachzuholen. Entsprechend war der Hilfsantrag der
Antragstellerin auszulegen (vgl. zum Ziel des Hilfsantrags insbesondere
S. 11, 17 der Antragsschrift).
48
Diese Entscheidung des Untersuchungsausschusses kann der
Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs nicht ersetzen, da er
andernfalls - weil sein Beschluss nicht Gegenstand oder Grundlage eines
Organstreitverfahrens sein kann - dieses Beweismittel einem solchen
verfassungsgerichtlichen Verfahren entziehen würde (vgl. Risch
DVBl. 2003, 1418, 1423 f.). Ob dies auch dann gilt, wenn sich die
Mehrheit des Untersuchungsausschusses trotz einer sie zur Zustimmung
verpflichtenden gerichtlichen Entscheidung weigert, den Beweisbeschluss
zu erlassen, bedarf hier keiner Entscheidung.
49
Im Hinblick auf die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten
sowie in Abgrenzung zur im Streitfall insofern allein dem
Bundesverfassungsgericht zustehenden Entscheidungsbefugnis wird
vorsorglich darauf hingewiesen, dass die vorliegende Entscheidung
allein den Erlass eines Beweisbeschlusses durch den
Untersuchungsausschuss zum Gegenstand hat, nicht aber dessen Vollzug
oder gar die Bundesregierung dazu verpflichtet, dem Ausschuss
(ungeschwärzte) Akten zur Verfügung zu stellen.
III.
50
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
51
Ein Gebührentatbestand bezüglich der Gerichtskosten
ist nicht ersichtlich, zudem wäre der Bund von der Zahlung
dieser Gebühren befreit (§ 2 Abs. 1 Satz 1GKG). Auch
für die Überbürdung der Kosten und Auslagen
der Antragstellerin bzw.
- 17 -
der Antragsgegner mangelt es an einer Rechtsgrundlage (vgl. zudem
§ 35 Abs. 1 PUAG).
IV.
Rechtsmittelbelehrung
52
Gegen diesen Beschluss können die Antragstellerin und der
Antragsgegner zu 1. Beschwerde einlegen (§ 36 Abs. 3 PUAG).
Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll bei dem Gericht
einzureichen, das die angegriffene Entscheidung erlassen hat
(§ 306 Abs. 1 StPO), also beim Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs. Sie ist an keine Frist gebunden. Auch besteht
für die Einlegung der Beschwerde kein
„Anwaltszwang“, die Verfahrensbeteiligten
können das Rechtsmittel also auch durch ein selbst verfasstes
Schreiben einlegen und begründen.
Dr. Mutzbauer
Richter am Bundesgerichtshof |