BGH,
Beschl. v. 20.10.2009 - 4 StR 408/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 408/09
vom
20. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr
u. a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 20. Oktober
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kempten vom 11. Mai 2009 aufgehoben,
a) soweit sie in den Fällen II. 2. und 5. der
Urteilsgründe verurteilt worden ist, mit den zum Wert der
durch die jeweiligen Verkehrsunfälle gefährdeten
fremden Sachen, im Fall II. 5. der Urteilsgründe
zusätzlich mit den zur Gefährdung anderer Personen
sowie in beiden Fällen mit den insoweit zur inneren Tatseite
getroffenen Feststellungen; die übrigen Feststellungen bleiben
jedoch aufrechterhalten;
b) in den Aussprüchen über die in den Fällen
II. 2. und 5. der Urteilsgründe verhängten
Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
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Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlichen
Eingriffs in den Straßenverkehr in fünf
Fällen, in vier Fällen tateinheitlich mit Betrug und
in einem Fall tateinheitlich mit versuchtem Betrug, unter Einbeziehung
einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren
und sieben Monaten verurteilt. Der Angeklagten wurde des Weiteren die
Fahrerlaubnis entzogen, ihr Führerschein wurde eingezogen und
die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihr vor Ablauf von zwei
Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
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Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der
Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang
Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
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1. Der Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den
Straßenverkehr in den Fällen II. 2. und 5. der
Urteilsgründe hat keinen Bestand.
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Zwar hat die Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen die Verkehrsunfälle jeweils absichtlich
herbeigeführt (§ 315b Abs. 3 i.V.m. § 315
Abs. 3 Nr. 1b StGB) und dadurch die Sicherheit des
Straßenverkehrs entweder durch Hindernisbereiten (§
315b Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder durch einen „ähnlichen,
ebenso gefährlichen Eingriff“ (§ 315b Abs.
1 Nr. 3 StGB) beeinträchtigt (vgl. BGH NZV 1992, 325; 2001,
265). Der Straftatbestand des § 315b Abs. 1 StGB setzt
darüber hinaus aber voraus, dass durch den
tatbestandsmäßigen Eingriff Leib oder Leben eines
anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret
gefährdet werden. Hierzu hat die Strafkammer keine
hinreichenden Feststellungen getroffen.
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a) Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen,
dass in den genannten Fällen Leib oder Leben eines anderen
Menschen konkret gefährdet worden sind. Im Fall II. 2. wurde
dies von der Strafkammer im Hinblick auf das konkrete Unfallgeschehen
offensichtlich von vorneherein ausgeschlossen. Im Fall II. 5. der
Urteilsgründe wurde die Zeugin P. zwar nicht verletzt,
allerdings sei - so die Strafkammer - bei dieser Art von Unfall
regelmäßig ein HWS-Trauma zu erwarten (UA 9). Eine
konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen
ist damit jedoch nicht hinreichend belegt; insbesondere fehlen Angaben
zu den Geschwindigkeiten der Pkws im Zeitpunkt der Kollision und der
Intensität des Aufpralls zwischen den beteiligten Fahrzeugen.
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b) Auch die konkrete Gefährdung einer fremden Sache von
bedeutendem Wert ist in den Fällen II. 2. und 5. nicht
festgestellt.
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Bei der Prüfung, ob einer fremden Sache von bedeutendem Wert
auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, sind stets zwei durch
entsprechende Feststellungen gestützte
Prüfungsschritte erforderlich: Zunächst ist zu
klären, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine
solche von bedeutendem Wert handelte. Dies kann etwa bei
älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen
fraglich sein. Handelte es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so
ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein
bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich
entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche
Gefährdungsschaden (vgl. Beschluss des Senats vom 29. April
2008 - 4 StR 617/07 m.w.N.).
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Solche Feststellungen enthält das Urteil zu den
Fällen II. 2. und 5. nicht. In beiden Fällen ist an
den nicht von der Angeklagten geführten Fahrzeugen kein
Sachschaden entstanden. Allein aus der Höhe der von der
Angeklagten bei
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der gegnerischen Haftpflichtversicherung bzw. der Zeugin P.
für die Beschädigung des eigenen Fahrzeugs
betrügerisch erlangten oder geforderten Beträge kann
nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit
der Schluss gezogen werden, dass den jeweils beteiligten Fahrzeugen der
anderen Unfallbeteiligten ein bedeutender Sachschaden drohte.
Darüber hinaus fehlen bezogen auf den Fall II. 5. der
Urteilsgründe auch Feststellungen dazu, ob das Fahrzeug der
Geschädigten P. zum Unfallzeitpunkt einen
„bedeutenden Wert“ hatte (vgl. dazu BGH aaO m.w.N.;
vgl. zur Wertgrenze auch Heine in Schönke/Schröder
StGB 27. Aufl. Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 15).
2. In Bezug auf das weitere Revisionsvorbringen verweist der Senat auf
die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in
seiner Antragsschrift vom 7. September 2009. Ergänzend bemerkt
der Senat:
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a) Die Verfahrensrüge, mit der die Verletzung des §
244 Abs. 4 Satz 2 StPO geltend gemacht wird, ist bereits
unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn die
Revision teilt die Gutachten nicht vollständig mit, obwohl sie
in der Revisionsbegründung auf deren Skizzen und Schadensfotos
verweist (RB S. 18 f., 44). Dem Revisionsgericht bleibt damit eine
Überprüfung der erhobenen Behauptung, dem
gehörten Sachverständigen habe die Sachkunde gefehlt,
verschlossen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Juni 2009 - 5 StR
215/09 und vom 19. Oktober 2000 - 4 StR 411/00).
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b) Dass das Landgericht rechtsfehlerhaft angenommen hat, der
gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr stehe in
Tateinheit zu dem mit der Tat bezweckten Betrug (vgl. BGH NZV 1992,
325), beschwert die Angeklagte nicht.
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3. Mit den Teilaufhebungen in den Fällen II. 2. und 5. der
Urteilsgründe entfallen auch die insoweit verhängten
Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe. Der Maßregelausspruch
kann hingegen bestehen bleiben, da er durch die aufrechterhaltenen
Feststellungen zu den Unfallgeschehen und die Verurteilung wegen der
übrigen, durch die Urteilsaufhebung nicht betroffenen Taten
getragen wird.
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Die Aufhebung der Verurteilung der Angeklagten in den genannten
Fällen zieht nur die Aufhebung der zur Gefährdung von
Leib und Leben anderer Personen im Fall II. 5. und zur
Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert sowie der
insoweit zur inneren Tatseite in beiden Fällen getroffenen
Feststellungen nach sich. Die übrigen Feststellungen -
insbesondere zum äußeren Tatgeschehen, zur
absichtlichen Herbeiführung der Verkehrsunfälle und
zum Schädigungsvorsatz der Angeklagten - sind rechtsfehlerfrei
getroffen und können deshalb bestehen bleiben.
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Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich
das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) lediglich auf
Art und Höhe der Rechtsfolgen, nicht aber auf eine
Veränderung und Verschärfung des Schuldspruchs
bezieht (st. Rspr.; vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 358 Rdn. 18;
Paul in KK 6. Aufl. § 331 Rdn. 2; Meyer-Goßner StPO
52. Aufl. § 358 Rdn. 11, § 331 Rdn. 8, jeweils
m.w.N.). Der neue Tatrichter wäre daher nicht daran gehindert,
den Schuldspruch in den Fällen II. 2. und 5. dahingehend zu
ändern, dass die Angeklagte des (versuchten)
gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in
Tatmehrheit mit (versuchtem) Betrug schuldig ist. In diesem Fall
würde das Verschlechterungsverbot aber dazu führen,
dass die Summe der Einzelstrafen, die dann jeweils zu
verhängen wären, die in dem betreffenden Fall bisher
verhäng-
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te Einzelstrafe nicht überschreiten darf (BGH, Beschluss vom
25. Oktober 2001 - 3 StR 314/01; BGHR StPO § 331 Abs. 1
Einzelstrafe, fehlende 1).
Tepperwien Maatz Solin-Stojanović
Franke Mutzbauer |