BGH,
Beschl. v. 21.2.2006 - 5 StR 8/06
5 StR 8/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 21.2.2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21.02.2006 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Görlitz vom 2. September 2005 mit den Feststellungen nach
§ 349 Abs. 4 StPO aufgehoben. Ausgenommen sind die
Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die
bestehen bleiben. Insoweit wird die Revision nach § 349 Abs. 2
StPO als unbegründet verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird
die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Görlitz zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung und wegen vorsätzlicher
Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei
Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt zur
weitgehenden Aufhebung des Urteils. 1 1. Nach den Feststellungen des
Landgerichts fuhr der Angeklagte am Abend des 10. Juni 2002 mit der
Straßenbahn nach Hause, wobei er ein Klappmesser mit einer 10
cm langen Klinge mit sich führte. Zu dieser Zeit bestiegen
auch der später geschädigte N. M. sowie die Zeugen K.
und Kr. die Straßenbahn und nahmen - getrennt durch den
Mittelgang - schräg gegenüber dem Angeklagten Platz.
Der Angeklagte erkannte M. 2
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als Bruder eines ihm flüchtig bekannten Mannes, gegen den er
seit Jahren Groll hegte. Kr. , der den Angeklagten noch aus DDR-Zeiten
kannte, begrüßte ihn mit dessen Spitznamen, den der
Angeklagte früher immer mit „einigem
Stolz“ vernommen hatte. Der Angeklagte, der ohnehin gereizter
Stimmung war, geriet in Wut und beschimpfte die drei Männer
als „Fotzen“. M. forderte ihn daraufhin in ruhigem
Ton auf, ihn nicht „anzumachen“. Der Angeklagte
wiederholte jedoch seine beleidigende Äußerung und
öffnete unbemerkt sein Klappmesser. Wenige Minuten
später erhob sich der Zeuge M. , weil er aussteigen wollte. In
diesem Moment sprang der Angeklagte auf und rammte dem Zeugen das
Messer wuchtig in den Bauch. Die Klinge durchstieß die
Bauchdecke und verursachte eine stark blutende Wunde, verletzte jedoch
keine inneren Organe. Der Geschädigte musste operiert und
insgesamt zwei Wochen stationär behandelt werden. 3 Am 26.
Juni 2004 war der Angeklagte zu Fuß unterwegs, wobei er
einsatzbereit zwei Dosen Reizgas-Spray in der Jackentasche mit sich
führte. Als ihm der Zeuge S. und dessen Sohn entgegenkam,
sagte der Angeklagte laut: „Scheißpack“
und sprühte das Spray aus nur wenigen Zentimetern Entfernung
in das Gesicht des Zeugen. Alsdann setzte er seinen Weg fort und rief
wiederholt: „Judenpack, Scheißjudenpack!“
Die Strafkammer hat hinsichtlich des Messereinsatzes einen
Tötungsvorsatz verneint und insbesondere auch unter
Berücksichtigung der von ihr zugebilligten erheblichen
Einschränkung der Schuldfähigkeit einen minder
schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung
gemäß § 224 StGB angenommen sowie die
gefundene Strafe wegen überlanger Verfahrensdauer nach Art. 6
EMRK um sechs Monate verringert. Im zweiten Fall der
Körperverletzung gemäß § 223 StGB
ist die Strafe nach Maßgabe der §§ 21, 49
StGB gemildert worden. 4 Das Landgericht hat - sachverständig
beraten - die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte an
einer schweren Persönlichkeitsstörung mit 5
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paranoiden, schizoiden und antisozialen Zügen leide. Davon
ausgehend hat die Strafkammer - auch darin der
Sachverständigen folgend - angenommen, dass in beiden
Fällen die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das
Unrecht seines Handelns erheblich vermindert gewesen sei. Gleichwohl
habe er aber noch zutreffend erkannt, dass er sich nicht in einer
Notwehrlage befunden habe. Die Anordnung der Maßregel
begründet die Strafkammer - auch insoweit in
Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Gutachten - mit der
fehlenden Krankheitseinsicht und der hieraus resultierenden
Gefährlichkeit des Angeklagten, der sich seine Opfer beliebig
aussuche mit der Folge, dass sich seine Aggressionen zukünftig
gegen eine unüberschaubare Zahl weiterer Personen richten
könne. Die zu erwartenden Taten hätten auch
beträchtliches Gewicht, wenn der Angeklagte naheliegend wieder
gefährliche Werkzeuge verwenden würde. 6 2. Die
Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten
lassen besorgen, dass die Strafkammer von einem rechtsfehlerhaften
Verständnis der Vorschriften der §§ 20, 21
StGB ausgegangen ist. Sie war offensichtlich der Auffassung, mit der
Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit
sei bereits die Voraussetzung des § 21 StGB erfüllt
und damit auch die Grundlage für die Anordnung der
Unterbringung gemäß § 63 StGB gegeben. Eine
verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich jedoch erst
dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat
(BGHSt 21, 27, 28 f.; 34, 22, 25 ff.; BGHR StGB § 21 StGB
Einsichtsfähigkeit 2, 3, 4, 5, 6; BGH NStZ-RR 2004, 38). Der
Täter, der - wie hier vom Landgericht angenommen - trotz
erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall
die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht
seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist
- voll schuldfähig. In einem solchen Fall ist auch die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht
zulässig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 26 f.). Die Vorschrift des
§ 21 StGB kann in Fällen verminderter
Einsichtsfähigkeit nur dann angewendet werden, wenn die
Einsicht gefehlt hat, dies aber dem Täter vorzuwerfen ist.
Kann ihm die infolge verminderter Einsichtsfähigkeit fehlende
Unrechtsein-
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sicht dagegen nicht zum Vorwurf gemacht werden, so greift § 20
StGB ein mit der Folge, dass eine Bestrafung ausscheidet (vgl. BGHSt
40, 341, 349). Dem Urteil ist auch nicht sicher zu entnehmen, dass der
Tatrichter in Wirklichkeit nicht an eine Beeinträchtigung der
Einsichtsfähigkeit, sondern an eine hier
möglicherweise näher liegende erhebliche Verminderung
der Steuerungsfähigkeit gedacht hat. Dagegen spricht die
wiederholte Bezugnahme auf die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht
und auch der Umstand, dass die Strafkammer der vor allem die
Steuerungsfähigkeit berührenden alkoholischen
Beeinträchtigung des Angeklagten in beiden Fällen
keine wesentliche Bedeutung beigemessen hat. Der Senat sieht sich
deshalb nicht in der Lage, die Feststellungen entgegen ihrem klaren
Wortlaut umzudeuten. 7 8 3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt
zur Aufhebung des Urteils. Sie erstreckt sich auch auf den
Schuldspruch, weil nicht von vornherein auszuschließen ist,
dass der Angeklagte schuldunfähig ist. Immerhin musste der
Angeklagte seit 1978 mehrfach in psychiatrischen
Krankenhäusern stationär behandelt werden, wobei die
Ärzte durchgängig von einer schizophrenen Erkrankung
ausgegangen sind. Auch wird die Einlassung des Angeklagten zu den
Beweggründen seines aggressiven Verhaltens, das er offenbar
als eine Art präventive Notwehr und im ersten Fall zugleich
als Ausgleich für früher erlebte Kränkungen
durch den Bruder des Geschädigten für erlaubt
gehalten hat, eingehender zu würdigen sein. Der nunmehr zur
Entscheidung berufene Tatrichter wird insgesamt über die Frage
der Schuldfähigkeit nach Anhörung eines forensisch
erfahrenen Sachverständigen erneut zu befinden haben. Die
Feststellungen zum äußeren Tathergang
können in beiden Fällen bestehen bleiben. Sie sind
von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen. Sollten wiederum die
Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus bejaht werden, wird bei Prüfung
der Gefährlichkeitsprognose mehr als bisher zu bedenken sein,
dass der inzwischen 9
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52-jährige Angeklagte in der Vergangenheit trotz bestehender
Erkrankung offensichtlich keine weiteren rechtswidrigen Taten begangen
hat und dass zwischen den hier in Rede stehenden Taten ein Zeitraum von
mehr als zwei Jahren liegt, in denen der Angeklagte auf freiem
Fuß war; auch ist er seit der Tat vom 26. September 2004 bis
zu seiner einstweiligen Unterbringung am 2. September 2005 offenbar
nicht auffällig geworden. Zudem werden mögliche
Therapieerfolge während der bisherigen Unterbringung zu
berücksichtigen sein.
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