BGH,
Beschl. v. 20.9.2000 - 3 StR 88/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 88/00
vom
20. September 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Betrugs
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung der
Beschwerdeführer am 20. September 2000 einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Hildesheim vom 12. Mai 1999 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat nach Teileinstellung mehrerer Anklagekomplexe den
Angeklagten G. wegen tateinheitlich begangenen Betruges in 1813
Fällen und eines weiteren tateinheitlich begangenen Betruges
in 1692 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren
und den Angeklagten W. wegen tateinheitlich begangenen Betruges in 1813
Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Die Revisionen der Angeklagten, mit denen verfahrens- und
materiellrechtliche Beanstandungen geltend gemacht werden, sind
unbegründet.
I. Nach den Feststellungen war G. Gesellschafter und
Geschäftsführer der P. GmbH, einer
Vertriebsgesellschaft für Kapitalanlagen. Er warb
über seine Vertriebsorganisation unter anderem in Prospekten
mit einem Anlagemodell, das hohe Renditen durch
Börsengeschäfte in den USA in Aussicht stellte und
eine Absicherung des Anlagekapitals in Höhe von 91 %
versprach. Diese Ziele wollte er mit Hilfe der ehemaligen
Mitangeklagten K. und M. umsetzen, die mehrere Briefkastenfirmen
betrieben. Der Zahlungsfluß sollte über Konten des
Angeklagten W. , eines Rechtsanwalts und Notars, laufen, der als
Mittelverwendungstreuhänder eingesetzt war. Entgegen den
Angaben in den Werbeprospekten gelangte das Kapital jedoch nicht an die
Börse sondern in die Anlagefirmen von K. und M.
. Diese betrieben einen Schneeballbetrug größten
Ausmaßes, das heißt die Rückzahlungen an
Altanleger erfolgten aus den neu angelegten Geldern. Ein ernsthafter
Börsenhandel fand nicht statt, Gewinne wurden nicht
erwirtschaftet. Auch eine 91 %ige Absicherung des Kapitals war nicht
gewährleistet. Spätestens im Sommer 1993 erkannten
die Angeklagten den Schneeballbetrug von K. und M. . Gleichwohl wurde
das Anlagegeschäft fortgesetzt. Im Sommer 1995 brach
schließlich das gesamte System zusammen. Im Tatzeitraum von
September 1993 bis März 1995 wurden von der P. GmbH 171,9
Millionen DM Anlagegelder vermittelt, die in dem Schneeballsystem
untergingen. Der den Angeklagten in dem Urteil zugerechnete Schaden
beträgt 61.034.553,08 DM.
Im Frühjahr 1995 nahm G. allein ohne Einschaltung W. s Kontakt
zur B. Bank, einem ausländischen Kreditinstitut mit Sitz in
Kanada, auf. Konkrete Absprachen oder Vereinbarungen über
Anlagestrategien kamen aber nicht zustande. Gleichwohl spiegelte G.
dies den Anlegern vor, um ein zehnprozentiges Aufgeld (Agio) zu
erlangen. Während die Anlagegelder später an die
Kunden zurückgezahlt werden konnten, verloren sie das Agio,
welches im Verurteilungszeitraum Mai bis Juli 1995 insgesamt 2.277.925,
DM betrug.
II. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigungen hat aus den Gründen der
Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 5. und 8. Mai 2000 keinen
Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben, § 349 Abs.
2 StPO. Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Ein Verstoß gegen die §§ 264, 265 StPO
durch die Verurteilung wegen Betruges in 1813 Fällen liegt
entgegen dem Vorbringen der Revisionen nicht vor. Die Angeklagten sind
nicht wegen einer anderen als der angeklagten Tat verurteilt worden.
Die Anklageschrift bezeichnet zwar die Angeklagten W. und G.
bezüglich des von K. und M. betriebenen Schneeballbetruges
ausdrücklich als gutgläubig und geht davon aus,
daß die Angeklagten insoweit von K. und M. getäuscht
wurden. Rechtlich wertet sie das Verhalten von G. im Zusammenhang mit
den Prospekten November 1989, Mai 1990, Januar 1991, Oktober 1992 und
Oktober 1993 deshalb in den Fällen I. 1 bis I. 3, I. 5 und I.
6 als Kapitalanlagebetrug gemäß § 264 a
StGB, dasjenige von W. in der Zeit von Januar 1993 bis April 1995 als
Betrug gemäß § 263 StGB bezüglich
eines als Verwaltungsgebühr einbehaltenen Betrages in
Höhe von 9 % der Anlagesumme. Demgegenüber stellt das
Urteil ab Sommer 1993 einen bedingten Vorsatz der Angeklagten
bezüglich des Schneeballsystems fest und nimmt deshalb
für die Zeit von September 1993 bis März 1995 einen
Betrug gemäß § 263 StGB bezüglich
des gesamten Anlagebetrages im einzelnen benannter Anleger an. Diese
rechtliche Würdigung führt jedoch nicht zu einer
anderen Tat im strafprozessualen Sinn. Der von der Strafkammer erteilte
Hinweis nach § 265 StPO reichte somit aus.
Eine Tat im strafprozessualen Sinn ist dann gegeben, wenn ein konkretes
Vorkommnis, ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang vorliegt, der
sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet
und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht
hat oder haben soll. Zur Tat gehört das gesamte Verhalten des
Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen
einheitlichen Lebensvorgang darstellt. Die Tat umfaßt alle
mit dem Vorgang zusammenhängenden und darauf
bezüglichen Vorkommnisse und tatsächlichen
Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende
Tun des Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als
strafbar erscheinen zu lassen, zu qualifizieren oder zu mildern (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 264 Rdn.
2, 2 b m.w.Nachw.). Das Gericht bewegt sich auch dann noch innerhalb
des Prozeßgegenstandes, wenn es durch eine sogenannte
Umgestaltung der Strafklage den Prozeßgegenstand rechtlich
anders würdigt. Dies gilt auch dann, wenn es dabei zu anderen
tatsächlichen Feststellungen gelangt, als sie in der
vorläufigen Angabe des Lebenssachverhalts in der Anklage und
seiner Würdigung im Eröffnungsbeschluß
zugrunde liegen (vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 17,
21; Rieß in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. Einl.
Abschn. J Rdn. 59).
Überträgt man dies auf den vorliegenden Fall, so ist
zunächst in zeitlicher Hinsicht zu beachten, daß die
Anklageschrift den der Verurteilung zugrunde liegenden Tatzeitraum von
September 1993 bis März 1995 erfaßt (vgl. zur
zeitlichen Kongruenz von angeklagter und verurteilter Tat auch die
Entscheidung des 4. Senats vom 17. August 2000 - 4 StR 245/00, zur
Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). In der Sache geht es auch
bei der Wertung als Betrug um die Täuschung derselben Anleger
durch dieselben Prospekte, die in der Anklage als Tatmittel des
Kapitalanlagebetruges angesehen wurden, und die über dieselben
Vermittler an die potentiellen Anleger gelangten. Auch wurden die
Anlagegelder nach dem Urteil tatsächlich so verwandt und
eingesetzt, wie in der Anklageschrift dargestellt. Damit waren die das
objektive Geschehen maßgeblich prägenden
Umstände bereits in der Anklageschrift dargestellt. Allein die
abweichenden Feststellungen zum Vorsatz der Angeklagten, namentlich des
Angeklagten G. , und die damit zusammenhängende abweichende
rechtliche Würdigung führen hier nicht zu einem
anderen historischen Geschehen. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt
zu dem Rechtscharakter des § 264 a StGB und dessen
Verhältnis zu § 263 StGB darauf abgestellt,
daß es sich bei § 264 a StGB im Vergleich zum Betrug
um ein zum selbständigen Tatbestand erhobenes Versuchsdelikt
handelt, das in der Regel hinter § 263 StGB
zurücktritt, falls dessen Voraussetzungen zugleich
erfüllt sind (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl.
§ 264 a Rdn. 2 f.; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl.
§ 264 a Rdn. 17, § 265 b Rdn. 10; vgl. auch Tiedemann
in LK 11. Aufl. § 264 a Rdn. 82). Der Angeklagte W. war
ohnehin wegen Betruges und damit wegen desselben Deliktes angeklagt,
wenn auch im Urteil ein weitergehender Vorsatz festgestellt ist, so
daß schon deshalb kein Zweifel an der Identität der
angeklagten und abgeurteilten Tat besteht.
2. Soweit die Angeklagten zur Begründung der Sachrüge
ausführen, die von der Strafkammer verhängten Strafen
seien im Vergleich zu denjenigen der bereits zuvor
rechtskräftig verurteilten Mittäter zu hoch, verhilft
dies den Revisionen nicht zum Erfolg.
Indem die Revisionen zur Beurteilung der Schuld der Mittäter
die Feststellungen aus dem hier angefochtenen Urteil gegen G. und W.
heranziehen, übersehen sie, daß
tatsächliche Grundlage der Strafen der Mittäter die
Feststellungen in den gegen diese ergangenen Urteilen sind. Diese
müssen nicht notwendigerweise mit den in dem vorliegenden
Urteil getroffenen Feststellungen übereinstimmen. Für
die sachlichrechtliche Überprüfung steht dem
Revisionsgericht jedoch allein die hiesige Urteilsurkunde, nicht aber,
wie die Revision des Angeklagten W. meint, die gesamte Verfahrensakte
zur Verfügung. Soweit sich der Rechtsfehler nicht allein aus
der Urteilsurkunde erschließen läßt, kommt
nur die Erhebung einer Verfahrensrüge in Betracht (vgl. BGH,
Beschl. vom 30. Mai 2000 - 1 StR 183/00). Will ein Angeklagter geltend
machen, es liege ein Verstoß gegen das Gebot der
Gleichmäßigkeit des Strafens vor, weil seine Strafe
im Vergleich zu derjenigen von Mittätern zu hoch sei, und sind
die Mittäter nicht in dem angefochtenen Urteil selbst mit
abgeurteilt, so muß er eine Verfahrensrüge etwa in
Form einer Aufklärungsrüge erheben. Zu deren
Begründung muß er die Tatsachen so umfassend
vortragen, daß das Revisionsgericht allein aufgrund der
Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Rechtsfehler
vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision
zutrifft. Damit wird in diesen Fällen
regelmäßig zumindest das gegen die Mittäter
ergangene Urteil einschließlich der maßgeblichen
Urteilsgründe zur Kenntnis zu bringen sein. Eine diesen
Anforderungen genügende Verfahrensrüge haben die
Revisionen nicht erhoben.
Im übrigen kann in der Sache zwar der Gesichtspunkt,
daß gegen Mittäter verhängte Strafen auch
in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollen, bei
der Strafzumessung nicht völlig außer Betracht
bleiben. Jedoch muß primär, auch wenn mehrere
Beteiligte in einem Verfahren abgeurteilt werden, für jeden
von ihnen die Strafe aus der Sache selbst gefunden werden (st. Rspr.,
vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zumessungsfehler 1; BGH bei Holtz,
MDR 1979, 986). Die Ausführungen der Revisionen ergeben nicht,
daß die Strafkammer den ihr insoweit zustehenden
Ermessensspielraum bei den nach fast dreijähriger
Hauptverhandlung gefundenen Strafen überschritten hat.
3. Auch soweit die Revision des Angeklagten W. rügt, bei der
Strafzumessung habe die Strafkammer die lange Verfahrensdauer nicht
ausreichend berücksichtigt, hält das Urteil
revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Eine
Verfahrensrüge zur Begründung einer
rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und damit eines
Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ist nicht erhoben
(vgl. BGHSt 45, 308, 310; BGHR StGB § 46 Abs. 2
Verfahrensverzögerung 12; BGH NStZ 1999, 313). Die Strafkammer
hat daneben die lange Dauer der Hauptverhandlung und damit den insoweit
bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt ausdrücklich zu
Gunsten beider Angeklagten gewürdigt.
4. Schließlich kann dahinstehen, ob die rechtliche
Würdigung der Strafkammer, die für beide Angeklagten
eine mittelbare Nebentäterschaft annimmt, zutrifft. Zum einen
läßt sich dem Zusammenhang der
Urteilsgründe entnehmen, daß auch der Angeklagte W.
täuschend auf die Anleger eingewirkt hat, um bei diesen die
irrige Vorstellung einer den Prospektangaben entsprechenden
seriösen Geldanlage hervorzurufen oder zu unterhalten. So hat
er etwa mehrere, zumindest auch zu Vertriebszwecken verwandte Schreiben
verfaßt, in denen er die Ordnungsgemäßheit
der Geldanlagen bestätigt hat. Auch hat er jedem Anleger eine
Bestätigung über die Zahlungseingänge
zugesandt und damit wahrheitswidrig vorgespiegelt, die Anlage werde
entsprechend den Prospektangaben abgewickelt. Jedenfalls belegen die
Feststellungen zwanglos auch für den abgeurteilten Zeitraum
ein mittäterschaftliches Zusammenwirken der Angeklagten. So
standen die Angeklagten in ständigem Kontakt und tauschten
sich regelmäßig über die Gegebenheiten aus.
Der Angeklagte W. war neben seiner Tätigkeit als
Treuhänder auch der einzige ständige Rechtsberater
der P. GmbH und des Angeklagten G. . Er beantwortete Anfragen von
Anlegern, Vermittlern sowie Dritten und entwarf zahlreiche Schreiben
und Vermerke für G. . Im Rahmen seiner Tätigkeiten
schickte er stets Abschriften dieser Schreiben und Vermerke zur
Kenntnis an G. . Mit diesem unternahm er daneben im Dezember 1994 eine
Reise nach Chicago, die vorgeblich dem Zwecke der
Überprüfung der Unterlagen über die in den
USA angelegten Gelder diente. W. war an der Erstellung der
Verträge mit den Anlagefirmen beteiligt und entwarf die
entscheidenden Passagen. In ihrer Wirkung nach außen
ergänzten sich die Angeklagten in ihren Funktionen - G. als
Gesellschafter und Geschäftsführer der
Vermittlungsfirma, der Rechtsanwalt und Notar W. als besonderes
Vertrauen erweckender Treuhänder.
Rissing-van Saan Winkler Pfister von Lienen Becker |