BGH,
Beschl. v. 21.3.2001 - 1 StR 48/01
1 StR 48/01
StGB §§ 32, 33
1. Kommt bei objektiv gegebener Notwehrlage der Angreifer durch
Fahrlässigkeit des Abwehrenden zu Schaden, so ist in den
Grenzen dessen, was als Abwehrhandlung objektiv erforderlich gewesen
wäre, die Herbeiführung eines deliktischen Erfolges
auch dann gerechtfertigt, wenn er konkret vom Abwehrenden nicht gewollt
war und bei Anwendung der ihm möglichen Sorgfalt
hätte vermieden werden können.
2. Zu den Grenzen der Notwehr und der strafbefreienden
Notwehrüberschreitung bei einem Angriff auf die Person nach
gewaltsamem nächtlichem Eindringen in die Wohnung des
Verteidigers und beim Einsatz einer lediglich mit einer Patrone
geladenen Schußwaffe als Abwehrmittel.
BGH, Beschl. vom 21. März 2001 - 1 StR 48/01 - LG Ellwangen
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 48/01
vom
21. März 2001
in der Strafsache gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. März 2001
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Ellwangen vom 18. Oktober 2000 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger
Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem
Ausüben der tatsächlichen Gewalt über eine
halbautomatische Selbstladewaffe in zwei Fällen zur
Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und einen Revolver
sowie eine Selbstladepistole eingezogen. Die dagegen gerichtete
Revision des Angeklagten rügt die Verletzung sachlichen
Rechts; sie hat Erfolg.
I.
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen
verfügte der Angeklagte über eine Waffenbesitzkarte
für sogenannte Langwaffen, nicht aber für einen
Revolver und eine Pistole, die er im Jahr 1991 erworben hatte. Den
Revolver setzte er am 27. Februar 2000 in einer Nothilfelage ein:
In der Tatnacht schliefen der 66jährige Angeklagte und seine
Lebensgefährtin, die Zeugin P. , in ihrer Wohnung. Der
Angeklagte, der wegen eines Bandscheibenleidens und einer chronischen
Handgelenksarthrose bereits 1996 berentet wurde, hatte vor dem
Zubettgehen Medikamente, darunter ein Schmerzmittel eingenommen. Gegen
0.45 Uhr läutete der betrunkene Schwiegersohn der
Lebensgefährtin, V. , an der Haustür,
stürmte nach deren Öffnung bis zur
Wohnungstür des Angeklagten im zweiten Stock und trat diese
gewaltsam ein. V. hatte eine Blutalkoholkonzentration von etwa 2,2
Promille; er neigte im alkoholisierten Zustand zu
Gewalttätigkeiten und hatte zuvor anderenorts eine
Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau gehabt. Er hatte diese zu Boden
geschlagen, nachdem sie sich geweigert hatte, mit den gemeinsamen drei
kleinen Kindern in dem von V. gesteuerten Pkw nach Hause zu fahren. Es
war ihr gelungen, mit einem der Kinder vor
V. zu flüchten und sich zu verstecken.
Nachdem V. in die Wohnung des Angeklagten und seiner Schwiegermutter,
der Zeugin P. , eingedrungen war, packte er die Zeugin, beschimpfte sie
und versuchte, sie aus der Wohnung zu ziehen. Der Angeklagte versuchte
beruhigend auf V. einzuwirken; dieser schubste ihn jedoch
zurück, worauf der Angeklagte zu Boden fiel. Unter weiteren
Beschimpfungen und der Drohung, sie umzubringen, gelang es V. , die
sich heftig wehrende und laut schreiende Zeugin P. am Nachthemd und an
den Haaren in das Treppenhaus zu ziehen. Dort ging sie zu Boden. Er
zerrte sie nun nach und nach die Treppe hinunter. Daraufhin lief der
Angeklagte in sein Schlafzimmer und nahm dort aus dem Nachttischchen
den Revolver der Marke "Sturm-Ruger", der mit einer scharfen Patrone
geladen war. Er war noch "ganz leicht benommen", da er kurz zuvor aus
dem Schlaf gerissen worden war und die eingenommenen Medikamente
(Valoron und Voltaren) "noch leicht wirkten". Obwohl er selbst die
Patrone in den Revolver geladen hatte, war ihm diese Tatsache in der
konkreten Situation nicht bewußt; denn der Vorgang lag
bereits mehrere Jahre zurück. Er ging daher
fälschlicherweise davon aus, der Revolver sei nicht geladen.
Im Treppenhaus hatte V. die Zeugin P. , die sich im-
mer wieder am Geländer festzuhalten versuchte, inzwischen drei
Treppenabsätze nach unten gezogen. Beim Eintreffen des
Angeklagten lag sie gerade mit dem Rücken auf dem Podest
zwischen Erdgeschoß und erstem Stock, wobei sich ihre
Füße noch auf den untersten Stufen in Richtung des
ersten Obergeschosses befanden. V. hielt sie an den Haaren und zog
daran. Er beschimpfte sie, bedrohte sie weiter und trat mehrfach mit
den Füßen auf sie ein. Um weitere
Körperverletzungshandlungen des V. gegen sie zu verhindern,
richtete der Angeklagte aus einer Entfernung von weniger als zwei
Metern den Revolver auf dessen Gesichtsbereich und zog den Abzug
schnell hintereinander drei- oder viermal durch. Er hoffte, V. werde
erschrecken und von der Zeugin P. ablassen. Bei der wiederholten
Betätigung des Abzuges löste sich ein
Schuß, der V. unmittelbar unterhalb der Nase traf, im dritten
Halswirbel stecken blieb und binnen kurzer Zeit zu dessen Tod
führte.
2. Das Landgericht nimmt an, der Angeklagte habe in einer Nothilfelage
mit Verteidigungswillen gehandelt, jedoch fahrlässig das
Maß des zur Abwehr des Angriffs Erforderlichen
überschritten; er habe Drohen, nicht Schießen
wollen. Auch sei dem Angeklagten vor dem Schußwaffengebrauch
eine deutliche Ankündigung und Warnung abzuverlangen gewesen.
Sein Irrtum über den Ladezustand des Revolvers sei
für ihn leicht erkennbar und vermeidbar gewesen. Er habe sich
durch einfaches Aufklappen der Revolvertrommel vom Ladezustand der
Waffe überzeugen können. Sein Handeln sei auch nicht
entschuldigt (nach § 33 StGB), weil er nicht aus Verwirrung,
"gesteigerter Furcht" oder Schrecken das Maß des durch
Nothilfe Gerechtfertigten überschritten habe.
II.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger
Tötung hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Die Urteilsgründe lassen besorgen, daß das
Landgericht die Grenzen des Notwehrrechts nicht zutreffend bestimmt
hat; zudem sind die zugrundeliegenden Feststellungen ebenso wie die
tatsächliche Würdigung lückenhaft.
Darüber hinaus leiden die Ausführungen zur Frage
einer strafbefreienden Überschreitung der Grenzen der Notwehr
an einem Erörterungsmangel. Hinsichtlich des Ausübens
der tatsächlichen Gewalt über den in der Notwehrlage
eingesetzten Revolver ist die Strafkammer von einem zu weitgehenden
Schuldumfang ausgegangen. Schließlich ist die Annahme von
Tateinheit zwischen den Waffendelikten und dem etwaigen
Tötungsdelikt rechtsfehlerhaft.
1. Die nur fahrlässige, aber letztlich ebenfalls vom
Verteidigungswillen des Angeklagten getragene Herbeiführung
der Todesfolge beim Einsatz der Schußwaffe als Drohmittel
wäre gerechtfertigt (§ 32 StGB), wenn der Angeklagte
in der gegebenen besonderen Lage, in der seine Schußwaffe mit
nur einer Patrone geladen war, unter der Voraussetzung einer
angemessenen Androhung auch einen gezielten, möglicherweise
tödlichen Schuß auf den Angreifer hätte
abgeben dürfen. Kommt bei objektiv gegebener Notwehrlage der
Angreifer durch Fahrlässigkeit des Abwehrenden zu Schaden, so
ist in den Grenzen dessen, was als Abwehrhandlung objektiv erforderlich
gewesen wäre, die Herbeiführung eines deliktischen
Erfolges auch dann gerechtfertigt, wenn er konkret vom Abwehrenden
nicht gewollt war und bei Anwendung der ihm möglichen Sorgfalt
hätte vermieden werden können (Lenckner in
Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 32 Rdn.
65; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 32 Rdn. 14; vgl.
auch BGH bei Dallinger MDR 1958, 12,13; OLG Hamm NJW 1962, 1169).
Wäre der Abwehrende also bei gewollter Abgabe eines gezielten
Schusses auf den Angreifer gerechtfertigt gewesen, dann muß
diese Rechtfertigung erst recht und zur Vermeidung eines
Wertungswiderspruches auch dann greifen, wenn er sich bei seiner Abwehr
für ein milderes Mittel entscheidet und der Angreifer - wie
hier - bei einer beabsichtigten Drohung mit der Schußwaffe zu
Tode kommt, weil sich - vom Nothilfeleistenden nicht gewollt - ein
Schuß löst. Mithin kommt es im vorliegenden Falle
darauf an, ob der Angeklagte bei bewußter Abgabe eines
gezielten Schusses durch Notwehr gerechtfertigt gewesen wäre.
2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt,
daß der lebensgefährliche Einsatz einer
Schußwaffe nur das letzte Mittel der Verteidigung sein kann.
Grundsätzlich muß der Verteidiger - wenn eine
bloß verbale Androhung von vornherein aussichtslos erscheint
- vor dem tödlichen Schuß einen weniger
gefährlichen Waffeneinsatz wie etwa einen ungezielten
Warnschuß versuchen. Jedoch gilt auch für die
Verwendung einer Schußwaffe, selbst einer solchen, die wie
vom Angeklagten ohne waffenrechtliche Erlaubnis eingesetzt wird, der
allgemeine notwehrrechtliche Grundsatz, daß der Verteidiger
berechtigt ist, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, das er zur
Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der
Gefahr gewährleistet; unter mehreren
Abwehrmöglichkeiten ist er auf die für den Angreifer
minder einschneidenden nur dann verwiesen, wenn ihm Zeit zur Auswahl
sowie zur Abschätzung der Gefährlichkeit zur
Verfügung steht und die für den Angreifer weniger
gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und
sofort endgültig auszuräumen. Ein nicht
bloß geringes Risiko, daß das mildere Mittel
fehlschlägt und dann keine Gelegenheit für den
Einsatz des stärkeren bleibt, braucht der Verteidiger zur
Schonung des rechtswidrig Angreifenden nicht einzugehen. Dabei sind
Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs gegen die
Verteidigungsmöglichkeiten abzuwägen. Ist dem
Angreifer die Existenz einer dem Verteidiger zur Verfügung
stehenden Waffe unbekannt, muß je nach Lage vom Verteidiger
regelmäßig verlangt werden, daß er die
Verwendung der Waffe androht, ehe er sie lebensgefährlich
einsetzt (vgl. nur BGHSt 26, 143, 146; 26, 256, 258; BGH NStZ 1996, 29;
StV 1999, 143 = BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14
m.w.Nachw.).
3. Die Ausführungen des Landgerichts werden diesen
Maßstäben nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die
bisherigen Feststellungen reichen nicht aus, um abschließend
beurteilen zu können, ob die Abgabe des Schusses auf den Kopf
des angreifenden V. mit naheliegender tödlicher Wirkung durch
Notwehr gerechtfertigt gewesen wäre oder ob der Angeklagte
jedenfalls nach § 33 StGB straffrei bleiben muß.
a) Die getroffenen Feststellungen legen allerdings nahe, daß
der Einsatz der Schußwaffe hier erforderlich war. Der
Angeklagte, ein zur Tatzeit 66jähriger Rentner mit einem
Bandscheibenleiden und einer Handgelenksarthrose, war mit seiner
Lebensgefährtin in seiner eigenen Wohnung angegriffen worden;
beide befanden sich in einem auch grundrechtlich besonders
geschützten Bereich (vgl. Art. 13 Abs. 1 GG). Zu diesem hatte
sich der angreifende V.
durch Eintreten der Tür Zugang verschafft. Am Zustandekommen
der Trunkenheit und des Aggressionsausbruchs des Angreifers war der
Angeklagte nicht beteiligt; hinsichtlich seiner
Lebensgefährtin ergibt sich aus den Feststellungen nichts
anderes. Er hatte zunächst versucht, V. zu beschwichtigen.
Dies war fehlgeschlagen; er war selbst zu Boden gegangen. Bei V.
handelte es sich - wie der Zusammenhang der Urteilsgründe
ergibt - ersichtlich um einen durchaus kräftigen jungen Mann.
Aufgrund seiner alkoholbedingten Enthemmung und seiner
zustandsbedingten Neigung zu Gewalttätigkeiten war er
erkennbar durch Zureden nicht zu bremsen. Eine körperliche
Auseinandersetzung mit ihm konnte naheliegender Weise für den
Angeklagten nicht ernstlich in Betracht kommen. V. drohte, die Zeugin
P. umzubringen und zerrte die schreiende, sich am
Treppengeländer festhaltende, zu Boden gebrachte Frau, die
sich heftig wehrte, nach und nach die Treppe hinunter. Dabei trat er
mehrfach auf sie ein. Bei dieser festgestellten
"Auseinandersetzungslage" drängte es sich auf, daß
augenblicklich auch schwerwiegende und lebensgefährliche
Verletzungen der Zeugin P. eintreten konnten. Es liegt auf der Hand,
daß etwa ein Aufschlagen des Kopfes der Zeugin auf die
Treppenstufen ebenso in Betracht kam wie eine schwerwiegende
Rücken- oder gar Rückgratverletzung. Das ergibt sich
schon aus der vom Landgericht beschriebenen Vorgehensweise des
Angeklagten und den Feststellungen zur Lage der Zeugin bei
Rückkehr des nunmehr bewaffneten Angeklagten in das
Treppenhaus. Wenn das Landgericht dennoch ohne nähere Angaben
ausführt, die unmittelbare Gefahr einer schweren Verletzung
oder der Tötung der Zeugin P. habe zu diesem Zeitpunkt nicht
bestanden, so steht das nicht ohne weiteres im Einklang mit dem
festgestellten Verlauf. Es hätte der Darlegung besonderer
Umstände bedurft, die diese Bewertung hätten tragen
können. Das gilt zumal deshalb, weil der Angeklagte sich
ausdrücklich dahin eingelassen hatte, er habe
tödliche Verletzungen seiner Lebensgefährtin
befürchtet (UA S. 14). Das Landgericht meint indessen, "akute
Anzeichen dafür" habe der Angeklagte nicht zu schildern
vermocht. Das ist schon deswegen rechtsfehlerhaft, weil die Einlassung
des Angeklagten im Einklang mit den im übrigen getroffenen
Feststellungen steht. Diese ergeben ohne weiteres eine
beträchtliche Gefahr für Leib und Leben der Zeugin P.
, zumal der äußerst aggressiv auftretende, enthemmte
V. gedroht hatte, diese umzubringen. Wollte die Strafkammer bei dieser
Sachlage dennoch eine erhebliche Leibes- oder Lebensgefahr verneinen,
so hätte sie das näher begründen
müssen. Es konnte nicht Sache des Angeklagten sein, weitere
Gründe für seine Befürchtung erheblicher
Verletzungen oder gar des Todes der Zeugin P. vorzubringen. Das diese
nicht unbegründet war, ergibt sich aus dem vom Landgericht
festgestellten Geschehensablauf.
b) War der Einsatz der Schußwaffe durch den Angeklagten - da
andere schnell wirksame Mittel zur Abwehr des massiven Angriffs auf
seine Lebensgefährtin ersichtlich nicht zur Verfügung
standen - erforderlich, so wäre zu erwägen gewesen,
daß ihm - hätte er die Situation richtig
erfaßt - für die Abgabe eines Schusses nur eine
einzige Patrone zur Verfügung stand (vgl. zu
ähnlichen Fallgestaltungen BGHR StGB § 32 Abs. 2
Erforderlichkeit 4, 6 "letzte Patrone"). Diese Besonderheit des Falles
führt angesichts der Erregung des Angeklagten sowie der
naheliegenden Gefahr des Eintretens auch schwerster Verletzungen beim
Hinunterzerren der zu Boden gebrachten, auf dem Rücken
liegenden Lebensgefährtin, der ausgesprochenen Todesdrohung
und dem Eintreten des Angreifers auf das Opfer dazu, daß der
Angeklagte sich nicht auf die Abgabe eines Schusses etwa auf die Beine
des Angreifers beschränken mußte. Dies wäre
- zumal in Rücksicht auf die Aggressivität des
Angreifers - eine mit hohem Fehlschlagsrisiko behaftete Abwehr gewesen,
bei der ihm anschließend kein weiterer Schuß
für eine erfolgreiche Verteidigung mehr zur Verfügung
gestanden hätte. Die Abgabe eines Warnschusses kam aus
demselben Grund nicht in Betracht, wäre im übrigen im
Treppenhaus ohnehin in hohem Maße gefährlich
für alle Beteiligten gewesen. Schließlich
wäre weiter zu bedenken gewesen, daß dem Angeklagten
wegen des dynamischen Geschehensablaufes kaum Zeit zum
Überlegen verblieb und er durch den Angriff in seiner eigenen
Wohnung aus dem Schlaf gerissen worden war. Bei dieser Lage, der
Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs und den
gegebenen, stark eingeschränkten
Verteidigungsmöglichkeiten lag es nahe, auch die Abgabe eines
gezielten, den Angriff sicher sofort beendenden Schusses für
objektiv erforderlich zu erachten. Die Erwägungen des
Landgerichts gehen auf die Besonderheiten des Falles nicht hinreichend
ein; sie lassen nicht erkennen, daß es die
Grundsätze der Rechtsprechung zur Auslegung der
Notwehrvorschrift genügend bedacht hat.
c) In diesem Zusammenhang begegnet es weiter rechtlichen Bedenken,
daß das Landgericht bei seiner rechtlichen Bewertung die
Auseinandersetzung als "innerfamiliäre Streitigkeit"
bezeichnet. Das könnte darauf hindeuten, daß es von
einer Einschränkung des Notwehrrechts ausgeht. Dies
wäre in zweifacher Hinsicht rechtsfehlerhaft: Die
Urteilsfeststellungen ergeben, daß dem Angriff des V. gerade
kein Streit vorausgegangen ist, an dem die Zeugin P. oder der
Angeklagte beteiligt war. Der Angriff erfolgte vielmehr unvermittelt
und ohne erkennbaren äußeren Grund. Das Notwehrrecht
war schließlich nicht deshalb eingeschränkt, weil
der Angreifer mit der Tochter der Zeugin P.
verheiratet war. Dies geht auf die Willensentschließung der
Tochter zurück, die mit V. in einer anderen Wohnung lebte. Ein
irgendwie geartetes sonstiges, zu erhöhter
Rücksichtnahme in der gegebenen Lage verpflichtendes
persönliches Näheverhältnis zwischen dem
Angreifer und der Zeugin P. oder dem Angeklagten ist nicht ersichtlich.
Es wäre hier für die Frage einer etwaigen Begrenzung
des Notwehrrechts auch deshalb unerheblich, weil der Angriff nach
gewaltsamem Eindringen in die Wohnung der Zeugin P. und des
Angeklagten, einem besonders schutzwürdigen Bereich, erfolgte.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Blick auf die Alkoholisierung
des V. .
Dieser neigte in einem solchen Zustand gerade zu
Gewalttätigkeiten. Das kann unter den vorliegenden
Umständen indessen nicht dazu führen, daß
der Verteidigende ein hohes Maß an Leibes- und gar an
Lebensgefahr ohne Aussicht auf erfolgversprechende Abwehr hinnehmen
muß.
d) Danach hängt die Annahme des Rechtfertigungsgrundes der
Notwehr weiter davon ab, ob und wie der Angeklagte den
Schußwaffengebrauch androhen mußte und ob dies
geschehen ist (vgl. dazu auch BGH StV 1999, 145, 146). Das Landgericht
hält hier eine "deutliche" Ankündigung des
Waffeneinsatzes und eine vorherige Warnung für geboten, die es
im Ergebnis vermißt. Die Würdigung hierzu ist
indessen lückenhaft; sie läßt zudem
besorgen, daß die Strafkammer die Anforderungen an eine
solche Androhung überspannt hat. Die Androhung hat den Sinn,
dem Angreifer vor einem lebensgefährlichen Einsatz der Waffe
davon Kenntnis zu geben, daß der Verteidigende über
eine solche verfügt. Je nach "Auseinandersetzungslage" ist
auch die ins Auge gefaßte Verwendung, also der konkrete
Einsatz anzudrohen. Wie dies zu geschehen hat, ist nicht zwingend
vorgegeben. Anders als etwa bei einem für solche Konfliktlagen
Ausgebildeten, der auch für extreme Belastungssituationen
richtige Verhaltensweisen eingeübt hat, kann von einem aus dem
Schlaf gerissenen, auf einen Angriff nicht gefaßten Menschen
nicht ohne weiteres ein in jeder Hinsicht überlegtes Verhalten
erwartet werden. Entscheidend ist, daß der Angreifer in den
Stand gesetzt wird, die Bewaffnung des Verteidigers wahrzunehmen und zu
erkennen, daß dieser bereit ist, die Waffe gegen ihn
einzusetzen, falls er mit seinem Angriff fortfährt. Dazu ist
nicht stets ein mündlicher Anruf oder Hinweis erforderlich;
vielmehr hängt die Art und Weise der Androhung ebenfalls von
den jeweiligen Umständen des Falles ab. Je nach der
Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs in dem
beim Einsatz der Schußwaffe gegebenen Stadium kann deshalb
möglicherweise schon eine Drohwirkung genügen, die
von dem bloßen Vorzeigen der Schußwaffe und einem
etwaigen Zielen auf den Angreifer ausgeht. Hierauf geht das Urteil
nicht näher ein. Das Landgericht führt lediglich aus,
der Angeklagte habe "weder mit Worten auf die Waffe aufmerksam gemacht
noch deren Einsatz für den Fall angedroht, daß er
nicht von der Zeugin P. ablasse" (UA S. 9). Was mit Letzterem gemeint
ist, bleibt unklar. Da der angreifende V. sich treppabwärts
vor der Zeugin P. befand und dabei war, diese weiter auf der Treppe
herabzuzerren, während der Angeklagte von oben aus seiner
Wohnung herbeieilte, liegt nahe, daß V.
die Schußwaffe in der Hand des Angeklagten vor deren Einsatz
erkannt hatte, aber seinen Angriff dennoch fortsetzte.
Möglicherweise konnte er zuvor auch wahrnehmen, daß
der Angeklagte die Waffe auf ihn gerichtet hatte. Das hätte
der Erörterung bedurft, weil eine solche konkludente Drohung
angesichts des Maßes der Gefahr für die Zeugin P.
hier ausreichend sein konnte. Das Landgericht meint zwar im Rahmen
seiner rechtlichen Würdigung, dem angreifenden V. sei keine
Zeit zur Reaktion verblieben. Wie es zu dieser Annahme kommt, wird aber
durch die Beweiswürdigung nicht erhellt. Bei der
erforderlichen Würdigung der Beweise ist zu bedenken,
daß nach dem Zweifelssatz zu Gunsten des Angeklagten als
Verteidiger von der ihm günstigeren Sachverhaltsannahme
auszugehen ist, wenn sich bestimmte, nicht fernliegende
Möglichkeiten des Tatverlaufs nicht zur Überzeugung
des Tatrichters ausschließen lassen. Danach bedarf die Frage
der Notwehr insgesamt der erneuten Prüfung.
4. Auf all das käme es indessen nicht an, wenn der Angeklagte
- was hier nahe liegen dürfte - jedenfalls wegen
Notwehrüberschreitung straffrei zu bleiben hätte.
Nach § 33 StGB wird nicht bestraft, wer als Verteidiger die
Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken
überschreitet. Die Strafkammer hat dies geprüft und
verneint. Das begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der
Angeklagte hatte sich auf Furcht vor schwerwiegenden Verletzungen
seiner Lebensgefährtin berufen. Die Kammer führt aus,
er habe sich zwar in verständlicher Erregung befunden,
keinesfalls aber in Panik. Die Notwehrüberschreitung sei nicht
aus "gesteigerter Furcht" erfolgt (UA S. 14/15). Eine erhebliche
Beeinträchtigung seiner Einsichts- oder
Steuerungsfähigkeit habe nicht vorgelegen. Das
läßt besorgen, daß die Strafkammer auch zu
hohe Anforderungen an die Annahme einer strafbefreienden
Notwehrüberschreitung gestellt hat. Zwar ist nicht schon jedes
Angstgefühl als Furcht im Sinne des § 33 StGB zu
beurteilen; vielmehr muß durch das Gefühl des
Bedrohtseins die Fähigkeit, das Geschehen zu verarbeiten und
ihm angemessen zu begegnen erheblich reduziert sein (vgl. BGHR StGB
§ 33 Furcht 2, 4; BGH NStZ-RR 1997, 65). Der Affekt
muß nicht die alleinige oder auch nur überwiegende
Ursache für die etwaige Überschreitung der
Notwehrgrenzen gewesen sein; es genügt, daß er -
neben anderen gefühlsmäßigen Regungen -
für die Notwehrüberschreitung mitursächlich
war. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß der
Angreifer die ihn treffenden Folgen einer überzogenen Abwehr
selbst und allein verantworten muß, wenn er durch sein
Handeln einen jener Affekte ausgelöst hat (Verwirrung, Furcht
oder Schrecken), die den Angegriffenen über die Grenzen der
Notwehr hinausgehen ließen (BGH StV 1999, 145, 146/147).
Auf dieser rechtlichen Grundlage hätte die Strafkammer alle
Tatumstände berücksichtigen müssen und das
Geschehen nicht nur unter dem Gesichtspunkt der vorherigen
Medikamenteneinnahme und des Überraschtwerdens im Schlafe
würdigen dürfen; sie hätte auch die
Wirkungen erwägen und darstellen müssen, die
für den Angeklagten von dem überraschenden und
massiven nächtlichen Angriff auf seine
Lebensgefährtin gerade in der eigenen Wohnung ausgingen.
Für eine erhebliche Verringerung der Fähigkeit zu
einer angemessenen Reaktion konnte hier auch sprechen, daß
der Angeklagte in seiner - auch vom Landgericht angenommenen - Erregung
den Ladezustand seiner Waffe nicht bedachte.
5. Darüber hinaus ist im Auge zu behalten, daß die
genannten Umstände selbst unter der Annahme
fahrlässiger Tötung auch Bedeutung für die
Frage der Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung haben und
deshalb auch in diesem Punkt tragfähiger Bewertung bedurft
hätten. Der bloße Hinweis darauf, der Angeklagte,
der annahm, seine Waffe sei ungeladen, hätte sich durch
einfaches Aufklappen der Revolvertrommel vom Ladezustand der Waffe
überzeugen können, sein Irrtum sei deshalb vermeidbar
gewesen (UA S. 8), genügte dazu nicht. Er wird in seiner
bündigen Kürze der Befindlichkeit des Angeklagten und
der Angriffslage nicht vollends gerecht.
6. Die Verurteilung des Angeklagten kann schließlich schon
deshalb keinen Bestand haben, weil auch der Schuldspruch wegen des
tateinheitlichen Ausübens der tatsächlichen Gewalt
über den vom Angeklagten eingesetzten Revolver mit einem
Rechtsfehler behaftet ist und das Landgericht das
Konkurrenzverhältnis zu dem Tötungsdelikt nicht
zutreffend beurteilt hat. Da der Angeklagte sich auch nach Auffassung
des Landgerichts in einer Nothilfesituation befand, durfte er den
Revolver in dieser Lage - wenigstens als Drohmittel -verwenden. Damit
entfällt zugleich die Strafbarkeit wegen des damit
einhergehenden Ausübens der tatsächlichen Gewalt
über diese Waffe (BGH NStZ 1981, 299; BGHR StGB § 32
Abs. 1 Rechtfertigung 1). Die Strafkammer hat die damit teilweise
gegebene Straflosigkeit des Waffendelikts nicht berücksichtigt
und ist daher von einem zu weitgehenden Schuldumfang ausgegangen. Sie
hat ausdrücklich den langandauernden Besitz gleich zweier
Schußwaffen straferschwerend gewertet (UA S. 16). Die in der
Nothilfesituation gerechtfertigte Verwendung des Revolvers
begründet überdies eine Zäsur. Das strafbare
unerlaubte Ausüben der tatsächlichen Gewalt und der
anschließende Einsatz der Waffe - auch dann, wenn ihn der
neue Tatrichter wiederum als strafbar erachten sollte - würden
sich vielmehr als mehrere Taten erweisen (§ 53 StGB; BGHR StGB
§ 32 Abs. 1 Rechtfertigung 1; vgl. für diesen Fall
zum Verschlechterungsverbot Kuckein in KK 4. Aufl. § 358 Rdn.
30 m.w.Nachw.).
Nack RiBGH Dr. Wahl befindet sich Boetticher im Urlaub und ist deshalb
an
der Unterschriftsleistung verhindert.
Nack
Schluckebier Schaal
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