BGH,
Beschl. v. 21.2.2002 - 4 StR 578/01
4 StR 578/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 578/01
vom
21. Februar 2002
in der Strafsache gegen
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21.
Februar 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts
Dortmund vom 26. Juni 2001, soweit es ihn betrifft, mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen schwerer
räuberischer Erpressung in Tateinheit mit erpresserischem
Menschenraub und gefährlicher Körperverletzung zu der
Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision
rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sein Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Eines Eingehens
auf die Verfahrensrüge bedarf es deshalb nicht.
Nach den Feststellungen spiegelte die Mitangeklagte G. , die der
Prostitution nachging, dem Angeklagten im Februar 2001 wahrheitswidrig
vor, der Kaufmann K. schulde ihr insgesamt einen Betrag in
Höhe von ca. 20.000 DM als Gegenleistung für
erbrachte sexuelle Handlungen, den sich dieser zu zahlen weigere. Auf
Vorschlag der Mitangeklagten suchten beide den K. in dessen Lagerhalle
auf, um die angeblichen Schulden gewaltsam einzutreiben. Die
Angeklagten versetzten ihm, u.a. mit einem Gummiknüppel,
mehrere Schläge, woraufhin er aus Angst vor weiteren
Mißhandlungen diverse Schmuckstücke sowie 1.300 bis
1.500 DM Bargeld an die Angeklagten übergab. Um von ihm
weiteres Bargeld zu erlangen, zwangen die Angeklagten den
Geschädigten sodann, gemeinsam mit ihnen zur Hauptpost zu
fahren. K. sollte dort von seinem Konto weiteres Geld abheben. In
Begleitung des Angeklagten mußte sich der
Geschädigte in die Schalterhalle der Poststelle begeben, wo er
sich schließlich hinter einer Bedientheke in Sicherheit
bringen konnte.
Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten W. wegen
erpresserischen Menschenraubs kann keinen Bestand haben, da die
Würdigung der Strafkammer zur subjektiven Tatseite
durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Das Landgericht hat
dargelegt, der Angeklagte sei zwar vom Bestehen eines
tatsächlichen Anspruchs der Mitangeklagten G. gegen K. "aus
Prostitution" ausgegangen. Ihm sei aber "weil
selbstverständlich, auch ohne Zweifel bewußt"
gewesen, daß dieser Anspruch rechtlich keinen Bestand haben
könne (UA 25). Dies vermag die Absicht rechtswidriger
Bereicherung nicht zu belegen.
Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten
Vermögensvorteils ein normatives Tatbestandsmerkmal, auf das
sich der - zumindest bedingte - Vorsatz des Täters erstrecken
muß (vgl. BGHSt 4, 105; BGH NStZ-RR 1999, 6; BGH StV 2000,
79). Stellt sich deshalb der Täter für die erstrebte
Bereicherung eine Anspruchsgrundlage vor, die in Wirklichkeit nicht
besteht oder von der Rechtsordnung nicht geschützt ist, so
handelt er in einem Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1
Satz 1 StGB (vgl. BGH StV 2000, 79).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist es nicht
"selbstverständlich", daß der Angeklagte von der
Sittenwidrigkeit des angeblichen Anspruchs der Mitangeklagten und damit
von dessen rechtlicher Undurchsetzbarkeit ausging. Vielmehr ist es
nicht fernliegend, daß der Beschwerdeführer, der
nach den Feststellungen nicht dem Zuhälter- und
Prostitutiertenmilieu zugehörte, sich aufgrund des Wandels der
Moralvorstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung
für die erstrebte Bereicherung einen rechtsgültigen
Anspruch der Mitangeklagten G. vorstellte. Es hätte deshalb
der Erörterung der Frage bedurft, ob er nicht nur an den
Bestand, sondern irrtümlich auch an die Rechtswirksamkeit der
Forderung glaubte. Dafür könnte sprechen,
daß seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der
Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001
(ProstG, BGBl I 3983) am 1. Januar 2002 Ansprüche
Prostituierter auf Zahlung des vereinbarten Entgelts für
sexuelle Leistungen rechtsgültig sind. Dieser Rechtszustand
bestand zwar noch nicht zur Tatzeit im Februar 2001. Jedoch begann sich
bereits im Vorfeld des Inkrafttretens dieses Gesetzes die bisherige
Rechtsprechung, u.a. des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes, des
Bundesfinanzhofs und des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage der
Sittenwidrigkeit von Vereinbarungen oder Tätigkeiten wegen
Verstoßes gegen die Standards der herrschenden Sexualmoral zu
modifizieren (vgl. Urteil des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes
vom 22. November 2001 in NJW 2002, 361 und Urteil des Bundesfinanzhofs
vom 23. Februar 2000 in NJW 2000, 2919; Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 18. September 2001 in DVBl 2002, 54). Es
erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, daß sich der
Angeklagte in einem Tatbestandsirrtum befand. Daß der
Anspruch nach der Vorstellung des Angeklagten mit
Nötigungsmitteln durchgesetzt werden sollte, macht den
angestrebten Vermögensvorteil nicht rechtswidrig (vgl. BGH StV
2000, 79, 80).
Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen erpresserischen Menschenraubs hat
die Aufhebung der tateinheitlichen Verurteilung wegen schwerer
räuberischer Erpressung und gefährlicher
Körperverletzung zur Folge (BGHR StPO § 353,
Aufhebung 1). Sollte der neue Tatrichter einen Tatbestandsirrtum in
Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Geldforderung nicht
ausschließen können, bliebe der auch auf die
erzwungene Herausgabe von Schmuck gestützte Schuldspruch der
schweren räuberischen Erpressung davon zwar
unberührt, der Schuldumfang wäre jedoch deutlich
herabgesetzt.
Tepperwien Kuckein Solin-Stojanovic
Ernemann Sost-Scheible
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