BGH,
Beschl. v. 20.9.2002 - 2 StR 335/02
2 StR 335/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
20. September 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20.
September 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Koblenz vom 19. April 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung
(Vergewaltigung) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs
Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf
die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten
Revision, die "die unterbliebene Anordnung einer Maßregel"
vom Revisionsangriff ausnehmen will.
1. Diese Beschränkung ist unwirksam.
Eine Beschränkung der Revision ist zulässig, wenn die
Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils
losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil rechtlich und
tatsächlich unabhängig beurteilt werden
können. Gewährleistet sein muß,
daß die Gesamtentscheidung frei von inneren
Widersprüchen bleiben kann (st. Rspr.: BGHSt 29, 359, 364; 39,
208, 209; 41, 57 jeweils m. w. N.; BGH NStZ-RR 1999, 359). Der Senat
kann offenlassen, ob die unterbliebene Anordnung der Maßregel
der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB überhaupt vom Rechtsmittelangriff (gegen den
Rechtsfolgenausspruch) ausgenommen werden kann (vgl. insoweit: BGHSt
46, 257, 260; BGH NStZ 1995, 609 m. Anm. Laubenthal JR 1996, 291;
für den Fall der unterbliebenen Anwendung des § 64
StGB BGHSt 38, 362 m. kritischer Anm. Hanack JR 1993, 430; BGH NStZ
1992, 539; vgl. aber auch BGH StV 1998, 342 f.). Eine
Beschränkung kommt hier nämlich schon nach
allgemeinen Grundsätzen nicht in Betracht. Das Landgericht hat
sich mit der Frage der Schuldfähigkeit überhaupt
nicht befaßt und dazu auch keine Feststellungen getroffen;
nach dem Sachvortrag der Revision in der
Aufklärungsrüge besteht die Möglichkeit,
daß der Angeklagte bei der abgeurteilten Tat
schuldunfähig war und deshalb eine Verurteilung ausscheiden
müßte; als einzige Rechtsfolge für die Tat
des Angeklagten käme dann nur die Unterbringung nach
§ 63 StGB in Betracht. Schuldspruch und eine mögliche
Maßregelanordnung sind hier aber so eng miteinander
verknüpft, daß die - unterbliebene -
Maßregelanordnung nicht von der Anfechtung ausgenommen werden
kann (vgl. Kuckein in KK 4. Aufl. § 344 Rdn. 10 m. w. N.).
2. Das Rechtsmittel selbst hat mit der in zulässiger Weise
erhobenen Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2
StPO) Erfolg. Die Revision beanstandet zu Recht, daß die
Strafkammer hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten
nicht ein Sachverständigengutachten eingeholt hat.
Aus den Ermittlungsakten ergab sich, daß der Angeklagte einen
schweren Arbeitsunfall erlitten hatte (vgl. Vernehmung bei der
Haftprüfung am 10. Januar 2002), unter Betreuung stand
(Vernehmung des Angeklagten am 21. Dezember 2001 im Rahmen der
Haftentscheidung) und bei ihm einen Zustand nach "Polytrauma" vorlag
(ärztliches Attest vom 8. Januar 2002). Dazu kam,
daß die Tat des bisher nicht bestraften Angeklagten
ungewöhnliche Züge aufwies, die auf eine
Störung im Bereich der Schuldfähigkeit hindeuteten.
Angesichts dieser Besonderheiten mußte sich das Landgericht
gedrängt sehen, die Schuldfähigkeit des Angeklagten
bei Begehung der Tat zu prüfen und klären, ob und
inwieweit diese aus einem der in § 20 StGB bezeichneten
Gründe aufgehoben oder zumindest erheblich vermindert war. Zur
Klärung dieser Frage bedurfte es, da die eigene Sachkunde
eines Tatrichters in der Regel nicht ausreicht, um zu beurteilen, wie
sich Unfälle mit Gehirnbeteiligung auf die
Steuerungsfähigkeit ausgewirkt haben (vgl. BGHR StGB
§ 20 Sachverständiger 2, 3 und 4; § 21
Sachverständiger 1, 2, 4 und 8; BGH wistra 1994, 29; NJW 1993,
1540; StV 1996, 4; 2001, 437), der Zuziehung eines psychiatrischen
Sachverständigen. Dabei hätte sich ergeben,
daß für den Angeklagten durch das Amtsgericht
Bergheim am 12. Februar 1996 die - im Zeitpunkt der Tat noch bestehende
- umfassende Betreuung angeordnet worden war. Der Aufgabenkreis
erfaßte die Sorge für die Gesundheit, die
Aufenthaltsbestimmung, die Vermögenssorge sowie die Post- und
Telefonkontrolle. Wie sich aus dem - nach der
Urteilsverkündung zu den Akten gelangten - Gutachten des
psychiatrischen Sachverständigen Dr. H. im Betreuungsverfahren
entnehmen läßt, zeigte der Angeklagte in der
Vergangenheit erhebliche psychische Auffälligkeiten, bei ihm
wurde unter anderem ein organisches Psychosyndrom mit Zeichen der
Enthemmung, Antriebssteigerung und fremdaggressiven Tendenzen (eine
hirnorganische Wesensveränderung) diagnostiziert.
Bei dieser Sachlage kann der Senat nicht ausschließen,
daß sich nicht nur eine erheblich verminderte
Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tat, sondern
möglicherweise auch seine Schuldunfähigkeit ergeben
könnte. Das Urteil war deshalb mit den zugrundeliegenden
Feststellungen aufzuheben. Feststellungen zum Geschehensablauf oder zur
Person der Nebenklägerin, aufrechtzuerhalten, wie der
Generalbundesanwalt meint, hielt der Senat nicht für
sachgerecht, weil dies in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht der erforderlichen Einheitlichkeit der Urteilsfeststellungen
nachteilig wäre.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes
hin:
Von besonderer Bedeutung für die Strafzumessung sind die
persönlichen Verhältnisse des Angeklagten. Diejenigen
persönlichen Umstände, die Auswirkung auf die
Höhe der Strafe haben können, müssen in dem
Umfang erörtert werden, in dem sie bestimmenden
Einfluß auf den Rechtsfolgenausspruch haben können.
Falls der Angeklagte keine Angaben zur Person macht, muß auf
anderem Wege deren Feststellungen versucht werden. Die nunmehr zur
Entscheidung berufene Strafkammer wird deshalb unter
Ausschöpfung der - auch von der Revision aufgezeigten -
Möglichkeiten genauere Feststellungen zu den
persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen
haben (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 8 bis
12; 15; 17 und 18; NStZ-RR 1999, 46).
Rissing-van Saan Detter Otten Rothfuß RiBGH Fischer ist wegen
Urlaubs an der Unterschrift gehindert.
Rissing-van Saan
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