BGH,
Beschl. v. 21.2.2008 - 5 StR 632/07
5 StR 632/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
21.2.2008
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21.2.2008 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 31. August 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schweren Raubes
zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen
gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in
dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im
Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von
§ 349 Abs. 2 StPO.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte, der
aufgrund mehrerer Vorverurteilungen einen beachtlichen Teil seines
Lebens im Strafvollzug verbracht hatte, am 19. Dezember 2006 aus der
Haft entlassen. Trotz einer engmaschigen Betreuung war er mit der ihm
gewährten Unterstützung unzufrieden. Kurz nach seiner
Haftentlassung begann er, übermäßig viel
Alkohol zu trinken und Diazepam einzunehmen. Dieser
Medikamentenmissbrauch verstärkte sich im Februar 2007. Am 15.
Februar 2007
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ließ er sich in einem Juweliergeschäft in der U. in
Berlin beraten und zahlreiche Schmuckstücke zeigen. Am
nächsten Tag suchte er zunächst die für ihn
zuständige Mitarbeiterin der „Freien
Hilfe“ auf. Dort trat er erregt auf und kündigte an,
einen Juwelier am Kurfürstendamm überfallen zu
wollen. Die Mitarbeiterin gewann den Eindruck, der Angeklagte sei
„psychisch total von der Rolle“. Er
verließ das Büro der Mitarbeiterin gegen 11.30 Uhr.
Etwa 40 Minuten später begab er sich in das
Juweliergeschäft in der U. und bat die Inhaberin, ihm einen
Ring aus der Fensterauslage vorzulegen. Als sie sich mit dem Ring
wieder dem Angeklagten zuwandte, hatte dieser über seine
rechte Hand einen durchsichtigen Plastikhandschuh gestreift und damit
aus seiner Manteltasche ein Messer hervorgeholt. Er hielt der Inhaberin
das Messer drohend vor, öffnete die Lade des Verkaufstresens
und entnahm dieser mehrere Schmuckstücke im Gesamtwert von
etwa 30.000 Euro, mit denen er flüchtete. Vier Tage
später schilderte er seinem Bewährungshelfer die Tat
und stellte sich der Polizei.
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Die sachverständig beratene Strafkammer hat zugrundegelegt,
dass bei dem Angeklagten eine emotional-instabile
Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ neben einer
Alkoholabhängigkeit vorliege. Es könne nicht
ausgeschlossen werden, dass während des Aufenthalts bei der
Mitarbeiterin der „Freien Hilfe“ die
Persönlichkeitsstörung zu einer erheblichen
Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt habe.
Für eine Beeinflussung durch diese Störung bei der
eigentlichen Tat gebe es keinen Hinweis, da sich nicht feststellen
lasse, „dass die Borderline-Störung zu diesem
Zeitpunkt wirksam“ gewesen sei. Der Angeklagte betreibe zwar
Alkohol- und Diazepammissbrauch; auch dies stehe aber in keinem
unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat. Demzufolge sei der Angeklagte
bei der Tat voll schuldfähig gewesen.
2. Während die Verfahrensrügen aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne
Erfolg bleiben, führt die Sachrüge zur Auf-
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hebung des Strafausspruchs und ist im Übrigen
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Bewertung der Schuldfähigkeit durch das Landgericht
hält hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des
§ 21 StGB sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Feststellungen zum geistig-seelischen Zustand des Angeklagten
während der Tatausführung sind lückenhaft
und damit für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar (vgl.
BGHSt 49, 347, 356; BGH, Beschluss vom 21. November 2007 - 2 StR 548/07
Rdn. 5).
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Soweit das Landgericht davon ausgeht, dass die
Persönlichkeitsstörung bei der Tatbegehung
„nicht wirksam“ gewesen sei, steht dies in einem
Spannungsverhältnis zu der Feststellung, dass nur 40 Minuten
zuvor die Borderline-Störung zu einer nicht
ausschließbaren erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit geführt habe. Letzteres setzt
voraus, dass die Persönlichkeitsstörung einen solchen
Schweregrad erreicht hat, dass sie als nicht ausschließbar
erhebliche schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der
§§ 20, 21 StGB eingeordnet werden kann (vgl. BGHSt
42, 385, 388). Bei einer solchen
Persönlichkeitsstörung handelt es sich aber um einen
tief verwurzelten, anhaltenden Zustand im Sinne eines
überdauernden Musters von innerem Erleben und Verhalten (vgl.
hierzu Diagnostisches und Statistisches Manual DSM-IV 1996, S. 711).
Ein plötzliches - innerhalb von 40 Minuten eintretendes -
Abflachen der Persönlichkeitsbeeinträchtigung ist mit
dieser Diagnose nicht ohne weiteres in Übereinstimmung zu
bringen.
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Sofern das Landgericht mit seiner Formulierung zum Ausdruck bringen
wollte, dass die Persönlichkeitsstörung die
Schuldfähigkeit bei dem konkreten Rechtsverstoß, dem
Raub, nicht beeinflusst hat, so ist dies nicht tragfähig
belegt und eindeutig festgestellt. Ob die Steuerungsfähigkeit
bei der Begehung der Tat erheblich eingeschränkt war, hat das
Tatgericht in einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des
Angeklagten und dessen Entwicklung zu bewerten, wobei auch
Vorgeschichte, unmittelbarer Anlass und Aus-
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führung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind
(BGHSt 49, 45, 54; BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 10,
20, 23, 36), und dies in nachvollziehbarer Weise darzustellen (BGH,
Beschluss vom 24. Juli 2007 - 3 StR 261/07). Das Landgericht stellt
eine solche Gesamtwürdigung nicht an, sondern stützt
sich allein auf die zielstrebige und entschlossene, nicht von
impulsivem Verhalten geprägte Tatausführung. Dies
begegnet für sich genommen bereits Bedenken, da dem
Leistungsverhalten für die Beurteilung der
Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit durch eine
schwere andere seelische Abartigkeit nur eine mindere Bedeutung zukommt
(BGH NStZ-RR 2002, 230; BGH StV 2003, 157 f.). Jedenfalls aber ist hier
eine Auseinandersetzung mit anderen sich nach den Feststellungen
aufdrängenden Aspekten, die für eine forensisch
relevante Beeinträchtigung sprechen, unterblieben. So fehlt es
an einer Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des
Angeklagten, der mit der Bewältigung des Lebens in Freiheit
offensichtlich überfordert war, dem unmittelbaren Anlass
für die Tat, den handlungsleitenden Motiven und dem
auffälligen Vor- und Nachtatverhalten. Hinzu kommt, dass die
beiden Sachverhaltskomplexe, die das Landgericht hinsichtlich der
Schuldfähigkeit unterschiedlich beurteilt, durch die
Ankündigung der Tat - möglicherweise fasste der
Angeklagte auch hier, also selbst auf der Grundlage der Feststellungen
im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit, den
konkreten Tatentschluss - miteinander verknüpft sind, was zu
bewerten gewesen wäre.
Besonders aufgedrängt hätte sich aber auch die
Erörterung konstellativer Faktoren, wie Alkohol- und
Medikamentenintoxikation im Zusammenwirken mit der
Persönlichkeitsstörung. Hierzu stellt das Landgericht
lediglich fest, dass der Angeklagte Alkohol und Diazepam zu sich
genommen hatte, die sich in ihrer Wirkung zwar verstärkt
hätten, der Konsum liege aber nur „unterhalb der
wahrnehmbaren Grenze“. Hierzu stützt sich die
Strafkammer auf die Aussage der Inhaberin des überfallenen
Geschäfts, wonach sie nur am Tag vor der Tat leichten
Alkoholgeruch bei dem Angeklagten wahrgenommen, ihn bei der Tat nicht
als nervös empfunden habe und ihr körperli-
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che Ausfallerscheinungen nicht aufgefallen seien. Dabei bleibt nicht
nur ungeklärt, ob die Zeugin die Wirkung von Diazepam
überhaupt einschätzen konnte und ab welchem
Maß eine Intoxikation durch Diazepam für Dritte zu
bemerken ist, sondern auch, welchen Einfluss dieses Medikament - zumal
im Zusammenwirken mit Alkohol - auf die Steuerungsfähigkeit
haben kann. Vor allem bleibt der auffällige Unterschied zum
Verhalten des Angeklagten gegenüber der Mitarbeiterin der
„Freien Hilfe“ 40 Minuten zuvor
unerörtert. Der Rückschluss von der Zeugenaussage auf
einen nicht wahrnehmbaren Rauschmittelkonsum und damit auf die fehlende
Beeinflussung bei der Tat durch diese Faktoren ist damit nicht
ausreichend belegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. März
2004 - 5 StR 351/03 - und vom 30. August 2007 - 5 StR 193/07).
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3. Ein Ausschluss der Schuldfähigkeit kommt ersichtlich nicht
in Betracht, im Blick auf die Typik und Schwere der festgestellten
Persönlichkeitsstörung (vgl. BGHSt 42, 385, 388) auch
keine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Der Senat
kann aber nicht ausschließen, dass die Voraussetzungen des
§ 21 StGB zur Tatzeit vorgelegen haben oder nicht
auszuschließen sind und dadurch die - ohne Milderung nach
§ 49 Abs. 1 StGB nicht zu beanstandende - Freiheitsstrafe
milder ausgefallen wäre.
Gerhardt Raum Brause
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