BGH,
Beschl. v. 20.3.2001 - 4 StR 79/01
StGB § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
Erzwingt der Täter nur solche dem Beischlaf ähnliche,
mit einem Eindringen in den Körper verbundene sexuelle
Handlungen (Vergewaltigung), zu deren Durchführung sich das
Tatopfer zuvor gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt hatte,
ist das Regelbeispiel des besonders schweren Falles der sexuellen
Nötigung nur erfüllt, wenn weitere
entwürdigende Umstände die "besondere Erniedrigung"
des Opfers durch die sexuellen Handlungen ergeben (im
Anschluß an BGH NJW 2000, 672).
BGH, Beschluß vom 20. März 2001 - 4 StR 79/01 - LG
Magdeburg
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 79/01
vom
20. März 2001
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20.
März 2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Magdeburg vom 23. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben
a) in dem den Fall II 2 der Urteilsgründe betreffenden
Einzelstrafausspruch,
b) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen sexueller Nötigung
und wegen Vergewaltigung" unter Einbeziehung einer viermonatigen
Freiheitsstrafe aus einem früheren Urteil zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wendet
sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung
sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg;
im übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und
Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben, soweit ihn das Landgericht im Fall II 1 der
Urteilsgründe wegen sexueller Nötigung zum Nachteil
der Versicherungskauffrau Gudrun A. zur (Einzel-)strafe von vier Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt hat. Insoweit erhebt der
Beschwerdeführer auch keine ausdrücklichen
Einwendungen.
2. Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher
Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten im
Fall II 2 wegen "Vergewaltigung" zum Nachteil von Frau H. zu der
Einsatzstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten
Freiheitsstrafe verurteilt hat. Das Landgericht hat die Strafe dem
Strafrahmen des qualifizierten Tatbestandes des § 177 Abs. 4
StGB entnommen. Das Vorliegen eines minder schweren Falles des Absatzes
5 2. Alt. der Vorschrift hat es verneint. Diese Strafrahmenwahl und die
Strafzumessungserwägungen im engeren Sinne begegnen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hatte der
Angeklagte mit der Geschädigten, die als Prostituierte
tätig war, für den Abend des Tattages einen
"Hausbesuch" in seiner Wohnung für die Dauer von zwei Stunden
und einen vereinbarten Preis von 500 DM verabredet. Da er jedoch
über kein Geld verfügte, um sie "für ihre
Dienste zu bezahlen", hatte er von vornherein den Entschluß
gefaßt, mit ihr "auch gegen ihren Willen sexuelle Handlungen
durchzuführen" (UA 5). Nachdem Frau H. erschienen war,
verschloß er die Wohnungstür. Bald darauf zog er ein
Messer und eine Wäscheleine bzw. einen Strick hervor und
forderte Frau H. "im Befehlston auf, sich auszuziehen, wobei er ihr das
Messer entgegenhielt", was sie aus Angst tat. Nachdem er sich ebenfalls
entkleidet hatte, mußte sie sich auf den Bauch legen. Sodann
legte er sich auf sie und führte
"geschlechtsverkehrsähnliche Bewegungen" aus, wobei er das
Messer "in Reichweite" ablegte. Anschließend mußte
die Geschädigte mit ihm den Oralverkehr ausüben.
"Dabei hielt er das Messer wieder in der Hand" (UA 6).
Schließlich legte er sich wieder auf sie, steckte sein Glied
zwischen ihre Brüste und gelangte so zum Samenerguß.
b) Hiernach hat das Landgericht den Angeklagten zu Recht nach
§ 177 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1 StGB wegen "Vergewaltigung"
(zur Bezeichnung der Tat im Schuldspruch vgl. BGH NJW 1998, 2987, 2988;
Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 177 Rdn. 11)
verurteilt. Daß es nicht auch die weitere
Tatbestandsalternative des Absatzes 1 Nr. 3 der Vorschrift (Ausnutzen
der schutzlosen Lage) als verwirklicht angesehen hat, beschwert den
Angeklagten nicht. Die Feststellungen belegen auch, daß der
Angeklagte das Messer im Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB
"verwendet" hat. Hierfür genügt, daß der
Täter das gefährliche Werkzeug bei der Tat als
Drohmittel einsetzt (BGH StV 1998, 487; BGH, Beschluß vom 16.
Mai 2000 - 4 StR 89/00, jeweils zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB).
Das gilt jedenfalls dann, wenn der Täter aufgrund der
Nähe zum Opfer diesem jederzeit ohne weiteres mit dem Messer
Verletzungen beibringen kann.
c) Dagegen ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht,
daß der Angeklagte auch das Regelbeispiel des besonders
schweren Falles der "Vergewaltigung" (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr.
1 StGB) verwirklicht hat. Zwar hat der Angeklagte mit dem Oralverkehr
eine sexuelle Handlung erzwungen, die
- wie in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 beschrieben - "mit dem
Eindringen in den Körper verbunden" war. Jedoch ist - wie die
Revision zu Recht geltend macht - die weitere Voraussetzung des
Regelbeispiels, nämlich der "besonders erniedrigende"
Charakter der abgenötigten sexuellen Handlung, nicht
genügend dargetan.
Zwar ist nach der Legaldefinition in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
StGB jede erzwungene sexuelle Handlung, die "mit einem Eindringen in
den Körper verbunden" ist, auch dann, wenn sie keinen
Beischlaf darstellt, im Schuldspruch nicht als "sexuelle
Nötigung", sondern als "Vergewaltigung" zu bezeichnen (BGH,
Urteil vom 23. März 1999 - 1 StR 25/99, bei Pfister NStZ-RR
1999, 353 Nr. 32; Lackner/Kühl aaO). Doch genügt
für die Annahme des Regelbeispiels abgesehen von dem
erzwungenen Beischlaf nicht jede andere mit einer Penetration
verbundene sexuelle Handlung. Vielmehr ist dies nur dann der Fall, wenn
die dem Beischlaf "ähnliche" sexuelle Handlung das Opfer
"besonders erniedrigt". Zwar kommt diesem einschränkenden
Merkmal der "besonderen Erniedrigung" in Fällen des Oral- und
Analverkehrs regelmäßig keine eigenständige
Bedeutung zu (vgl. BGH NStZ 2000, 254), weil sich der erniedrigende
Charakter dieser sexuellen Handlungen im allgemeinen von selbst
versteht. Grundsätzlich bedarf es aber, wie der Senat in der
Entscheidung BGH NJW 2000, 672 f. = StV 2000, 198 ff. (m.krit.Bspr.
Renzikowski NStZ 2000, 367 f.) näher ausgeführt hat,
jeweils der positiven Feststellung der Umstände des
Einzelfalls, die in wertender Betrachtung die Annahme der "besonderen
Erniedrigung" des Tatopfers stützen (so auch
Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 177 Rdn. 23 d;
Lenckner/Perron in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl.
§ 177 Rdn. 20; a.A. Renzikowski aaO). Daran fehlt es hier.
Die Feststellungen lassen die Möglichkeit offen, daß
die vom Angeklagten erzwungenen sexuellen Handlungen
einschließlich des Oralverkehrs ihrer Art nach von der von
ihm zuvor mit der Geschädigten getroffenen Verabredung zum
entgeltlichen Sexualverkehr umfaßt waren. Unter diesen
Umständen könnte der Senat die Auffassung des
Landgerichts, "diese Art des Sexualverkehrs (habe) eine besondere
Erniedrigung der Geschädigten dargestellt" (UA 10), nicht
bestätigen. § 177 StGB schützt in erster
Linie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (vgl. BTDrucks. 13/7324
S. 5). Deshalb ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats
die grundsätzliche Bereitschaft des Tatopfers zu sexuellen
Handlungen regelmäßig ein für die
Beurteilung des Schuldgehalts der nach § 177 StGB
qualifizierten Tat bestimmender Umstand (BGH StV 1995, 635 (nur LS);
1996, 26; BGH, Beschluß vom 21. November 2000 - 4 StR 489/00;
wie hier auch der 5. Strafsenat des BGH, NStZ 2001, 29; dagegen
Bedenken des 2. Strafsenats des BGH, bei Pfister NStZ-RR 1998, 326 Nr.
30 und Urteil vom 16. August 2000 - 2 StR 159/00). Der entscheidende
Grund dafür, in Fällen der vorliegenden Art das
Verhalten des Täters milder zu beurteilen, liegt darin,
daß das Schwergewicht des Tatunrechts nicht in der Verletzung
des sexuellen Selbstbestimmungsrechts des Tatopfers liegt, sondern in
den weiter verwirklichten Straftatbeständen, mit deren Hilfe
der Täter zum Vollzug der sexuellen Handlung gelangen will
(BGH StV 1996, 26, 27). Das läßt das Recht auf
sexuelle Selbstbestimmung, das auch Prostituierten
uneingeschränkt zusteht (so der 2. Strafsenat des BGH bei
Pfister NStZ-RR 1998, 326 Nr. 30), unberührt. Davon zu trennen
ist aber die im Rahmen der Strafzumessungsregel des § 177 Abs.
2 Satz 2 Nr. 1 StGB zu erörternde Frage, ob die sexuellen
Handlungen das Opfer "besonders erniedrigen". Vollzieht deshalb der
Täter nur diejenigen sexuellen Handlungen, zu deren
Durchführung sich das Tatopfer gegen Entgelt freiwillig bereit
erklärt hatte, so fehlt es regelmäßig an
dem Anhalt, daß das Opfer - worauf es ankommt - gerade die
sexuellen Handlungen als entwürdigend empfindet (vgl.
Lackner/Kühl aaO). Daß sich der Täter dabei
der Nötigungsmittel des § 177 StGB in der Absicht
bedient, seine sexuellen Ziele ohne Zahlung des vereinbarten
Dirnenlohns zu erreichen, führt für sich allein nicht
zu einer anderen Bewertung, sofern nicht weitere entwürdigende
Umstände hinzutreten. Anders verhält es sich dagegen,
wenn der Täter das Tatopfer zu anderen als den vereinbarten
Sexualpraktiken zwingt.
d) Der aufgezeigte Rechtsfehler läßt den
Schuldspruch in diesem Fall wegen "Vergewaltigung" unberührt;
soweit nach der Senatsentscheidung NJW 2000, 672 bei Nichtannahme
"besonderer Erniedrigung" in diesen Fällen die Tat im
Schuldspruch nur als "sexuelle Nötigung" zu bezeichnen ist,
hält der Senat daran nicht fest. Auf dem Rechtsfehler beruht
aber der Strafausspruch. Zwar ist der vom Landgericht angewandte
Strafrahmen des § 177 Abs. 4 StGB unabhängig von der
Annahme eines besonders schweren Falles des Absatzes 2 der Vorschrift
eröffnet. Jedoch liegt es nahe, daß diese Annahme
die Erwägungen zum minder schweren Fall nach Absatz 5 2. Alt.
der Vorschrift zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt hat.
e) Davon abgesehen kann der Strafausspruch auch deshalb nicht bestehen
bleiben, weil die Strafzumessungserwägungen im engeren Sinne
ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler aufweisen. Das Landgericht wertet
zu Lasten des Angeklagten, "daß er - obwohl sich
Täter und Opfer aus vorangegangenen Sexualkontakten kannten -
nunmehr den Geschlechts-verkehr erzwingen wollte" (UA 16). Damit wertet
das Landgericht zu Ungunsten des Angeklagten letztlich, daß
er die Tat begangen hat. Dies verstößt gegen das
Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (BGH,
Beschluß vom 1. März 2001 - 4 StR 36/01). Aus dem
gleichen Grund begegnet auch die weitere straferschwerende
Erwägung rechtlichen Bedenken, "der Angeklagte (habe) sich
auch nicht von seinen Handlungen dadurch abbringen lassen,
daß offensichtlich zwischen der Geschädigten und
ihrem BekanntenGRE> per Handy Kontakt bestand" (UA 13).
Über den Einzelstrafausspruch im Fall II 2 der
Urteilsgründe ist deshalb neu zu befinden.
3. Die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II 2 der
Urteilsgründe entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die
Grundlage.
Meyer-Goßner Maatz Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |