BGH,
Beschl. v. 20.3.2008 - 1 StR 488/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 488/07
vom
20.3.2008
BGHR: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
___________________________
StGB § 266 Abs. 1
StPO § 213
EMRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
1. Zum Vorsatz und zum Vermögensnachteil bei Untreuehandlungen
durch pflichtwidriges Eingehen von Risiken für fremdes
Vermögen.
2. Zur Terminierung in Wirtschaftsstrafsachen.
BGH, Beschl. vom 20.3.2008 - 1 StR 488/07 - LG Mannheim
in der Strafsache
gegen
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wegen Untreue u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20.3.2008 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim
vom 16. März 2007 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Der Verurteilung liegt zugrunde:
1
- zum einen in den Jahren 1996 bis 1998 die zweckwidrige Verwendung von
Geldern, die der WTS-GmbH, deren faktischer
Geschäftsführer der Angeklagte war, von Anlegern als
Kaufpreis für ihren Anteil an einem geschlossenen
Immobilienfonds überwiesen und anvertraut worden waren zur
ausschließlichen Verwendung für den jeweiligen Fonds,
2
- zum anderen die noch nicht fällige - inkongruente - Zahlung
von 700.000,-- DM im September 1998 nach dem Eintritt der
Zahlungsunfähigkeit der SFV-GmbH, die der Angeklagte ebenfalls
faktisch führte, zur teilweisen Rückführung
eines der SFV-GmbH von der H. Bank in L. in Höhe von 1 Million
DM gewährten Darlehens. Er erreichte so die Freigabe einer von
seinen Eltern der Bank gegenüber abgegebenen
selbstschuldnerischen Bürgschaft bis zu 700.000,-- DM.
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Das Landgericht Mannheim hat den Angeklagten deshalb mit Urteil vom 16.
März 2007 wegen Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) in 176
Fällen und wegen Gläubigerbegünstigung
(§ 283c StGB) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Ohne die von der Strafkammer für die
Dauer des gerichtlichen Verfahrens angenommene konventionswidrige
Verfahrensverzögerung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK)
wäre die Strafe - so das Landgericht - doppelt so hoch
ausgefallen.
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Die Revision des Angeklagten gegen das oben genannte landgerichtliche
Urteil ist unbegründet. Dessen Nachprüfung hat auf
Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur
Begründung wird auf die Antragsschrift des
Generalbundesanwalts vom 17. Dezember 2007 verwiesen.
Ergänzend hierzu bemerkt der Senat:
5
1. Aufgrund der rechtsfehlerfrei festgestellten Tatumstände
verwirklichte der Angeklagte den Tatbestand der Untreue mit direktem
Vorsatz hinsichtlich eines zum Zeitpunkt der Tatbegehung unmittelbar
und insoweit endgültig eingetretenen Schadens. Dass die
Strafkammer bei der Bewertung der Tat gleichwohl lediglich vom
Vorliegen eines Gefährdungsschadens sowie vom Handeln mit
bedingtem Vorsatz ausging, belastet den Angeklagten nicht.
6
Der Angeklagte - Steuerberater und Wirtschaftsprüfer - hatte
sich seit Ende der achtziger Jahre gedanklich und schließlich
auch tatsächlich mit dem Angebot von Kapitalanlagen in
geschlossenen Immobilienfonds befasst, zunächst nur als
Steuersparmodell für seine Mandanten. Erste
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- 5 -
Erfolge bewogen den Angeklagten, sich an ein breiteres Publikum zu
wenden. Dazu bediente er sich verschiedener von ihm
gegründeter oder übernommener Unternehmen,
zunächst auch der Gesellschaft, in der er steuerberatend
tätig war. Steuerberatung und gewerbliche Tätigkeit
wurden im Jahre 1996 getrennt. Die steuerberatende Tätigkeit
betrieb der Angeklagte nunmehr im Rahmen der „K. , J. und A.
GdbR“. Das für das weitere Geschäftsfeld
des Angeklagten entwickelte Firmengeflecht stellte sich von da an wie
folgt dar:
Herausgeberin und Gesellschafterin der geschlossenen Immobilienfonds,
die jeweils als Gesellschaften bürgerlichen Rechts
ausgestaltet waren, war die „S. -F. -V. GmbH“
(kurz: SFV-GmbH). Den Vertrieb der Fondsanteile als Kapitalanlage
übernahm die „S. F. A. gesellschaft mbH“
(kurz: SFA-GmbH). Als Treuhänderin für einbezahlte
Anlagegelder (dem Kaufpreis für
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Fondsanteile) fungierte die „W. -T. S. gesellschaft
mbH“ (kurz: WTS-GmbH).
Alle diese Gesellschaften wurden vom Angeklagten faktisch beherrscht
und geführt. Allerdings vermied es der Angeklagte, selbst eine
formelle Funktion, insbesondere als Geschäftsführer,
auszuüben. Er bediente sich seiner Strohleute, insbesondere
der Mitangeklagten, des Steuerberaters A. und des Steuerfachgehilfen
Kl. .
9
Die Kapitalanleger bezahlten den Kaufpreis für ihren Anteil an
der jeweiligen Grundstücksgesellschaft (geschlossener
Immobilienfonds in Form einer GdbR) auf ein Treuhandkonto der WTS-GmbH.
Entsprechend dem zwischen den Anlegern und der WTS-GmbH geschlossenen
Treuhandvertrag durfte die WTS-GmbH die einbezahlten Beträge
nur für den jeweiligen Fonds verwenden. Die Verantwortlichen
der WTS-GmbH waren nach dem Inhalt des Treuhandvertrags verpflichtet,
die auf das Treuhandkonto einbezahlten Anlagegelder dort zu sammeln und
erst dann auf das Konto der jeweiligen Fondsgesellschaft zu
überweisen, sobald das gesamte Gesellschaftskapital gezeichnet
war. Vom Konto der Fondsgesellschaft aus sollten dann unter
Mittelverwendungskontrolle durch einen neutralen Treuhänder
ausschließlich die diese Gesellschaft betreffenden
Forderungen bedient werden, weitgehend Forderungen der SF-Gruppe, deren
Gesellschaften den Zwischenerwerb und die Entwicklung der jeweiligen
Objekte der geschlossenen Immobilienfonds getätigt hatten. So
geschah das auch bis Mitte des Jahres 1996 (Fonds Nr. 8).
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Im Jahre 1996 war der Angeklagte mit seiner Unternehmensgruppe in
wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Das Interesse an den Fonds
hatte abgenommen. Die Vorfinanzierungsfristen wurden deshalb
länger. Zudem waren die Kosten der Sanierung alter Objekte
unterschätzt worden. Die Einplanung unrealistisch hoher
Mieten, die den Anlegern garantiert wurden, aber nicht immer erzielbar
waren, führte ebenfalls zu Finanzierungslücken. Dies
hatte Verzögerungen bei der Fertigstellung der Bauvorhaben zur
Folge, was die Finanzsituation zusätzlich belastete. Im
Frühjahr 1996 waren - voran in der SF-Gruppe, die das
operative Geschäft durchführte - erste ernsthafte
Liquiditätsschwierigkeiten aufgetreten, die sich zunehmend
verschärften. Spätestens im Juli 1998 waren die
Unternehmen des Angeklagten nicht mehr in der Lage, die sofort zu
erfüllenden Verbindlichkeiten im Wesentlichen zu befriedigen;
sie waren zahlungsunfähig. Am 12. Oktober 1998 stellten die
formellen Geschäftsführer A. und Kl. für die
WTS-GmbH, die SF AG und die SFV-GmbH Konkursanträge.
11
Um trotz der zunehmenden Finanzprobleme handlungsfähig zu
bleiben, hatte sich der Angeklagte Mitte des Jahres 1996 entschlossen,
die Treuhandvereinbarung mit den Anlegern, den Zeichnern der
Fondsanteile, nicht mehr einzuhalten. Statt die auf dem Treuhandkonto
bei der WTS-GmbH eingegangenen Gelder dort zu sammeln und nach
Zeichnung aller Anteile auf das Konto der jeweiligen Fondsgesellschaft
zu überweisen - um dann von dort aus über diese
Beträge ausschließlich im Interesse des jeweiligen
Fonds zu verfügen -, wies der Angeklagte das Personal der
WTS-GmbH an, die auf dem Treuhandkonto eingegangenen Beträge
sofort bzw. entsprechend dem aktuellen Finanzbedarf unmittelbar auf
Konten der SF-Gruppe zu überweisen, um sie dort zur Ab-
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- 8 -
deckung der jeweils dringendsten Forderungen der gesamten
Unternehmensgruppe zu verwenden. Dazu listete der Angeklagte die akuten
Verbindlichkeiten nach Dringlichkeit in einer Excel-Tabelle auf, die er
täglich aktualisierte. Mit diesem Management, das sich
letztlich als Schneeballsystem darstellte, gelang es dem Angeklagten,
den Zusammenbruch seiner Unternehmensgruppe hinauszuzögern.
Bei diesem Sachverhalt erlitten die Zeichner der Immobilienfonds schon
mit der treuepflichtwidrigen Entnahme der Gelder vom Treuhandkonto zur
allgemeinen Tilgung von Schulden der Unternehmensgruppe einen
endgültigen Vermögensnachteil im Sinne von §
266 StGB in voller Höhe des zweckwidrigen verwendeten Betrags.
Ein im Ausnahmefall den Nachteil kompensierender deliktischer oder
vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen einen zahlungswilligen und
mit ausreichenden liquiden Mitteln versehenen Täter - oder
gegen eine seiner Gesellschaften - lag ersichtlich nicht vor. Da der
Schaden mit der zweckwidrigen Verfügung endgültig
eingetreten ist, gefährdete der Angeklagte die der WTS-GmbH
anvertrauten Vermögenswerte der Anleger nicht nur.
13
Der Angeklagte handelte mit direktem Vorsatz. Er kannte und wollte die
treuwidrige Verwendung der Anlagebeträge. Er setze sie gegen
die Bedenken des formellen Geschäftsführers durch. Er
wusste um seine Verpflichtung als faktischer
Geschäftsführer der WTS-GmbH, die vertraglich
übernommenen Treuepflichten gegenüber den Anlegern zu
wahren.
14
Auf die vom Beschwerdeführer zitierte Entscheidung des
Bundesgerichtshofs in BGHSt 51, 100, (= NJW 2007, 1760) kommt es hier
in mehrfacher Hinsicht nicht an. Nach dieser Entscheidung
„ist der Tatbe-
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- 9 -
stand der Untreue in Fällen der vorliegenden Art im
subjektiven Bereich dahingehend zu begrenzen, dass der bedingte Vorsatz
eines Gefährdungsschadens nicht nur Kenntnis des
Täters von der konkreten Möglichkeit eines
Schadenseintritts und das Inkaufnehmen dieser konkreten Gefahr
voraussetzt, sondern darüber hinaus eine Billigung der
Realisierung dieser Gefahr, sei es auch nur in der Form, dass der
Täter sich mit dem Eintritt des ihm unerwünschten
Erfolges abfindet“ (BGHSt 51, 100, 121 Rdn. 63).
Zum einen liegt der vorliegenden Verurteilung nach den getroffenen
Feststellungen - anders als die Strafkammer meinte - weder Handeln mit
nur bedingtem Vorsatz noch ein bloßer
Gefährdungsschaden zugrunde. Vor allem aber liegt hier kein
Fall der Bildung „schwarzer Kassen“ vor. Darum ging
es in der oben genannten Entscheidung (BGHSt 51, 100), die sich in der
zitierten Aussage ausdrücklich auf Fälle der - damals
- vorliegenden Art beschränkte.
16
Sofern aus jener Entscheidung (BGHSt aaO) jedoch weitergehend gefolgert
werden sollte, dass sich als Voraussetzung für den Tatbestand
der Untreue beim vorsätzlichen pflichtwidrigen Eingehen von
Vermögensrisiken der Vorsatz immer auch auf die Billigung des
endgültigen Vermögensnachteils erstrecken muss,
könnte der Senat dem nicht folgen.
17
Sicherlich könnten bei einer Verurteilung wegen Untreue mit
doppelter „Vorverlagung“ der Strafbarkeit, also bei
Handeln mit nur bedingtem Vorsatz im Hinblick auf eine bloße
Vermögensgefährdung Bedenken hinsichtlich einer
Überdehnung des Tatbestandes des § 266 StGB
aufkommen. Ehe dem jedoch mit der der bisherigen Dogmatik widerspre-
18
- 10 -
chenden Erstreckung des - bedingten - Vorsatzes auf einen in der
Zukunft zu erwartenden endgültigen Vermögensnachteil
begegnet wird (bei unklarer Auswirkung auch auf § 263 StGB),
ist zunächst zu prüfen, ob sich das Problem bei einer
präzisen Begriffsverwendung unter exakter Betrachtung des
tatsächlichen wirtschaftlichen Nachteils zum Zeitpunkt einer
pflichtwidrigen Handlung bei genauer Feststellung dessen, worauf sich
das Wissen und Wollen des Täters insoweit tatsächlich
erstreckt, nicht weitgehend erledigt, beziehungsweise sich als
Scheinproblematik herausstellt.
Und diese genaue Betrachtung ergibt, dass sich die bei pflichtwidrigen
Risikogeschäften so genannte konkrete
Vermögensgefährdung in Wirklichkeit als ein bereits
unmittelbar mit der Tathandlung eingetretener
Vermögensnachteil darstellt. So ist beispielsweise der mit der
Vergabe (Auszahlung) eines ungesicherten Kredits an ein
zahlungsunfähiges Unternehmen - etwa um den drohenden Ausfall
des Gesamtengagements intern oder gegenüber der Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht weiterhin zu verschleiern -
erlangte Rückzahlungsanspruch sofort weit über das
bei jeder Kreditvergabe mögliche und zulässige
Maß (zur Pflichtwidrigkeit vgl. BGHSt 46, 30; 47, 148, 149
ff.) hinaus minderwertig. Aus der Saldierung der ausbezahlten
Darlehenssumme mit dem verbleibenden Wert der
Rückzahlungsforderung folgt der unmittelbar und realiter
eingetretene Vermögensnachteil (so ist auch BGHSt 47, 148, 156
f. zu verstehen). Der Wert des Rückzahlungsanspruchs muss
dabei bewertet, letztlich geschätzt werden. Insoweit stellt
sich die Situation nicht anders dar als beim Verkauf dieser Forderung
an ein Inkassounternehmen oder bei der an sich sofort gebotenen
Wertberichtigung, wenn auch im
19
- 11 -
strafrechtlichen Bereich verbleibende Unwägbarkeiten zugunsten
des Angeklagten berücksichtigt werden müssen.
Der Tatbestand der Untreue entfällt auch nicht wieder, wenn
die Darlehensrückzahlungsforderung später
tatsächlich doch bedient wird, sei es freiwillig oder mit dem
Nachdruck eines Inkassounternehmens. Die fehlende Werthaltigkeit zum
Zeitpunkt der Valutierung des Darlehens wird dadurch nicht beeinflusst
(dies wäre bei der Feststellung einer
„Billigung“ des endgültigen Schadens im
Sinne eines bedingten Vorsatzes zum Zeitpunkt der Tathandlung im
Übrigen nicht anders). Bei der Eingehung von pflichtwidrigen
Serienrisikogeschäften, etwa der fortlaufenden Belieferung
eines erkannt zahlungsunfähigen Unternehmens auf Kredit, ist
die Begleichung einzelner der so erlangten minderwertigen Forderungen
geradezu typisch. Dass die dann doch noch - meist mit schon
betrügerisch erlangten Mitteln (Schneeballsystem) - bezahlten
Lieferungen regelmäßig sinnvoller Weise von der
strafrechtlichen Verfolgung ausgenommen werden (§§
153, 154, 154a StPO), ändert nichts an der
Tatbestandsmäßigkeit zum Zeitpunkt der
Verfügung.
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Bezogen auf diesen tatbestandlichen Vermögensnachteil handelt
ein Täter, der die die Pflichtwidrigkeit und den Minderwert
des Rückzahlungsanspruchs begründenden
Umstände kennt, bei der Tathandlung dann auch mit direktem
Vorsatz.
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Bei abweichenden Formulierungen in tatrichterlichen Urteilen handelt es
sich in Fällen dieser Art in aller Regel um eine zu Gunsten
des Angeklagten wohlwollende, aber unzutreffende Umschreibung des
tatsächlich Festgestellten, wie auch der vorliegende Fall
zeigt. Dies sollte
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- 12 -
vermieden werden. Das tatsächlich nicht gegebene Problem der
Überdehnung des Untreuetatbestands stellt sich dann auch nicht
scheinbar.
2. Zur konventionswidrigen Verfahrensverzögerung:
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Die Strafkammer ging „zugunsten der Angeklagten“
von einer konventionswidrigen Verfahrensverzögerung von zwei
Jahren während des gerichtlichen Verfahrens aus, und zwar vom
Eingang der Anklage beim Landgericht im Januar 2005 bis zum Beginn der
Hauptverhandlung im Januar 2007. Eine konventionswidrige
Verzögerung während des Ermittlungsverfahrens sah die
Strafkammer dagegen nicht. Das Maß der Kompensation
für die Verzögerung bei Gericht hat die Strafkammer
auf 50 % festgesetzt.
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a) Der Beschwerdeführer beanstandet mit einer
Verfahrensrüge die fehlende Feststellung einer „mehr
als dreijährigen“ konventionswidrigen
Verfahrensverzögerung während des
Ermittlungsverfahrens. Die Revisionsbegründung
genügt, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift
vom 17. Dezember 2007 im Einzelnen dargelegt hat, nicht den
Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Rüge
ist damit unzulässig.
25
Die Anforderungen an den Umfang der Darstellung der den Mangel
enthaltenden Tatsachen dürfen bei der Beanstandung einer
konventionswidrigen Verzögerung während eines
jahrelang währenden Verfahrens sicher nicht überzogen
werden. Die Mitteilung jedes Ermittlungsschrittes ist weder
möglich noch erforderlich. Die Darstellung darf den
tatsächlichen Ablauf aber nicht - etwa durch wesentliche
Auslassungen -
26
- 13 -
verzerrt darstellen. Einen realistischen Überblick
entsprechend der Darstellung in der Gegenerklärung der
Staatsanwaltschaft vom 17. August 2007 hätte - ohne auf
Einzelheiten abzustellen - im vorliegenden Fall auch vom
Beschwerdeführer erwartet werden dürfen.
Beispielhaft sei auf seine Behauptung verwiesen, im Jahre 1999 habe als
einzige verfahrensfördernde Maßnahme am 11. November
1999 die Vernehmung von zwei Zeuginnen stattgefunden. Elf Monate seit
Einleitung des Verfahrens gegen den Angeklagten J. habe es keine
Ermittlungen gegeben. Dies ist unzutreffend, wie den chronologisch
geordneten Ermittlungsakten, einem Aktenvermerk des Ermittlungsbeamten
Hu. und dem polizeilichen Ermittlungsbericht zu den strafprozessualen
Maßnahmen zu entnehmen ist. Die umfangreichen
Ermittlungshandlungen der Polizeibeamten unter Heranziehung des
Buchprüfers Li. im Jahre 1999 hat die Staatsanwaltschaft in
ihrer Gegenerklärung - noch nicht einmal erschöpfend
- auf etwa eineinhalb Seiten dargestellt. In seiner
Gegenerklärung vom 16. Januar 2008 räumte der
Beschwerdeführer inzident auch ein, dass das
ursprüngliche Beschwerdevorbringen - nunmehr selbst aus seiner
Sicht - jedenfalls unvollständig war, wenn er zu dem Schluss
kommt, dass „sich dann insgesamt immer noch eine
Verfahrensverzögerung im Ermittlungsverfahren von zweieinhalb
Jahren“ ergäbe.
27
b) Die Strafkammer hat im Hinblick auf Verzögerungen
während des gerichtlichen Verfahrens die gesamte Zeit vom
Eingang der Anklageschrift bis zum Beginn der Hauptverhandlung als
konventionswidrige Verfahrensverzögerung bewertet. Dies
belastet den Angeklagten zwar
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- 14 -
nicht. Dennoch sei der - dem Beschwerdeführer bekannte -
Verfahrensgang, soweit er den Angeklagten J. betrifft, skizziert:
Die gegen drei Angeschuldigte gerichtete und 164 Seiten umfassende
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 25. Januar 2005 ging
am 27. Januar 2005 beim Landgericht Mannheim ein. Am 28. Januar 2005
verfügte der Vorsitzende der Strafkammer die Zustellung der
Anklage unter Bestimmung einer Erklärungsfrist von einem
Monat. Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2005 erbat die Verteidigerin des
Angeschuldigten J. „wegen der Komplexität der
Angelegenheit“ eine Verlängerung der
Schriftsatzfrist um drei Wochen. Mit 78-seitigem Schriftsatz vom 31.
März 2005 - Eingang 4. April 2005 - beantragte sie, die
Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, insbesondere da die
Taten verjährt seien und die Anklage teilweise nicht
ausreichend substantiiert sei, sowie mangels hinreichenden
Tatverdachts, da - hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue - kein den
Angeschuldigten J. betreffendes Treueverhältnis bestanden habe
und er - hinsichtlich des Vorwurfs der
Gläubigerbegünstigung - keine Kenntnis von der
Zahlungsunfähigkeit gehabt habe. Mit Beschluss vom 9. November
2006 entschied die Strafkammer in einem mehrseitigen Beschluss
über die Eröffnung des Hauptverfahrens, die sie
teilweise ablehnte. Mit Verfügung vom 6. Dezember 2006
bestimmte der Vorsitzende Termin zur Hauptverhandlung auf acht
Verhandlungstage vom 12. Januar 2007 bis zum 23. März 2007
unter Ladung der drei Angeklagten, von fünf Verteidigern und
zahlreichen Zeugen. Die Hauptverhandlung endete dann nach nur sieben
Verhandlungstagen bereits am 16. März 2007.
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- 15 -
Der Zeitraum zwischen Eingang der Einlassungsschrift Anfang April 2005
und dem Eröffnungsbeschluss vom 9. November 2006 - etwa 19
Monate - war objektiv sicher zu lange und stellt sich teilweise als
konventionswidrige Verzögerung dar, zumal im Hinblick auf das
lange Ermittlungsverfahren eine beschleunigte Bearbeitung geboten
gewesen wäre. Wenn die Strafkammer nach angemessener Zeit zur
Vorbereitung des Verfahrens (vgl. dazu unten) wegen genereller
Überlastung nicht alsbald verhandeln konnte, ist dies der
Justiz zuzurechen (vgl. BVerfG - Kammer-Beschlüsse vom 8.
August 2007 - 2 BvR 1609/07 - und vom 19. September 2007 - 2 BvR
1847/07 -).
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Zum Ablauf des gerichtlichen Verfahrens sei im Hinblick auf
Wirtschaftsstrafsachen in diesem Zusammenhang Folgendes bemerkt:
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Der Eingang einer Anklageschrift ist auch bei Wirtschaftstrafkammern
nicht vorhersehbar. Denn die Zuteilung an die einzelnen Strafkammern
muss so erfolgen, dass auch nur der Eindruck der Möglichkeit
einer Manipulation des gesetzlichen Richters ausgeschlossen ist. Jede
Strafkammer ist dann - und sollte dies auch sein - zunächst
mit anderen Sachen ausgelastet. Bei komplexen und umfangreichen
Strafsachen ist es unter diesen Umständen nicht
möglich, dass sich der Vorsitzende und der Berichterstatter
sofort mit der neu eingegangenen Anklageschrift intensiv befassen. Dies
kann erst - ohne schuldhafte Verzögerung
(unverzüglich) - zu gegebener Zeit erfolgen. In aller Regel
ist das dann nur parallel zu bereits laufenden - oder anstehenden -
Verhandlungen möglich, die im Hinblick auf das
Beschleunigungsgebot bei vorausschauender, auch
größere Zeiträume umfassender
Hauptverhandlungsplanung (vgl. BVerfG - Kammer-Beschlüsse vom
19. September 2007 - 2 BvR 1847/07
32
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- und vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07) langfristig im Voraus zu
terminieren waren. In diesem frühen Stadium des gerichtlichen
Verfahrens ist ein Ausblenden anderweitiger Belastungen der Strafkammer
bei der Prüfung, ob der Pflicht zur Erledigung des Verfahrens
in angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) genügt
wurde, nicht möglich und deshalb auch nicht geboten.
Dem Zwischenverfahren kommt im Hinblick auf den Schutz des Angeklagten
große Bedeutung zu (vgl. G. Schäfer, Die Praxis des
Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 768). Zur Vorbereitung der
Eröffnungsberatung bedarf es schon deshalb einer intensiven
Einarbeitung des Vorsitzenden und des Berichterstatters in die Sache -
parallel zur Förderung und Verhandlung laufender anderer
Verfahren.
33
Diese Vorarbeit schlägt sich hinsichtlich des Umfangs
naturgemäß nicht als verfahrensfördernd in
den Akten nieder, wie auch andere Vorgänge der meist
gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Verfahrensstoff in der Regel
nicht, wie z.B. Überlegungen und Beratungen über den
weiteren Gang der Ermittlungen, Vor- und Nacharbeit hinsichtlich
einzelner Ermittlungshandlungen, Vorbereitung von Anträgen an
den Ermittlungsrichter, von Zwischenberichten, des Schlussberichts und
der Anklageschrift. Am Ende einer intensiven Vorbereitung und der
Eröffnungsberatung steht häufig nur ein
Eröffnungsbeschluss, der aus einem Satz besteht.
34
Eine intensive und dann auch zeitaufwändige Vorbereitung der
Sache seitens des Gerichts ist gerade in großen
Wirtschaftsstrafsachen zudem Voraussetzung für eine
konzentrierte Hauptverhandlung, aber
35
- 17 -
auch für Gespräche über
Möglichkeiten zur Verfahrensabkürzung. Das wird
allerdings erschwert durch die Personalausstattung von
Wirtschaftsstrafkammern mit nur zwei Beisitzern neben dem Vorsitzenden
allein mit Blick auf die Möglichkeit, eine Hauptverhandlung
mit nur zwei Berufsrichtern durchführen zu können
(§ 76 Abs. 2 GVG). Dies kann eine ausreichende Vorbereitung
von Hauptverhandlungen in angemessener Zeit in Frage stellen und damit
dazu beitragen, dass dem Beschleunigungsgebot (Art. 6 Abs. 1 Satz 1
ERMK) in Wirtschaftsstrafsachen, zumal in Nichthaftsachen, nicht immer
genügt wird. Dies führt dann auch - nicht zuletzt in
Steuerstrafsachen - nicht selten zu unangemessen niedrigen Strafen.
In komplexen Verfahren kann eine sinnvolle Terminierung, bei der etwa
die Zeugen nicht anhand der Beweismittelliste der Anklageschrift ins
Blaue hinein geladen werden, erst nach der Eröffnungsberatung
angegangen werden. Dies bedingt insbesondere bei mehreren Angeklagten
einen weiteren Vorlauf bis zum Beginn der Hauptverhandlung. Denn
verschiedene Aspekte sind in Einklang zu bringen. Zwar steht die
Verfahrenserledigung in angemessener Zeit im Vordergrund. Was
angemessen ist, bestimmt sich aber auch nach den jeweiligen
Rahmenbedingungen. Dem Recht des Angeklagten, sich durch den
Verteidiger seiner - ersten - Wahl vertreten zu lassen, ist trotz des
ebenso hochrangigen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 81; NStZ-RR 2007, 149;
BVerfG - Kammer - NStZ-RR 2007, 311) Beschleunigungsgebots bei der
Terminierung möglichst Rechnung zu tragen. Dies dient meist
auch der Effektivität der Hauptverhandlung. Denn in
Wirtschaftsstrafsachen war dieser Verteidiger in der Regel mit der
Sache schon während des Ermittlungsverfahrens befasst und ist
mit ihr vertraut. Entsprechendes gilt für den Vertreter der
Staats-
36
- 18 -
anwaltschaft. Auch hier liegt es im Interesse einer effektiven und
dadurch beschleunigten Durchführung der Hauptverhandlung, dass
in komplexen Wirtschaftsstrafsachen derjenige Staatsanwalt daran
teilnimmt, der auch die Ermittlungen führte. Zwar wird er dann
häufig auch in anderen Hauptverhandlungen gebunden sein, ohne
dass dies vorausschauend hätte vermieden werden
können. Dann darauf zu verweisen, dass auch jeder andere
Staatsanwalt die Sitzungsvertretung übernehmen könne,
mindert die Effizienz der Strafverfolgung in Wirtschaftstrafsachen
nicht nur in der jeweiligen Sache, sondern darüber hinaus. Der
neue Staatsanwalt muss sich zeitaufwändig einarbeiten, ohne
dennoch je den Wissensstand desjenigen zu erreichen, der die
Ermittlungen führte. Wenn der Staatsanwalt, der die
Ermittlungen geleitet hat, grundsätzlich für die
Hauptverhandlung noch zur Verfügung steht, sollte er in die
Terminplanung mit einbezogen werden.
Insbesondere bei mehreren Angeklagten kann dies dazu führen,
dass die an sich insbesondere in Haftsachen wünschenswerte
Verhandlungsdichte (vgl. BVerfG - Kammer - StV 2006, 645) nicht zu
erreichen ist. Wie lange mit dem Beginn der Hauptverhandlung zugewartet
werden darf und an wie vielen Tagen in der Woche oder im Monat zu
verhandeln ist, hängt immer vom Einzelfall ab (vgl. BVerfG -
Kammer - NJW 2003, 2225). Verhinderungen müssen substantiiert
dargetan und belegt werden, damit der Vorsitzende der Strafkammer
darüber befinden kann, ob diesen trotz des
Beschleunigungsgebots bei der Terminierung Rechnung getragen werden
kann. Den Termin der Hauptverhandlung bestimmt am Ende allein der
Vorsitzende (§ 213 StPO).
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c) Die Strafkammer hat den Strafabschlag im Hinblick auf die von ihr
angenommene konventionswidrige Verfahrensverzögerung mit 50 %
konkret bemessen. Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass
dabei auch allgemeine Strafzumessungserwägungen eingeflossen
sind. Allein dies erklärt den selbst bei der von der
Strafkammer auf das gesamte gerichtliche Verfahren bezogenen
konventionswidrigen Verfahrensverzögerung unangemessen hohen
Strafabschlag. Dies beschwert den Angeklagten jedoch nicht.
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d) Einer Aufhebung des Strafausspruchs und insoweit der
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht bedarf es im
Hinblick auf die neue Rechtsprechung zur Kompensation von
konventionswidrigen Verfahrenverzögerungen, dem
Übergang von der Strafzumessungs- zur
Vollstreckungslösung (BGH - GSSt - NJW 2008, 860), nicht. Dies
folgt für dieses Verfahren auch nicht aus der einen Einzelfall
betreffenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Februar 2008
(3 StR 563/07). Dem Ausspruch einer höheren Strafe nach
Zurückverweisung allein aufgrund der Revision des Angeklagten
steht das Verschlechterungsverbot nach Meinung des Senats auch dann
entgegen, wenn der den bisherigen Strafausspruch
überschießende Teil der neu erkannten Strafe
für verbüßt erklärt wird. Allein
der höhere Strafausspruch stellt einen gesteigerten Makel dar.
Hinzu kommen mögliche Folgewirkungen, etwa bei der
Strafzumessung bei weiteren Verurteilungen wegen nachfolgender
Straftaten oder bei späteren anstehenden Entscheidungen, wie
z.B. zur Sicherungsverwahrung. Bei Übergangsfällen
stellt es sich daher grundsätzlich als die mildere
Lösung dar, es bei der von der Strafkammer vorgenommenen
Milderung schon bei der Strafzumessung zu belassen. Sollten sich beim
Ablauf der Vollstreckung, die sich ohnehin nicht mit der
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- 20 -
erforderlichen Sicherheit zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs
prognostizieren lässt, nicht hinnehmbare Härten beim
Vergleich mit einer hypothetischen Kompensation nach der
Strafvollstreckungslösung herausstellen, muss dem im
Strafvollstreckungsverfahren, notfalls im Gnadenweg begegnet werden.
Nack Richter am Bundesgerichtshof Kolz
Dr. Wahl ist in Urlaub und deshalb
an der Unterschrift gehindert.
Nack
Hebenstreit Graf |