BGH,
Beschl. v. 20.5.2010 - 5 StR 104/10
5 StR 104/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 20. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2010
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 3. September 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Rechtsfolgenausspruch aufgehoben; die Feststellungen bleiben mit
Ausnahme der zu § 21 StGB getroffenen bestehen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei
Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung, wegen sexueller Nötigung in
Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen
schweren Raubes, wegen Raubes in Tateinheit mit versuchter sexueller
Nötigung und mit fahrlässiger
Körperverletzung, wegen versuchter sexueller Nötigung
in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung
sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier
Fällen, zweimal davon in Tateinheit mit Diebstahl, zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Außerdem
hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung
angeordnet. Die gegen dieses Urteil mit der Sachrüge
geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der
Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie
unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht eine
verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nach § 21
StGB verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung
nicht stand.
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a) Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen
Strafkammer ist die Persönlichkeit des Angeklagten bei einer
dissozialen Entwicklung von einer Selbstwertstörung
geprägt, die eine fetischistisch-sadistische Devianz nach sich
gezogen hat. Der Defekt habe jedoch keine mehr als nur leichte
Einschränkung des Steuerungsvermögens des Angeklagten
bewirkt. Dies erweise sich daran, dass dieser beim Verkehr mit seiner
Lebensgefährtin „auf den kleinsten Hinweis
ihrerseits innehalten und von ihr ablassen“ habe
können (UA S. 62).
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b) Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist
nicht jede Devianz ohne Weiteres gleichzusetzen mit einer schweren
anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21
StGB; die Steuerungsfähigkeit kann allerdings dann
beeinträchtigt sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu einer
eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch
abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des
Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken
auszeichnet (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 201; BGHR StGB § 21
seelische Abartigkeit 10, 22).
Im vorliegenden Fall sind Anzeichen dafür vorhanden, dass der
Angeklagte eine überdurchschnittliche Triebanomalie aufweist,
die das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit
im Sinne von § 20 StGB erfüllt. Dem Angeklagten
liegen neun nahezu identische sexuelle Gewalttaten gegenüber
ihm völlig unbekannten Frauen zur Last. Dabei verfolgte er die
Opfer jeweils bis in ein Gebäude, teils auch in deren Wohnung
hinein und riss ihnen Slip bzw. Strumpfhose herunter. Teils
berührte er sie an Vulva oder Anus, teils penetrierte er sie
auch mit dem Finger. Wegen sechs ebenfalls gleichgelagerter Taten ist
er bereits 1999 zu einer Jugendstrafe von
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zwei Jahren und wegen einer abermals sehr ähnlichen Tat 2005
zu einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten
verurteilt worden. Ferner verbringt er einen wesentlichen Teil seiner
Zeit damit, heimlich sein Mobiltelefon unter den Rock von Frauen zu
halten und damit Fotos bzw. Videos von deren Schrittgegend herzustellen.
Bei dieser Sachlage durften die Voraussetzungen des § 21 StGB
nicht mit einer derart knappen, wohl eine Wertung der psychiatrischen
Sachverständigen übernehmenden Begründung
ausgeschlossen werden. Vielmehr hätten die wesentlichen
Anknüpfungstatsachen und Darlegungen der
Sachverständigen im Urteil so wiedergegeben werden
müssen, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und
zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstiger
Rechtsfehlerfreiheit erforderlich ist (vgl. BGHSt 7, 238, 239 f.; BGH
NStZ 2003, 307, 308; NStZ-RR 2009, 45 f.). Der Umstand allein, dass der
Angeklagte seiner Lebensgefährtin nicht in gleicher Weise
Gewalt angetan hat, vermag dabei eine rechtlich relevante
Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens des
Angeklagten nicht mit hinreichender Sicherheit
auszuschließen. Hingegen liegen für eine Aufhebung
der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) keine Anhaltspunkte
vor.
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c) Der Rechtsfehler zieht den Wegfall des Strafausspruchs nach sich;
auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann keinen Bestand haben.
Das gilt zudem deswegen, weil für den Fall, dass sich das neue
Tatgericht von den Voraussetzungen des § 21 StGB sicher
überzeugen sollte, zu prüfen sein wird, ob der
Angeklagte in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen ist
(§ 63 StGB). Gegebenenfalls wäre der
Maßregel nach § 63 StGB unter den hier vorliegenden
Umständen gegenüber der Sicherungsverwahrung der
Vorrang einzuräumen (§ 72 StGB; vgl. BGHSt 42, 306,
308; BGH NStZ-RR 2007, 138, 139).
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d) Die Feststellungen sind mit Ausnahme der zu § 21 StGB
getroffenen fehlerfrei und können bestehen bleiben. Das
Landgericht ist nicht gehin-
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dert, ergänzende Feststellungen zu treffen, sofern sie den
bisherigen nicht widersprechen.
2. Für den Fall, dass das neu entscheidende Tatgericht einen
Zustand verminderter Schuldfähigkeit nicht oder nicht sicher
festzustellen vermögen sollte, weist der Senat darauf hin,
dass die Erwägungen, mit denen das angefochtene Urteil die
Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB angenommen hat,
durchgreifenden Bedenken begegnen.
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Das Landgericht hat als Vorverurteilung im Sinne des § 66 Abs.
1 Nr. 1 StGB die durch das Amtsgericht Tiergarten in Berlin
verhängte einheitliche Jugendstrafe von zwei Jahren
herangezogen. Dabei hat es ausgeschlossen, dass das seinerzeit
entscheidende Jugendschöffengericht wegen der beiden
schwersten der sechs von ihm abgeurteilten Taten eine Jugendstrafe von
unter einem Jahr verhängt hätte, sofern sie als
Einzeltaten gesondert abgeurteilt worden wären. Dies steht
zwar grundsätzlich in Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1
Vorverurteilungen 2 und 6; BGH NStZ-RR 2007, 171 f.; NStZ 2002, 29).
Jedoch darf davon nur ausgegangen werden, wenn das Tatgericht
Feststellungen darüber treffen kann, wie der Richter des
Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an
dessen Stelle setzen und im nachhinein eine eigene Strafzumessung
vornehmen (BGH aaO). An diesbezüglichen Feststellungen fehlt
es hier.
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Jedoch wird das neue Tatgericht § 66 Abs. 2 (und 3) StGB zu
prüfen haben. Die Voraussetzungen jener Vorschriften liegen -
was das angefochtene Urteil auch nicht verkannt hat - unzweifelhaft vor.
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