BGH,
Beschl. v. 21.6.2006 - 2 StR 109/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 109/06
vom
21.6.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21.06.2006
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 16. Dezember 2005 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags ("in minder
schwerem Fall") zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten
verurteilt und das Tatmesser eingezogen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der
Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechtes.
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Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg
(§ 349 Abs. 4 StPO); eines Eingehens auf die
Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.
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I.
1. Das Landgericht hat u. a. folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte und das spätere Tatopfer K. waren miteinander
bekannt. Am 27.07.2005 hatten der Angeklagte und der
größere sowie stärkere K. eine verbale
Auseinandersetzung, bei der sich der Angeklagte vor den gemeinsamen
Bekannten blamiert vorkam. Er bekam von einem Freund ein Springmesser
zugesteckt. Bekannte des K. forderten ihn auf, sich mit K. vor einer
Discothek zu schlagen. Der Angeklagte ließ K. daraufhin
ausrichten, "dass er sich noch in dieser Nacht im Bereich des
Staatstheaters mit ihm treffen wolle." Der Angeklagte war zu diesem
Treffen letztlich trotz der - von ihm auch so empfundenen -
körperlichen Überlegenheit des K. bereit, da er sich
des Springmessers, das er in seiner Kleidung verwahrte, bewusst war.
Der Angeklagte begab sich zu dem Treffen, um die Streitigkeiten mit K.
auf verbaler Ebene beizulegen, war sich aber auch der
Möglichkeit einer körperlichen Auseinandersetzung
bewusst, die den Einsatz des Messers erfordern würde (UA S. 7
und 20). Als sich der Angeklagte auf der Treppe zu der Tiefgarage des
Theaters befand, wurden ihm von dem plötzlich von hinten
kommenden K. unerwartet die Beine weggerissen, so dass er das
Gleichgewicht verlor und die Treppe hinuntertaumelte. K. setzte ihm
nach und trat ihm mehrmals mit dem beschuhten Fuß in den
Brust- bzw. Bauchbereich. Der Angeklagte konnte zunächst
davonrennen, hatte dann aber Atemprobleme, die sich auf Grund seiner
asthmatischen Vorerkrankung in Form eines Asthmaanfalles von mittlerer
Schwere auswirkten. Deshalb setzte er sich auf eine niedrige Mauer. K.
ging langsam auf den Angeklagten zu. Dieser zog - ohne dass es K.
bemerkte - das Messer aus der Tasche, ließ die Klinge
herausspringen und legte es griffbereit neben sich. K. setzte sich
neben den Angeklagten und sagte: "Du weißt gar nicht, was ich
mit Dir machen kann, bis jemand kommt." Er holte mit der linken Hand
aus, um dem rechts neben ihm sitzenden Angeklagten einen Faustschlag zu
"verpassen". Obwohl diesem bewusst war, dass K. unbewaffnet und nur auf
eine Schlägerei mit Fäusten aus war, stach er mit
bedingtem Tötungsvorsatz mit erheblicher Wucht in den
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Brustbereich des K. Dieser verstarb kurze Zeit später auf
Grund der Stichverletzung.
2. Das Landgericht hat zwar eine Notwehrlage zum Zeitpunkt der Tat
bejaht; es hat aber die Tat des Angeklagten nicht als durch Notwehr
(§ 32 StGB) gerechtfertigt angesehen, da es dem Angeklagten in
der gegebenen Situation zuzumuten gewesen sei, dem K. zunächst
mit dem Messer zu drohen, bevor er es zu einem zielgerichteten Stich in
den Brustbereich einsetzte.
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Das Landgericht hat auch die Voraussetzungen des § 33 StGB
verneint, da der "zu diesem Zeitpunkt vorliegende Asthmaanfall und die
damit verbundene Verstärkung dieser Angstgefühle
nicht zu einer Todesangst geführt hat, die einen die Annahme
des § 33 StGB rechtfertigenden Zustand darstellte" (UA S. 33).
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II.
Die Nachprüfung des Urteils hat auf die Rüge der
Verletzung materiellen Rechtes hin durchgreifende Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben.
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1. Die Verneinung der Voraussetzungen des § 32 StGB weist
Rechtsfehler auf.
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a) Die Annahme des Landgerichts, schon eine Bedrohung mit der Waffe
hätte K. veranlasst, stehen zu bleiben und von weiteren
Angriffen auf den Angeklagten abzusehen, ist nicht mit Tatsachen belegt
und versteht sich aus dem vorangegangenen Geschehensablauf auch nicht
von selbst (vgl. u. a. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit
5).
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b) Selbst wenn vom Angeklagten zunächst eine Drohung mit dem
Messer hätte verlangt werden können, so ist bei dem
festgestellten Geschehensablauf aber möglich, dass er die
"Kampflage" falsch beurteilt hat und Umstände annahm, die im
Falle ihres Vorliegens sein Handeln als notwendige Verteidigung
erscheinen ließen. Ein derartiger Irrtum wäre ein
Erlaubnistatbestandsirrtum und schlösse den Vorwurf eines
vorsätzlichen Tötungsversuchs aus (vgl. BGHR aaO).
Zur entsprechenden Vorstellung des Angeklagten von der Kampflage im
Zeitpunkt der Tathandlung verhält sich das angefochtene Urteil
nicht, so dass insoweit dem Revisionsgericht eine rechtliche
Überprüfung nicht möglich ist.
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2. Auch die Ablehnung der Voraussetzungen des § 33 StGB
begegnet rechtlichen Bedenken. Die Ausführungen des
Tatrichters lassen besorgen, dass er zu hohe Anforderungen an die
"Furcht" im Sinne dieser Vorschrift stellt. Denn "Todesangst" ist
hierfür nicht erforderlich. Zwar erfüllt nicht jedes
Angstgefühl den Begriff der Furcht im Sinne des § 33
StGB; vielmehr muss ein durch das Gefühl des Bedrohtseins
verursachter Störungsgrad vorliegen, bei dem der
Täter das Geschehen nur noch in erheblich reduziertem
Maße verarbeiten kann (vgl. u. a. BGHR StGB § 33
Furcht 2 und 4). Todesangst des Angegriffenen erfüllt zwar die
Voraussetzungen des § 33 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 10, 11),
ist aber nicht dem Begriff Furcht gleichzustellen, so dass auch ein
darunter liegendes Angstgefühl zur Anwendung dieser Vorschrift
führen kann.
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III.
Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils mit den Feststellungen. Da der Senat nicht
ausschließen kann, dass eine neuer Tatrichter Feststellungen
treffen kann, die eine Verurteilung des Angeklagten rechtfertigen, hat
er die Sache zurückverwiesen.
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Der neue Tatrichter wird sich gegebenenfalls auch mit der - im
angefochtenen Urteil ausdrücklich offen gelassenen - Frage zu
befassen haben, ob dem Angeklagten nur ein eingeschränktes
Notwehrrecht zustand (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 2. November
2005 - 2 StR 237/05), wobei hier aber zu bedenken ist, dass nach den
bisherigen Feststellungen es nicht zu einer einverständlichen
Schlägerei kam, sondern K. den Angeklagten unerwartet von
hinten angriff.
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IV.
Im Hinblick auf die im Urteil (UA S. 13) dargelegten besonderen Be-
gleiterscheinungen des Verfahrens hat der Senat von der
Möglichkeit des § 354 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht
und die Sache an eine Jugendkammer des Landgerichts Frankfurt am Main
zurückverwiesen.
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