BGH,
Beschl. v. 20.5.2003 - 4 StR 174/03
4 StR 174/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
20. Mai 2003
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. Mai
2003 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Schwerin vom 1. November 2002 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit
die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und
seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
formellen und materiellen Rechts.
Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum
Maßregelausspruch Erfolg; im übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist
der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des
Generalbundesanwalts vom 17. April 2003.
2. Dagegen hat der Maßregelausspruch keinen Bestand. Die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
kommt nur bei solchen Personen in Betracht, deren
Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte
Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten
länger bestehenden und nicht nur vorübergehenden
Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen ist
(st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 27). Daß bei dem Angeklagten ein
solcher Zustand vorliegt, ist nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
a) Der vom Landgericht hinzugezogene psychiatrische
Sachverständige hat ausgeführt, dem Angeklagten sei
eine "emotionale instabile Persönlichkeitsstörung" im
Sinne F 60.30 der ICD-10 (impulsiver Typus) zu "attestieren", wobei bei
ihm auch Elemente des "Borderline-Typus" vorlägen. Daneben sei
eine "dissoziale Persönlichkeitsstörung" im Sinne F
60.2 der ICD-10 zu diagnostizieren (UA 39/40). Das Landgericht hat die
Ausführungen des Sachverständigen "für
überzeugend gehalten und diese nach kritischer
Würdigung für sich übernommen." Es hat die
Schuldfähigkeit des Angeklagten trotz dieser
Störungen, die nach seiner Auffassung das Merkmal der schweren
anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20
erfüllen, mit - insoweit rechtsfehlerfreien
Erwägungen - bejaht und ausgeführt, "gleichwohl" gehe
"die Kammer von dem Vorliegen einer erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB des Angeklagten
zum Tatzeitpunkt aus" (UA 41).
b) Der Senat stellt die Diagnose einer Borderline- und dissozialen
Persönlichkeitsstörung durch den
Sachverständigen nicht in Frage. Diese Diagnose belegt aber
für sich allein den für die Anordnung der
Unterbringung nach § 63 StGB vorausgesetzten Zustand zumindest
erheblich verminderter Schuldfähigkeit noch nicht (BGHSt 42,
385, 388; BGH NStZ 2002, 142). Die mitgeteilten
Persönlichkeitsmerkmale reichen für die sichere
Feststellung einer erheblichen Einschränkung der
Steuerungsfähigkeit nicht aus. Die bei dem Angeklagten
festgestellten Charakter- und Verhaltensauffälligkeiten liegen
bei Straftätern häufig vor und lassen für
sich genommen eine generalisierende Aussage zur Frage der
Schuldfähigkeit nicht zu. Die von dem
Sachverständigen beschriebenen Auffälligkeiten in der
Persönlichkeit des Angeklagten sind deshalb von Eigenschaften
und Verhaltensweisen abzugrenzen, die sich noch innerhalb der
Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und Ursache für
strafbares Tun sein können, ohne daß sie die
Schuldfähigkeit "erheblich" im Sinne des § 21 StGB
berühren (BGHSt 42, 385, 388; BGH StV 1997, 630). In einer
Gesamtschau muß der Tatrichter ohne Bindung an die Auffassung
des Sachverständigen (BGHSt 43, 66, 77) klären, ob
die nicht pathologisch bestimmten Störungen in ihrem Gewicht
den krankhaften seelischen Störungen entsprechen und Symptome
aufweisen, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters
vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören,
belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397,
401). Daran fehlt es.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten begegnet
schließlich auch deshalb durchgreifenden rechtlichen
Bedenken, weil das Landgericht, obwohl nicht aufzuklären war,
was den Angeklagten veranlaßt hat, das Tatopfer in dessen
Wohnung aufzusuchen, zu seinen Gunsten von einem auf seiner
Perönlichkeitsstörung beruhenden Impulsdurchbruch
ausgegangen ist. Diese Anwendung des Zweifelsgrundsatzes ist zwar
rechtlich nicht zu beanstanden, soweit sie zur Milderung des
Strafrahmens wegen einer erheblichen Verminderung der
Schuldfähigkeit nach §§ 21, 49 StGB
geführt hat. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des
§ 63 StGB wirkt sie sich aber zu Ungunsten des Angeklagten
aus. Insoweit hätte sich das Landgericht deshalb in Anwendung
Zweifelsgrundsatzes mit der nach seiner Auffassung naheliegenden
Möglichkeit auseinandersetzen müssen, daß
der Angeklagte aus einem rational nachvollziehbaren Motiv handelte,
nämlich um sich von dem Tatopfer, das ihm bereits mehrfach
Geldbeträge zugewendet hatte, Geld zu beschaffen (UA 30), und
deshalb bei Begehung der Tat möglicherweise voll
schuldfähig war.
Die Sache bedarf daher, soweit es die Frage der Anordnung einer
Maßregel nach § 63 StGB betrifft, neuer Verhandlung
und Entscheidung.
RiBGH Maatz ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben.
Tepperwien Tepperwien Athing
RiBGH Dr. Ernemann ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben.
Solin-Stojanovic Tepperwien- . .
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