BGH,
Beschl. v. 21.3.2000 - 4 StR 287/99
GVG § 121 Abs. 2
Eine Vorlegung nach § 121 Abs. 2 GVG ist unzulässig,
wenn der Gesetzgeber den Inhalt einer zunächst unterschiedlich
ausgelegten Vorschrift durch einen neuen Gesetzgebungsakt klargestellt
hat.
BGH, Beschluß vom 21. März 2000 - 4 StR 287/99 - OLG
Naumburg
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 287/99
vom
21. März 2000
in der Bußgeldsache
gegen
wegen Verstoßes gegen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat als Senat für
Bußgeldsachen am 21. März 2000 durch den
Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr.
Meyer-Goßner und die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr.
Kuckein, Athing und Dr. Ernemann beschlossen: Die Sache wird an das
Oberlandesgericht Naumburg zurückgegeben. Gründe: I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 27. April 1998
wegen "fahrlässiger Nichtzahlung des Mindestlohns"
gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1
Abs. 1 des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei
grenzüberschreitenden Dienstleistungen
(Arbeitnehmer-Entsendegesetz-AEntG) vom 26. Februar 1996 (BGBl I 227),
§ 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG eine Geldbuße von 10.000 DM
festgesetzt. Nach den Feststellungen zahlte der Betroffene als
Geschäftsführer der B. GmbH im Jahr 1997 an sechs
deutsche Arbeitnehmer, die mit Tätigkeiten im Baugewerbe
betraut waren, einen geringeren Stundenlohn als den Brutto-Mindestlohn
von 15,64 DM pro Stunde, der in dem für allgemeinverbindlich
erklärten - vom Amtsgericht seiner Beurteilung allein zugrunde
gelegten - Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestlohnes vom 2.
September 1996 für das Baugewerbe (vgl. BAnz. Nr. 215 vom 16.
November 1996 S. 12102) vorgesehen war. Das zur Entscheidung
über die Rechtsbeschwerde des Betroffenen berufene
Oberlandesgericht Naumburg meint, das Amtsgericht sei rechtlich
zutreffend von den Vorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
ausgegangen. Es ist der Auffassung, daß § 5 Abs. 1
Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AEntG (auch) in
der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung auf
Arbeitsverträge zwischen (inländischen) Arbeitgebern
mit Sitz im räumlichen Geltungsbereich eines für
allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags des Baugewerbes
und seinen dort beschäftigten Arbeitnehmern anzuwenden ist. An
der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht
Naumburg durch den Beschluß des Oberlandesgerichts
Düsseldorf vom 3. Juli 1998 - 5 Ss (OWi) 225/98 (OWi) 98/98 I
(NStZ-RR 1998, 319) gehindert. Nach Ansicht dieses Gerichts ist
§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Sätze 3
und 4 AEntG a.F. auf die bezeichneten Arbeitsverhältnisse
nicht anwendbar. Da das Oberlandesgericht Naumburg meint, nach dieser
Rechtsauffassung müsse es den Betroffenen freisprechen, hat es
die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage
vorgelegt: "Gilt das ´Gesetz über zwingende
Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden
Dienstleistungen´ (Arbeitnehmer-Entsen- degesetz-AEntG) nach
§ 1 Abs. 1 Satz 4 AEntG a.F. auch für einen unter den
Geltungsbereich eines entsprechenden Tarifvertrages fallenden
Arbeitgeber mit Sitz im Inland?" Der Generalbundesanwalt hat beantragt,
die Rechtsfrage im Sinne des Oberlandesgerichts Naumburg zu
entscheiden. II. Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß
§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG sind
nicht erfüllt. Das vorlegende Oberlandesgericht ist an der
beabsichtigten Entscheidung durch den Beschluß des
Oberlandesgerichts Düsseldorf nicht gehindert. Zwar will das
Oberlandesgericht Naumburg die vorgelegte, für seine
beabsichtigte Entscheidung erhebliche Rechtsfrage anders als das
Oberlandesgericht Düsseldorf beantworten; dessen Entscheidung
ist aber überholt. Damit sind die Vorlegungsvoraussetzungen
entfallen. 1. Allerdings folgt dies nicht schon daraus, daß
das Arbeitnehmer-Entsendegesetz durch Art. 10 des Gesetzes zu
Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der
Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (BGBl I 3843 - im folgenden
als "Korrekturgesetz" bezeichnet) mit Wirkung vom 1. Januar 1999
geändert wurde und der Gesetzgeber die vorgelegte Rechtsfrage
durch den Wortlaut der neu gefaßten §§ 5
Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 1 Satz 3 AEntG nunmehr eindeutig im Sinne des
vorlegenden Oberlandesgerichts entschieden hat (BTDrucks. 14/45 S. 25
f.; Meyer NZA 1999, 121, 127, 128; Schwab AR-Blattei SD 370.3 Rdn. 38).
Auf den der Vorlegung zugrundeliegenden Fall ist nämlich noch
nicht das neue Recht anzuwenden; wäre das der Fall, so
wäre die Vorlage wegen der fehlenden Identität der
Rechtsfrage unzulässig (vgl. BGHSt 27, 5, 10; 44, 121, 124 [zu
dem gleich zu behandelnden Fall einer Vorlagepflicht
gemäß § 132 Abs. 2 GVG]; BGHZ 15, 207;
Hanack, Der Ausgleich divergierender Entscheidungen in der oberen
Gerichtsbarkeit [1962] S. 166). Auf den Ausgangsfall ist jedoch wie im
Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf § 5 Abs. 1 Nr.
1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AEntG in der alten
Fassung anzuwenden. Hierfür bedarf es keiner Entscheidung, ob
sich dies aus § 4 Abs. 3 OWiG bzw. § 79 Abs. 3 Satz 1
OWiG i.V.m. § 354 a StPO oder aus § 4 Abs. 4 Satz 1
OWiG ergibt. Nach einer Gesetzesänderung entfällt die
Vorlegungspflicht auch nicht allein deshalb, weil die Divergenz nur
noch in einer Übergangszeit auftreten kann (BGHSt 17, 76, 77
f.; 21, 125, 126 f.; Schäfer/Harms in Löwe/Rosenberg
StPO 24. Aufl. § 121 GVG Rdn. 63); denn das
Bedürfnis, eine einheitliche Rechtsanwendung zu sichern,
besteht in diesem Umfang fort. 2. Die Vorlegungsvoraussetzungen sind
jedoch weggefallen, weil der Gesetzgeber durch die Begründung
des Entwurfs zum Korrekturgesetz vom 17. November 1998 (BTDrucks.
14/45) für eine Neufassung der §§ 1 Abs. 1
und 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG zugleich eindeutig und offenkundig
klargestellt hat, daß in gleicher Weise auch die
ursprüngliche Fassung dieser erst vor wenigen Jahren
erlassenen Normen auf die im Tarifgebiet ansässigen
Arbeitgeber anwendbar ist (dazu näher unter Buchst. c). Weil
daher die Richtigkeit der vom vorlegenden Oberlandesgericht vertretenen
Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1
Sätze 3 und 4 AEntG a.F. außer Frage steht, ist die
Grundlage für die entgegenstehende Ansicht des
Oberlandesgerichts Düsseldorf entfallen und dessen
Beschluß vom 3. Juli 1998 überholt. Ein
Bedürfnis für eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofs nach § 121 Abs. 2 GVG besteht
nämlich dann nicht mehr, wenn - wie hier - infolge einer
solchen Rechtsentwicklung mit abweichenden Entscheidungen nicht mehr zu
rechnen ist. a) Der Senat hätte allerdings mit Blick auf den
Zweck des § 121 Abs. 2 GVG Bedenken, die Vorlegungspflicht bei
nicht geänderten Normen - hier die noch in der alten Fassung
anzuwendenden §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 1
Sätze 3 und 4 AEntG - allein wegen eines allgemeinen Wandels
der Rechtsauffassung zu verneinen (so aber zu den
rechtsähnlichen Vorschriften des § 28 Abs. 2 FGG und
des § 79 Abs. 2 GBO OLG Frankfurt NJW 1958, 713; BayObLGZ
1988, 371, 382; Demharter GBO 23. Aufl. § 79 Rdn. 11; Kahl in
Keidel/Kuntze/Winkler Freiwillige Gerichtsbarkeit 14. Aufl. §
28 Rdn. 18 m.w.N.; a.A. Jansen FGG 2. Aufl. § 28 Rdn. 9). Ob
eine Änderung der Rechtsanschauungen zu einem gewandelten
Normverständnis geführt hat, ist vielmehr
grundsätzlich im Vorlegungsverfahren zu klären; das
gilt insbesondere, wenn die Reichweite des Wandels Zweifeln oder
Meinungsverschiedenheiten ausgesetzt ist (Schäfer/Harms aaO
§ 121 GVG Rdn. 60; Hannich in KK-StPO 4. Aufl. § 121
GVG Rdn. 29; vgl. auch BGH, Beschluß vom 20. Juli 1999 - 4
StR 106/99 = NJW 1999, 3058, zum Abdruck in BGHSt bestimmt). b) Anders
verhält es sich jedoch, wenn die Auslegung einer Norm
eindeutig und offenkundig geklärt ist. Die Vorlegungspflicht
dient nämlich allein dem Zweck, eine einheitliche
Rechtsanwendung zu sichern (BGHSt 33, 310, 313;
Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 121 GVG
Rdn. 5; Hannich aaO § 121 GVG Rdn. 13). Die mit ihr verbundene
Beschränkung der oberlandesgerichtlichen Entscheidungsfreiheit
darf deshalb nicht weiter gehen, als es zur Wahrung der Rechtseinheit
unerläßlich ist (BGHSt 30, 160, 162; BGH NJW 1963,
2085; VRS 25, 270; bei Holtz MDR 1979, 109; wistra 1994, 30, 31). aa)
Der Wegfall der Vorlegungsvoraussetzungen ist daher bereits
für bestimmte Akte der Rechtsprechung anerkannt: Schon im
Blick auf § 31 BVerfGG entfällt etwa die
Vorlegungspflicht, wenn das Bundesverfassungsgericht die
entscheidungserhebliche Rechtsfrage abweichend von der bisherigen
Rechtsprechung entschieden hat (BGH NJW 1977, 686; OLG Hamm NJW 1976,
762; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 121 GVG Rdn. 6);
nichts anderes gilt, wenn es den Fachgerichten aufgegeben hat, einen
bestimmten rechtlichen Komplex insgesamt anhand der von ihm
entwickelten Maßstäbe neu zu ge-stalten (BGHSt 44,
171, 173; BGH, Beschluß vom 25. August 1999 - 5 AR (VS) 1/99
= NJW 1999, 3499, zum Abdruck in BGHSt bestimmt; vgl. OLG Hamburg StV
1999, 301, 302). Ebenso steht die Übereinstimmung mit einer
Entscheidung des zur verbindlichen Auslegung des Rechts der
Europäischen Gemeinschaft gemäß Art. 234 EG
(= Art. 177 EG-Vertrag) berufenen Gerichtshofs oder des Gemeinsamen
Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes einer Vorlage
entgegen (BGHSt 33, 76, 78 f.; 36, 92, 96; BSGE 34, 269; Hannich aaO
§ 121 GVG Rdn. 21). Dies kann ferner - über den Fall
hinaus, daß der Bundesgerichtshof die Rechtsfrage bereits
eindeutig (BGHSt 13, 129, 133; 34, 90, 92; 94, 97) entschieden hat
(BGHSt 16, 7, 9; 27, 228, 230 f.; 34, 79, 80; 43, 241, 244 f.; 277,
282; BGH LM Nr. 11 zu § 121 GVG; NJW 1977, 964) - allein schon
die Folge eines vollzogenen Wandels der höchstrichterlichen
Rechtsprechung sein; so ist die "neuere Rechtsprechung zur Auslegung
strafrechtlicher Normen" geeignet, ältere Entscheidungen zu
den Subsidiaritätsklauseln in verschiedenen Strafvorschriften
als überholt erscheinen zu lassen (BGHSt 43, 237, 239; vgl.
bereits RGZ 102, 276, 278; Schäfer/Harms aaO § 121
GVG Rdn. 46, 47, 60).
bb) Aber auch Akte des Gesetzgebers können dazu
führen, daß eine abweichende frühere
Entscheidung zu einer in unveränderter Fassung anzuwendenden
Vorschrift überholt ist. Stets bedarf es jedoch hinreichend
sicherer und offenkundiger Anhaltspunkte, in welchem Sinn der
Gesetzgeber die in Rede stehende Norm verstanden wissen will (vgl.
BGHSt 43, 237, 239).
In der bisherigen Rechtsprechung war vor allem die Frage zu
entscheiden, ob die Änderung anderer Vorschriften eine
abweichende Auslegung der anzuwendenden - unverändert
gebliebenen - Norm rechtfertigen kann, ohne die Sache zuvor
gemäß § 121 Abs. 2 GVG vorzulegen. In
solchen Fällen hat der Bundesgerichtshof wiederholt das
Vorliegen einer entscheidungserheblichen Divergenz bejaht (vgl. BGHSt
15, 361; 23, 377, 378 ff.; 33, 394, 396; vgl. auch OLG Stuttgart Die
Justiz 1977, 276), einen Wegfall der Vorlegungsvoraussetzungen jedoch
für den Fall erwogen, daß die anderweitigen
Rechtsänderungen es schlechterdings ausgeschlossen erscheinen
lassen, die Rechtsfrage anders als nunmehr beabsichtigt zu entscheiden
(BGHSt 33, 394, 396; vgl. auch Hannich aaO; Hanack aaO S. 168) bzw. die
Änderung eine grundlegend neue Rechtslage geschaffen hat
(BGHSt 23, 377, 378 f.; 39, 288, 289 = JR 1994, 121 m. abl. Anm.
Helgerth; BayObLGSt 1986, 75, 80; 1992, 127, 130;
Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 121 GVG Rdn. 7). Hier
ist die Frage einer Überholung der früheren
Entscheidung von Fall zu Fall zu prüfen
(Schäfer/Harms aaO § 132 GVG Rdn. 10; § 121
GVG Rdn. 60). So führte beispielsweise die Einfügung
der §§ 222 a, 222 b StPO durch das
Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 dazu, daß ohne
Anrufung des Großen Senats für Strafsachen die
vorherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den
§§ 345 Abs. 1 Satz 2, 275 Abs. 3 StPO, wonach nur die
Zustellung eines Urteils, in dem die mitwirkenden Richter
vollständig bezeichnet wurden, die
Revisionsbegründungsfrist in Lauf setzte, geändert
werden konnte (BGH wistra 1989, 301).
Entgegenstehende Entscheidungen können ferner
überholt sein, wenn die Rechtslage in der Begründung
zu einem Gesetzentwurf endgültig klargestellt ist und der
Entwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren keine
Änderungsvorschläge mehr erfahren sowie zudem
weitgehende Zustimmung in Fachkreisen gefunden hat (vgl. zu §
28 Abs. 2 FGG BayObLGZ 1989, 175, 183; OLG Frankfurt NJW 1958, 713;
zust. Kahl aaO; Demharter aaO).
c) Erst recht ist eine frühere abweichende Entscheidung
überholt, wenn der Gesetzgeber diese zum Anlaß
nimmt, den Anwendungsbereich eines erst vor wenigen Jahren in Kraft
getretenen Gesetzes klarzustellen, indem er ausdrücklich
darauf hinweist, daß bereits die frühere Fassung
dieser Klarstellung entsprochen hat. So liegt es hier:
Der Gesetzgeber hat in der Begründung des Entwurfs zum
Korrekturgesetz eindeutig festgehalten, daß
inländische - damit auch die im Tarifgebiet
ansässigen - Arbeitgeber schon nach § 1 Abs. 1 Satz 4
AEntG a.F. zur Zahlung des Mindestlohns verpflichtet waren, wenn die
weiteren Voraussetzungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vorlagen.
Der Gesetzentwurf, der insoweit das weitere Gesetzgebungsverfahren ohne
Änderungen durchlaufen hat (vgl. BTDrucks. 14/151 S. 21),
stellt hierzu ausdrücklich fest:
"Schon nach der bisherigen Rechtslage, auf die der bisherige Satz 4
Bezug nahm, sind die Arbeitsbedingungen, die durch das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf ausländische Arbeitgeber und
ihre in Deutschland eingesetzten Arbeitnehmer erstreckt werden, auch
von inländischen Arbeitgebern einzuhalten" (BTDrucks. 14/45 S.
25).
Die gesetzestechnisch notwendige Anknüpfung an die Pflichten
des Arbeitgebers aufgrund seiner Tarifbindung oder der
Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages
(§§ 4, 5 TVG) erlaubt entgegen der Auffassung des
Oberlandesgerichts Düsseldorf keine andere Deutung des
gesetzgeberischen Willens: Die vom Gesetzgeber des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes bereits in seiner ursprünglichen
Fassung vom 26. Februar 1996 "ausdrücklich formulierten
Rechtspflichten" in § 1 Abs. 1 Satz 4 AEntG a.F. - ebenso in
§ 1 Abs. 1 Satz 3 AEntG a.F. für Arbeitgeber mit Sitz
im Ausland - bildeten nämlich "als Gebotsnormen den
rechtstechnisch erforderlichen Anknüpfungspunkt" für
die im (heutigen) § 5 AEntG enthaltene
Bußgeldbewehrung (BTDrucks. 13/2414 S. 9). Im Gesetzentwurf
vom 17. November 1998 wird hierzu festgestellt, daß die
Rechtsprechung das Arbeitnehmer-Entsendegesetz allerdings anders
interpretiert und die Möglichkeit der Verhängung von
Bußgeldern gegen einen Inländer wegen der
Nichtgewährung des Mindestlohns verneint habe (BTDrucks. 14/45
S. 25). Konsequenterweise wird daher (aaO S. 26) auch die Neufassung
des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG, wonach die Verpflichtung
inländischer Arbeitgeber zur Zahlung der Mindestlöhne
bußgeldbewehrt ist, als bloße "Klarstellung" und
nicht als Neuregelung bezeichnet.
Die im Jahre 1998 erfolgte Neufassung der erst 1996 erlassenen
Vorschriften hat daher keinen neuen Rechtszustand geschaffen, sondern
lediglich das zutreffende Verständnis der alten Fassung
verdeutlicht (vgl. BGHSt 15, 361, 367). Somit besteht kein
Bedürfnis mehr für eine - die Einheitlichkeit der
Rechtsanwendung sichernde - Entscheidung des Bundesgerichtshofs nach
§ 121 Abs. 2 GVG. Hier kommt hinzu, daß die vom
Oberlandesgericht Düsseldorf vertretene Auslegung des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eher fernlag (ablehnend auch AG
Neubrandenburg wistra 1999, 355; offengelassen von BayObLG NStZ 2000,
148). Auch im Schrifttum wird ganz überwiegend eine andere
Auffassung vertreten (vgl. Hanau NJW 1996, 1369 f., 1373; NZA 1998,
1249; ders. in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht § 1 AEntG
Rdn. 11; Schmitt WiB 1996, 769, 771; Webers DB 1996, 574 f.; Hickl NZA
1997, 513, 517; Fischer BArbBl 1999, 6, 9; Meyer NZA 1999, 121, 127,
128; Däubler NJW 1999, 601, 607; Sander/Siebert Betrieb und
Wirtschaft 1999, 356, 358 f.; Schlewing/Schumann/Heinz,
Ausländische Arbeitnehmer [1998] Rdn. 108; Ulber AÜG
§ 1 AEntG Rdn. 37, § 5 Rdn. 1, 5; Wichmann,
Dienstleistungsfreiheit und grenzüberschreitende Entsendung
von Arbeitnehmern Diss. [1998] S. 49; Plesterninks, Entsenderegelungen
nach nationalem und europäischem Recht Diss. [1998] S. 21;
vgl. neuerdings auch Lütke wistra 2000, 84).
3. Nach alledem ist das vorlegende Gericht durch die Entscheidung des
Oberlandesgerichts Düsseldorf nicht gehindert, wie vorgesehen
zu entscheiden.
Der Senat bemerkt vorsorglich, daß der mit Wirkung vom 1.
September 1997 für allgemeinverbindlich erklärten
Tarifvertrag Mindestlohn vom 17. Juli 1997 (BAnz. Nr. 157 vom 23.
August 1997 S. 10909 f.) die Untergrenze des zu entrichtenden
Arbeitsentgelts während des Tatzeitraums abgesenkt hat.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Athing Ernemann
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