BGH,
Beschl. v. 21.4.2005 - 4 StR 76/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 76/05
vom
21.04.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21.04.2005
gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Bochum - Auswärtige Strafkammer Recklinghausen
- vom 8. September 2004 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten der Vergewaltigung in zwei
Fällen,
davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und in
einem weiteren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung, sowie der
vorsätzlichen Körperverletzung in weiteren zwei
Fällen für schuldig befunden
und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Hiergegen
wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die
Verletzung sachlichen
Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Hintergrund der dem Angeklagten, einem aus Afghanistan stammenden
Kinderarzt, zur Last gelegten Taten, ist seine durch häufige
Streitigkeiten,
Trennungen und Versöhnungen gekennzeichnete, inzwischen
rechtskräftig geschiedene
Ehe mit der ebenfalls aus Afghanistan stammenden Nebenklägerin.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kam es im Zusammen-
3 -
hang mit derartigen Streitigkeiten unter den Eheleuten zu
körperlichen Übergriffen
des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau, wobei der Angeklagte
einmal
Ende September 2000 in der Kinderarztpraxis und am 3. März
2002 jeweils
mit der Faust auf sie einschlug, so daß sie zu Boden
stürzte, und er in der Silvesternacht
2000/2001 sowie am 4. März 2002 jeweils unter
Überwindung ihrer
Gegenwehr den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum
Samenerguß erzwang.
Noch in der Nacht im Anschluß an den zuletzt genannten
Vorfall telefonierte
die Nebenklägerin u.a. mit ihrer Schwester, ließ
aber die Vergewaltigung
unerwähnt. Am folgenden Morgen erstattete sie Strafanzeige bei
der Polizei
wegen Körperverletzung; auch hierbei ließ sie die
Vergewaltigung unerwähnt.
Vielmehr erstattete sie erst am 22. Juli 2002 gegen den Angeklagten
Anzeige
wegen mehrfacher Vergewaltigung, nachdem der Angeklagte bereits am
26. März 2002 zum Vorwurf der Körperverletzung als
Beschuldigter vernommen
worden war und dabei seinerseits die Angeklagte "als Aggressor" (UA 18)
dargestellt hatte.
Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe sämtlich
bestritten. Er sei seinerseits
von seiner Ehefrau oftmals "körperlich angegangen" worden; sie
habe
sich ihm gegenüber häufig aggressiv verhalten, wobei
er sich jeweils nur verteidigt
habe. Die Vergewaltigungen seien von ihr frei erfunden worden, um ihre
eigenen Tätlichkeiten "zu vertuschen" und "um aus der Ehe
auszubrechen"
(UA 8/9).
2. Das Landgericht hat seine Überzeugungsbildung insbesondere
auf
die für umfassend glaubhaft erachteten Angaben der
Nebenklägerin zu den
- 4 -
festgestellten Taten gestützt, die hinsichtlich der
Verletzungsfolgen nach den
Vorfällen vom 3. und 4. März 2002 durch mehrere
Zeugen und einen ärztlichen
Befund vom 6. März 2002 bestätigt wurden. Weiter
führt das Urteil aus, die
Nebenkägerin habe auch Fragen des Gerichts, warum sie ihren
Angehörigen
zunächst nichts von der Vergewaltigung berichtet und die
Vergewaltigungen
zunächst auch nicht angezeigt habe, "spontan und
überzeugend beantworten
können" (UA 11).
a) Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung
hält im Ergebnis
der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, sondern begegnet,
obwohl sie
sehr ausführlich ist, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Beweiswürdigung ist allerdings in erster Linie Sache des
Tatrichters.
Ein vom Revisionsgericht zu beachtender sachlich-rechtlicher Fehler
kann indessen
dann vorliegen, wenn die Beweiswürdigung
widersprüchlich, unklar
oder lückenhaft ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder
gesicherte Erfahrungssätze
verstößt. Die Beweiswürdigung muß
insbesondere erschöpfend
sein: Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten
Tatsachen
unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten
auseinanderzusetzen,
wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Aus
den Urteilsgründen muß sich zudem ergeben,
daß die einzelnen
Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende
Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO
§ 261
Beweiswürdigung 2, 11, 14; BGH, Urteil vom 27. März
2003 - 1 StR 524/02).
b) Diesen Maßstäben wird die Würdigung der
Strafkammer insbesondere
zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin nicht
umfassend ge-
5 -
recht. So fehlt bereits eine nähere Darlegung der von der
Nebenklägerin angegebenen
Gründe für ihre späte Offenbarung der von
ihr behaupteten Vergewaltigungen.
Der bloße Hinweis im Urteil, sie habe entsprechende Fragen
"überzeugend"
beantworten können, genügt nicht. Dies gilt zumal
deshalb, weil -
was das Urteil erst im Rahmen der Strafzumessungserwägungen
erwähnt - die
Nebenklägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten
vom 22. Juli 2002 (mithin
vom selben Tag, an dem die Nebenklägerin den Angeklagten wegen
mehrfacher
Vergewaltigung anzeigte) die Bereitschaft bekundete, gegen Zahlung einer
Abfindung von "50.000 Euro, Rückgabe der Morgengabe und 12
Goldmünzen
die Anzeige zurückzunehmen", und auch dieser Schriftsatz sich
nur auf die
Körperverletzungen bezog, "da die Bevollmächtigte
offenbar von der Anzeigenerstattung
wegen Vergewaltigung am gleichen Tag nicht unterrichtet war"
(UA 26). Mit diesen Umständen hat sich - wie die Revision zu
Recht rügt - die
Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Dessen hätte es aber
schon deshalb
bedurft, weil in dem dadurch zum Ausdruck gekommenen finanziellen
Interesse
der Nebenklägerin durchaus ein Grund für eine
Belastung des Angeklagten zu
finden sein könnte. Im übrigen hätte sich
die Strafkammer in diesem Zusammenhang
auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, weshalb die
Nebenklägerin
ersichtlich nicht einmal ihre Bevollmächtigte von den dem
Angeklagten
angelasteten Vergewaltigungen unterrichtet hatte, obwohl doch ihre
durch ihre
Bevollmächtigte gegenüber dem Angeklagten geltend
gemachten finanziellen
Forderungen bei Einbeziehung des Vergewaltigungsvorwurfs eine
größere Berechtigung
gehabt hätten. Soweit die Strafkammer meint, die
Nebenklägerin
habe aus Angst vor dem Angeklagten zunächst nur Anzeige wegen
Körperverletzung
erstattet (UA 18), ist nicht ohne weiteres pausibel und hätte
es deshalb
näherer Erörterung bedurft, weshalb die
Nebenklägerin dann nicht zunächst
überhaupt von einer Strafanzeige abgesehen hat.
- 6 -
Zudem hat die Strafkammer die "angebliche(n) Ungereimtheiten" in der
Aussage der Nebenklägerin (UA 16 ff.) nur jeweils isoliert
erörtert anstatt sie,
wie es geboten gewesen wäre, einer Gesamtwürdigung zu
unterziehen. In diesem
Zusammenhang lassen die Ausführungen im Urteil zu einzelnen
Indizien
besorgen, daß die Strafkammer einzelne entlastende
Zeugenaussagen (etwa
die der Zeuginnen F. , H. , A. , UA 16 f., der Schwester des
Angeklagten, UA 17, und der Zeugen M. und K. , UA 19) in dem Sinne
einseitig zu Lasten des Angeklagten gewürdigt hat,
daß diese je für sich die
"Kernaussage" der Nebenklägerin nicht berühren (UA
19). Andererseits stützt
die Strafkammer ihre Überzeugung, die Einlassung des
Angeklagten sei demgegenüber
eine unwahre Schutzbehauptung, teilweise auf Erwägungen, die
sich von der im Urteil wiedergegebenen Einlassung des Angeklagten
entfernen.
So hat der Angeklagte zum Fall 1 den Sturz der Nebenklägerin
nicht etwa
mit einem Epilepsieanfall begründet (so aber UA 20), sondern
sich dahin eingelassen,
er habe "gedacht, sie habe einen epileptischen Anfall oder spiele
ihm eine 'Show' vor" (UA 8). Daß tatsächlich keine
Anhaltspunkte für eine Epilepsieerkrankung
der Nebenklägerin bestehen, widerlegt deshalb die Einlassung
des Angeklagten nicht. Vergleichbar verhält es sich - wie die
Revision
näher ausgeführt hat - mit der Erklärung des
Angeklagten zu den von der Nebenklägerin
beim letzten Vorfall am 4. März 2002 davongetragenen
Verletzungen
(vgl. UA 8 einerseits, UA 13/14 andererseits).
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler in der Beweiswürdigung
nötigen zur
Aufhebung des Urteils insgesamt. Der neue Tatrichter muß
Gelegenheit haben,
die Beweiswürdigung namentlich zur Glaubhaftigkeit der Angaben
der Nebenklägerin
umfassend neu vorzunehmen. Nur vorsorglich weist der Senat darauf
hin, daß die Annahme einer Körperverletzung im Fall
II. 2 der Urteilsgründe
- 7 -
nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht ausreichend belegt
ist. Daß
- 8 -
der Angeklagte die Hände der Nebenklägerin mit ihrer
Schlafanzughose "fesselte"
(UA 5), genügt für eine
tatbestandsmäßige Körperverletzung
für sich genommen
noch nicht.
Maatz Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible |