BGH,
Beschl. v. 21.8.2002 - 5 StR 291/02
5 StR 291/02
StPO § 403, § 405, § 406 Abs. 1 Satz 2 BGB
§ 847 Abs. 1 aF
Zur Zulässigkeit eines Grundurteils im
Adhäsionsverfahren, namentlich bei
Schmerzensgeldansprüchen.
BGH, Beschl. v. 21. August 2002 - - LG Bremen -
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 21. August 2002
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 21. August 2002
beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bremen vom 4. Februar 2002 wird gemäß §
406a Abs. 2 Satz 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und
die dadurch dem Neben- und Adhäsionskläger
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu
einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Es hat
weiterhin festgestellt, daß der Schmerzensgeldanspruch des
Nebenklägers dem Grunde nach zu zwei Dritteln gerechtfertigt
ist und mit 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 5.
Dezember 2001 (Zustellung des Antrags im Adhäsionsverfahren)
verzinst wird. Der Angeklagte wendet sich im Rechtsmittelverfahren
allein noch gegen die Verurteilung zu Schmerzensgeld dem Grunde nach.
Sein Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Die Entscheidung im Adhäsionsverfahren (§§
403 ff. StPO) hält rechtlicher Prüfung stand.
1. Das Landgericht durfte hier durch Grundurteil entscheiden.
a) Die grundsätzliche Zulässigkeit eines Grundurteils
ergibt sich aus der Regelung des § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO, die
im Adhäsionsverfahren die Entscheidung über den Grund
des Anspruchs ermöglicht (vgl. BGHSt 44, 202), das nach
§ 304 Abs. 2 ZPO durchzuführende Betragsverfahren
dann allerdings dem zuständigen Zivilgericht
überläßt (§ 406 Abs. 3 Satz 3
StPO). Diese Verzahnung mit dem zivilprozessualen Verfahren bedeutet,
daß im Adhäsionsverfahren für die
Zulässigkeit des Grundurteils grundsätzlich dieselben
rechtlichen Voraussetzungen vorliegen müssen, die auch nach
der Zivilprozeßordnung gelten. Danach scheidet in der Regel
ein Grundurteil über einen unbezifferten Feststellungsantrag
schon wesensmäßig aus (BGH NJW 2000, 1572; 1994,
3295 f.). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Klage auch zu einem
Ausspruch über die Höhe führen soll (BGH
aaO).
b) Diese Ausnahmevoraussetzung liegt hier vor. Maßgeblich ist
nämlich das Prozeßziel. Dieses war (jedenfalls auch)
auf einen Zahlbetrag gerichtet. Dafür brauchte der
Nebenkläger jedoch keinen bestimmten Antrag zu stellen.
Vielmehr konnte er sich insoweit mit einem unbezifferten Antrag
begnügen (BGHZ 132, 341 mit umfänglichen Nachweisen).
Allerdings ist auch ein unbezifferter Antrag ein (lediglich in der
Höhe nicht bestimmter) Leistungsantrag. Dieser Antrag
erschöpfte hier das Klagebegehren des Nebenklägers
ersichtlich jedoch nicht. Diesem ging es nämlich auch darum,
hinsichtlich der noch nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung
zugleich für sich einen Titel zu erlangen, der die
Verantwortlichkeit des Angeklagten festschreibt. Eine solche
Kombination aus unbeziffertem Leistungsantrag und Feststellungsantrag
ist zulässig. Sie war vom Nebenkläger erkennbar auch
als eigentliches Klageziel gewollt. Beide Klageziele fließen
aber, wenn nur über den Grund einer Haftung für
Schmerzensgeld entschieden werden soll, in das dann zu erlassende
Grundurteil ein. Beantragt der Nebenkläger den Erlaß
eines solchen Grundurteils, war dies, weil im Strafverfahren kein
Betragsverfahren mehr nachfolgt, letztlich nur als Feststellungsklage
möglich. Demnach hat er hinsichtlich des erstrebten
wirtschaftlichen Ergebnisses seine Klage in einer Weise beziffert,
daß ein Grundurteil seinen Zweck erfüllen kann (vgl.
BGH NJW 1994, 3295, 3296).
Dieses Ergebnis wird hier zudem aus der Prozeßgeschichte
bestätigt. Der vom Nebenkläger im
Adhäsionsverfahren angebrachte Antrag sollte in eine
Verurteilung zu einer Geldzahlung münden. Er hatte
nämlich zunächst einen unbezifferten Leistungs- und
hilfsweise einen Feststellungsantrag gestellt. Ersichtlich auf Anregung
des Gerichts hat er den Erlaß eines Grundurteils beantragt.
Ein derartiger Antrag ist jedenfalls in solchen Fallgestaltungen
zulässig, bei deren Vorliegen das Gericht ein entsprechendes
Grundurteil erlassen dürfte. Ein solches ist aber bei
Schmerzensgeldansprüchen ohne weiteres möglich (BGHSt
44, 202, 203).
c) Allerdings wäre ein Grundurteil dann nicht
zulässig, wenn der Rechtsstreit entscheidungsreif
wäre (Musielak, ZPO 3. Aufl. § 304 Rdn. 6 mit
Nachweisen). Dieser allgemeine zivilprozessuale Grundsatz findet auch
im Adhäsionsverfahren Anwendung. Er wird durch § 405
StPO allerdings insoweit modifiziert, als der Tatrichter auch dann,
wenn Entscheidungsreife besteht, einen Ausspruch über den
Betrag ablehnen kann. Die Ablehnung der Durchführung des
Betragsverfahrens stellt sich unter dem Gesichtspunkt des "erst
recht"-Schlusses als der geringere Eingriff dar. Wenn dem Tatrichter
schon erlaubt ist, bei fehlender Eignung von einer Entscheidung
über den Entschädigungsantrag im Strafverfahren
insgesamt abzusehen, dann kann ihm die weniger weitgehende Ablehnung
der Bestimmung nur der Anspruchshöhe nicht verwehrt werden
(vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 406
Rdn. 8). Dies wird namentlich bei besonderen Schwierigkeiten sinnvoll
sein, die gerade im Betragsverfahren aufgeworfen werden. Allerdings
wird dies Ausnahmefällen vorbehalten bleiben müssen.
Im Grundsatz hat zu gelten, daß der Tatrichter schon aus
Gründen der Verfahrensökonomie immer bestrebt sein
muß, das durch die Straftat entstandene gesetzliche
Schuldverhältnis im Adhäsionsverfahren auch im
Interesse des Tatopfers abschließend zu erledigen.
d) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob der Angeklagte insoweit
beschwert ist und nach § 406a Abs. 2 StPO überhaupt
rügen kann, daß im Adhäsionsverfahren nur
über den Grund des Anspruchs entschieden wurde. Das dem
Strafrichter insoweit eingeräumte Ermessen (vgl. Kurth in
HK-StPO 3. Aufl. § 405 Rdn. 3 ff.) ist im vorliegenden Fall
nicht überschritten. Der Rechtsstreit war nämlich im
Hinblick auf den noch nicht zweifelsfrei feststehenden Umfang der
Verletzungen nicht einmal entscheidungsreif (vgl. Stein in MK-BGB 3.
Aufl. § 847 Rdn. 46). Allenfalls hätten die
Beeinträchtigungen bis zum Zeitpunkt des Urteilserlasses
Berücksichtigung finden können (vgl. BGH NJW 1975,
1463, 1465). So ist insbesondere die entzündliche Verletzung
im Stirnbereich des Nebenklägers in ihrem Verlauf unklar.
Damit war gerade im Hinblick auf diese Verletzung noch nicht einmal der
aktuelle Umfang der Gesundheitsbeeinträchtigung erkennbar.
Dies wäre aber abzuklären gewesen, weil sie als eine
in dem Schadensbild bereits angelegte Verletzung (vgl. BGH NJW 1995,
1614) von einem bezifferten Schmerzensgeldanspruch erfaßt
worden wäre.
2. Die vom Landgericht vorgenommene Feststellung der
Mitverursachungsanteile begegnet gleichfalls keinen durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
a) Das Schmerzensgeld ist grundsätzlich nach
Billigkeitsgesichtspunkten zu bestimmen. Nach der hierfür
maßgeblichen Regelung des § 847 Abs. 1 BGB aF (jetzt
§ 253 Abs. 2 BGB nF), die nach der
Übergangsvorschrift gemäß Art. 12
§ 8 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung
schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl I 2674)
für das hier vor dem 31. Juli 2002 liegende
schädigende Ereignis fortgilt, ist grundsätzlich im
Rahmen der Entschädigungsfestsetzung ein mitwirkendes
Verschulden des Geschädigten zu berücksichtigen. Eine
Quotierung hat dabei grundsätzlich nicht zu erfolgen, weil der
Aspekt eines etwaigen Mitverschuldens lediglich als ein Gesichtspunkt
in die umfassende Billigkeitsabwägung einfließt (BGH
VersR 1970, 624 f.).
Eine Ausnahme wird jedoch dann zugelassen, wenn durch Grundurteil
entschieden wird. Insbesondere bei der Entscheidung über einen
unbezifferten Feststellungsantrag durch Grundurteil darf die Festlegung
des Mitverursachungsanteils nicht dem für das Betragsverfahren
zuständigen Zivilgericht übertragen werden (BGH NJW
1997, 3176 f.). Dies gilt namentlich für den
Schmerzensgeldanspruch, der in seiner Höhe ganz wesentlich
durch die Vorgeschichte der Verletzungshandlung und die
Persönlichkeitsstruktur der an der Auseinandersetzung
beteiligten Personen beeinflußt wird. Schon aus
Gründen der Prozeßökonomie wird deshalb die
für das Grundurteil notwendige Aufklärung des
Tathergangs auch zu einer Bewertung der Verantwortlichkeitsbereiche
führen müssen. Die eingehende Untersuchung der Tat
durch das Strafgericht - hier die Schwurgerichtskammer -, die nach
§ 244 Abs. 2 StPO auf alle für die Entscheidung
bedeutsamen Beweismittel zu erstrecken ist, bietet dafür eine
optimale Tatsachengrundlage. Eine Verteilung von Verschuldens- und
Mitverschuldensanteilen kann deshalb am sinnvollsten hier wahrgenommen
werden. Sie in das zivilgerichtliche Betragsverfahren zu verlagern,
wäre in hohem Maße unpraktisch. Auch im
Adhäsionsverfahren ist für die Bestimmung des
Mitverschuldens allerdings Voraussetzung, daß hierbei alle in
Betracht kommenden Bemessungselemente in die Quotenbestimmung
eingestellt sind (vgl. BGH VersR 1970, 624, 625).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Die
Wertung des Landgerichts läßt keinen Rechtsfehler
erkennen. Es hat die der Tat vorangegangenen Provokationshandlungen
ebenso gewichtet wie die Lebensumstände der Beteiligten. Im
Blick auf die vorangegangenen Drohungen und
Körperverletzungshandlungen des Nebenklägers zum
Nachteil des Angeklagten wie andererseits unter
Berücksichtigung der mehrfachen Schußabgabe aus
kürzester Entfernung durch den Angeklagten ist die Festlegung
einer Haftungsquote von zwei Dritteln zu seinen Lasten rechtsfehlerfrei.
3. Der Zinsausspruch begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
Allerdings ist es unüblich, in einem Grundurteil eine
Verzinsung anzuordnen. Indes ist eine solche Nebenentscheidung nicht
unzulässig (vgl. Leipold in Stein/Jonas, ZPO 21. Aufl.
§ 304 Rdn. 27). Sie ist aber sogar geboten, wenn der
Kläger sie ausdrücklich beantragt und die
Entscheidung hierzu nicht ohne weiteres getroffen werden kann (vgl. BGH
WM 1985, 1166, 1167). Hier war der Zinsausspruch wegen der
Anspruchsänderung nicht ohne Kenntnis der
Prozeßgeschichte im Adhäsionsverfahren
auszuurteilen. Das Landgericht hat hier nämlich zutreffend
nicht auf den später gestellten (und nicht zu verzinsenden -
vgl. BGHZ 93, 183, 186 m. w. N.) Feststellungsantrag abgestellt,
sondern auf den ursprünglichen unbezifferten Leistungsantrag,
der wiederum zu verzinsen ist (BGH NJW 1965, 531). Die spätere
Antragsumstellung diente nämlich lediglich der Formulierung
eines prozessualen Zwischenziels, das sich aus der hier
ermessensfehlerfrei erfolgten Aufteilung von Grund- und
Betragsverfahren ergab. Deshalb hat das Landgericht zutreffend den
ursprünglichen das Adhäsionsverfahren einleitenden
Antrag als die maßgebliche den Zinsausspruch
begründende Handlung (§ 291 BGB) angesehen. Die
Höhe des Zinsausspruchs hat das Landgericht ebenfalls richtig
nach § 288 BGB bestimmt.
II.
Der Senat kann ungeachtet des Aufhebungsantrages des
Generalbundesanwalts nach § 349 Abs. 4 StPO bei dieser
Sachverhaltsgestaltung durch Beschluß ohne Hauptverhandlung
entscheiden. Soweit es allein um die Entscheidung im
Adhäsionsverfahren geht, ermöglicht die
spezialgesetzliche Vorschrift des § 406a Abs. 2 Satz 2 StPO
aus Gründen der Prozeßökonomie generell
eine Beschlußfassung ohne Hauptverhandlung (BGHR StPO
§ 406a Abs. 2 Beschluß 1).
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